Schlagwort: Schmerz

Wir haben die gleichen Wunden: Warum heilen wir uns nicht gegenseitig?

Zweiter Teil der kleinen Serie zum Thema Empath vs. Narzisst: Eine Empathin schreibt an „ihren“ Narzissten

„Lieber Narzisst,

du bist einer der grausamsten Menschen, die ich kenne. Und der Mann, den ich liebe. Weißt du warum?
Weil wir uns ungeheuer ähnlich sind, trotz aller Verschiedenheit. Weil wir beide im Kern unter der gleichen Verletzung leiden. Wir haben nur entgegengesetzte Methoden, uns damit auseinander zu setzen. Wäre es da nicht logisch, wenn wir jeweils beim Anderen das fehlende Teil ausfüllen und so gemeinsam heilen könnten?

Wir beide waren kluge Kinder, die ihre Umwelt genervt haben. Ständig stellten wir unerwünschte Fragen, machten altkluge Einwürfe, wollten nur gehorchen, wenn wir den Grund kannten und waren doch als Kinder so ganz und gar abhängig. Diese Abhängigkeit machte sich unsere Umwelt zunutze. Wir wurden verprügelt, mit Verachtung bestraft, links liegen gelassen. Statt mit Liebe wurden wir mit Strafen erzogen, deren Sinn sich uns nicht erschloss. Wir rebellierten und verließen frühestmöglich das Elternhaus.

Ganz früh haben wir beide kennengelernt, was es heißt, wenn andere Geschwister vorgezogen werden, wenn man sich verzweifelt um die Liebe der Eltern oder Anerkennung der Lehrer bemüht und doch nur Ablehnung und Verachtung erfährt. Wir waren gut in der Schule, aber es konnte passieren, dass uns Lehrer, die unseren „arroganten Blick“ nicht leiden konnten, eine ganze Stunde lang prüften, bis endlich ein Fehler vorlag, den sie als „ungenügend“ bewerten konnten. Wir waren verhasst bei den Klassenkameraden, weil wir nicht lernen mussten, um Inhalte zu verstehen. Aus lauter Not haben wir uns zeitweise dumm angestellt. Umsonst; man mochte uns deshalb nicht lieber.

So wurden wir junge Erwachsene, und in uns lebte dieser scharfe Schmerz, nicht geliebt zu werden, nicht liebenswert zu sein, und doch so große Sehnsucht nach Liebe zu haben; danach, als das gesehen zu werden, was wir wirklich sind.

Inzwischen hatten wir ganz verschiedene Wege eingeschlagen. Während ich es mit Hingabe versuchte, mit Einfühlungsvermögen, mit ganz viel vorauseilender Hilfsbereitschaft, mit der Idealisierung von Personen, wurdest du jedes Jahr etwas härter. Du hast deine Liebe zum Sport entdeckt: Kraftsport, Kampfsport, Schießsport; egal was, Hauptsache, es machte dich stark und du konntest siegen. Das gleiche machtest du mit deinem Gehirn: Es wurde trainiert ohne Ende, es wurde gefüllt mit Wissen. Deine Intelligenz, dein Wissen und deine Tatkraft in Einheit mit einer großen Fähigkeit, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, verschafften dir Erfolg. Eine Maske reichte dir nicht. Du hast unzählige im Programm, die du je nach Lage aus dem Hut zauberst.

Und doch kann ich dein Inneres genau fühlen. Ich fühle das Leuchten in dir, dieses unverbrauchte, noch nicht beschädigte Licht. Ich fühle auch den Schmerz in dir, die Sehnsucht nach Erfüllung und die Überzeugung, dass es die für dich nicht gibt. Ich fühle, wie du dich verhärtest, wenn Erfüllung tatsächlich möglich scheint, denn die Verletzlichkeit darin macht dir Angst. Ich rieche zehn Kilometer gegen den Wind, wenn du dann deine „Notlügen“ loslässt, die die Distanz wieder herstellen und dir das Gefühl von Kraft geben. Ich bin verletzt von deiner Kühle und der leisen Verachtung für meine Hingabe. Aber ich liebe dieses reine Leuchten, das hinter all diesen Masken in dir steckt.

Siehst du denn nicht, dass ich dich niemals verraten würde? Auch dann nicht, wenn zwischen uns keine Liebe wäre? Weißt du nicht, dass all diese bedingungslose Zuwendung, die du auf Umwegen über Lob und Anerkennung von mir einforderst, dir ganz kostenlos und uneingeschränkt, völlig ohne Spielchen sowieso zur Verfügung steht? Weil ich dich wirklich bewundere, und das, obwohl ich weiß, dass du Schwächen hast!

Ich weiß doch, dass du der Stärkste sein musst, um dich wohlzufühlen. Der Stärkste, der Erfolgreichste, der mit dem letzten Wort bei Entscheidungen, der, der immer führt. Ich würde es dir nicht streitig machen. Ich mag dich genau so und nicht anders. Du musst nicht ständig Geschäftsreisen erfinden, um deine „Freiheit“ zu sichern: Ich will dich weder verändern, noch vereinnahmen. Was ich mir wünsche, ist das Wissen, dass uns etwas einzigartiges unzerstörbar verbindet, auch wenn wir nicht gemeinsam am selben Ort sind: Das Wissen der Zusammengehörigkeit und absolutes Vertrauen.

Wenn du sagst, Liebe sei dumm und eine Schwäche, trifft mich das sehr. Weißt du nicht mehr, wie weh es tut, wenn ein Mensch so verächtlich mit einem geschenkten Herzen umgeht? Du müsstest dich doch an den Schmerz deiner Kindheit erinnern! Ich liebe dich trotzdem, und ich bewundere dich. Du magst dich innerlich unsicher oder traurig fühlen, aber du meisterst das so viel besser als ich. Du bleibst stark, auch wenn du dich nicht so fühlst. Ich hingegen laufe dir nach, bettele um deine Zuneigung und fühle mich elend, weil du mich deshalb als minderwertig betrachtest – obwohl dir mein Einsatz für dich oft sehr willkommen ist.

Dabei wäre alles so einfach: Uns ist doch beiden klar, dass wir die gleiche brennende Wunde in uns haben. Warum bilden wir nicht gemeinsam eine Muschel, innerhalb derer kein Lügen, kein Täuschen, keine Verachtung und keine Bestrafung mehr nötig sind? Ich könnte dich stärken mit Liebe und Mitgefühl, du könntest mich stärken mit deiner Fähigkeit, nein zu sagen. Beide könnten wir sein wie wir sind, ohne uns voreinander verstecken zu müssen. Wir könnten uneingeschränkt offen zueinander sein, auch wenn wir uns schwach fühlen, weil wir wissen, dass wir einander trauen können.

Nein, das bedeutet nicht den Verlust deiner Identität! Du bleibst genau der, der du bist. Aber du könntest diese anstrengenden Masken ablegen! Nein, das bedeutet auch nicht, dass du dich in meine Hand begibst und von mir abhängig wirst! Ich weiß doch jetzt auch schon, wie du dich hinter deiner Maske fühlst….

Ja selbstverständlich ist mir klar, dass ich mit diesem Wunsch den Wolf bitte, Hüter des Schafes zu werden. Auch Empathen können analysieren. Und doch … Warst nicht du es, der mir immer wieder vorgeschwärmt hat, wie sozial Wölfe sind, dass sie auch Alte und Schwache nie zurück lassen? Oder habe ich das selbst gegoogelt?…

Nein bitte… Nicht schon wieder dieses schreckliche Schweigen…“

***

Siehe auch: „Mein wahres Ich wirst du nie erreichen“

Wenn der Empath geht: Zuerst zerbricht das Herz, dann erhebt es sich

Ein tragisches doppeltes Trauma sowie

„Der Mann meines Lebens ist ein Narzisst“ und die dortigen Links

Wenn ein Herz bricht, wird es grau und leer: Keine Chance für eine neue Liebe

Wenn ein Herz bricht, geschieht das lautlos.

Kein Erdbeben, kein Knall – kein Geräusch.

Es ist ein sehr dehnbarer Muskel, das Herz. Zuerst entflammt es: Das kann in Sekunden-Bruchteilen passieren. Wenn es entflammt, dehnt es sich aus, wird weit und fließt vor Zärtlichkeit über. Es sieht seinen Lieblingsmenschen in den schönsten Farben, bewundert ihn, freut sich über jedes Wort, jede kleine Geste, tanzt innerliche Freudentänze und durchpumpt den Körper mit heißem Blut. Das Herz fühlt sich jung, voller Zuversicht, voller Tatendrang.

Einmal entflammt, will es lieben, das Herz. Mit aller Kraft, die in ihm steckt, will es sein Gegenüber verstehen, begleiten, beschenken – berühren, mit ihm verschmelzen…

Vor lauter Liebe wächst das Herz über sich hinaus. Es überzeugt den Verstand, Dinge zu lernen, für die er sich vorher nie interessiert hat, Aussagen zu glauben, die er sonst skeptisch betrachten würde, Hindernisse aller Art als überwindbar zu betrachten. Das Herz will vereint sein mit seiner Flamme, also liebt es, glaubt und hofft und wartet.

Es wartet, auch wenn es lange dauert. Es hofft, auch wenn die Schwierigkeiten zunehmen. Es glaubt, auch wenn die Ausreden dünner werden, die Ausweichmanöver durchsichtiger, das Ziel sich immer weiter entfernt.

Es glaubt und hofft auch noch, wenn die Tränen kommen. Wenn sich die gebrochenen Versprechen häufen, der Glanz der bewunderten Person blättert, wenn diese gar nicht so genau verstanden werden und schon gar nicht verschmelzen will…

Ganz langsam wird es taub, das Herz, wenn der Glaube schwindet, und die Bewunderung auch. In Abständen schwillt es an – nun nicht vor Freude, sondern vor Schmerz. Es pumpt den Schmerz in den ganzen Körper, bis der so weh tut, dass Schmerzmittel nötig werden. Aber es hört nicht auf zu hoffen.

Zwischen Taubheit, Schmerzen und Tränen versucht das Herz jetzt, für sich zu kämpfen. Es argumentiert, debattiert, provoziert. Es überzeugt den Verstand, seine schärfste Waffe zu nutzen: Das Wort. Damit greift es an, nimmt den geliebten Menschen auseinander, versucht sogar, ihn zu verletzen, damit er wach wird und sieht, wie es dem Herzen geht.

