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Pleiten, Pech und Pannen bei Abwasserbeiträgen: Ärger im Kirner Land

Kirn-Land. Eine regelrechte Völkerwanderung war heute abend in Richtung Gesellschaftshaus Kirn unterwegs, wo die Verbandsgemeindeverwaltung die neue Beitrags- und Gebührenordnung in Sachen Ab- und Schmutzwasser erläuterte. Nicht nur der große Saal, sondern auch die Empore war voll besetzt, als Bürgermeister Thomas Jung sich für Pleiten, Pech und Pannen bei der neuen Ordnung entschuldigte und erklärte, was sich die Verbandsgemeindewerke dabei gedacht haben.

Aber von vorn: In der Fusionsvereinbarung zwischen der Stadt Kirn und der damaligen Verbandsgemeinde Kirn-Land vom 30. Januar 2019 ist folgendes festgelegt: Die Aufgaben der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung der bisher verbandsfreien Stadt Kirn und der Verbandsgemeinde gehen vollständig auf die neu zu gründende Verbandsgemeinde Kirner-Land über. Dazu gehören auch die entsprechenden finanziellen Verpflichtungen und der Betrieb des Jahnbades. Die neue Verbandsgemeinde führt zum 1.1. 2020 für den Bereich Abwasserentsorgung ein neues, einheitliches Beitrags-, Entgelt- und Gebührensystem ein. Zum 1.1.2023 soll das gleiche für die Wasserversorgung passieren.

Mit satter Verspätung verschickte die Verbandsgemeindeverwaltung Kirner Land am 28. November 2023 Grundlagenbescheide zur Festsetzung wiederkehrender Beiträge für die Niederschlagsabwasser- und Schmutzwasserbeseitigung. Die versetzten die Einwohner der Landgemeinden und der Stadt gleichermaßen in Wut. Rückwirkend zum 1.1. 2022 wurden da beitragsfähige Flächen für Schmutzwasser berechnet, die wegen der Hinzuziehung von Vollgeschossflächen als zulässige Bebauung auf einmal deutlich größer waren als die Grundstücksflächen selbst. Vollgeschosszuschläge für Schmutzwasser wurden sogar auf unbebaute Grundstücke berechnet. Dazu kam die Festsetzung eines wiederkehrenden Beitrags für die Entsorgung von Niederschlagsabwasser, der erneut für einen Sturm der Empörung sorgte: Weder waren darin Maßnahmen zur Sammlung und Weiterverwendung des Niederschlagwassers auf den jeweiligen Grundstücken einbezogen, noch akzeptierte die Mehrheit der Einwohner überhaupt eine Notwendigkeit, hier wiederkehrende Beiträge zu zahlen; schließlich versickere das Wasser doch im Boden.

Am 12. April 2024 wurden nun konkrete Beitragsbescheide über 70 Prozent der voraussichtlichen Gesamtsumme rückwirkend bis 1.1.2022 verschickt, deren Höhe den Hausbesitzern die Zornesröte ins Gesicht trieben, weil sie teilweise um bis zu 50 Prozent höher als im Vorjahr waren. Für 2023 waren keine Vorausleistungen erhoben worden, so dass Besitzer von Einfamilienhäusern am 1. Mai 2024, wenn die einmaligen Beiträge für 2023 eingezogen werden, teilweise mehrere hundert Euro los sind. Die wesentlich geringeren Beiträge für 2022 werden „zur Entlastung“ der Bürger erst am 1. August eingezogen.

Bürgermeister Thomas Jung, Werkleiter Jochen Stumm und die Mitarbeiter Drusenheimer und Feistel der neuen Verbandsgemeindewerke standen nun bereit, um nach einem Informationsteil Fragen Betroffener zu beantworten. Solche Informationsveranstaltungen wurden in allen Orten der Verbandsgemeinde abgehalten. Sie begannen überall gleich: Mit einer Entschuldigung der Verantwortlichen für das Chaos, das sie angerichtet haben. Um überhaupt aussagekräftige Daten zu den 7500 Grundstücken in der Verbandsgemeinde zu erhalten, so der Bürgermeister, habe man diese von Drohnen überfliegen lassen und einen externen Dienstleister gebeten, die Foto-Ergebnisse zusammen mit den Ergebnissen der 2023 verschickten Erhebungsbögen auszuwerten. Der Rückfluss der Erhebungsbögen sei mit 35 Prozent sehr gering gewesen; von diesen wiederum war rund die Hälfte nicht vollständig ausgefüllt.

Der externe Dienstleister habe Fehler über Fehler gemacht, so dass man mittlerweile mit Schadensersatzansprüchen gegen ihn vorgehe. Trotzdem hatten die Verbandsgemeindewerke, wie Werkleiter Jochen Stumm bestätigte, die letzte Datensammlung mit angeblich korrigierten Fehlern nicht mehr überprüft und deshalb vielfach auf fehlerhaften Daten basierende Abrechnungen verschickt. Daneben hatten die Verbandsgemeindewerke ein Ingenieursbüro beauftragt, sämtliche Entsorgungsleitungen mit Kameras zu untersuchen, um herauszufinden, ob die Kanaldurchmesser zu eng oder zu breit seien, wo es Beschädigungen gebe, und welche Kanäle für die Mischentsorgung von Oberflächen- und Schmutzwasser oder nur für Schmutzwasser genutzt werden. Sind die Durchmesser zu breit, müssen die Kanäle häufiger gespült werden, weil sich Reste in ihnen festsetzen.

Eines sei schonmal sicher, so der Bürgermeister: Die Sache mit den hinzu gerechneten Vollgeschossen müsse nochmal genau überdacht werden. Außerdem decken die jetzt verlangten Beiträge bereits die Gesamtkosten der Aufwendungen ab, mit weiteren Forderungen sei also nicht zu rechnen. Warum die Gesamtsumme so viel höher war als in Vorjahren ergab sich unter anderem aus der völlig anderen Berechnung der Grundstücksflächen. Die Größe für die wiederkehrenden Beiträge Schmutzwasser war von 6.888.000 auf nun 8.359.930 Quadratmeter gestiegen, die für das Niederschlagswasser von 2.876.000 auf 3.999.389 Quadratmeter. Dazu kommt, so der Werksleiter, „dass die allgemeinen Kostensteigerungen der letzten Jahre auch an uns nicht spurlos vorübergegangen sind.“ Dazu kommentierte Unternehmer Buss: „Wenn ich meinen Kunden 50 bis 60 Prozent an Preiserhöhungen für meine Waren innerhalb eines Jahres mit Kostensteigerungen erklären wollte, könnte ich gleich zumachen.“

Einmal öffentlich zu machen, wie diese Kosten sich zusammensetzen wünschten sich anschließend gleich mehrere Redner bei den Fragen an die Verwaltung. Auch dem Haushaltsplan der Verbandsgemeindewerke sind dazu keine Details entnehmbar. Im Erfolgsplan 2024 stehen im Bereich der Abwasserbeseitigung Einnahmen von 4.078 Millionen, Aufwendungen von 4.015 Millionen Euro, im Vermögensplan Einnahmen und Ausgaben von 8.591 Millionen Euro Schulden von insgesamt 7,75 Millionen Euro gegenüber. Verpflichtungsermächtigungen für Abwasserentsorgung, Wassergewinnung und Wasserversorgung für 2022 und folgende Jahre sind mit 8.467 Millionen Euro veranschlagt. Weder ist aufgeschlüsselt, woraus sich die jährlichen Aufwendungen zusammensetzen, noch weshalb eine so hohe Schuldenlast besteht. Darauf wurde auch in der heutigen Versammlung nicht eingegangen.

Die hohe Belastung größerer Grundstücke sei so nicht gewollt gewesen und werde auf jeden Fall noch verändert, sagte Bürgermeister Jung, der nach eigenen Angaben selbst ein Grundstück von 1800 Quadratmetern in Kirn besitzt. Auch das rief Ärger hervor: Sollen die kleinen Grundstücke dann zugunsten der großen mit höheren Beiträgen herangezogen werden? Besonders ärgerlich finden viele, dass überhaupt wiederkehrende Beiträge angesetzt werden, deren Höhe man durch Änderung des Verbrauchsverhaltens nicht steuern kann. Carl Christian Rheinländer als Mitglied der BI Limbachtal wies darauf hin, dass es ausschließlich in Rheinland-Pfalz überhaupt wiederkehrende Beiträge gebe; der Rest Deutschlands komme ohne aus. Das allein sei Beweis genug, dass es auch ohne gehe. Überhaupt vermisse er Nachhaltigkeit in der Wasserversorgungs-Planung. Der Hauptteil des wertvollen Nasses für die ganze Verbandsgemeinde komme aus Limbach- und Großbachtal, und die dortigen Quellen seien an ihrer Belastungsgrenze angekommen.

Während Werkleiter Stumm wiederkehrende Beiträge als einzige Möglichkeit bezeichnete, auch die Besitzer unbebauter Grundstücke zur Kasse bitten zu können, sagte Rheinländer, dieses Argument sei Quatsch. Es handele sich um reine Behördenwillkür und eine weitere Grundsteuer, zu der man die Bürger zur Kasse bitte. Auch die Kommunalberatung, mit der die Verbandsgemeinde zusammengearbeitet hatte, sei keine Behörde, sondern eine gewinnorientiert arbeitende Tochter des Städte- und Gemeindebundes, die hier gezielt gegen die Interessen der Bürger arbeite. Er plädierte dafür, dass man, wenn jetzt sowieso alle neu geregelt werde, man es auch „gleich richtig machen“ und zum Beispiel einen progressiven Tarif einführen könnte. Aus der Gemeinnützigen Baugenossenschaft war zu hören, dass die auf die Mieter umzulegenden Kosten im Jahr 2022 um 50 und im Jahr 2023 nochmal um 25 Prozent gestiegen sind. Das müsse erstmal vermittelt werden.

Sehr viel Kritik sei bei den Informationsveranstaltungen an die Verbandsgemeinde heran getragen worden, so Bürgermeister Jung. Nun wolle man es besser machen. Nicht nur überprüfen die Mitarbeiter der Verbandsgemeindewerke jetzt alle Datensätze des externen Dienstleisters zu den 7 500 Grundstücken noch einmal auf Richtigkeit. Auch sitze ein Ausschuss wöchentlich beisammen, um erneut zu beraten, ob man die richtige Wahl der Abrechnung getroffen habe. Man habe sich bereits mit einem Bürgermeister ausgetauscht, dessen gesamte Einnahmen nur über Gebühren und ohne wiederkehrende Beiträge kostendeckend seien. Auch dieser Gedanke stehe zur Diskussion – wobei Werkleiter Stumm darauf hinwies, dass die Bebauung der Verbandsgemeinde Kirner Land im Vergleich jedoch „viel weniger homogen“ sei. Es sei schwierig und teuer, sehr kleine Gemeinden mit wenigen Haushalten an das Netz anzuschließen.

