Wenn ein Herz bricht, geschieht das lautlos.
Kein Erdbeben, kein Knall – kein Geräusch.
Es ist ein sehr dehnbarer Muskel, das Herz. Zuerst entflammt es: Das kann in Sekunden-Bruchteilen passieren. Wenn es entflammt, dehnt es sich aus, wird weit und fließt vor Zärtlichkeit über. Es sieht seinen Lieblingsmenschen in den schönsten Farben, bewundert ihn, freut sich über jedes Wort, jede kleine Geste, tanzt innerliche Freudentänze und durchpumpt den Körper mit heißem Blut. Das Herz fühlt sich jung, voller Zuversicht, voller Tatendrang.
Einmal entflammt, will es lieben, das Herz. Mit aller Kraft, die in ihm steckt, will es sein Gegenüber verstehen, begleiten, beschenken – berühren, mit ihm verschmelzen…
Vor lauter Liebe wächst das Herz über sich hinaus. Es überzeugt den Verstand, Dinge zu lernen, für die er sich vorher nie interessiert hat, Aussagen zu glauben, die er sonst skeptisch betrachten würde, Hindernisse aller Art als überwindbar zu betrachten. Das Herz will vereint sein mit seiner Flamme, also liebt es, glaubt und hofft und wartet.
Es wartet, auch wenn es lange dauert. Es hofft, auch wenn die Schwierigkeiten zunehmen. Es glaubt, auch wenn die Ausreden dünner werden, die Ausweichmanöver durchsichtiger, das Ziel sich immer weiter entfernt.
Es glaubt und hofft auch noch, wenn die Tränen kommen. Wenn sich die gebrochenen Versprechen häufen, der Glanz der bewunderten Person blättert, wenn diese gar nicht so genau verstanden werden und schon gar nicht verschmelzen will…
Ganz langsam wird es taub, das Herz, wenn der Glaube schwindet, und die Bewunderung auch. In Abständen schwillt es an – nun nicht vor Freude, sondern vor Schmerz. Es pumpt den Schmerz in den ganzen Körper, bis der so weh tut, dass Schmerzmittel nötig werden. Aber es hört nicht auf zu hoffen.
Zwischen Taubheit, Schmerzen und Tränen versucht das Herz jetzt, für sich zu kämpfen. Es argumentiert, debattiert, provoziert. Es überzeugt den Verstand, seine schärfste Waffe zu nutzen: Das Wort. Damit greift es an, nimmt den geliebten Menschen auseinander, versucht sogar, ihn zu verletzen, damit er wach wird und sieht, wie es dem Herzen geht.
Ganz langsam und lautlos schleicht die Gewissheit ins Herz, und es versteht: Es hat verloren.
Paradoxerweise wird er nun weniger, der Schmerz: Weil das Herz nicht mehr fühlen kann. Es versinkt in einem grauen, dicken Nebel, einem zähen Nebel, der den Farben allen Glanz nimmt und jede Sicht auf die Zukunft verstellt.
Tage, Wochen, Monate – Jahre kann das Herz so verharren. Manchmal will sie sich regen, die Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Aber nichts wird gut, und das Grau des Nebels wird zur Farbe des Alltags – so lange, bis das Herz glaubt, dass die Welt von Natur aus grau ist.
Es tut treu seine Arbeit: Pumpt Blut durch den Organismus, damit dieser weiter atmen und arbeiten kann. Manchmal holpert es, wird arrhythmisch, zieht und schmerzt durch die ganze linke Körperseite, nimmt den Atem – aber mit der Zeit wird das weniger. Das Herz zieht sich zusammen, wird klein, eng und hart.
Irgendwann kommt ein neuer Mensch mit roten Rosen. Sein Herz, frisch entflammt, pumpt wild und freudig in seinem Körper. Er will das graue Herz für sich gewinnen.
Dieses aber kann nichts fühlen. Eine weit entfernte Erinnerung zieht schmerzlich zuckend durch es hindurch: An die Liebe seines Lebens, die keine war und doch die einzige ist.
Dann schweigt es resigniert: So also ist es, gebrochen zu sein.
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Nachtrag: Aus einem Interview der Allgemeinen Zeitung Mainz mit dem Kardiologen Thomas Meinertz:
Kann man an einem gebrochenen Herzen sterben?
Meinertz: „Ja, bei einer Stress-Kardiomyopathie, dem Takotsubo-Syndrom. Gott sei Dank führt diese akute Erkrankung des Herzens, die dem Herzinfarkt ähnlich ist, selten akut zum Tod. Die Stress-Kardiomyopathie besteht in einer Störung der Herzmuskelfunktion durch akute physische oder psychische Belastung. Der Stress schädigt dabei direkt die Herzmuskulatur, ohne dass die Herzkranzgefäße betroffen sind – im Gegensatz zum Herzinfarkt, bei dem die Herzkranzgefäße eingeengt oder verschlossen sind.
An gebrochenem Herzen kann man durch einen plötzlichen Herztod, also rasche Rhythmusstörungen, oder Kammerflimmern, aber auch durch eine Herzmuskelschwäche sterben.“