Ganz langsam und lautlos schleicht die Gewissheit ins Herz, und es versteht: Es hat verloren.

Paradoxerweise wird er nun weniger, der Schmerz: Weil das Herz nicht mehr fühlen kann. Es versinkt in einem grauen, dicken Nebel, einem zähen Nebel, der den Farben allen Glanz nimmt und jede Sicht auf die Zukunft verstellt.

Tage, Wochen, Monate – Jahre kann das Herz so verharren. Manchmal will sie sich regen, die Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Aber nichts wird gut, und das Grau des Nebels wird zur Farbe des Alltags – so lange, bis das Herz glaubt, dass die Welt von Natur aus grau ist.

Es tut treu seine Arbeit: Pumpt Blut durch den Organismus, damit dieser weiter atmen und arbeiten kann. Manchmal holpert es, wird arrhythmisch, zieht und schmerzt durch die ganze linke Körperseite, nimmt den Atem – aber mit der Zeit wird das weniger. Das Herz zieht sich zusammen, wird klein, eng und hart.

Irgendwann kommt ein neuer Mensch mit roten Rosen. Sein Herz, frisch entflammt, pumpt wild und freudig in seinem Körper. Er will das graue Herz für sich gewinnen.

Dieses aber kann nichts fühlen. Eine weit entfernte Erinnerung zieht schmerzlich zuckend durch es hindurch: An die Liebe seines Lebens, die keine war und doch die einzige ist.

Dann schweigt es resigniert: So also ist es, gebrochen zu sein.

*

*

*

Nachtrag: Aus einem Interview der Allgemeinen Zeitung Mainz mit dem Kardiologen Thomas Meinertz:

Kann man an einem gebrochenen Herzen sterben?

Meinertz: „Ja, bei einer Stress-Kardiomyopathie, dem Takotsubo-Syndrom. Gott sei Dank führt  diese akute Erkrankung des Herzens, die dem Herzinfarkt ähnlich ist, selten akut zum Tod. Die Stress-Kardiomyopathie besteht in einer Störung der Herzmuskelfunktion durch akute physische oder psychische Belastung. Der Stress schädigt dabei direkt die Herzmuskulatur, ohne dass die Herzkranzgefäße betroffen sind – im Gegensatz zum Herzinfarkt, bei dem die Herzkranzgefäße eingeengt oder verschlossen sind.

An gebrochenem Herzen kann man durch einen plötzlichen Herztod, also rasche Rhythmusstörungen, oder Kammerflimmern, aber auch durch eine Herzmuskelschwäche sterben.“

Ein Narzisst erklärt:“Nur Anerkennung kann den Selbsthass dämpfen“

Folgende Geschichte hat ein Mann in einer Selbsthilfegruppe für Opfer von Narzissten erzählt. Ich habe seine Erlaubnis, den Text zu veröffentlichen und tue das hiermit in leicht gekürzter Form.

„Hier geht es rein um meine Meinung, meine Sichtweise, meine Erfahrung. Ich erhebe nicht den Anspruch darauf, dass ich für andere Narzissten sprechen kann. Meine Störung ist diagnostiziert und von verschiedenen Stellen abgesichert, und trotzdem passe ich nicht in jeden Schublade, die bei solchen Diagnosen gerne zur Einstufung dienen.

Zunächst möchte ich mal eine Verallgemeinerung relativieren, denn Narzissmus hat wenig mit Selbstverliebtheit zu tun, vielmehr mit einem dauerhaften Selbsthass,  ausgelöst durch dauerhafte Selbstzweifel. Nur die regelmäßige Fütterung mit Anerkennung schafft es, die Zweifel und den Hass auf sich selbst so sehr zu senken, dass man nicht elendig zu Grunde geht. Die Jagd nach Anerkennung raubt dabei beinahe jegliche Kraft und Zeit und lässt Dinge tun, die weit jenseits jeglicher Achtsamkeit und Selbstfürsorge liegen.  Leider hinterlässt ein Narzisst dabei oft eine emotionale Spur der Verwüstung; bei sich selbst, wie auch in seinem Umfeld.

Wie viele andere auch, habe ich natürlich auch mal geschaut, was Wikipedia zur narzisstischen Persönlichkeitsstörung sagt und ich war entsetzt. Einem Narzissten die Fähigkeit zur Empathie abzusprechen, ist nämlich schlicht totaler Unsinn. Es gibt Narzissten die durch gesteigerte Empathie nur noch mehr Baustellen zu bewältigen haben, denn auch der Druck helfen zu wollen und Anerkennung als guter Mensch zu erhalten,  kann  an die Grenzen der Lebensfähigkeit treiben. Ich strebte mein bisheriges Leben lang danach, „gut genug zu sein“. Gut genug für Andere, gut genug für etwas Anerkennung. Und da ich teilweise tiefen fast schon lähmenden Schmerz empfinde, wenn ich das Leid anderer wahrnehme, wehre ich mich massiv gegen die Aussage, es gehe mir nur um die Anerkennung.  Nein, meine Empathie ist echt.

Obwohl sich meine narzisstische Persönlichkeitsstörung, sowie meine bipolare Störung (macht es noch etwas komplizierter und erklärt vielleicht manche Abweichung vom landläufigen Bild) schon früh in der Kindheit manifestiert haben, waren die Auswirkungen und negativen Konsequenzen für mich erst recht spät spürbar, und es brauchte einige Schicksalsschläge und eine tiefe Depression, bis meine Überlebensstrategien  ihre Wirksamkeit verloren.

Der Verlust meines eigenen Unternehmens und der damit traurig verknüpfte Verlust meiner langjährigen Partnerin (ja ohne Geld, Macht und Status war ich nicht mehr gut genug) und später dann ein Déjà-vu, als ich einen guten Job und die nächste Partnerin verlor (sie war wenigstens so ehrlich und sagte mir, „was will ich denn dann noch mit dir“), führten zu einer kompletten Abschneidung von jeglicher Anerkennung. Meine Hobbies konnte ich mir nicht mehr leisten, ein Arbeitsumfeld gab es nicht mehr, Familie und Partnerin waren weg, einige Freunde distanzierten sich von mir, und von anderen zog ich mich aus Scham zurück, denn ich fühlte mich nicht wertvoll genug, noch Freunde zu haben. Todesfälle in der Familie verstärkten die Isolation.  Entwertet und vom Selbsthass getrieben, nahm ich einen Suizidversuch vor. Ich erhängte mich in einer Kurzschlussaktion irgendwo im Wald, an einem planlos gewählten Ort, mit einem ungeeigneten Abschleppseil, an einem zu schwachen Ast…  Dieser brach, und ich erwachte nach einer längeren Phase der Ohnmacht auf nassem, schlammigen Waldboden.

Dies brachte noch nicht die Wende. Obwohl ich mich vor mir selbst erschrocken hatte, bedurfte es eines „kleinen“ Wunders, bis ich mir Hilfe holte. Meine kleine Tochter wurde geboren, außerhalb einer Beziehung und ein wahres „One Hit Wonder“, denn sie war das Resultat eines kurzen Versuchs eine Beziehung aufzubauen, der leider scheiterte. Trotzdem führte dieses neue kleine Leben dazu, dass ich meines nicht mehr aufgeben konnte, denn in meiner Familie musste ich selbst erleben, was es bedeutet, wenn ein geliebter Mensch freiwillig viel zu jung geht und seine kleinen Kinder einfach zurücklässt. Das konnte ich mit meiner Moral nicht vereinbaren und meiner Tochter nicht antun und so lebte ich zunächst für meine kleine Tochter weiter, auch wenn ich selbst nicht mehr leben wollte und jeden Tag als Qual empfand.

Als sich in mir der Entschluss manifestierte, wieder leben zu wollen anstatt leben zu müssen, denn das war auf Dauer nicht aushaltbar, holte ich mir Hilfe und ließ mich behandeln. Umfassende Klinikaufenthalte, therapeutische Betreuung, Analyse und Reflektion halfen mir, meine Störungen zu verstehen. Ich habe den Kampf noch nicht gewonnen, aber genug Kraft um weiter zu machen.

Das ist alles vorher passiert:

Einfach nur an etwas teilzunehmen, mitzumachen oder mit dem Strom zu schwimmen, war mir  nie genug. Ich gab alles, um eine Sonderrolle zu spielen, oder die Führung zu übernehmen oder wenigstens um einen gesonderten Ruf zu genießen. Gut war nie gut genug, entweder ich war in etwas sehr gut bis überragend oder ich hab es gemieden.  Alles musste extrem und exzessiv sein.  Das kostete Kraft und nahm mir irgendwann jede Freude an jeglicher Sache oder Handlung. Es ging nur noch um das Streben nach Anerkennung, Sieg, Ruhm und darum etwas besonderes zu sein.

Schul-/Ausbildung:

Da ich vor nichts mehr Angst habe, als zu scheitern oder nicht anerkannt zu werden, denn als Narzisst bezieht man die fehlende Anerkennung nicht etwa auf  ein spezielles Scheitern, sondern immer auf sich als Person, wählte ich nie die Ausbildungswege, die mich gereizt oder gefordert hätten, sondern immer die Wege, in denen die Chancen am besten waren, wirklich herausragend abzuschneiden. Nie hätte ich eine Schule besucht, in der ich nicht hätte Klassenbester sein können und niemals hätte ich eine Ausbildung angefangen, in der ich durch meine Leistungen nicht für Aufsehen hätte sorgen können.

Fahrzeugwahl oder Gebrauchsgegenstände:

Wenn alle ein I-Phone oder alle einen Golf fahren wollten, dann wollte ich, nein MUSSTE ich mich abheben. Ich musste besser sein oder zumindest auf extreme Weise anders. Zu Zeiten, als mein Unternehmen sehr gut lief und ich mir eigentlich fast jedes halbwegs bezahlbare Fahrzeug leisten konnte, hätte  ich mir  einen dicken Audi oder einen sehr gut motorisierten BMW oder Mercedes kaufen können. Aber  ich musste anders sein, ich musste einen Mini mit annähernd 300 PS fahren, denn da war mir mehr Anerkennung sicher.