Fazit: Die Verbandsgemeinde bucht zum 1. Mai erstmal ab. Was danach geschieht? Nichts genaues weiß man nicht. Offenbar bestehen starke Kräfte auf dem System der wiederkehrenden Beiträge. Aber auch der andauernde Protest der Einwohner hat die Verwaltung offensichtlich beeindruckt. Man kann also nur hoffen, dass dem Ausschuss noch etwas kluges einfällt, und dass es der Verwaltung gelingt, den externen Dienstleister in Regress zu nehmen, damit die Beitragszahler für dessen Murks nicht auch noch aufkommen müssen. Und die Einwohner? Sie standen nach der Veranstaltung noch Schlange, um weitere Fragen zu besprechen, nicht eingetroffene Erfassungsbögen zu melden und genaues Nachmessen ihrer Grundstücke zu fordern (siehe Bild oben). Zufrieden ist trotz Informationsveranstaltung auch jetzt keiner.

Manifest für einen neuen Rundfunk mit Teilhabe der Beitragszahler

„Nutzen Sie noch die öffentlich-rechtlichen Medien? 

Falls ja: Löst das bei Ihnen wachsende Unzufriedenheit aus? 

Dann sind Sie damit nicht allein!

Auch wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio, vermissen Meinungsvielfalt in der Berichterstattung. Auch wir zweifeln angesichts publik gewordener Skandale an den bestehenden Strukturen der öffentlich-rechtlichen Medien. Doch wir schätzen das Prinzip eines beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks als wichtige Säule von Demokratie und Kultur. Wir sind von seinen Grundsätzen und dem Programmauftrag überzeugt. Beides sehen wir allerdings in Gefahr.“

So werben Medienmacher und Unterstützer der öffentlich-rechtlichen Programme für ein Manifest, das an Deutlichkeit nicht mehr zu überbieten ist. Um damit Erfolg zu haben, ist es mit einer Petition verbunden, die 50 000 Stimmen erreichen muss. Unterzeichner sind also jederzeit willkommen. Es geht um nichts weniger als die Erneuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Um die Einbeziehung derer, die diesen Rundfunk mit ihren Gebühren finanzieren. Und um das Entfernen des stetig zunehmenden Einflusses der Politik. In Zeiten, in denen man kaum noch unterscheiden kann, was fake news und was echte Nachrichten sind, wird diese Erneuerung jeden Tag wichtiger. Es muss Nachrichtenquellen geben, bei denen man sich in alle Richtungen informieren kann, die nicht von Werbetreibenden, und auch nicht von Politikern manipuliert werden.

Ein kleines Beispiel, warum das so wichtig ist: Israel will den arabischen Sender Al Jazeera abschalten, weil es sich um ein „Hetzblatt gegen Israel und zugunsten der Hamas“ handele. Die Bundesregierung zeigt sich „äußerst besorgt“ über die Beschneidung der Meinungsfreiheit. Aber: In Deutschland wurden russische Sender wie Russia today abgeschaltet, weil sie nach Ansicht der Bundesregierung fake news verbreiten und versuchen, die Bundesbürger im Sinne Russlands zu manipulieren. In der Ukraine wurde unter Präsident Selensky und Kriegsbedingungen 2023 ein neues Mediengesetz verabschiedet, das der ukrainischen Regierung volle Kontrolle über sämtliche Medien des Landes bis hin zu Bloggern gibt – alle können nach Bedarf zensiert werden. Bei den US-Medien sorgte das für größte Besorgnis und Aufrufe an Selensky, dies nicht zu tun – in Deutschland wurde gar nicht erst über das Gesetz berichtet.

Besonders auffällig wurde der Einfluss der Bundespolitik auf die Medien während Corona. Auch die öffentlich-rechtlichen Sender plusterten sich in Empörung der „Gerechten“ gegen jede Stimme auf, die sich gegen die restriktiven Maßnahmen der Regierung zu stellen wagte – das ging bis hin zur Heute-Show, die sich eigentlich der Satire verschrieben hat. Wer es wagte, sich öffentlich gegen die Impfflicht zu stellen, wurde von den Medien ausgegrenzt und verurteilt. Über die Sorgen der Menschen bezüglich der Impfungen und möglicher Nebenwirkungen wurde, wenn überhaupt, abwertend berichtet. Impfschäden wurden lange völlig tot geschwiegen. Die öffentlich-rechtlichen Medien sind immer öfter Sprachrohr der Regierungspolitik, bezeichnen sich aber trotzdem als unabhängig.

Die oben genannte Petition richtet sich an ARD/ZDF/DLR Rundfunkräte und Intendanten, die Rundfunkkommission der Länder und den Deutschen Bundestag.

Die Rundfunkräte überwachen die Einhaltung des gesetzlichen Sendeauftrags und sollen im Sinne des vom Gesetzgeber erdachten Vielfaltssicherungskonzepts die Offenheit des Zugangs zum Programm der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten für verschiedene gesellschaftlich relevante Gruppen garantieren. Der Rundfunkrat bestimmt nicht die Programmplanung; diese ist Aufgabe des Intendanten, sondern berät ihn lediglich.

Das Bundesverfassungsgericht hat 2014 ein Urteil zur Staatsferne des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gesprochen. Das Gericht erließ dabei ein „Gebot der Vielfaltsicherung“ bei der Besetzung der Rundfunkräte. Der „Anteil der staatlichen und staatsnahen Mitglieder“ wurde ausdrücklich auf höchstens ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums begrenzt, um die Staatsferne sicherzustellen.

Kritik wird beispielsweise daran geübt, dass zwar die Kirchen im Rundfunkrat vertreten sind, jedoch meistens keine Vertreter von anderen relevanten Religionsgemeinschaften, Atheisten und Agnostikern. Auch kann einem sich ändernden Bevölkerungsquerschnitt nur durch einen neuen Staatsvertrag Rechnung getragen werden. Ein weiterer Kritikpunkt des Gerichtes ist, dass die Beitragszahler bei der Zusammensetzung des Rates keinerlei Mitsprache- oder Wahlrecht haben.

In einer Studie des Netzwerkes Neue Deutsche Medienmacher*innen untersuchte Fabian Goldmann alle 542 Mitglieder der Rundfunkräte (ARD-Anstalten, Deutschlandradio, Deutsche Welle und ZDF). Er kommt zu dem Ergebnis, dass weder die Räte ihrem Anspruch, die Vielfalt der Gesellschaft zu repräsentieren, gerecht werden, noch dass benachteiligte Gruppen ausreichend anzutreffen sind. Goldmann kommt zum Fazit, dass eine gerechtere Repräsentation am fehlenden politischen Willen scheitere. Zur Verbesserung schlägt er unter anderem rotierende Sitze, Losverfahren und regelmäßige Neubewerbungen für einige Plätze vor.

Beispiel ARD: Die Verwaltungsräte der ARD-Landesrundfunkanstalten werden ausschließlich oder überwiegend vom Rundfunkrat gewählt. Die Aufgaben bestehen vor allem darin, den Wirtschaftsplan und den Jahresabschluss zu prüfen, den Dienstvertrag mit der Intendantin oder dem Intendanten abzuschließen und dessen bzw. deren Geschäftsführung zu überwachen. Gesetzliche Basis sind der ARD-Staatsvertrag (insb. §7 Abs. 2) und die ARD-Satzung (insb. §5a Abs. 1 und 2). Da Rundfunk Ländersache ist, orientieren sich die Gremien bei ihrer Arbeit jeweils an den für ihre Landesrundfunkanstalt geltenden gesetzlichen Bestimmungen. Nun sollte man also meinen, durch die verschiedenen Kontrollgremien seien einem Missbrauch von Rundfunkgebühren genügend Sicherheitsriegel vorgeschoben. Aber dem ist nicht so.

2022 wurde öffentlich, welche komfortable Versorgung sich die Intendantin des rbb, Patricia Schlesinger, für die juristische Direktorin des Senders, Susann Lange, im Jahr 2020 unterschrieben hatte: Ihr Anstellungsvertrag sicherte dieser eine Grundvergütung von 195.000 Euro brutto jährlich, sowie eine „variable Vergütung“ von bis zu 8,33 Prozent, außerdem eine monatliche Aufwandsentschädigung von 250 Euro plus eine Kfz-Pauschale von 500 Euro. Dazu kam eine üppige, lebenslange Ruhestandsregelung: Sie errechnet sich aus einer vereinbarten Vergütung von 212.719 Euro (Grundvergütung plus variabler Anteil) jährlich. Der Vertrag der Juristischen Direktorin ist auf fünf Jahre befristet und endet Ende 2025.

Die Familie der Direktorin war im Vertrag gleich mit versorgt: Im Todesfall sichert dieser ein jährliches Witwengeld von 60 Prozent des Ruhegeldes zu, das an ihrem Todestag fällig werden würde. Waisen erhielten 20 Prozent davon und Halbwaisen 12 Prozent des Ruhegeldes. Darüber hinaus wurden auch andere Hinterbliebene mit einem sogenannten „Sterbegeld“ versorgt. Dazu zählen laut Vertrag nicht nur der Ehepartner oder die Ehepartnerin, sondern auch leibliche und angenommene Kinder, Verwandte der aufsteigenden Linie, Geschwister und Geschwisterkinder sowie Stiefkinder, die zum Zeitpunkt des Todes zur häuslichen Gemeinschaft der rbb-Juristin gehört haben…

Die Direktorin wurde vom Rundfunkrat auf Vorschlag der Intendantin gewählt. Ein Arbeitsvertrag wurde dem Rat nicht vorgelegt. Das Gehalt der Direktorin, die offenbar nicht die einzige beim rbb mit einem solchen Vertrag gewesen sein soll, war deutlich höher als beispielsweise das des Ministerpräsidenten. Nadia Pröpper-Schwirtzek, zertifizierte Compliance-Anwältin mit Spezialisierung auf Arbeitsrecht, hält die Vergütungs- und Versorgungsansprüche in den Verträgen für deutlich unangemessen, und deshalb in Teilen sittenwidrig.

Susann Lange wurde, genau wie Patricia Schlesinger, aus dem Amt entfernt. Der Intendantin selbst werden umstrittene Beraterverträge, Schlesingers Gehaltserhöhung auf 303.000 Euro, zusätzliche Boni, einen hochwertigen Dienstwagen (Wert: 145 000 €, mit Massagesitzen) samt zwei Chauffeuren , die Renovierung der Chefetage und Abendessen in ihrer Privatwohnung auf RBB-Kosten mit angeblich falschen Rechnungen vorgeworfen. Sie soll außerdem mehr als ein halbes Dutzend Urlaubsreisen auf Kosten des rbb gemacht haben, bei denen sie teilweise Familienangehörige begleiteten. Patricia Schlesinger klagte umgehend sowohl gegen ihre Entlassung, als auch um ein Ruhegeld von 18 400€ im Monat, das ihr laut Arbeitsvertrag lebenslang zusteht.