Robert Cornelius@2015-09-14T17;13;33.jpg

Arbeit:

Es reichte mir nicht, einfach nur einen guten Job zu machen, ich wollte besser sein, ich wollte Anerkennung, ich brauchte Anerkennung, in der Selbstständigkeit von den Kunden oder in Form von Zahlen und im Angestellten-Verhältnis dann von Vorgesetzten. Nur das erfolgreiche Unterordnen als Narzisst ist schon wieder fast hoffnungslos. Daran scheiterte ich zuletzt. Als ehemaliger Unternehmer kannte ich Wege und hatte sowieso schon sehr sehr hohe Ansprüche an mich und meine Mitarbeiter.  Später dann konnte ich meine Vorstellungen nicht umsetzen, was dazu führte, dass ich meinem Arbeitgeber schlicht zu anstrengend wurde.  Ja da hab ich, durch Narzissmus getrieben, schrecklich versagt. Ich wollte mehr Überstunden machen, ich wollte bei den Mitarbeitern beliebt sein und sie entlasten. Für die Anerkennung meiner Auszubildenden stritt ich mich mit dem Eigentümer des Unternehmens und so weiter.

In meiner Selbstständigkeit war ich erst zufrieden, wenn ich so verdammt nah an der Perfektion war, dass mein Laden immer aussah wie bei einer Neueröffnung. Dafür arbeitete ich 80 bis 120 Stunden, 6 meist 7 Tage die Woche, 11 Jahre ohne einen Tag Urlaub. In einer kurzen Phase als Angestellter bei einem großen Warenhaus häufte ich in nur 9 Monaten 970 Überstunden an, um alle Ziele zu erreichen. Wenn ein nicht gestörter Mensch eine Aufgabe eine Zielvorgabe bekommt, die er nicht erreichen kann, dann findet er Wege damit klar zu kommen. Ich als Narzisst hätte mit einem Scheitern nicht leben können, also gab ich alles:  Ich verzichtete auf Schlaf, ich ging weit über jede normale Grenze und wenn ich die Ziele dann doch irgendwie erreichte, legte ich selbst die Messlatte noch etwas höher, damit die Anerkennung nicht abriss.

Ausbildertätigkeit:

Ich suchte nie Auszubildende, die wirklich gut geeignet waren, sondern ich versuchte, fast hoffnungslosen Fällen die Ausbildung doch zu ermöglichen. Ich wollte die Anerkennung dafür, dass ich diesen Menschen helfen konnte. Damit lud ich mir mehr emotionalen Druck und so viel zusätzliche Arbeit auf, dass es mich fast innerlich zerriss.  Ich brachte Auszubildende durch die Verkäuferausbildung, mit denen ich in meinen Mittagspausen (die ich immer mit irgendwas füllte, nur nicht mit Ruhe) lesen übte, in Grundschullesebüchern der 2. und 3. Klasse. Ich war so stolz, wenn sie es irgendwie schafften, nur was ich dafür alles vernachlässigte sah ich nicht. Ich war dauergestresst, kaum für Familie da und an mich und mein Wohlbefinden dachte ich nie, nur an den nächsten Anerkennungsschub.

Beziehungen:

Fakt ist, ich hatte sehr viele Beziehungen, und an jedem Verlust, an jedem Scheitern litt ich sehr. Vielleicht bin ich beziehungsunfähig, weil mir das Schicksal die ein große Liebe versagte, da ihre Familie (sie war Türkin) mich nicht akzeptierte und ich sie dann aufgeben musste, nachdem ihr Leib und Leben auf schlimmste Art und Weise bedroht wurde. Vielleicht bin ich danach auch gescheitert, weil ich falsche Prioritäten gesetzt hatte und weil mein Tag auch nur 24 Stunden hat. Jedenfalls konnte ich oft nicht meinen Perfektionismus im Job und in der Beziehung unter einen Hut bringen und spätestens  wenn das Genörgel los ging, die Kritik und Unzufriedenheit immer größer wurden, gab ich auf und entzog mich. Entweder ich war gut genug und bekam Anerkennung oder zumindest Verständnis, oder ich wurde immer kälter. Ja in dieser Phase war ich manchmal kalt und ein Arschloch und manches, worum ich hätte kämpfen sollen, warf ich achtlos weg. Ich bereue das sehr, doch damals wusste ich keine anderen Wege damit umzugehen.

Als ich erkannte, dass ich in meiner Situation mit der Belastung der Selbstständigkeit eh kaum eine echte Beziehung führen konnte, ich aber trotzdem hungrig nach Anerkennung durch Partnerschaft war, sprang ich von einem Abenteuer und Versuch zum nächsten. Hier wählte ich meine Partnerinnen irgendwann gar nicht mehr danach, ob sie mir gefielen oder gut taten, ich wählte danach wie viel Aufsehen sie erregten an meiner Seite, was mir ja auch wieder Anerkennung verschaffte. Ja, kranker Mist, für den ich mich echt schäme. Zum Beispiel gab es eine wundervolle Frau, die selbst 192 cm groß ist und damit meine 170 cm bei weitem überragte. Ich liebte es, wenn die Leute sich daran ergötzten, denn ich stand im Mittelpunkt.  Ich habe wundervolle Menschen ausgenutzt, statt mich ihren wirklichen Werten zu widmen, sie anzuerkennen und zu lieben.

Irgendwann verliebte ich mich wirklich, was ich später sehr bereute, denn sie war mindestens so narzisstisch wie ich und dazu noch kälter, berechnender und manipulativer. Vielleicht hab ich es auch nicht anders verdient, denn auch hier waren meine Motive wohl zunächst andere, denn jetzt suchte ich mir ausnahmslos Frauen, die irgendwie in Not schienen. Alleine mit Kindern, selbst geplagt von psychischen Störungen und Erkrankungen, Drogenprobleme etc. Ich wollte helfen und erhoffte mir etwas Anerkennung und Dankbarkeit. Dumm nur, dass ich mich wirklich verliebte und an Beziehungen festhielt, die mir nicht gut taten, da ich zum Beispiel auch die mitgebrachten Kinder zu sehr ins Herz geschlossen hatte.  Da gab ich gab alles was ich hatte und noch mehr, ich ging über jede Belastungsgrenze, die Grenze meiner finanziellen Mittel eingeschlossen, nur um gut genug zu sein. Doch als meine Kraft am Ende und mein Konto leer war, wurde ich fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Ein normaler gesunder Mensch hätte den Stecker vorher gezogen. Ich habe aus Angst nicht mehr anerkannt zu werden alles laufen lassen… viel zu lange. Und glaubt mir, ich schäme mich für meine Fehler.

Narzissmus bedeutet aber nicht, dass man innerhalb von Beziehungen nur an sich selbst denkt, im Gegenteil, oft übertreibt man beim Versuch, besonders gut für den anderen zu sein. Das Streben ein perfekter Partner zu sein, kann einen dabei auch komplett auffressen. Geschenke müssen immer wahnsinnig toll und übertrieben sein, damit die Anerkennung groß genug ist, Gemeinsame verbrachte Zeit, unterliegt immer Erfolgsdruck. Ich war ständig auf der Suche, neue Vorlieben zu entdecken, Wünsche zu erahnen oder irgendetwas zu finden, womit ich glänzen konnte.

Sexualität:

Eventuell gehe ich damit zu weit oder mache mich zur Zielscheibe von Spott und Verurteilung. Aber ich will ehrlich sein und es ist nun mal ein wichtiger Bestandteil von Beziehungen und Leben.  Anerkennung meiner Leistungen waren mein Treibstoff, ohne extremen Zuspruch fühlte ich mich leer und als Versager. Ich bin nicht gesegnet mit dem Aussehen eines männlichen Supermodels, ich bin einfach ein eher kleiner, kräftiger Typ, der sich Anerkennung nicht über oberflächliche Komplimente sichern konnte. So wurde Sex für mich zum Job, ich wurde zum Callboy innerhalb von Beziehungen; meine Bezahlung war Anerkennung. Meine eigene Lust und Befriedigung verlor ich komplett aus den Augen, denn ich stand unter extremen Erfolgsdruck. Sex wurde zu einem professionell durchgezogenen Akt, Gefühle starben in mir und ich wurde zu einem Schauspieler. Bevor die Frage aufkommt: Nein keine der Damen wurde stutzig – und nur weil ein Mann einen Erguss hat, hatte er noch lange keinen Orgasmus. Trotzdem steht natürlich außer Frage, dass es mich und später dann auch die Partnerin belastete, wenn ich den Druck nicht mehr aushielt, immer kälter und irgendwann distanzierter wurde.

Ich habe mich immer wieder gefangen, immer wieder meine Rolle gespielt und wirklich übermäßig viel Sex gehabt, aber es war dann selbst in der Beziehung nur Sex, von Lieben konnte keine Rede sein. Ich habe den Sex studiert, in Theorie (Bücher etc. und Praxis), die Anatomie, die Praktiken, Stellungen, die Frauen gelesen und analysiert, ich arbeitete immerzu an mir und so wurde es zum Job. Wenn ich es nicht schaffte, sie zu befriedigen ging meine Welt unter. Viele Männer leiden unter so etwas, aber ich als hatte solch große Versagensangst, dass ich, als ich jünger war, wirklich Angst vorm Sex hatte. Später wuchs die Selbstsicherheit.  So wurde Sex für mich immer mehr zum Werkzeug,  um mir Anerkennung zu verschaffen, doch meine eigene Lust blieb auf der Strecke und ich litt darunter.

Napoleon@2013-10-20T18;19;41.jpg

Umgang mit meiner Gesundheit und meinem Körper:

Hier hab ich alles durch, was Aufmerksamkeit und Anerkennung bringt: So war ich ein 130 kg schweres Muskelmonster, und als das niemanden mehr juckte und ich nur einer von vielen Hobbit-Hulkmischlingen war, nahm ich innerhalb von 7 Monaten von 130 auf 63 Kilo ab, nur um dafür Anerkennung zu bekommen. Alles was extrem war und Aufsehen erregte nutze ich, ich fraß bei Wettessen wie ein Schwein, ich machte die schlimmsten ungesündesten extremsten Diäten und mein Körper wurde allerhand Schandtaten  unterzogen, nur um irgendwas an Anerkennung zu bekommen.

Sport:

Wenn ich nicht sehr gut war, machte ich es nicht. Als ich merkte, ich werde nie ein großer Fußballer, wurde ich wenigstens der härteste, um mir damit einen Ruf zu sichern. Als ich merkte, dass ich damit natürlich nicht weit kam, wechselte ich zum Rugby, Hauptsache anders – und ich hab es geliebt. Ich boxte und war extrem, erst als ich jemanden bei einem Amateurkampf schwer verletzte (ist fast 18 Jahre her) und meine Familie mich bat aufzuhören und mich daran erinnerte, dass ich nicht damit leben könnte, wenn ich da bei jemandem schweren Schaden anrichte, ließ ich es sein.

Alltägliches:

Kochen für Anerkennung, nicht für gesunde Ernährung, extreme Gartenprojekte, Feste die etwas besonderes sein mussten. So baute ich einmal einen Spezialgrill, nur um an meinem 30. Geburtstag einen ganzen 180 kg schweren Vogel Strauß am Stück zu grillen und ich badete in der Anerkennung der 150 Gäste, die mich für die abgefahrene Aktion lobten. Doch Freunde waren keine oder kaum welche da, denn echte Freunde hatte ich nicht. Echte Freunde sagen einem offen und ehrlich die Wahrheit. Meine Kritikfähigkeit ging gegen 0, auf Kritik reagierte ich mit sofortigem Rückzug oder scharfen Gegenangriffen. Ich konnte nie differenzieren, ob eine Kritik einer Tat oder Sache galt oder mir als Person. Jede Form von Kritik hat mich getroffen, wie eine Panzerabwehrgranate, und so verbannte ich die besten und ehrlichsten Menschen aus meinem Leben und umgab mich mit  Speichelleckern.

Ja es gibt keinen einzigen Lebensbereich, in dem Narzissmus einen nicht zu selbstzerstörerischen Handlungen treibt.

Ich werde dieses Störungsbild für immer in mir tragen, wie ein Alkoholiker seine Sucht. Aber so wie ein Alkoholiker jahrelang trocken sein kann vom Alkohol, so kann ich mich so gut es geht von der Sucht nach Anerkennung distanzieren. Das bedeutet jeden Tag harte Arbeit, jeden Tag gegen sich selbst zu gehen, dem Alltag mit viel Struktur und Disziplin zu begegnen. Es bedeutet, Muster zu durchbrechen,  sich Kritik zu stellen, Dinge zu tun, in denen man schlecht ist und mit denen es einem erstmal schlecht geht, sich mit Leuten umgeben die ehrlich sind und es aushalten. Es geht darum, die Belastungsgrenze durch Selbstzweifel zu steigern und die Entzugserscheinungen bei fehlender Anerkennung zu ertragen. Der Kopf begreift manches lange bevor es sich in der Gefühlswelt etabliert hat. So muss ich Tag für Tag damit leben, dass ich Dinge tue, die mein Kopf mir erlaubt, die mein Herz aber nicht will. Wenn ich meinem Herzen folge,  renne ich grinsend in mein Verderben und reiße andere Menschen mit. Erst wenn ich meinem Herzen wieder trauen kann, ob es wirklich fühlt, dass etwas gut ist oder ob es doch nur wieder den narzisstischen Trieben folgt, kann mein Kopf etwas entspannen und ich meinem Herzen wieder folgen.

Familiärer Hintergrund

Als Kind von zwei Alkoholikern wurde in mir Urvertrauen nie ausgebildet. Gewalt und Gleichgültigkeit standen an der Tagesordnung. In der Scheidungsphase musste ich mit 8 Jahren viel zu jung Verantwortung für meine kleinen Schwestern übernehmen und so reifte ich wie ein holländische Tomate, sehr schnell zu einem offensichtlich sehr früh reifen Ergebnis, aber die wichtigsten Inhalte fehlten. Kritik an mir wurde nie geübt, denn meine Mutter war mehr mit sich und ihrer Suchtbekämpfung beschäftigt oder bei der Arbeit. Anerkennung musste ich mir immer irgendwo suchen.

Ich hoffe, ich konnte Euch einen kleinen Einblick in die Sichtweise eines Narzissten geben. Bitte vergesst nicht: Es ist eine ernste Störung die viel zu oft im (Frei-)Tode endet, weil der Narzisst darunter mindestens so sehr leidet wie sein Umfeld. Im Gegensatz zu diesem muss er eingesperrt mit seinem kranken Geist in seinem Körper leben.

Jedem von Euch, der unter einem narzisstischen Partner leidet, kann ich nur den Rat geben: Wenn er oder sie sich nicht helfen lässt, dann geht, seid es Euch selbst wert. Seid hart, ehrlich und offen, wenn sie oder er Euch schaden. Seid aber auch verständnisvoll und geduldig, wenn es eure Kraft und Liebe zulässt und Besserung in Sicht ist – aber NUR dann…“

Siehe auch:

Nie wieder verletzt werden: Ein Blick ins Herz eines Narzissten

Der Mann meines Lebens ist ein Narzisst

Ein Sehnen, unstillbar brennend und tief wie das Meer

Erlösung durch Liebe ist von außen unmöglich 

Ich kann’s nicht ertragen, nochmal zu versagen

Herz, ich verlasse dich…

Loszulassen macht frei – aber wie soll man das bloß hinbekommen?

Dieser Blog wurde übernommen aus dem Blog „Der Sinn des Lebens: sei glücklich“ und geschrieben von Claudia Klein. Er ist eine wunderbare Umsetzung des Buches „The Work“ von Byron Katie und ist eine große praktische Hilfe.

*

Du suchst nach Möglichkeiten und Tipps zum Loslassen? Du weißt, dass es besser ist, wenn du loslässt, aber irgendwie fehlen dir noch ein paar Ideen, wie du das am besten machen kannst? Dann lies jetzt weiter und suche dir die besten Tipps zum Loslassen aus.

Lasse dich ein wenig inspirieren und probiere die einzelnen Tipps aus. Du wirst eine sofortige Erleichterung in dir spüren. Loslassen ist auch nur eine Entscheidung, die du treffen musst und die kein anderer für dich treffen kann.

1.Tipp:  Werde dir bewusst, was dich festhält

  • Partner
  • Eltern
  • Großeltern
  • Geschwister
  • Kinder
  • bestimmte Situation
  • Perfektionismus
  • die Kontrolle über dein Leben oder anderer
  • ein Konflikt (meist mit sich selbst)
  • Verletzungen
  • Kränkungen
  • Ungerechtigkeiten
  • Unzufriedenheit
  • Unsicherheit
  • Leid und Schmerz
  • Schuldgefühle
  • Wut
  • Abhängigkeit
  • Sehnsucht
  • Gedankenmuster
  • Verhaltensmuster
  • Ansehen
  • Krankheit
  • Eigentum (Haus, Boot, Auto…)
  • Geld
  • Job
  • Vorstellungen wie etwas zu sein hat

2.Tipp:  Schreibe dir jetzt alle Dinge auf, die du nicht loslassen kannst

Schau genau hin und achte auch auf die Dinge, die dir jetzt noch fehlen. Oft ärgern wir uns über Situationen, die noch nicht eingetreten sind und bemerken aber gar nicht, dass wir in genau diesem Punkt eisern an der Sicherheit festhalten und einfach nicht loslassen können.

3.Tipp:  Jetzt nimm dir jeden einzelnen Punkt vor und frage dich warum du diesen nicht loslassen kannst

Beginne mit dem Punkt, der dich ständig begleitet und der am größten ist, der dich stört und der bereits dein Leben beherrscht. Meistens verbirgt sich die Angst dahinter, die dich lähmt und dich am loslassen hindert. Beispiele für Ängste sind:

  • Angst vor dem Alleinsein
  • Angst es nicht zu schaffen
  • Angst die Erfüllung der anderen nicht gerecht zu werden
  • Angst vor Enttäuschung
  • Angst vor der Antwort
  • Angst vor Ablehnung
  • Angst nicht verstanden zu werden
  • Angst nicht zu genügen
  • Angst vor der Absage
  • Angst sein Ansehen zu verlieren
  • Angst vor Armut
  • Angst vor dem Tod
  • Angst kein Job mehr zu bekommen
  • ….

4.Tipp:  Hinterfrage, warum du nicht loslassen kannst und was dir Angst macht. Was befürchtest du,  was eintreten könnte, wenn du diesen Punkt loslässt?

Oft sehen wir die Dinge übertrieben schlimm an und befürchten den absoluten Zusammenbruch. Wir wissen, wie es anderen in unserer Situation ergangen ist oder wir werden an unsere eigenen Pleiten und Pannen erinnert.

Hinterfrage genau und schaue woher diese Angst kommt, meistens haben wir sie nur übernommen und dann leben wir nach diesen Vorgaben. Tiefe Glaubenssätze bestimmen unser Leben und hindern uns am Erfolg? Beim Hinterfragen ist The Work von Byron Katie eine echte Hilfe. Probiere es einfach mal aus.

5.Tipp:  Nun sieh dir die andere Seite davon an und schreibe auf, was du gewinnen kannst, wenn du die Dinge loslassen kannst

Werde dir bewusst, was dich alles erwartet, wenn du die Situation, den Gedanken, den Partner, das Haus, den Job, die Krankheit….loslassen kannst. Welche Gefühle kommen in dir auf und wo siehst du dich, wenn das alles dir nicht mehr im Wege steht. Schreibe deine Geschichte neu und schreibe sie so, wie sie dir gefällt.

6.Tipp:  Jetzt fühle hinein und schau dir das Leben an, das du in ein paar Jahren leben wirst, wenn du weiter an den Dingen festhältst.

Nimm dir genügend Zeit dafür, auch wenn es unangenehm wird. Mache dir sichtbar, was du damit herbeirufst und fühle den Kloß im Hals, die Enge in der Brust, das Stechen im Herz, das unangenehme Gefühl im Bauch, den Schmerz im Kopf…

Dadurch machst du dir bewusst, was ist und was immer sein wird, wenn du weiter darin badest und nicht loslassen kannst. Das erleichtert wiederum, endlich los zulassen.

7.Tipp:  Jetzt fühle hinein und sieh dir das Leben dir an, das du in ein paar Jahren haben wirst, wenn du die Dinge loslässt…

Nimm dir auch hierfür wieder genügend Zeit. Spüre hinein in dein neues Leben: Welche Gefühle kommen in dir auf? Was kannst du alles erreichen und was liegt dir zu Füßen? Welche große Freude verspürst du in dir? Welches Glück wartet auf dich?

Das zeigt dir, wie dein Leben aussehen kann und wo du in ein paar Jahren stehen wirst, wenn du die Dinge loslassen kannst. Das motiviert dich und du kommst in eine  gute Stimmung, die dich zum Handeln auffordert.

8.Tipp:  Jetzt werde dir klar darüber, dass Loslassen die bessere Variante ist.