„Wie konnte Rundfunkrat und Verwaltungsrat entgehen, dass eine Frau an der Senderspitze die Bodenhaftung verloren hat, offenbar Regeln verletzte und womöglich Gesetze brach? Die Staatsanwaltschaft sieht bei Schlesinger, ihrem Ehemann und Ex-Verwaltungsratschef Wolf-Dieter Wolf mittlerweile einen Anfangsverdacht wegen Untreue und Vorteilsnahme“, schrieb im August 2022 der zur Springer-Presse gehörende Business-Insider, der den ganzen Skandal enthüllt hatte. Da gab es ein Boni-System, das Zusatzeinkommen garantierte, es gab geheime Absprache-Sitzungen vor den offiziellen Verwaltungsratstreffen, Wolf-Dieter Wolf hatte Schlesingers Ehemann Gerhard Spörl Honorare über rund 140 000 € verschafft, so die NZZ. Das komplette Gehalt der Intendantin wurde nie vorgelegt; auch die Wirtschaftsberichte des Senders blieben unter Verschluss. Obwohl hunderte von Seite stark, gab es für die Öffentlichkeit jährlich nur eine knappe Mitteilung über den jeweiligen Jahresverlust. Im Ranking der ARD-Sender belegt der rbb den letzten Platz.

Jörg Wagner vom rbb veröffentlichte im „Medienmagazin“ bei Radio Eins den kritischen Beitrag einer Journalistin über die ganze Affaire, der RBB-Finanzchef Claus Kerkhoff nicht gut aussehen ließ. Den Beitrag ließ der rbb, wie ebenfalls business Insider berichtete, nachträglich löschen, „weil er den Prozess der redaktionellen Abnahme nicht wie vorgeschrieben durchlaufen“ habe.

Vor dem Untersuchungsausschuss des Landes Brandenburg verweigerten alle drei Beteiligten die Aussage. Der rbb soll mittlerweile Forderungen in sechsstelliger Höhe gegen Schlesinger haben. Diese hat jetzt einen in monatlich fünfstelliger Höhe dotierten Beratervertrag. Laut Arbeitsvertrag beim rbb darf sie bis zu 90 Prozent ihres Ruhegehaltes ohne Anrechnung dazu verdienen. Der Sender prüft jetzt, ob das Ruhegeld wenigstens bis zum Beginn des offiziellen Rentenalters Schlesingers zurück gehalten werden kann.

„Wir sind Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der öffentlich-rechtlichen Medien aus verschiedenen Regionen des Landes. Wir arbeiten in unterschiedlichen Gewerken, Abteilungen und Redaktionen. Wir sind Programmmacher, Techniker, Sachbearbeiter, Kameraleute, Moderatoren, Sprecher sowie Musiker aus den Rundfunkorchestern und -chören. Uns eint der Wunsch nach Erneuerung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks,“ heißt es im Vorwort zur anfangs genannten Petition.

„Auch wir, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio, vermissen Meinungsvielfalt in der Berichterstattung. Auch wir zweifeln angesichts publik gewordener Skandale an den bestehenden Strukturen der öffentlich-rechtlichen Medien. Doch wir schätzen das Prinzip eines beitragsfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks als wichtige Säule von Demokratie und Kultur. Wir sind von seinen Grundsätzen und dem Programmauftrag überzeugt. Beides sehen wir allerdings in Gefahr. Wir haben uns zusammengetan und ein Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk entworfen. Damit wollen wir unsere Stimme und Expertise in die Debatte um dessen Zukunft einbringen: einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sein Publikum ernst nimmt, der Debatten zulässt und ein breites Meinungsspektrum abbildet, ohne zu diffamieren.

Wir beobachten schwindendes Vertrauen der Menschen in den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zweifel an der gebotenen Regierungsferne sind nicht zu überhören. Von vielen wird die immer größer werdende Lücke zwischen Programmauftrag und Umsetzung beklagt. Zugleich ist es immer wichtiger für den demokratisch-gesellschaftlichen Diskurs, vertrauenswürdige öffentlich-rechtliche Medien zu haben.

Wir fordern:

  • Rückkehr zu Programminhalten, die den im Medienstaatsvertrag festgelegten Grundsätzen wie Meinungsvielfalt, Pluralität und Ausgewogenheit entsprechen.
  • Teilhabe der Beitragszahlenden bei medienpolitischen, finanziellen und personellen Entscheidungen, beispielsweise durch einen Bürgerrat.
  • Ein Beteiligungsverfahren, durch das alle relevanten Verbände und Initiativen, die sich für Veränderungen in den öffentlich-rechtlichen Medien einsetzen, eingebunden werden. Eine Möglichkeit ist ein Medienkonvent.“
  • Meinungs- und Informationsvielfalt
  • Ausgewogenheit und Fairness
  • Transparenz und Unabhängigkeit
  • Förderung von Kultur und Bildung
  • Bürgerbeteiligung
  • beitragsfinanziert,

das sind die Punkte, die das Manifest fordert. Der Wortlaut ist absolut lesenswert, deshalb hier in ganzer Länge:

„Seit geraumer Zeit verzeichnen wir eine Eingrenzung des Debattenraums anstelle einer Erweiterung der Perspektive. Wir vermissen den Fokus auf unsere Kernaufgabe: Bürgern multiperspektivische Informationen anzubieten. Stattdessen verschwimmen Meinungsmache und Berichterstattung zusehends auf eine Art und Weise, die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht. Nur sehr selten finden relevante inhaltliche Auseinandersetzungen mit konträren Meinungen statt. Stimmen, die einen – medial behaupteten – gesellschaftlichen Konsens hinterfragen, werden wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt. Inflationär bedient man sich zu diesem Zwecke verschiedener „Kampfbegriffe“ wie „Querdenker“, „Schwurbler“, „Klima-Leugner“, „Putin-Versteher“, „Gesinnungspazifist“ und anderen, mit denen versucht wird, Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen.

Das sorgfältige Überprüfen zweifelhafter Meldungen ist wichtig. Allerdings suggerieren sogenannte Faktenchecks oft durch ihre Machart, Überschrift und Formulierungen eine vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert. Der freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten.

Innere und äußere Bedingungen führen dazu, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ihren journalistisch-ethischen Standards nicht mehr genügen können. Dazu zählen innerbetriebliche Praktiken wie die schon vor Dreh- bzw. Reportage-Beginn feststehende Kernaussage von Beiträgen, die Zentralisierung der Berichterstattung über sogenannte Newsrooms oder Newsdesks, zu großer Zeitdruck bei der Recherche, eine überwiegend an Einschaltquoten orientierte Programmgestaltung, Sparmaßnahmen der Sender am Programm und nicht zuletzt die Tatsache, dass zwei Drittel des redaktionellen Personals nur Zeitverträge haben oder gar komplett ohne Angestelltenverhältnis als sogenannte Freie arbeiten müssen. Letzteres führt zu Existenzängsten, die wiederum entsprechend „angepassten“ Journalismus begünstigen. Aufgrund der hohen personellen Fluktuation bleibt zudem oft keine Zeit für fachlichen Wissenstransfer.

Innere Pressefreiheit existiert derzeit nicht in den Redaktionen. Die Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Medien sind zwar formal unabhängig, meist gibt es auch Redaktionsausschüsse, die über die journalistische Unabhängigkeit wachen sollten. In der Praxis aber orientieren sich die öffentlich-rechtlichen Medien am Meinungsspektrum der politisch-parlamentarischen Mehrheit. Anderslautende Stimmen aus der Zivilgesellschaft schaffen es nur selten in den Debattenraum.

Dazu erschwert äußere Einflussnahme durch Politik, Wirtschaft und Lobbygruppen einen unabhängigen Qualitätsjournalismus. Interessensverflechtungen von Politik und Wirtschaft werden zu selten in tagesaktuellen Beiträgen aufgezeigt und erörtert. Alltägliche Recherchen bleiben im Kern oft oberflächlich.

Bei der Programmgestaltung dürfen Faktoren wie Einschaltquoten, die derzeit als allgegenwärtiges Argument für die dramatische Ausdünnung und populistische Ausrichtung der Kultur- und Bildungsangebote sorgen, keine Rolle spielen. Der öffentlich- rechtliche Rundfunk muss auch vermeintliche „Nischenbereiche“ abbilden und zu vermitteln versuchen – was seinem Bildungsauftrag entspräche, jedoch immer weniger stattfindet. Zudem darf sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht die strikt und gleichförmig durchformatierten Programme privater Sender zum (schlechten) Vorbild nehmen, wie dies aktuell weitestgehend der Fall ist. Dies gilt auch und vor allem in musikalischer Hinsicht für die ARD-Radioprogramme.

An der Auswahl der Mitglieder der Rundfunk-, Fernseh- und Verwaltungsräte, der höchsten Kontrollgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten, sind die Beitragszahler nicht direkt beteiligt. Die Verwaltungsräte kontrollieren die Geschäftsführung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, doch wer kontrolliert die Verwaltungsräte?

Das heißt: es gibt keine Partizipation der Beitragszahler bei medienpolitischen, finanziellen und personellen Entscheidungen.

Auch die Programme werden größtenteils ohne Publikumsbeteiligung erstellt. Die meisten Programmbeschwerden von Beitragszahlern finden kaum Gehör und haben entsprechend wenig Einfluss auf die Berichterstattung und generelle Programmgestaltung. Sowohl das Publikum als auch die Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden in der Regel nicht über die Reaktionen und Beschwerden zum Programm informiert.

Nur ein Teil der Inhalte der öffentlich-rechtlichen Medien ist im Internet abrufbar und meist nur für eine begrenzte Dauer. Diese Praxis widerspricht der Idee eines öffentlich- rechtlichen Rundfunks und dem Gedanken eines universellen Wissenszuwachses im Internet.“

So soll der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk von Morgen für die Ersteller des Manifestes aussehen:

„Das Prinzip der Rundfunkbeitragszahlung wird beibehalten. Es sichert die Unabhängigkeit des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Das heißt: öffentlich-rechtliche Anstalten werden von der Bevölkerung finanziert, aber auch kontrolliert.

Finanzflüsse sind transparent und öffentlich einsehbar. Dies gilt insbesondere für die Budgetverteilung zwischen einzelnen Ressorts, Redaktionen und der Verwaltung. Die Bezahlung aller Mitarbeiter, einschließlich Führungsposten bis hin zur Intendanz, ist transparent und einheitlich nach einem für alle geltenden Tarifvertrag geregelt. Die Berichte der Landesrechnungshöfe sind auf den Plattformen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks leicht auffindbar.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk verzichtet auf Werbeeinnahmen aller Art, sodass Werbeverträge nicht zu Befangenheit in der Berichterstattung führen können.

Den Beitragszahlern gehört der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk. Ihre mehrheitliche Einbindung in den Kontrollgremien ist daher selbstverständlich. Diese Arbeit wird angemessen honoriert. Sie schließt die Wahrnehmung eines weiteren Amts, welches Interessenkonflikte birgt, aus. Die repräsentative Zusammensetzung der Kontrollgremien könnte beispielsweise nach dem Vorbild der Besetzung von Bürgerräten erfolgen. Direkte Wahl, Rotationsprinzip oder Losverfahren sind Möglichkeiten, um die Gesellschaft repräsentativ abzubilden.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk fungiert als Vierte Säule der Demokratie. Im Auftrag der Bevölkerung übernimmt er wichtige Kontrollaufgaben gegenüber den Gewalten Exekutive, Legislative und Judikative. Damit er diesen Auftrag erfüllen kann, ist seine Unabhängigkeit von Staat, Wirtschaft und Lobbygruppen garantiert.