Wenn du dir die Dinge näher vor Augen führst und sie hinterfragst, erkennst du leichter, was du dir selbst antust und dann kannst du es kaum erwarten, endlich los zulassen. Loslassen findet in deinen Gedanken statt. Entschließt du dich los zulassen, wirst du dich frei und glücklich fühlen.

9.Tipp:  Loslassen und glücklich sein und dich auf das freuen, was alles kommen wird.

Du allein musst die Bereitschaft dazu haben und dich entschließen die Aufgaben durchzuführen, dann kannst du auch loslassen. Loslassen kannst du lernen, wie alle anderen Dinge im Leben, wenn du dich dazu entschließt.

15036_476065655798837_1934062568_n@2013-05-04T18;29;01

Falls du jetzt noch wissen willst, wie du das am besten machst mit dem Loslassen, dass es auch wirklich funktioniert dann probiere folgende Techniken aus:

  • 1.) Spreche zu dir durch dein Spiegelbild

Du schaust dir tief in die Augen und sagst dir:

  • Ich lasse alle Widerstände und Gedanken los, die mich noch daran hindern und zweifeln lassen, dass es etwas wird mit dem Haus, dem Garten, der Liebe, dem Geschäft, der Versöhnung, dem Reichtum….

Du setzt das ein, was dir gerade im Wege steht und was du nicht loslassen kannst.

Das Ganze wiederholst du mehrmals, und die ganze Zeit schaust du dir dabei tief in die Augen. Du wirst eine direkte Veränderung bemerken und es spüren und in deinen Augen sehen, wie dich ein Gefühl von Freude und Gelassenheit umgibt und einhüllt. Du wirst einen Seufzer machen und dich gleich viel besser fühlen.

Nun sprich wieder zu dir und schau dir weiterhin tief in die Augen und sage dir, was du jetzt in deinem Leben vorfinden möchtest. Also zum Beispiel:

  • Mein Geschäft läuft jetzt Tag täglich immer besser und ich weiß, dass ich reichlich belohnt werde für meine Arbeit.
  • Ich danke dem Leben, dass ich in den nächsten Tagen auf den Partner treffen werde, der zu mir passt.
  • Ich danke für die Liebe meines Lebens, die mir in den nächsten Tagen über den Weg läuft.
  • Ich danke und freue mich über das tolle Angebot in den nächsten Tagen ( Job, Haus…).
  • Ich weiß und danke dafür, dass ich mein Haus noch in diesem Jahr finden werde.
  • Ich freue mich über die Hinweise, die mir helfen das zu tun, was mich weiterbringt.

Du nimmst sozusagen Kontakt mit dir selbst auf und schaffst es so die Dinge schneller los zulassen.

  • 2) Lasse deine Gedanken durch einen Baum los

Lege deine Handflächen an dem Stamm des Baumes, sieh dabei nach oben und sage:

  • Ich lasse alle Widerstände und Gedanken los, die mich noch daran hindern und zweifeln lassen, meinen Traum zu leben.

Vertraue darauf und spüre durch deine Hände die Energie des Baumes, die Macht des  Universum und das Erreichen deines Zieles.

Sprich diesen Satz wieder mehrmals und achte darauf, dass du dich frei fühlst und nicht beobachtet. Dann teile dem Baum mit, was du in den nächsten Tagen in deinem Leben vorfinden möchtest.

  • Ich danke dir für die Erfüllung meines Traumes, dass ich der Liebe meines Lebens in den nächsten Tagen begegnen werde.
  • Ich danke für all das Glück, was mir in den nächsten Tagen zu Gute kommt.
  • Ich danke dir und bitte dich um weitere Hinweise, wie ich meinen Verkauf noch steigern kann.
  • Ich danke dir und bitte dich noch heute um einen Hinweis, der mir zeigt, dass ich auf dem richtigen Weg bin.
  • Ich bin bereit jetzt mein Leben zu genießen.

Du gehst dann erleichtert nach Hause und freust dich, dass du die Dinge jetzt so leicht loslassen konntest.

  • 3.) Übergebe dem Wind die Gedanken und Widerstände

Eine angenehme und sehr inspirierende Art ist es dem Wind das zu übergeben, was du nicht lösen kannst. Also gib alle Widerstände und Gedanken dem Wind mit, die du loslassen möchtest. Du fühlst dich schnell sehr befreit und erleichtert.

  • 4.) Flaschenpost

Schreib alles auf, was du loslassen möchtest, übrgib es dem Wasser und glaube fest daran, dass es sich erfüllt.

  • 5.) Lagerfeuer

Du schreibst wieder alles auf und verbrennst das, was du loslassen möchtest. Denke daran, dass dein Wunsch in Erfüllung geht, so wie du ihn loslässt.

  • 6.)   Rausatmen

Werde dir bewusst, was du loslassen möchtest, lass das Alte entweichen, indem du kräftig ausatmest und eine Schwimmbewegung nach hinten machst. Hole das Neue herrein, indem du tief einatmest und deine Hände vor deinen Bauch zusammenlegst, als würdest du schwimmen wollen.

Und noch einmal von vorn, beim einatmen führst du deine Hände wieder vor deinem Bauch zusammen.

Du schiebst und atmest sozusagen das Alte von dir und lässt es los. Ich finde, das ist eine ganz einfache und schnelle befreiende Lösung etwas loszuwerden.

  • 7.)   Schrei der Befreiung

Geh in den Wald und schreie raus, was du loslassen möchtest, wovon du dich befreien möchtest. Manchen Menschen tut das mal ganz gut, gerade denen, die sonst sehr ruhig und zurückhaltend sind und sich nicht trauen das zu sagen, was sie wirklich wollen.

  • 8.)   EFT

EFT ist eine hervorragende Technik von der du dich super schnell von etwas lösen kannst und die dir sofortige Entspannung liefert.

  • 9.)   The Work

Die 4 einfachen Fragen von Byron Katie ist eine sehr gute Technik dein eigenes Denken zu hinterfragen.

  1. Ist das wahr?
  2. Kannst du mit absoluter Sicherheit wissen, dass das wahr ist?
  3. Wie reagierst du (was passiert in dir), wenn du diesen Gedanken glaubst?
  4. Wer wärst du ohne den Gedanken?

Schaue dir einfach mal paar Videos auf Youtube an und entscheide ob diese Technik dich weiterbringt.

  • 10.) Meditation

Meditation ist eine Art sehr gut wieder zu sich selbst zu finden. Es muss nicht immer eine geführte Meditation sein, höre auch mal hier rein: Positive Energy Boost.

Das Angebot ist riesig und nicht jede Meditation ist für jeden ansprechend und eine Meditation zu finden, wo du dich von der Stimme und dem Klang angezogen fühlst ist nicht einfach. Nimm dir ein wenig Zeit, um das Beste für dich zu finden.

  • 11.) Beten

Beten geht immer und das hat nichts mit Kirche zu tun. Du musst keinen Gott anbeten, an den du nicht glaubst. Bete zu dem, wozu du dich hingezogen fühlst, sei es das Universum, die innere Macht, das Unsichtbare, der Stern, die Sonne, der Mond, deinem Gott, deine Schöpferkraft… bete zu dir selbst.

Frage deine innere Stimme und bitte sie um Hilfe. Du wirst Antworten erhalten in Form von Impulsen und Hinweisen. Warte nicht darauf, dass eine Stimme dir etwas sagt. Wenn du dich eine Weile damit auseinandersetzt, wirst du einen Weg finden, der dich befreit und der dir hilft beim loslassen.

Weitere Unterstützung zum Loslassen liefern dir die beiden folgenden Techniken:

  • 12.) Hypnose
  • 13.) Aufmerksamkeitstraining

317078_283924121642562_100000749282205_963935_981616513_n@2011-11-15T19;02;46

Das sind nur einige Möglichkeiten, die du zur Unterstützung anwenden kannst, um noch besser los zulassen. Das einzig wichtige daran ist, dass du etwas wählst, was dich anspricht und wobei du dich wohlfühlst.

Am Anfang wird es vielleicht nicht gleich so klappen, wie du es dir erhoffst. Doch alles was noch nicht so klappt, dass kannst du ausbauen und nach weiteren Möglichkeiten suchen und das solange bis es für dich zufriedenstellend ist. Bleibst du dran, wirst du von Mal zu Mal immer besser loslassen können.

Das schöne im Leben kann nur kommen, wenn du bereit bist, es auch zu empfangen. Also lasse das Alte los, dass das Neue kommen kann.

Lerne zu vergeben, vor allem dir selbst. Es bringt dich nicht weiter, wenn du nicht vergeben kannst. Im Gegenteil: Du spürst  die Kränkung immer wieder auf’s Neue. Lerne loszulassen und werde glücklicher denn je.

Je tiefer du dich bereits in den Strudel negativer Gedanken hineingesteigert hast, desto mehr Zeit und Anstrengungen musst du aufbringen, um wieder an die Oberfläche zu kommen. Doch auch das schaffst du. Du musst nur bereit dazu sein.

Von allem getrennt, sogar von sich selbst – Depression ist ein Albtraum, der nie endet

Selbstmorde von prominenten Schauspielern und Sportlern haben das Thema in den letzten Jahren mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt: Eine Depression ist eine ernst zu nehmende Krankheit. Sie hat nichts mit einem Burnout zu tun – auch wenn sie oft gemeinsam mit einem solchen auftritt. Es gibt verschiedene Formen der Depression – allen gemeinsam ist jedoch, dass sie ab einem bestimmten Stadium die Betroffenen in akute Suizidgefahr bringen. 

Im Gegensatz zur Meinung mancher Angehöriger geht es einem Menschen, der sich in einer solchen Lage selbst auslöscht, nicht um Rache, auch nicht um Schuldzuweisungen. Er ist einfach nur nach einem langen, einsamen und, wie ihm scheint, völlig aussichtslosen Kampf müde – so qualvoll erschöpft, dass ihm der Tod wie ein tröstlicher, letzter Ausweg erscheint.

Auch in meinem Umfeld gab es im Laufe der Jahre drei Selbstmorde nach vielen Jahren Depression. Bezeichnenderweise waren es auch hier Männer, die letztlich den Mut hatten, Hand an sich anzulegen. Statistisch gesehen leiden aber mehr Frauen als Männer unter schweren Depressionen. Ich will deshalb hier die Lebensgeschichte einer Frau erzählen – sie ist bestmöglich anonymisiert.