Drehtür-Effekte zwischen Politik und dem neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind dank mehrjähriger Sperrfristen ausgeschlossen; professionelle Distanz ist jederzeit gewährleistet. Jegliche Art von Interessenskonflikt wird angegeben, wie es auch in wissenschaftlichen Arbeiten üblich ist. Das Führungspersonal ist verpflichtet, jährlich einen öffentlichen Transparenzbericht vorzulegen. Führungspositionen müssen öffentlich ausgeschrieben sowie nach einem transparenten Auswahlverfahren besetzt werden und sind zeitlich limitiert. Eine Vertragsverlängerung ist nur nach Abstimmung durch die direkt unterstellten Mitarbeiter möglich.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kontrolliert die Politik und nicht umgekehrt. Die Politik hat keinen Einfluss auf Inhalte. Es wird neutral, multiperspektivisch und zensurfrei im Rahmen des Grundgesetzes berichtet.

Dazu gehört die Verpflichtung, vermeintliche Wahrheiten immer wieder zu überprüfen. Für die Berichterstattung bedeutet dies ergebnisoffene und unvoreingenommene Recherche sowie die Präsentation unterschiedlicher Sichtweisen und möglicher Interpretationen.

Das Publikum hat einen Anspruch darauf, sich mit einem Sachverhalt auseinandersetzen und selbstständig eine Meinung bilden zu können, anstatt eine „eingeordnete“ Sicht präsentiert zu bekommen.

Meldungen von Nachrichtenagenturen werden soweit möglich nicht ungeprüft übernommen. Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk nimmt seine Verantwortung wahr, Ereignisse jenseits von Agenturmeldungen zu recherchieren und darüber zu berichten.

Fairness und respektvoller Umgang im Miteinander stehen im Fokus unseres Handelns, sowohl innerhalb der Funkhäuser als auch mit unserem Publikum. Die Journalisten des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks benutzen kein Framing und verwenden keine abwertenden Formulierungen.

Petitionen und Programmbeschwerden seitens der Gebührenzahler werden vom neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk ernst genommen. Eine Ombudsstelle entscheidet über deren Einordung, Umsetzung und Veröffentlichung. Inhaltliche Korrekturen der Berichterstattung werden an derselben Stelle kommuniziert wie die fehlerhafte Nachricht im Programm.

Zur Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Vielfalt gehört Lokaljournalismus als wesentliches Fundament des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Auch Themen aus dünn besiedelten Regionen, die vermeintlich nur von lokaler Relevanz sind oder Minderheiten betreffen, müssen sich im Programm spiegeln. Die Entscheidung, auch aus Gegenden fernab von Ballungsgebieten oder Metropolen zu berichten, muss von journalistischem Anspruch geleitet sein und darf sich nicht dem Kostendruck beugen.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk kommt seinem Auftrag in gleichem Maße auch in Sachen Bildung und Kultur nach. Bildung und Kultur haben substanziellen Anteil am Programmangebot und werden angemessen budgetiert und personell ausgestattet.

Kultur in ihrer breiten Vielfalt ist ein wichtiger Baustein und Ausdruck der demokratischen Gesellschaft. Diese Vielfalt gilt es umfangreich zu präsentieren und dokumentieren. Das betrifft alle Disziplinen wie Musik, Literatur, Theater, Bildende Künste und andere. Besonderes Augenmerk wird dabei auf den aktiven Förderaspekt gelegt, beispielsweise durch eigene Produktionen sowie die Unterstützung von regionalen Künstlern.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk setzt mit eigenen Klangkörpern wie Orchestern, Big Bands und Chören Akzente im kulturellen Leben und engagiert sich im Bereich der Radiokunst Hörspiel.

Die Archive des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind frei zugänglich. Sie sind wesentliche Wissens- und Identitätsspeicher unserer Gesellschaft und somit von großer kultureller und historischer Bedeutung mit immenser Strahlkraft. Aus den Archiven, die er kontinuierlich in breitem Umfange erweitern sollte, kann der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk anhaltend schöpfen und sich und die Gesellschaft damit der Relevanz von Kultur und Bildung versichern.

Die Inhalte der Archive und Mediatheken des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind dauerhaft abrufbar. Die bereits gesendeten Beiträge und Produktionen stehen zeitlich unbegrenzt zur Verfügung. So kann jederzeit auf das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft zurückgegriffen werden. Dies ist für die öffentliche Meinungsbildung unverzichtbar.

Der neue öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt über eine von Rundfunkbeiträgen finanzierte, nicht kommerzielle Internetplattform für Kommunikation und Austausch. Diese verwendet offene Algorithmen und handelt nicht mit Nutzerdaten. Er setzt in diesem Raum ein Gegengewicht zu den kommerziellen Anbietern, weil ein zensurfreier, gewaltfreier Austausch zu den Kernaufgaben des neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunks gehört.

Qualitätsjournalismus braucht eine solide Basis. Im neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk arbeiten überwiegend fest angestellte Journalisten, damit sie weitestgehend frei von ökonomischen und strukturellen Zwängen sind. Dadurch sind sie unabhängig und ausschließlich dem Pressekodex verpflichtet. Für Recherche steht ausreichend Zeit zur Verfügung. Die individuelle Verantwortung des Redakteurs bzw. Reporters muss gewährleistet sein und nicht zentralistisch von einem Newsroom oder Newsdesk übernommen werden.

Journalistische Autonomie ist ein wesentlicher Beitrag zur Sicherung journalistischer Qualität und Meinungsvielfalt. Deshalb wird die Weisungs-Ungebundenheit redaktioneller Tätigkeit im Hinblick auf Themenauswahl, Themengestaltung und Mitteleinsatz nicht nur in Redaktionsstatuten, sondern auch in den Landespressegesetzen und Rundfunk-Staatsverträgen festgeschrieben.

Outsourcing ist kontraproduktiv. Es verhindert öffentliche Kontrolle und fördert Lohndumping. Die Produktion von Programminhalten, die Bereitstellung von Produktionstechnik und -personal sowie die Bearbeitung von Publikumsrückmeldungen erfolgen deshalb durch die Sender.

Der neue (wie auch der jetzige!) öffentlich-rechtliche Rundfunk steht nicht in Konkurrenz zu den privaten Medien. Daher wird die vorrangige Bewertung nach Einschaltquoten bzw. Zugriffszahlen abgeschafft.

Die Stabilität unserer Demokratie erfordert einen transparent geführten neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk als offenen Debattenraum. Zu dessen Eckpfeilern gehört die Unabhängigkeit der Berichterstattung, die Abbildung von Meinungsvielfalt sowie die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern.“

Alle Fotos sind Screenshots von den Websites der Medienanstalten

Ein Leben lang traurig: Ein Mann isst sich über Jahre zu Tode

Schwül und warm bei oft bedecktem Himmel war der Sommer 1961. So war auch der Sonntag, 21. August, als die junge Mutter zuhause in den Wehen lag. Ewig zogen sich die Stunden dahin, immer wieder unterbrochen von schweren Blutungen. Die Hebamme war so besorgt, dass sie einen Boten zur Post schickte, dem Bauernhaus, in dem das einzige Telefon des Dorfes war, um den Hausarzt zu rufen. Zusammen arbeiteten sie daran, die junge Frau bei Bewusstsein zu halten, bis es endlich soweit war: Ein kleiner Junge mit merkwürdig bräunlicher Haut erblickte das Licht der Welt und war so erschöpft, dass er nicht schreien wollte. Regelrecht handgreiflich werden musste der beleibte, burschikose Hausarzt, bis sich das Kind entschloss, endlich zu atmen und ein leises, stotterndes Geräusch von sich gab. „Mein Gott, was für ein meckerndes Etwas“, kommentierte der Vater, bevor er das obligatorische Foto machte: Seine völlig erschöpfte Ehefrau mit dunklen Ringen unter den Augen, den Neugeborenen im Arm, daneben der ausgestopfte Reiher. Als Ersatz für den Klapperstorch, sozusagen.

Gerd war das dritte Kind seiner Mutter. Weil das zweite vor der Geburt gestorben war, nahm er nun dessen Platz ein. Er hatte eine massive Gelbsucht und Rachitis, als er zur Welt kam – und damit hatte er noch Glück gehabt: Erst im letzten Drittel der Schwangerschaft hatte seine Frau das Einschlafmittel Contergan genommen. Später wurde bekannt, wie sehr dieses Medikament Kinder im Mutterleib geschädigt hatte: Vielen Neugeborenen fehlten Gliedmaßen, etliche kamen gehörlos oder mit anderen Organschädigungen zur Welt. Krankheit sollte dennoch auch zu Gerds zweitem Vornamen werden.

Ursprünglich wollte der Vater genug Kinder für eine Fußballmannschaft zeugen. Aber es sollte sich zeigen, dass seine neun Jahre jüngere Frau das anders sah. Drei Jahre nach Gerd kam Volker zur Welt. Er war ein Junge, wie ihn sich der Vater erträumt hatte: laut, wild, leidenschaftlich. Schön anzusehen war der dralle Junge mit seinen dunklen Augen, seinen schwarzen Haaren und den roten Bäckchen. Beide Eltern waren begeistert von ihm. Gerd hatte es dagegen schwer: Der weißblonde Junge mit seinen grünen Augen war zart, ängstlich und von schwacher Gesundheit. Der strenge, laute Vater, der ihn so oft verächtlich ansah, verursachte panische Angst in ihm. Als er endlich sprechen konnte, stotterte Gerd so sehr, dass kaum jemand verstand, was er sagen wollte.

„Was für ein Schlappschwanz“ sagte dann der Vater zu seiner Frau, und sah sie an, als sei sie lebenslang schuldig für dieses Kind. Das Urteil hatte Wirkung: Das Gefühl lebenslanger Schuld verließ die Mutter nie mehr. Nach langjähriger Therapie mit Calcium und einem Solarium kurierte sich die Rachitis aus, und Gerds Knochen entwickelten sich normal. Bis dahin fiel das Kind immer wieder über seine eigenen Füße und stieß sich dabei übel den Kopf. Eltern und Geschwister folgten dem Rat des Hausarztes und halfen Gerd, gegen den „Stotterwolf“ anzukämpfen. Mit den Jahren wurde seine Sprache flüssiger – außer, wenn er sich der Wut des Vaters ausgesetzt sah: Dann erstarrte er und brachte kein Wort heraus.

In den 1960er Jahren probierte die Regierung neue Schulsysteme und neue Unterrichtsmethoden aus. Statt in der Dorfschule wurde Gerd im Nachbarort eingeschult und einer neuen Lernmethode unterworfen: Statt einzelner Buchstaben sollte das Kind über ganze Wörter lesen und schreiben lernen. Die Folgen seiner langen Krankheit traten jetzt überdeutlich zu Tage: Gerd lernte langsam, vergaß viel und hatte dazu noch die liebe Not, die Wörter, die er morgens in der Schule gelernt hatte, nachmittags bei den Hausaufgaben aufzuschreiben.

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1968 beschlossen die Eltern, in einem etwa 30 Kilometer entfernten Dorf ein Haus zu bauen. In ihrem derzeitigen konnten sie nicht bleiben, ein Haus zu kaufen war zu teuer, und in Breidesheim, wohin die Schwester des Vaters geheiratet hatte, waren die Bauplätze unschlagbar günstig: 5 Mark kostete der Quadratmeter im Neubaugebiet. Der letzte Bauplatz in der Straße lag an einem Nordhang, bot aber eine eindrucksvolle Aussicht über das Tal zu den Mittelgebirgen und auf grandiose Sonnenuntergänge. 105 000 Mark kostete das Fertighaus, das die junge Familie kaufte. Aber es würde zu wenig Platz bieten, wenn die Kinder größer würden. Deshalb entstand darunter ein Kellergeschoss mit Tageslichtfenstern nach Norden. Dieses musste gemauert werden, und fortan fuhr der Vater jeden Tag nach der Arbeit noch für einige Stunden auf die Baustelle, um Handlangerdienste zu verrichten.

Neun Jahre nach der Geburt der ältesten Schwester hatte ein viertes Kind das Licht der Welt erblickt: Noria lächelte viel, war sehr ruhig und wurde von ihrer Mutter zärtlich „Musche“ genannt. Auch hier gab es viele Schuldgefühle: Verzweifelt darüber, schon wieder schwanger zu sein, war die Mutter bewusst die Kellertreppe hinuntergefallen, in der Hoffnung, das Kind möge den Sturz nicht überleben. Der Fötus blieb dabei unbeschädigt, aber die junge Frau balancierte danach wochenlang mit Besen und Schrubber unter den Armen umher, weil sie sich einen Knöchel ganz furchtbar verstaucht hatte. Danach sprach sie offen mit dem Hausarzt: Wenn dieser ihr jetzt nicht diese neue Antibabypille verschreibe, werde sie sich bei der nächsten Schwangerschaft das Leben nehmen. Sie bekam die Pille.

Je knapper das Geld und je anstrengender der Hausbau wurde, desto stärker stieg die Spannung in der Familie. Eines morgens entlud sie sich beim Vater ganz unerwartet und einmalig: Gerade, als er zur Arbeit fahren wollte, brach er in Tränen und ein nicht enden wollendes Weinen aus. Die Mutter hielt ihn still im Arm. Dann ging der Tag weiter: Mit gewohnter Strenge und Disziplin. Vier Kinder, das älteste zehn, das jüngste ein Jahr alt, ein großes Haus, umgeben von einem großen Nutzgarten und ein Perfektion verlangender Gatte überforderten die Mutter zunehmend. Ganz besonders schlimm wurde es, wenn es nachmittags an die Hausaufgaben ging.

Dann saßen Caro, die Älteste, und Gerd am Küchentisch. Gerd musste beaufsichtigt werden, damit das mit dem Lesen und Schreiben auch funktionierte. Dabei blieb aber Hausarbeit liegen, und die Mutter fürchtete das strenge Urteil ihres Mannes. Wenn Gerd so gar nichts zustande brachte, wurde sie immer nervöser, immer ärgerlicher, und verlor immer wieder völlig die Façon. Dann ohrfeigte sie das Kind und schrie es an, es sein ein Ochse und ein Idiot – mit dem Ergebnis, dass der kleine Junge völlig erstarrte. Einmal kam der Vater zu einer solchen Szene dazu. Statt mäßigend einzuwirken, begann auch er zu schreien und Gerd zu schlagen. Cora fand das ungerecht und forderte die Eltern auf, die Misshandlung zu stoppen. Das war keine gute Idee: Auch sie bezog eine ordentliche Tracht Prügel.

Gerd wurde erneut schwer krank. Täglich besuchten ihn die Eltern im Krankenhaus, wo als erste Diagnose Leukämie gestellt wurde: Die Zahl der weißen Blutkörperchen war viel zu hoch. Die Mutter weinte nur noch, der Vater schwieg und schlug die Kinder, sobald diese einen Mucks machten. Aber der Junge erholte sich wieder. Die Ärzte hatten nicht herausgefunden, wo der Entzündungsherd in seinem Körper genau war, aber die Entzündung ging zurück. Das Kind lebte und kam wieder heim.

Am letzten Tag des Oktober 1969 zog die Familie ins neue Heim. Dort herrschte drangvolle Enge, denn der Keller konnte nicht sofort ausgebaut werden. Erst musste ein neuer Bausparvertrag voll bespart werden, das würde mindestens fünf Jahre dauern. So fanden sich die beiden Mädchen in einem winzigen Zimmer wieder, in das gerade so zwei Betten und ein Schrank passten, außerdem ein kleiner Schreibtisch. Die Jungen mussten in einem Etagenbett schlafen, sonst hätte der kleine Tisch für die Hausaufgaben nicht mehr in den Raum gepasst. Schmalhans war Küchenmeister, damit die Raten jeden Monat gezahlt werden konnten. Die Mutter hatte ebenfalls eine Arbeit angenommen: 12 bis 15 Nachtschichten im Monat.

Für die Kinder wurde das Leben zur Qual: Bis zum späten Nachmittag schlichen sie flüsternd durch Haus und Garten. Trotzdem beschwerte sich die Mutter, die grundsätzlich bei gekipptem Fenster schlief, täglich neu darüber, dass sie wegen des Kinderlärms nicht schlafen könne. Die schönen Stunden, in denen der Vater Märchen erzählte und mit den Kindern spielte, nahmen kontinuierlich ab, bis sie bei null waren. Die Prügel durch den Vater nahm kontinuierlich zu. Jeden Tag lag mindestens ein Kind auf dem Boden und schützte den Kopf vor seinen Fäusten. Nur Noria, die Kleine, blieb davon verschont. Gerd hatte in seiner Angst vor Strafe seine eigene Methode entwickelt, um sich zu schützen: Er log, dass sich die Balken bogen. Nur nicht schon wieder von den mächtigen hellgrünen Augen des Vaters verurteilt und zusammengeschlagen werden – dafür hätte der Junge alles getan. Körperlich schoss er in die Höhe und wurde zum Liebling der Frauen: Der schlaksige, blonde junge Mann mit seiner freundlichen Schüchternheit beeindruckte auch Coras Schulkameradinnen.

Als er endlich die Schule hinter sich gebracht hatte, verließ Gerd das Haus: Er verpflichtete sich zu zwei Jahren Bundeswehr. Hier endlich fand er einen Platz im Leben. Die Struktur, die Befehlskette, die Zusammengehörigkeit in der Truppe begeisterten ihn. Sein Rücken streckte sich, sein Blick wurde offener, und er konnte nun mit einem entschlossenen Ton auftreten. Das Leben war gut: Gerd unterschrieb für Z 12.

Foto: Bundeswehr

Klein, zart und empfindsam war seine langjährige Freundin: Auch Nathalie hatte einen Vater, der sie misshandelte. Nach der Schule verließ sie schnellstmöglich das Haus, um Musik zu studieren. Was sie später mit dem Studium anfangen wollte, wusste sie nicht so genau. Aber Musik war das wichtigste in ihrem Leben. Das merkwürdige Paar schien wunderbar miteinander zurecht zu kommen und unterstützte sich gegenseitig bei der Bewältigung der schlimmen Kindheitserfahrungen. Ein Hochzeitstermin wurde festgelegt.

Zwei Wochen vor der Hochzeit ein Aufschrei der Eltern: Gerd hatte sich in eine andere Frau verliebt und wollte Nathalie nicht mehr heiraten. Undenkbar sowas, wo doch die Gäste schon eingeladen und das Hochzeitsessen bestellt war. Die Mutter nahm sich der Sache an. Als sie mit ihm fertig war, war Gerd bereit, zu heiraten. Von der anderen Frau sprach er nie wieder. Auch in der Zukunft sprach er von Dingen, die er nicht ändern konnte, nie wieder, so wie er überhaupt persönliche Gedanken weitgehend für sich behielt. Er wurde nach Baden-Württemberg versetzt, das junge Paar zog dort hin und mietete sich in einem der drei Hochhäuser des Ortes ein. Später kauften die beiden dort eine Eigentumswohnung. Dort gab Nathalie an ihrem weißen Klavier Privatstunden. Sie suchte auch nach einer Anstellung und fand sie schließlich im örtlichen Edeka: Sie wurde zuständig für das Milch- und Käseregal.

Rückblickend waren die 12 Jahre bei der Bundeswehr die glücklichsten Jahre im Leben des jungen Mannes. Kein Wunder, dass er beschloss, sich nach deren Ende auf Lebenszeit zu verpflichten.

Aber es sollte anders kommen.

Auf dem Weg in die Kaserne kam dem Soldaten in einer Kurve ein Wohnmobil entgegen. Was genau passierte, konnte später nur mühsam in Teilen rekonstruiert werden. Jedenfalls zermalmte das Wohnmobil die komplette Fahrerseite des Fords und die komplette linke Körperhälfte Gerds. Schreckliche Diagnose im Krankenhaus: Gehirn gequetscht, Milz nicht mehr zu retten, Kiefer und linke Gesichtshälfte zertrümmert, linkes Ellenbogengelenk zertrümmert, linkes Bein ebenso. Die Ärzte nagelten und schraubten alles, so gut es ging zusammen. Aber ohne Ellenbogengelenk war der linke Arm nur noch begrenzt nutzbar, und die linke Wade blieb dauerhaft gelähmt.

Am schlimmsten war die Beschädigung des Gehirns: Die sozialen Fähigkeiten des jungen Mannes waren erheblich beeinträchtigt. An den Unfall selbst konnte er sich nicht erinnern. Dafür sprach er nun alles aus, was er auch dachte: „Du stinkst“ begrüßte er beispielsweise seine Frau, die zu seinem Ärger eine starke Raucherin war. „Hast du mal ein altes Buch aussortiert…“ kommentierte er ein Buchgeschenk seiner Schwester Cora, während seine Augen tief in schwarzen Höhlen lagen, aus seinem Gesicht lange Metallstangen ragten, ebenso aus Arm und Bein. Das Elend komplett machte schließlich eine Sepsis, die seinen ganzen Körper erfasste: Wochenlang schwebte Gerd zwischen Leben und Tod, bis er endlich die Intensivstation verlassen konnte.

Sein Lebenstraum war geplatzt: Berufssoldat konnte er nun nicht mehr werden.

Foto: Adobe Stock

Nach einer langen Rehabilitation bezahlte die Bundeswehr nun eine Umschulung. Es war die Zeit, als Computer in Masse auf den Markt kamen, und Gerd entschied sich für den Beruf eines Computertechnikers. Die Ausbildung machte ihm Freude, auch das dreimonatige Praktikum in einem Unternehmen lief gut. Aber: Niemand wollte den nun schwer behinderten Mann einstellen. Man sagte ihm auch, warum: Schwerbehinderte haben ein Recht auf mehr Urlaubstage und können kaum wieder gekündigt werden.