Sie kann sich genau an das Lebensgefühl erinnern, das sie hatte, als sie noch „rund“ war. Als sie die totale Lebenskraft in sich fühlte, gern und viel lachte, voller Tatendrang war und damit ihren Eltern gehörig auf die Nerven ging. Wie alt genau sie war, als das aufhörte, weiß sie nicht mehr. Aber es war lange vor der Einschulung.

Im Kindergarten blieb sie nicht lange. Der Vater fand, die Erziehung dort sei zu primitiv. Sie erinnert sich, dass sie an heißen Sommertagen allein durchs Dorf strich, auf der Suche nach Spielgefährten. Sie weiß noch, wie leer und bleischwer sie sich dabei fühlte und wie sie manchmal bei den Kühen im Stall Zuflucht suchte. Die waren so warm und weich.

Sie weiß auch noch, wie sehr sie das Dorf liebte. Das Dorf, seinen Geruch, und wenn sich beim Heimkommen die Abendsonne in den Fenstern ihres Hauses rot spiegelte. Dann war ihr Herz ganz heiß, und Tränen der Liebe stiegen ihr in die Augen. So ist das überhaupt mit ihren Gefühlen. Entweder sind sie völlig weg – oder so überwältigend, dass sie ihrer kaum Herr wird. Besonders das Mitgefühl machte ihr schon früh zu schaffen: Als das Schwein vor der Tötung mit dem Bolzenschussgerät über den Hof ausbüchste und herzzerreißend schrie, bettelte sie den Bauern an, das Tier nicht zu töten. Als es schließlich erwischt wurde und kurze Zeit später im heißen Siedebad lag, wo ihm die Haare abgeschabt wurden, fühlte sie rasenden Schmerz im eigenen Fleisch. Das war kurz bevor sie endlich auch eine Schultüte bekam und mit den anderen in die Klasse durfte.

Es folgten ein paar schöne Jahre, in denen sie nicht so allein war. Sie liebte den Unterricht, fand absolut alles interessant. Sie war gern in der Gruppe, spielte mit den anderen Völkerball, versuchte sich im Fußball, fuhr mit den Kindern des Dorfes Schlitten. Beinahe wäre sie gewesen wie sie.

Als sie neun ist, muss sie zum Gymnasium in die Kreisstadt. Der einzige Junge aus dem Dorf, der auch dorthin geht, ist sitzen geblieben und deshalb in ihrer Klasse. Er bespuckt sie den ganzen langen Weg vom Bahnhof zur Schule und zurück. Jeden Tag. Er ist groß und dick. Sein Vater auch. Deshalb kann ihr Vater nichts unternehmen. Gott sei Dank bleibt der Junge nochmal sitzen und verlässt am Jahresende die Schule.

Abgesehen davon hat sie von den ersten Jahren nur noch fragmentale Erinnerungen: Dass ihr die Hand fast abfriert im Winter, wenn sie bei eisigem Frost die schwere Schultasche durch die ganze Stadt schleppt.  Dass sie ihren im Durchschnitt gut zwei Jahre älteren Klassenkameradinnen auf die Nerven geht, weil sie noch so kindlich ist. Das ewige Warten auf den Bus. Und an das ständige Alleinsein – daran erinnert sie sich auch. „Das Kind ist still geworden“, pflegt ihre Mutter zu sagen, wenn man sie fragt, warum ihre Tochter nicht mehr lacht.

Als sie elf ist, zieht die Familie ins eigene Haus in einem anderen Dorf. Auch hier ist sie die Einzige, die zum Gymnasium geht. Das verbleibende Jahr Konfirmandenunterricht reicht nicht, um mit den gerade mal sechs Gleichaltrigen im Ort mehr als oberflächliche Kontakte zu knüpfen. Die Einsamkeit wird ihr ständiger Begleiter. An einen heißen Sommertag erinnert sie sich noch gut: Sie zieht allein mit dem Hund durch die Wälder der Umgebung. Bei einer Rast bewundert  sie die Schönheit der Natur um sie herum, wünscht sich nichts sehnlicher, als mit ihr zu verschmelzen und ist doch schmerzhaft unerreichbar von ihr getrennt.

Mit 12 freundet sie sich mit dem Sohn des Pfarrers an. Der ist 15, geht in die selbe Schule wie sie und ist genauso allein wie sie. Er rasiert sich schon. Bis heute kann sie den Duft des fürchterlichen Aftershaves nicht riechen, ohne dass sich ihr der Magen umdreht. Aber sie haben eine gute Zeit miteinander: Sie können sich gut unterhalten und sind eine Weile beide nicht allein.

Die Familie genießt es in diesen Jahren sonntags sehr lange zu frühstücken und viel zu erzählen. Dabei erfährt sie, dass ihr Großvater, den sie nur durch ein altes Bild im Flur kennt, sich erhängt hat. „Er konnte nicht mehr schlucken,“ sagt ungewohnt wortkarg der Vater – „da kam er in eine Klinik. Als Erntezeit war, holte Mutter ihn nach Hause. Als wir abends vom Acker kamen, hing er in der Scheune.“

„Er hatte Depressionen“, sagt die Mutter. „Dann wechseln sie das Thema.

Abgeschnitten vom fröhlich Lebenden

Einsamkeit, ein schreckliches Getrennsein von allem fröhlich Lebenden, wird zu ihrem ständigen Lebensgefühl. Verzweifelt wünscht sie sich eine Zwillingsschwester. Vergeblich bittet sie die Eltern, sie ins Internat zu schicken, damit sie Gleichgesinnte finden kann. In ihrem Dorf ist sie abgeschnitten von den Klassenkameraden. Im Sportverein kann sie nicht mehr mithalten, als ihre Tischtennismannschaft das Training auf 20 Uhr verlegt. Sie muss früh ins Bett, um 5.45 Uhr klingelt der Wecker.

In dieser Zeit hat sie die ersten Magengeschwüre. Sie ist dankbar, etwas zu haben, das behandelt werden kann.

In ihrer Klasse kommt sie menschlich besten klar, wo sie finanziell nicht mithalten kann: Mit den beiden Kindern des Möbelfabrikanten, der ältesten Tochter des Fahrschullehrers und der Tochter des Baustoffhändlers. Sie sind nett zu ihr und laden sie ab und zu über Nacht zu sich ein. Sie schämt sich oft wegen ihrer Unzulänglichkeiten, versucht, sich zu revanchieren, indem sie für die Freundinnen die Hausaufgaben macht. Mit Nachhilfeunterricht für jüngere Schüler und Rasenmähen verdient sie etwas Geld – es reicht nie. Besonders die Tochter des Fahrlehrers  ist ihre Traumvorstellung einer Frau: Die drei Jahre Ältere hat lange blonde Haare, ist ein Männerschwarm und tanzt einfach göttlich.

Mit 15 lernt sie das schwarze Loch zum ersten Mal richtig kennen. Nach wochenlangen Weinkrämpfen und drastischem Leistungsabfall in der Schule bricht sie ganz in sich zusammen, wird apathisch, denkt darüber nach, wie sie ihrem Leben ein Ende setzen könnte.

„Das Kind hat Depressionen“, konstatiert der Hausarzt, zu dem der Vater sie bringt; „Librium hilft“. Und in der Tat: Das Medikament, das sie fortan einnimmt, hält sie in einer gleichmäßigen Gleichgültigkeit bei freundlicher Grundstimmung. Bis sie sich beim Schüleraustausch in England wiederfindet und nicht genug davon dabei hat. Die massiven Entzugserscheinungen wirken wie ein Weckruf auf sie. Sie setzt das Librium ab, entschlossen, jetzt endlich zu leben. Sie sieht in den Spiegel, staunt, dass aus dem hässlichen Entlein ihrer Kindheit ein recht hübsches junges Mädchen geworden ist. Und: Sie stellt fest, wie gut sie tanzen kann.

Zwei Jahre später kommt der nächste tiefe Fall. Ihre erste große Liebe hat Schluss gemacht. Sie fühlt sich hässlicher und unzulänglicher als jemals vorher, fällt zurück zurück in tiefe Einsamkeit und ist untröstlich. Zerrissen von Schmerz und Grübeleien stolpert sie durch die Abiturprüfungen. Was sie mit ihrem Leben anfangen soll, weiß sie nicht. Wenn es doch nur endlich vorbei wäre…

Ein brüchiger Weg

Sie ist 18, als ihre Ausbildung beginnt. Es fühlt sich an wie damals der Start auf dem Gymnasium. Leere, nichts als Leere. Der Chef, ein Alkoholiker, ist ihr widerwärtig. Die Sekretärin, die sie Brötchen holen schickt, macht sie hilflos wütend. Und der Kollege, der sie anbaggert statt ihr zu zeigen, was Sache ist, bringt ihr einen Krieg ein. Der einzige Gleichaltrige in ihrem Bekanntenkreis ist ihr neuer Freund. Er ist arbeitslos, wenig motiviert, an sich zu arbeiten, und sie muss ihn ernähren, aber sie hält an ihm fest. Nur nicht in diesem schwarzen Loch versinken.

Es endet als Katastrophe: Zehn Jahre lang hat sie ihn durchgezogen, ist hoch verschuldet, als sie sich endlich trennt. Sie war am Ende gewesen, hatte geweint und gearbeitet, gearbeitet und geweint. Wegen ihrer ständigen Kopfschmerzen musste sie regelmäßig vom Hausarzt gequaddelt werden – massive Beschwerden im Oberbauch waren fast unerträglich.  Beides bessert sich schlagartig, als der Freund endgültig gegangen ist. Noch Jahre später findet sie hinter Bilderrahmen, in Schränken, an den unmöglichsten Stellen Zettel, die er hinterlassen hat: „Du bist schuld. Du hast mein Leben zerstört.“

Beruflich kommt sie voran. Nun hat sie auch mehr Geld. Sie kann reisen, sich etwas leisten. Sie gewöhnt sich daran, allein unterwegs zu sein. Mal trifft sie interessante Menschen, mal nicht – nicht so wichtig. Sie genießt den Duft fremder Länder, das Rauschen des Meeres, den Klang fremder Sprachen. Ganz langsam kann sie wieder etwas fühlen. Und verliebt sich in einen deutlich älteren Mann. Er schafft es, ihr wildes Wesen zu „kultivieren“, ohne es einzuengen. Mit ihm erlebt sie das Gefühl, vor Glück sterben zu wollen, die (fast) völlige Verschmelzung. Sie blüht auf, fühlt sich freudig lebendig, arbeitet mit Lust und Liebe.