Der Absturz war tief, der Boden des schwarzen Lochs schien unendlich. Gerd fiel in seine bisher tiefste Depression, wusste nicht mehr, warum er überhaupt lebte und suchte Hilfe beim Therapeuten. Sein Umgang mit Nathalie war nun grob. Er war schnell reizbar, hatte kaum mehr Verständnis für ihre Gefühlslagen und sprach wenig. Auch der Kinderwunsch des Paares hatte sich erledigt: Gerd war nach dem Unfall so oft ungeschützt geröntgt worden, dass er nun unfruchtbar war. Nathalie litt sehr darunter, Gerd sprach nicht darüber. Statt dessen stopfte er sich voll: Mit Würstchen, Steaks, Kuchen und was sonst noch so da war.

Foto: NDR-Ratgeber Gesundheit

Um die Ecke der drei Hochhäuser gab es einen gut laufenden Copyshop, betrieben von einer älteren Frau, die eine Aushilfe suchte. Das wurde zum rettenden Strohhalm für den immer noch jungen Mann: Er begann, immer mal ein paar Stunden im Laden zu helfen. Als zwei Jahre später die Inhaberin in Rente gehen wollte, übernahm er diesen kurz entschlossen. Hauptsache, wieder eine Aufgabe im Leben. Nicht mehr zuhause rumzusitzen. Seinen Mann zu stehen. Nathalie wurde die Seele des Shops: Sie war es, die mit Schriften experimentierte, Speisekarten und Prospekte gestaltete, wenn sie mit ihrem Milch- und Käseregal fertig war. Zeit und Geld, um in Urlaub zu fahren, gab es tatsächlich auch. Gerd sparte lange, bis er zwei Wochen Kuba buchen konnte, und schenkte die Reise Nathalie zum Geburtstag. Später erstanden die beiden einen gebrauchten Wohnwagen, mit dem sie gern an den Bergseen der Alpen Urlaub machten. Sogar ein Gartengrundstück hatten sie zeitweise gepachtet.

Da kam das nächste Unglück ins Haus: Nathalie erhielt die Diagnose Brustkrebs. Das war, kurz nachdem ihr Vater an Krebs gestorben war. Untersuchungen brachten hervor, dass es sich um eine genetische Veranlagung handelte: Sowohl Vater, als auch Tochter trugen ein lebenslang deutlich gesteigertes Risiko, an Krebs zu erkranken.

Zunächst wuchs das Ehepaar ein letztes Mal näher zusammen. Nathalie durchlief die schwierige Prozedur der Entfernung einer Brust und des späteren Wiederaufbaus, alles verbunden mit Chemotherapie, Bestrahlung und den entsprechenden körperlichen Folgen. Wie alle, die eine Krebsdiagnose bekommen, fragte sie sich, ob sie sich in ihrem bisherigen Leben eigentlich gut genug um sich selbst gekümmert hatte – und musste das mit einem klaren Nein beantworten. In der Rehabilitation lernte sie einen großen, schlanken, feinfühligen Mann kennen. Die beiden kamen sich sehr nah. Als Nathalie nach Haus zurück kam, war sie nicht mehr die selbe. Oft verbrachte sie den ganzen Tag im Schlafanzug am PC. Ihr Interesse für Haus- und Küchenarbeit ließ merklich nach. Aber sie sprach nicht darüber, warum das so war, und Gerd wurde immer unruhiger.

Trotz seiner vielen Beeinträchtigungen nach dem Unfall zog Gerd die Frauen weiter magisch an. Das blieb auch so, als sich aus dem permanenten Frust, nicht mehr Soldat sein zu können, aus seiner Esssucht langsam, aber sicher ein großer, dicker Bauch entwickelte. Eines Abends erzählte er Schwester Cora, noch immer erstaunt, was sich heute in seinem Laden zugetragen hatte: Anne, die mit ihrem an Epilepsie erkrankten Ehemann zum Freundeskreis von Gerd und Nathalie gehörte, war dort ohne Vorankündigung erschienen, hatte die die Ladentür abgeschlossen und sich vor Gerd ausgezogen. Der war elektrisiert und konnte der Versuchung nicht widerstehen. Die Affaire dauerte wohl ein Jahr. Dann starb Annes Mann. Sie löste die Wohnung auf und verzog ohne Abschied nach Unbekannt.

Nathalie war das Ganze nicht verborgen geblieben. Eines Tages teilte sie Gerd mit, dass sie eine kleine Wohnung gefunden und gemietet hatte, in einem etwa 50 Kilometer entfernten Städtchen. Dorthin werde sie nun umziehen, und ihre Ehe sei hiermit beendet. Er weinte wochenlang, versuchte, mit ihr über alles zu sprechen, schlug eine Eheberatung vor, aber es war zu spät: Sie wollte nicht mehr.

Nun begann ein unaufhaltsamer Abstieg. Die Eigentumswohnung, auf die Gerd so stolz gewesen war, musste verkauft werden. Er zog in zwei Zimmer im Nachbardorf. Ohne Nathalie fehlte seinem Laden die Seele. Dazu kam, dass Computer immer stärker die Haushalte eroberten – samt zugehöriger Scanner und Drucker. Dem Copyshop brachen immer mehr Einnahmen weg. Ohne Nathalie fehlte auch die Struktur in der Buchhaltung. Wenige Jahre nach der Trennung hatte Gerd komplett die Übersicht verloren und stand unter enormem Schuldendruck. Sogar das auf Kredit erstandene Auto wurde vom Autohaus zurück gefordert, was zu ständigen nächtlichen Versteckaktionen führte. In seiner Not bat Gerd die Eltern um Hilfe: Wenn sie für einen Kredit über 40 000 Euro bürgen, würde er seinen Laden retten können.

Der Vater war misstrauisch und wollte die Bücher und Jahresbilanzen sehen. Die konnte Gerd nicht vorzeigen – sie bestanden aus Haufen unsortierter Papiere. Die Mutter setzte die Bürgschaft trotzdem durch, indem sie ihrem Mann mit Liebesentzug drohte. Erbost und verbittert stimmte der Vater schließlich zu. Cora und Gerd setzten mit ihm zusammen ein Papier auf, das die Bürgschaft über 40 000 Mark festlegte, und auch die Bedingungen, die der Vater stellte. Gerd musste schriftlich auf sein Erbe verzichten, bis alles bezahlt sein würde – das war die härteste. Während Gerd nun erstmal sein Geschäft weiterführen konnte und auch die Kreditraten regelmäßig zahlte, kam der Vater nicht damit klar, dass er gezwungen worden war. Bei jedem Familienkaffee zog er nun über seinen älteren Sohn her und auch über seine Frau und die Erpressung. Da Gerd zu diesen Treffen meistens nicht anwesend war, verteidigte Cora ihn – nur um selbst ins Visier des Vaters zu geraten.

24 000 Euro des Kredites waren abbezahlt, als in Gerds Laden schließlich nichts mehr ging. Bis zuletzt hatte er gehofft, dass eine Erstattung der AOK über 34 000 Euro noch rechtzeitig eintreffen würde, aber das geschah nicht. Er musste Insolvenz anmelden. Er war völlig am Ende mit seinen Nerven, unfähig, die Zusammenhänge verständlich zu erklären und voller Angst vor der Reaktion des Vaters. Diese fiel aus wie erwartet. Der „Schlappschwanz“ und „Loser“war täglicher Bestandteil seiner lauten Wutreden. Die Rücklage des Vaters für den Fall seines eigenen Todes musste eingesetzt werden, als die Bürgschaft fällig wurde, was dessen Wut bis zur Raserei verstärkte.

Volker, der jüngere Bruder, hatte mit wachsendem Erstaunen und Ärger der Hilfestellung der Eltern für seinen Bruder zugesehen und fühlte sich nun massiv benachteiligt. Weil der Vater nicht bereit war, alle Geschwister auf den gleichen Informationsstand zu der Bürgschaft zu bringen, vermutete Volker ein Komplott durch Gerd und Cora, ihn und seine Familie um Erbanteile zu bringen. Dieser Stachel saß fortan in seinem Kopf und entwickelte ein Eigenleben, während Gerd seinen Copyshop auflöste, dabei weinte und weinte. Inzwischen gab es Möglichkeiten, online zu chatten. So chatteten Gerd und Cora fast jeden Abend, tauschten sich aus, brachten Schritt für Schritt Klarheit in die Lage. Schließlich war das Verfahren überstanden, und Gerd begann eine achtmonatige Rehabilitation in einer neurologischen Klinik in den Hochalpen; eine wohl lebensrettende Maßnahme. Hier übte er soziales Miteinander neu ein, verarbeitete endlich den schrecklichen Unfall und dachte darüber nach, was jetzt aus seinem Leben werden sollte.

Das Insolvenzverfahren endete mit einer sechsjährigen Wohlverhaltensphase. Gerd blieb gerade genug Geld, um sich zu ernähren. Die Einsamkeit war erdrückend. Er wünschte sich von ganzem Herzen eine neue Partnerin, aber es war keine in Sicht. Er verdrückte nun riesige Mengen Essen und Süßes, nahm auch gerne mal einen Schnaps und wurde gefühlt jeden Tag unförmiger. Von seinen früheren Freunden hielt er Abstand, weil er sich wegen der Insolvenz schämte. Auch begannen jetzt, pünktlich wie von den Ärzten nach dem Unfall vorausgesagt, starke Schmerzen in Armen, Beinen und Füßen. So verbrachte Gerd die meiste Zeit des Tages zuhause vor dem PC, wo er online Computerspiele spielte. In dieser Community lernte er mit der Zeit neue Bekannte kennen. Man traf sich auch hier und dort bei Gaming-Events.

Auch versuchte er, den Kontakt zur Familie wieder zu intensivieren, was sich jedoch schwierig gestaltete. Bruder Volker war inzwischen zum zweiten Mal verheiratet, hatte kleine Kinder. Gerd hatte die Angewohnheit, sich bei den Eltern oder Geschwistern anzukündigen, dann aber dort zu sitzen, zu essen und kaum etwas zu sprechen, was besonders seinen jüngeren Geschwistern auf die Nerven ging. Da er über seinen Kummer und seine Sorgen nicht reden wollte, weil er die Verachtung der Familie fürchtete, wusste Gerd nicht, was er nun erzählen könnte und wartete irgendwie immer auf ein Zeichen der Zuneigung, das aber nie kam.

Und dann traf ihn die angestaute Wut Volkers mit voller Macht. Nachts, unter Einfluss von Alkohol, ließ dieser seitenlange Unflätigkeiten per Mail ab. „Nein, ich wünsche mir nicht deinen frühen Tod,“ hieß es da zum Beispiel. „Leben sollst du, und mindestens 100 Jahre alt werden. Dann verrecke, langsam und mit erheblichen Schmerzen, ersticke an dir selbst. Verachtung und Zorn sind noch untertrieben, was deine Person betrifft. Um deiner Gesundheit willen nimm keinen Kontakt zu mir auf. Der Knüppel steht hinter der Tür. Ich werde dich prügeln bis zu deinem Auto und noch weiter…“ Aus Mangel an Informationen über die Bürgschaft hatte sich Volker einen Schuldenberg von 100 000 Euro ausgemalt, um die Gerd ihn unter Zuhilfenahme von Cora bei den Eltern „betrogen“ hätte. Eine Chance, die Dinge richtig zu stellen, gab es nicht: Volker sprach weder mit Gerd, noch mit Cora je wieder ein Wort.

Aber auch das Glück sollte Gerd ein letztes Mal begegnen.

In einem erneuten Versuch, der Depression und der Einsamkeit zu entfliehen, fährt er über das Wochenende zu einem Gamer-Event. Dort trifft er sie. Eva ist zwei Jahre älter als Cora, hat eine dunkle, rauchige Stimme, raucht Kette und erscheint unglaublich gelassen. Die beiden mögen sich sofort. Nach dem Ende der Veranstaltung lädt sie ihn ein, bei ihr zu übernachten, denn er hat noch einen langen Heimweg vor sich. Sie reden die ganze Nacht hindurch. Er erzählt von seiner gescheiterten Ehe, dem Unfall, der Laden-Insolvenz – sie berichtet von ihrem getrennt lebenden Mann, der schon vor Jahren in die Türkei zurück gekehrt ist, von ihrem wechselvollen Berufsleben als gelernte Krankenschwester, als Verkäuferin im Lampengeschäft ihrer Mutter und als Anwaltsgehilfin. Sie kochen gemeinsam und fühlen sich endlich nicht mehr allein. Zwei Wochen später fährt er zurück in seine kleine, leere Wohnung – aber nur für kurze Zeit. Wenig später zieht er bei ihr ein.

Das Leben ist schön. Zwei PC mit großen Bildschirmen bauen sie nebeneinander auf, wo sie stundenlang gamen. Dazwischen führt er ihren Hund Gassi, kocht ein warmes Essen für sie, wenn sie von der Arbeit heimkehrt und geht einkaufen. Das Geld ist knapp, aber für gutes Essen reicht es immer. Gerds Bauch wächst stetig in ein unglaubliches Format. Auch Eva nimmt ein wenig zu – sie hat lange nicht mehr so viel und so regelmäßig gegessen – aber sie fühlt sich wohl mit ihrer Figur. Der jüngere ihrer beiden Söhne lebt im Stockwerk über den beiden, das uralte Haus im Zentrum der Kleinstadt gehört Eva. Die Bundeswehr zahlt Miete.

Gerds Schmerzen werden stetig schlimmer, aber trotzdem hat er neuen Lebensmut gefunden. Er beschließt, sich im örtlichen VdK zu engagieren und ist kurze Zeit später schon dessen Vorsitzender. Er macht umfangreiche Weiterbildungen und berät in seiner wöchentlichen Sprechstunde kranke und behinderte Mitglieder, die sich um eine Pflegestufe, einen Behindertengrad oder eine Erwerbsminderungsrente bemühen. Dabei erwirbt er bemerkenswerte Kenntnisse über die Feinheiten, die es braucht, um Behörden zu überzeugen. Seine Sprechstunde erfreut sich großer Beliebtheit. Zuhause gibt es schonmal Ärger, wenn Gerd sich konsequent vor der Hausarbeit drückt und aus dem Kühlschrank auch die Leckereien verzehrt, die Eva für sich selbst gekauft hat. Aber insgesamt vertragen die beiden sich wunderbar und sind froh, einander zu haben.

Bereits kurz nach der Insolvenz des Copyshops war es das erste Mal passiert: ein Herzinfarkt. Gerd, der ausgebildete Sanitäter, hatte die Anzeichen erkannt und war rechtzeitig im Krankenhaus gewesen. Seitdem leidet er immer wieder unter starker Atemnot, schläft nachts mit Atemmaske, weil er ständig Atemaussetzer hat. Als er mal wieder glaubt, fast zu ersticken und gleichzeitig heftige Schmerzen in der Brust verspürt, muss er den Notarzt rufen. Der Rettungsdienst weigert sich, den großen, schweren Mann die steile Treppe hinunter zu tragen und will ihn statt dessen von der Feuerwehr mit der Drehleiter aus dem Fenster holen lassen. Das beschämt den Kranken so sehr, dass er trotz Schmerzen, Atemnot und Todesangst auf allen Vieren allein die Treppe hinunterkrabbelt. Diesmal ist es eine beidseitige Lungenembolie. Vorher bereits muss er an einer riesigen Bauch-Hernie operiert werden: Die Ärzte ziehen ein stabiles Netz ein, damit der „Bruch“ nicht mehr wieder kommen kann.

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Die Ärzte, die Familie und seine gesamte Umgebung warnen ihn jetzt immer lauter: Er muss dringend abnehmen, sein Leben steht auf dem Spiel. Aber die Sucht hat ihn erbarmungslos im Griff. Gerd verbietet allen, die er kennt, sein Gewicht anzusprechen, verrät auch nicht, wie viele Kilos es sind. Cora spricht ihn dennoch immer wieder darauf an. Als sie einmal sagt, dass sein Bauch irgendwann platzen wird, muss er lachen: Nein, das Netz darin sei ganz sicher stabil.

Zwei Jahre später ist der Bauch so riesig, dass problemlos eine Schubkarre darunter passen würde. Er hat nun die Grenze von 200 Kilo Gewicht überschritten. Zum Ärger von Eva kauft er sich keine neue Kleidung mehr – mit dem Argument, dass er erst abnehmen müsse. Es folgen eine weitere Lungenembolie, der nächste Herzinfarkt – und die Diagnose, dass eine Herzklappe unbedingt operiert werden muss. Er nimmt immer mehr Medikamente und geht zweimal wöchentlich zur Lymphdrainage, um das „Wasser“ in seinem gestressten Beinen wenigstens teilweise los zu werden.

Endlich wird die Herzklappe operativ behandelt. Bei diesem Krankenhausaufenthalt verliert Gerd mehr als 20 Kilo Flüssigkeit. Nach der OP kann er wieder besser atmen und gehen; er schöpft neue Hoffnung. Gute EKG-Werte versprechen, dass er sich wieder gesünder fühlen wird, auch wenn die Nieren- und Leberwerte alarmierend schlecht sind. Er kehrt nach Hause zurück, und ein unerwarteter Glücksfall beschert ihm seinen ersten Urlaub mit Eva: Sie muss eine Messe nah seiner alten Heimat besuchen. Er begleitet sie, und sie verlängern den Aufenthalt auf eine ganze Woche. Dabei besuchen sie seine alten Freunde und fühlen sich das erste Mal seit langem wieder jung und glücklich. Sie verabreden, im Sommer wieder zu kommen. Eva will dann an der einwöchigen Fahrradtour der Freunde teilnehmen und Gerd will das Versorgungs-Auto fahren.

Vielleicht schaffen sie es jetzt ja auch endlich, einmal gemeinsam an die Ostsee zu fahren und über die masurische Seenplatte – ein Traumziel Gerds seit seinem Jugendtagen. In den Telefongesprächen mit Cora geht es um die Frage, ob sie vielleicht sogar mit zwei Paaren fahren könnten, die polnische Ostsee entlang und dann zur Seenplatte.

Aber es soll anders kommen.

Gerd wird eine weitere Reha genehmigt; diesmal in einer Klinik im Schwarzwald. Und auch die Fahrradtour rückt näher. Aber plötzlich platzen seine Beine auf, und die Lymphe läuft heraus. Es entwickeln sich ein hartnäckiger Ausschlag an den unteren Waden und mehrere tiefe „Löcher“ in den Beinen, die nicht heilen wollen. Er kann nicht mehr gehen, verbringt den ganzen Tag auf dem Sofa oder im Bett. Seine Hausärztin kommt jetzt zu ihm heim, und erstmals nähert er sich dem Gedanken, sich doch vielleicht ein Magenband legen zu lassen. Aber nicht jetzt, sondern erst, wenn es ihm wieder besser geht… Coras Apelle werden flehend: Sie sagt ihm, sie will nicht, dass er an seinem Gewicht stirbt. Da beginnt er zu weinen: „Es geht mir so furchtbar elend, ich habe für nichts mehr Kraft. Ich kann mich selbst nicht mehr tragen…“

In einem Chat schreibt er ihr, dass sie nächstens mal telefonieren sollten, am besten, wenn Eva ihren Bridge-Abend habe. Er wolle ihr etwas vertrauliches mitteilen. Kein Problem, meint Cora. Aber als er sie zu ihrem Geburtstag anruft, vergessen sie das Thema.

Und dann ist es zu spät.

Dreieinhalb Wochen nach diesem Gespräch bekommt Gerd in der Nacht zum Sonntag akute Luftnot. Eva läuft, um das Sauerstoffgerät zu holen. Aber es wird nicht besser, und er bekommt Angst. Um 2.30 Uhr rufen sie den Rettungsdienst. Acht Männer sind nötig, um Gerd die Treppe hinunter in das Rettungsauto zu tragen. Im Krankenhaus angekommen, entspannt er sich, fühlt sich in Sicherheit und erzählt der Ärztin, was ihn alles plagt.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts heraus, bricht sein System zusammen: Akutes Herzrasen, überhaupt keine Luft mehr, Bewusstlosigkeit, Herzstillstand.

40 Minuten lang versucht das Team, den Patienten zu reanimieren, aber es ist zu spät.

Gerd ist tot. Er starb am 18. Februar um 4.30 Uhr. Er wurde 62 Jahre alt.

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Anmerkung: Keines der obigen Bilder zeigt Gerd. Die Namen im Text wurden geändert. Eine knappe Woche nach seinem Tod wartet Gerds Körper zurzeit auf die Einäscherung und Bestattung der Urne in einem Friedwald. Aufgebahrt wurde er nicht. Weil es im Krankenhaus keine passende Kühlbox gab und der Bestatter an einem Sonntag erstmal einen übergroßen Sarg beschaffen musste, hatte der Körper knapp 12 Stunden in einem beheizten Raum auf einer Pritsche gelegen. Gerds wertvollste Habe waren ein neuer Gaming-PC, ein brandneues I-Pad und ein Mcbook. Die hat er seinem Bruder Volker vererbt. Der nimmt sie gern…

Siehe auch:

Gewalt in der Erziehung

Gewalt gegen Kinder

Depression

Adipositas

Essucht -Ratgeber

H.G. Tudor beschreibt den Tod (englisch)

Sind die Tageszeitungen noch zu retten? Beispiel Rhein-Zeitung

Sind die deutschen Tageszeitungen noch zu retten? Die Auflagen besonders der Regionalzeitungen schrumpfen alarmierend schnell, auch die Digital-Angebote der Blätter machen das nicht wett. Das geht aus der jüngsten Statistik der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.) hervor.