Trotzdem kauft sie in den USA das Buch „The Final Exit“. In Deutschland ist es verboten. Es beschreibt detailliert, mit welchen Methoden dem Leben ein Ende gesetzt werden kann. Sie fühlt sich gerüstet für den Fall, dass sie wieder im Loch versinkt.

Fünf Jahre später die Trennung. Diesmal wird es lebensgefährlich. Sie sitzt in dem Reihenhaus, das sie allein bewohnt, Tag um Tag in dröhnender Stille schweigend im Sessel und starrt  den Boden an. Sie isst nicht, trinkt nicht und schafft es nicht, zu telefonieren, tagelang nichtmal, vom Sessel ins Bett zu gehen. Niemand vermisst sie – sie ist im Freizeitausgleich für hunderte von Überstunden. Die Einzige, die wahrnimmt, wie es ihr geht, ist die Putzfrau. Die macht sich Sorgen, kontaktiert ihre Sekretärin, die wiederum einen Therapeuten findet. Sie bekommt ein Antidepressivum und ein Mittel gegen die ständige Schlaflosigkeit. Sie beginnt eine Therapie.

Mit den Jahren wird der Arzt zur wichtigsten Konstante ihres Lebens. Sie hat ihm versprochen, sich dem Leben zu stellen, er hat ihr versprochen, sie nicht im Stich zu lassen. Beide halten sich an ihr Wort. Ganz, ganz langsam lernt sie, sich selbst zu betrachten und anzunehmen. Sie lernt, sich zu beobachten und die Anzeichen der schwarzen Löcher schneller zu erkennen. Manchmal kann sie sich nun fühlen. Aber einen Sinn in ihrem Leben erkennt sie nur, wenn sie sich im Dienst der Firma für Menschen engagiert.

Sobald das jeweilige Projekt endet, endet ihr Lebenssinn. Also arbeitet sie viel, auch in ihrer Freizeit. Sie verdient auch viel. Und sie kauft viel ein. Massenweise Schmuck und  teure Kleider. Sie stellt die Tüten in eines der leerstehenden Zimmer. Manche landen später noch mit Preisschild im Altkleidercontainer.

Dann die Wende: Sie lernt ihren späteren Mann kennen. Quasi vor der Haustür – ein Wunder.

Er ist gleichaltrig, ruhig, freundlich. Sie erlebt ihn als mutigen Menschen, der sich seinen Ängsten stellt, und ist beeindruckt. Schon nach wenigen Wochen wohnt er überwiegend bei ihr. Das geht ihr zu schnell, aber sie freut sich auch: Sie ist nicht mehr allein. Es gibt eine Struktur in ihrem Leben, einen Grund, abends nach Hause zu gehen.

Ein gutes Jahr später kaufen sie ein Haus und renovieren es gemeinsam. Es wird die ausgeglichenste Zeit in ihrem Leben. Endlich ist sie wie alle Anderen Teil der Gemeinschaft: Sie lebt mit einem Menschen zusammen, dem sie von Herzen zugetan ist, der sich um sie kümmert so wie sie sich um ihn, mit dem sie sich die Aufgaben des Alltags gerecht teilt. Das Elend scheint überwunden.

Sie arbeiten viel, verdienen gut, machen schöne Urlaubsreisen, sprechen miteinander, wenn auch zunehmend nur noch über die Arbeit. So merken sie zu spät, was sich in ihr Leben schleicht: Immer weniger gemeinsame Abende oder Wochenenden, immer weniger gemeinsame Interessen, gemeinsame Unternehmungen. Während sie selbst immer schlechter schläft und zunehmend unter Atemproblemen leidet, wird ihr Mann immer müder. Kaum haben sie das gemeinsame Abendessen eingenommen, schläft er auf dem Sofa ein. Sie sieht ihm beim Schnarchen zu und spürt bleierne Verzweiflung in sich aufsteigen. Nun ist sie einsam, obwohl sie zu zweit ist. Wofür arbeitet sie eigentlich so viel? Soll ihr Leben nun immer so weiter gehen? Wo ist der Sinn? Wann hat dieses Elend endlich ein Ende…

Ausbruchsversuch führt zum „Todestag“

Es ist im siebten Jahr ihrer Beziehung, als in der Mittagspause eines Meetings der Kollege auf sie zukommt: „Essen wir in der Kantine oder machen wir einen Spaziergang am Fluss?“  Sie gehen zum Fluss, wo er ihr berichtet, dass er nach tätlichen Angriffen seiner Frau die Familie verlassen und eine eigene Wohung bezogen hat. Er will ein neues Leben beginnen.

Sie kennen sich seit vielen Jahren und wissen sich beruflich zu schätzen. Er pflegt sein Image als kühler Stratege, sie ihres als emotional Kreative. Von nun an sprechen sie oft miteinander, tauschen sich aus, auch über die Einsamkeit.  Sie erkennt in ihm Anteile des früheren, deutlich  älteren Geliebten, findet in der körperlichen Nähe ein ähnliches Glück. Einmal sagt er: „Hey, willst du Kinder von mir?“

Ja, sie will. Später wird sie dankbar sein, die Frage nicht laut beantwortet zu haben.

Ihre Arbeitsplätze liegen weit auseinander, sie sehen sich nicht oft. In den Zwischenzeiten bringt sie seine Kühle oft zum Weinen – warum, versteht sie nicht. In der Firma findet währenddessen eine Neuordnung der Führungsebene statt. Sie fühlen sich beide berufen, mitzumischen.

Nach einem Jahr beichtet sie die Affaire, teilt ihrem Mann mit, dass sie sich trennen will. Nach einigen Wochen mit langen Gesprächen und vielen Tränen beschließt ihr Mann, auszuziehen.

Es kommt der Tag, den sie fortan „meinen Todestag“ nennen wird.

Am Vorabend zu ihrem 40. Geburtstag, einem Samstag, lädt ihr Mann sie zum Abschiedsessen ein. Er schenkt ihr 40 Rosen und ihre Freiheit, führt sie an den Ort, wo sie sich kennengelernt haben und fährt danach in seine neue Wohnung. Ihr Geburtstag bricht an. Sie geht durch das Haus, betrachtet die leeren Stellen, die er hinterlassen hat, fühlt sich hohl und grau, will den Geliebten sprechen. Nach mehrstündigen Versuchen erreicht sie ihn. Er ist kurz angebunden,  sagt, er werde zurückrufen.

Es dauert sieben Stunden, bis er sich meldet. Da kann sie ihren Körper kaum noch bewegen, das Sprechen fällt ihr unendlich schwer. Er hatte einen angenehmen Tag, berichtet wortreich davon und meint, nun müsse er eilig nach Hause. Ihren Geburtstag hat er vergessen. Sie schafft es nicht, ihm zu berichten, wie ihr Wochenende verlaufen ist, möchte um Hilfe rufen, bringt kein Wort heraus.  Bleierne Schwärze senkt sich in ihr Herz, umhüllt sie vollständig.

Als er sich an ihren Geburtstag erinnert, sind sechs Wochen vergangen. Sie hat ihn nach einem Meeting mit sarkastischem Unterton zum Edel-Essen eingeladen. Da ist es schon zu spät. Sie hat begonnen, seinen Worten zu misstrauen.

In den folgenden Monaten folgt Unheil auf Unheil. Sie gerät mit dem Geliebten in eine Konkurrenzsituation, erfährt von der Geschäftsführung, dass er den angestrebten Posten erhalten wird. Er selbst wird es ihr erst Wochen später sagen. Da ist sie von seinem fehlenden Vertrauen bereits so verletzt, dass sie ätzend reagiert, statt sich mit ihm zu freuen. Wenig später ruft er sie morgens um 7 Uhr an, um ihr zu sagen: „Ich habe mich verliebt. Sie ist nur eine kleine Halbtagssekretärin, aber sie ist mir jetzt schon um so viel näher als du.“

Es trifft sie unerwartet, und es fühlt sich an wie ein Fallbeil. Sie kann nur noch schweigen. Jedes Gefühl ist erloschen.

378969_296364543736723_100000895408234_898894_1503005140_n

Mechanisch arbeitet sie weiter. Mechanisch erwartet sie nun auch ihr berufliches Ende, ist der Geliebte doch zum Vorgesetzten geworden.

Seine neue Position vereinbart sich nicht mit ihrem Wissen um sein Innenleben. Deshalb soll sie verschwinden. Es ist ihr sofort klar. Und dennoch kann sie sich nicht vorstellen, das Unternehmen zu verlassen. Es ist doch ihre ganze Familie…

Zu ihrem Asthma gesellen sich nun zunehmend Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Sie nimmt ab und wieder zu – zehn Kilo innerhalb weniger Wochen geht es mit Leichtigkeit rauf und runter. Sie beginnt wieder zu reisen, fliegt nach Mexiko, nach China, in die Türkeit, nach Spanien – egal wohin, Hauptsache anders. Sie arbeitet wie eine Besessene, bringt sich aus den USA Ma Huang mit, um durchzuhalten, nimmt Schlafmittel, um wenigstens zwei oder drei Stunden pro Nacht zu schlafen. Der Arzt erreicht sie nicht mehr. Sie weiß nur: Wenn sie aufhört, stirbt sie. Die Zukunft ist schwarz wie die Nacht.

Ein subtiles Mobbing hat begonnen. Ihre Projekte sind überdurchschnittlich erfolgreich und daher nicht angreifbar. Deshalb greift man ihr Wesen an. Hysterisch sei sie, chronisch negativ und psychisch instabil. Von einem Tag auf den anderen soll sie nachweisen, dass ihre sieben Mitarbeiter sich nicht woanders  beworben haben – und zwar durch deren Unterschrift. Im Urlaub erwartet man von ihr eine Ausarbeitung über die Gesamt-Zukunft des Unternehmens. Diese wirft man dem Vorgesetzten im Rahmen einer Mitarbeiterversammlung an den Kopf und löst damit kalte Wut aus. Es folgen sinnlose Anordnungen, die in ihren direkten Zuständigkeitsbereich eingreifen, der Abzug der guten Mitarbeiter, man schickt ihr einen hoffnungslosen Alkoholiker. Immer mehr Situationen mit einem unlösbar großen Arbeitspensum entstehen.

Sie hält dagegen, wehrt sich mit Händen und Füßen.

Die Schlaflosigkeit fordert ihren Tribut. Immer öfter schließt sie stundenlang die Tür, sagt der Sekretärin, dass sie nicht gestört werden will und weint sich die Augen aus dem Kopf. Der Arzt will sie ins Krankenhaus einweisen. Sie lehnt ab.

Es ist ein Kampf, den sie nicht gewinnen kann. „Sie gehen aufs falsche Klo und pinkeln in die falsche Richtung“, teilt ihr nach zwei Jahren Mobbing unverblümt ein Geschäftsführer mit. „Die werden Sie niemals reinlassen, und ich kann Sie nicht schützen.“

Wenig später fordert der Ex-Geliebte sie auf, ihren Vertrag zurück zu geben und freiwillig eine deutlich niedrigere Position zu übernehmen. Sie lehnt ab.

Zwei Wochen danach gibt sie auf. Sie meldet sich krank und weiß, dass sie nicht mehr zurück kehren kann.

734868_122525287914458_631686395_n

Jetzt kann sie nachts ohne Versagensangst wach sein, tagsüber ein paar Stunden schlafen. Sie lernt den Duft ihres Gartens bei Sonnenaufgang kennen. Sie kann den Gesang der Vögel wieder hören und findet sie unsagbar schön, die Natur – von der sie selbst durch eine unüberwindbare Glaswand getrennt ist. Ihr Körper wiegt Tonnen. Sie kann die Arme kaum heben – nichtmal, um sich selbst auszulöschen. Ihre Zukunft ist schwarz.

Sie hat ständig Blutungen, lässt sich schließlich die Gebärmutter entfernen – registriert mit tiefer Befriedigung: Jetzt kann sie kein Mann mehr mit dem Versprechen gemeinsamer Kinder locken.

Sie entwickelt detaillierte Pläne, sich das Leben zu nehmen. Die tragen ihren Ängsten Rechnng: Sie kann nicht von einer hohen Brücke springen oder sich vor einen Zug werfen – zu feige. Aber sie kann auf einen entlegenen Turm steigen, eine Flasche Champagner trinken, einen Satz Schlaftabletten nehmen und sich vor dem Einschlafen die Pulsadern aufschneiden. Oder, falls es draußen zu kalt ist, statt des Turms die Badewanne wählen. Sich nur auf Chemikalien zu verlassen, erscheint ihr zu gewagt: Was, wenn sie als Pflegefall wieder wach wird? Sich Luft in die Adern zu spritzen, traut sie sich nicht, mit dem Auto gegen eine Wand zu fahren, auch nicht. Zu groß ist die Gefahr des Überlebens.

Jeden Tag gibt sie sich noch einen Tag lang eine Chance. Noch immer weigert sie sich, in eine Klinik zu gehen. Aber immerhin nimmt sie die nun starken Serotoninwiederaufnahmehemmer und hält die Termine beim Arzt ein.

Ein gutes halbes Jahr später findet der Gütlichkeitstermin vor Gericht statt. Der Vertreter der Firma – mit dem zusammen sie einst die Ausbildung gemacht hat – sagt: „Für diese Frau haben wir keine Verwendung mehr.“ Sie lehnt eine gütliche Einigung ab.

Nun fällt ihr der eigene Anwalt in den Rücken: Die Versicherung zahle zu wenig für ihre Verteidigung. Er erwarte eine Bar-Prämie von ihr. Vom Vertreter der Firma, den er übrigens vom Tennisplatz kennt, verlangt er in den Verhandlungen geldwerte Vorteile. Dass seine Mandantin das hört, stört ihn nicht.

Sie wundert sich über nichts mehr, sagt die Prämie zu, handelt mechanisch, schreibt sich vorher jeden Zug auf. Den Höllentrip, bis ihre Abfindung ausgehandelt ist, erlebt sie wie einen Horrorfilm auf einem weit entfernten Bildschirm. Erst als sie unterschreibt, beginnt sie zu weinen – bodenlos, rabenschwarz, nicht enden wollend. Sie hat ihre Heimat endgültig verloren.

Sie ist gut in ihrem Beruf, versucht also, schnell wieder Arbeit zu finden. Aber sie bekommt keinen Boden mehr unter die Füße. Ein ihr wohl gesonnener Personaler ruft sie eines Tages an: „Wissen Sie eigentlich, dass ihr ehemaliger Vorgesetzter überall durchblicken lässt, Sie seien psychisch instabil?“

Sie versteht.

Wie viele Male kann ein Mensch eigentlich sterben?

Sie weiß es nicht.

Chronische Schmerzen haben ihren ganzen Körper erfasst. Sie kann nur noch mit Hilfe starker Schmerzmittel den Tag überstehen. Weichteilrheuma, diagnostiziert der Arzt. Und ihre Nebennieren arbeiten nicht mehr – eine Folge des langjährigen Stresses. Sie weiß: Rheuma ist eine Autoimmunerkrankung. Ihr Körper hat den Auftrag ihrer Seele angenommen und will sich selbst erledigen.

Diesmal geht sie in die Klinik. Zweimal hintereinander in kurzen Abständen für jeweils acht Wochen. Sie lernt den Umgang mit den Schmerzen, lernt zu malen, wenn sie keine Worte mehr hat. Sie lernt, sich selbst wieder im Spiegel anzusehen und vom Urteil anderer abzugrenzen. Sie erkennt ihre Traumata, lernt, was  ein Flashback ist und welche Schlüssel-Situationen sie hineinfallen lassen. Sie weint Badewannen voll Tränen, schreibt bittere Texte in ein Tagebuch und fragt sich, was nun aus ihrem Leben werden soll. Wo sie wohl einen Sinn finden kann. Ob es echte Liebe zwischen Menschen überhaupt gibt. Ob es ihr jemals gelingen kann, sich selbst anzuschauen und selbst zu lieben.

Ob sie jemals wieder etwas fühlen wird außer Schmerzen?

Sie weiß es bis heute nicht.

Find my love… 

16-10-2012 17-18-03

≈ ≈≈≈≈≈ ≈

Definition einer Depression durch die WHO 
„Eine Depression ist eine weit verbreitete psychische Störung, die durch Traurigkeit, Interesselosigkeit und Verlust an Genussfähigkeit, Schuldgefühle und geringes Selbstwertgefühl, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit, Müdigkeit und Konzentrationsschwächen gekennzeichnet sein kann.

Sie kann über längere Zeit oder wiederkehrend auftreten und die Fähigkeit einer Person zu arbeiten, zu lernen oder einfach zu leben beeinträchtigen. Im schlimmsten Fall kann eine Depression zum Suizid führen. Milde Formen können ohne Medikamente behandelt werden, mittlere bis schwere Fälle müssen jedoch medikamentös bzw. durch professionelle Gesprächstherapie behandelt werden.

Für eine verlässliche Diagnose und Therapie im Rahmen der primären Gesundheitsversorgung sind keine Spezialisten erforderlich. Die spezialisierte Versorgung ist allerdings für eine kleine Gruppe der Menschen mit komplizierten Depressionen oder für diejenigen erforderlich, die nicht auf die Behandlungen der primären Gesundheitsversorgung ansprechen.

Depressionen setzen oft in einem jungen Alter ein. Sie betreffen häufiger Frauen als Männer,  und Arbeitslose sind ebenfalls stärker gefährdet.“

Klassifikation nach ICD-10

F32.0 Leichte depressive Episode (Der Patient fühlt sich krank und sucht ärztliche Hilfe, kann aber trotz Leistungseinbußen seinen beruflichen und privaten Pflichten noch gerecht werden, sofern es sich um Routine handelt.)
F32.1 Mittelgradige depressive Episode (Berufliche oder häusliche Anforderungen können nicht mehr oder – bei Tagesschwankungen – nur noch zeitweilig bewältigt werden).
F32.2 Schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (Der Patient bedarf ständiger Betreuung. Eine Klinik-Behandlung wird notwendig, wenn das nicht gewährleistet ist).
F32.3 Schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen (Wie F.32.2, verbunden mit Wahngedanken, z. B. absurden Schuldgefühlen, Krankheitsbefürchtungen, Verarmungswahn u. a.).
F32.8 Sonstige depressive Episoden
F32.9 Depressive Episode, nicht näher bezeichnet

ICD-10 in der WHO-Version von 2013 online

Sehr ausführlich befasst sich Wikipedia mit den verschiedenen Ursachen und Symptomen der Depression.

Die Stiftung deutsche Depressionshilfe bietet viel Information, ein Forum und Telefonnummern zur Ersten Hilfe in der Krise

Gutes Forum mit vielen Hilfestellungen: http://www.depressionen-depression.net/

Ein Mensch mit Depressionen kann ohne Hilfe nicht gesunden. Aufgrund der Knappheit fachkundiger Ärzte gibt es jedoch sehr lange Wartelisten. Hier versucht das Deutsche Bündnis gegen Depression e.V. gegenzusteuern und Hilfe anzubieten.

Viel Information, Beratung bei der Suche nach der richtigen Klinik und auch persönliche Beratung zur Selbsthilfe gibt es bei der Deutschen DepressionsLiga e.V., die sich an der Mail- und Telefon-Selbsthilfeberatung des Bundesarbeitskreises der Angehörigen psychisch Kranker beteiligt.

Mail: seelefon@psychiatrie.de

Fon: 0180 5950951

Der Bundesarbeitskreis hat eine Liste wichtiger Anlaufstellen veröffentlicht, wo Betroffene und/oder Angehörige Hilfe finden können.

Siehe auch: 

Allein in der Hölle der Leere – vom Ringen um den Weg aus dem schwarzen Loch

Dualseele: Die große Hoffnung, nach Hause zu kommen

Halb zu leben bin ich nicht gemacht

Ein gebrochenes Herz wird andere Herzen brechen – es kann nicht anders

Schäm dich nicht und hol dir Hilfe

Wie sich Depressionen anfühlen – Fotos

Zehn Fakten über Depression

Einsamkeit

Update: Es geht nicht nur um dich

Update: Niemand überlebt die Liebe unbeschadet

Update: The age of lonelyness is killing us

Update: Wir sind keine faulen Schweine

Update: Etwas sanfter im Urteil sein

Update: „Sie verstehen dich einfach nicht“

Update: Depression kostet oft den Job

Update: Wenn Männer depressiv werden

Update: „Ich wünschte, alle Menschen wüssten dies über Depression“

Update: Niemand hat Mitleid mit einem Gehirn

Update: Wenn der Schmerz nicht mehr aufhört