Regionale Tageszeitungen haben es auf dem Print-Markt schwerer als alle anderen. Der wichtigste Aspekt, der sie von Mitbewerbern unterscheidet, ist ihre jeweilige regionale und lokale Berichterstattung. Aber gerade diese ist besonders teuer und personalintensiv. Weder durch Abo-Zahlen, noch über den Anzeigenmarkt lässt sich diese Form der Berichterstattung mit Gewinn umsetzen, weshalb die betroffenen Medienhäuser in den letzten beiden Jahrzehnten hier besonders stark den Rotstift ansetzten. Damit jedoch entfällt für zahlreiche Leser der Grund, sich die Abos überhaupt noch zu leisten. Zusätzlich leiden Tageszeitungen unter hohen Papier-, Herstellungs- und Vertriebskosten.

Beispiel Rheinland-Pfalz: Im Herzen von Rheinland-Pfalz, aber nicht in der Landeshauptstadt, residiert die Rhein-Zeitung. Anfang der 1990er Jahre zählte das in Koblenz ansässige Blatt 30 Lokalredaktionen im nördlichen Rheinland-Pfalz. Bis auf kleine Bereiche an den Rändern gibt es keine Mitbewerber. Das Verbreitungsgebiet deckt sich weitgehend mit dem ehemaligen Regierungsbezirk Koblenz (1,7 Millionen Einwohner). Es gab eine sehr kleinteilige Berichterstattung und viel direkten Kontakt mit Lesern. Da erschien das erste große Problem am Verlagshimmel: Es wurde üblich, immer mehr Fotos in Farbe zu veröffentlichen. Um dies umzusetzen, musste der Mittelrhein-Verlag teure neue Druckmaschinen anschaffen. So wurden die 1990er Jahre die ersten, die zu großen Umstrukturierungen führten.

Parallel zu den neuen Maschinen wurde das gesamte Erscheinungsbild des Blattes überholt: Man ging von fünf auf sechs Spalten, veränderte Schrift, Überschriften, Bildformate. Die Zahl der Lokalredaktionen wurde erstmals verringert: Aus 30 wurden 12. Die anderen 18 Standorte, bei denen oft langfristige Mietverträge bestanden, wurden nicht sofort aufgelöst, sondern arbeiteten zunächst der jeweiligen Redaktion zu. Redaktionsleiter wurden abgestuft und bei Eintritt in den Ruhestand nicht mehr ersetzt. Volontäre wurden nach der Ausbildung nicht mehr automatisch übernommen. In den folgenden Jahren sank die Zahl der fest angestellten Redakteure kontinuierlich.

1987 schon hatte die Rhein-Zeitung den Versuch unternommen, sich auch in der Landeshauptstadt Mainz zu etablieren und mit großem Aufwand die Lokalredaktion Mainz gegründet. Das Blatt nannte sich hier Mainzer Rhein-Zeitung und trat gegen den Platzhirsch Allgemeine Zeitung Mainz an. Ende 1998 wurde dort eine verkaufte Auflage von 11 984 Exemplaren erreicht. Im Laufe der Jahre sank die Auflage jedoch kontinuierlich: Zum 31. Dezember 2013 wurde die Lokalredaktion bei einer Auflage von 6 913 Exemplaren aufgelöst und der Titel eingestellt. Die Mainzer Rhein-Zeitung war nicht rentabel zu betreiben.

Parallel zu den finanziellen Herausforderungen wuchsen für die Zeitungen die digitalen Möglichkeiten. Erst mussten keine Texte mehr in die Setzerei geschickt werden, sondern wurden von den Schreibern allein bearbeitet. Die Redaktionen bekamen zusätzlich zu ihren schwarz-weiß-Fotolaboren Maschinen, die Farbfilme entwickeln konnten. Die Fotos konnte man zunächst in einem aufwändigen Prozess funken, später gleich digital in die Seiten einbauen, die ab diesem Zeitpunkt komplett in den Redaktionen produziert wurden. Korrektoren gab es da schon lange nicht mehr. Jetzt sparte man viel Personal in der Druckerei ein, indem die Redakteure diese Arbeiten übernahmen. Das sorgte für mehr Aktualität: Nun konnten die Redaktionen bis kurz vor der jeweiligen Andruckzeit noch aktuelle Nachrichten nachschieben. Deshalb wurden Spätschichten eingeführt, obwohl die Zahl der Redakteure weiter sank. Wenig später kamen die ersten Digitalkameras auf den Markt, die eine große Arbeitserleichterung bedeuteten, musste man doch nicht mehr stundenlang im Labor stehen. Kurzfristig sorgten die neuen Entwicklungen für einen kleinen Aufschwung.

Im Jahr 2000 verzeichnete die Rhein-Zeitung eine verkaufte Gesamtauflage von 239 072 Exemplaren, davon 224 365 im Abonnement. Man begann, über ein neues Druckhaus nachzudenken. Das Internet bestand nun seit etwa zehn Jahren und wurde langsam für die Masse an Verbrauchern alltagstauglich. Die sozialen Netzwerke waren noch nicht geboren.

Trotz der scheinbar guten Geschäftslage war man sich im Verlag dessen bewusst, dass die Kosten weiter steigen würden. Durch die Verbreitung in einem Flächenland war man trotz der Konzentration der Redaktionen bei den Anzeigenpreisen an Grenzen gestoßen. Zwar hatte man in der Druckerei durch die Digitalisierung erhebliche Personalkosten einsparen können. Aber das Papier stieg kontinuierlich im Preis, der Vertrieb mit seiner Hauszustellung auch in den kleinsten Orten des Landes wurde immer schwieriger und kostenträchtiger. Eine dynamische Website musste erstellt und täglich aktuell gehalten werden. In diesem Rahmen wurde das gesamte Zeitungsarchiv digitalisiert, um es den Lesern zur Verfügung zu stellen; eine Herkulesaufgabe.

Trotzdem war der Höhepunkt der Auflagenstärke überschritten. In den folgenden Jahren wurde das Internet zum größten Feind der Print-Tageszeitungen, denn es war rund um die Uhr aktuell. Der Kleinanzeigenmarkt brach ein, nachdem seit 1994 Amazon und seit 1995 Ebay mit viel günstigeren und gleichzeitig einfacheren Methoden Kunden an sich banden. Auch der Stellenmarkt wurde immer dünner: Es gab zeitweise praktisch keine Stellenanzeigen mehr. Das Arbeitsamt und die Wirtschaft waren ebenfalls digitalisiert worden und konnten offene Stellen im Internet anbieten.

Hatte man Ende der 1990er Jahre noch überlegt, in welche Richtung sich die Zeitung weiter entwickeln sollte: mit regionalem und lokalem Schwerpunkt oder eher konzentriert auf überregionale, nationale und internationale Nachrichten, war es jetzt beschlossene Sache: Man würde das Lokale weiter konzentrieren, dafür Regionalseiten einführen, denen die Lokalredaktionen zuarbeiten mussten, und sich ansonsten auf die „großen“ Nachrichten konzentrieren, die über ohnehin abonnierte Nachrichtenagenturen zugeliefert wurden. Einzelne zentral beauftragte Reporter brachen einige Themen auf Regionalebene herunter oder kommentierten.

Foto: Rhein-Zeitung.de

1998 wurde Google gegründet. Die Suchmaschine zählte schon im Jahr 2000 mehr als eine Milliarde Seiten. Jetzt begann das unaufhaltsame Sinken der Auflagen. Schon in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends wurde öffentlich über die „Krise der Tageszeitungen“ diskutiert. Und das war erst der Anfang.

Im Jahr 2001 entwickelte die Redaktion der Rhein-Zeitung das erste E-Paper der Bundesrepublik Deutschland. Die Tageszeitung war damit im Original-Format ab dem Zeitpunkt der Drucklegung online abrufbar, was geradezu unglaublich aktuell war. 2004 ging Facebook an den Start. Es tötete das regionale Forum „Wer kennt wen“, das 2006 gegründet worden und zunächst extrem beliebt war, langsam, aber stetig und wurde über seine Gruppen zum Vermittler von lokalen und regionalen Nachrichten. 2005 ging Youtube an den Start und 2006 wurde Twitter gegründet. Diese Nachrichten-Plattform, das heutige X, kann als internationale, stets topaktuelle Nachrichtenquelle genutzt werden, wenn man dort ausschließlich Medien abonniert. Youtube liefert aktuelle Videos zu allem, was gerade in der Welt passiert .Damit wird es überflüssig, Geld für eine einzelne Tageszeitung auszugeben, wenn man über die Weltlage informiert sein will. 2010 folgte Instagram für IOS und 2012 für Android. Die Rhein-Zeitung versuchte, sich dieser Entwicklung zu stellen, indem sie damit begann, ihr Online-Angebot mit aktuellen Videos anzureichern, wofür extra Redakteure eingesetzt wurden.

42 Millionen Euro hatte der Verlag in das neue Druckhaus investiert, das im Mai 2012 groß eingeweiht wurde. Da lag die verkaufte Auflage der Rhein-Zeitung bei 202 340, davon 182 363 Abos. Die Redakteure mussten jetzt auch Konten auf Facebook und Twitter mit aktuellem Content befüllen. Dadurch stieg aber das Risiko, die Ausgabe des nächsten Tages durch Vorabmeldungen zu „verramschen“. Daher beschloss der Verlag, eine radikale Bezahlschranke einzurichten. Ab 4. November 2013 konnte niemand mehr ohne Bezahlung auf das digitale Angebot zugreifen. Das war und ist wesentlich krasser, als es viele andere Tageszeitungen bis heute halten. Sie bieten zumeist einen kostenfreien Teil und einen +Teil gegen Bezahlung an. Für die Rhein-Zeitung war es eine riskante Wette: Um zu reüssieren, musste sie ihre Abonnenten bei der Stange halten.

Foto: Rhein-Zeitung.de

1,5 Jahre nach Einführung der Bezahlschranke lag die verkaufte Auflage der Rhein-Zeitung bei 188 345 Ausgaben, davon 171 405 Abonnenten und 9 071 E-Paper-Leser. Heute, nach dem dritten Quartal 2023 und zehn Jahre nach Einführung der Bezahlschranke, liegt die verkaufte Auflage bei gerade noch 134 447 Stück, davon 17 999 e-Paper, 121 822 Abonnenten und 8 640 E-Paper-Abonnenten. Allein im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Verlust von 7,7 Prozent. Die 12 teuren Lokalredaktionen wurden noch einmal massiv eingeschmolzen, die Lokalnachrichten damit ebenfalls – mit dem Ergebnis, dass die meisten der 1 113 Kommunen im Verbreitungsgebiet Nachrichten aus ihrem Leben nicht einmal jeden zweiten Tag lesen können. Damit ist das einst so starke Alleinstellungsmerkmal dieser Tageszeitung nur noch marginal vorhanden. Informationen zu den vielen kleinen und größeren für Lokalredaktionen so undankbaren Terminen bekommen die einstigen treuen Leser heute beim Einkaufen, aus dem kostenlosen Anzeigen-Blatt, den Mitteilungsblättern ihrer Verwaltungen und über Facebook-Gruppen. Das lokale Angebot wirkt auf den ersten Blick groß, besteht aber de facto aus einzelnen Spotlights zu den jeweiligen Gebieten.

Mit dieser Entwicklung ist die Rhein-Zeitung nicht allein. Deutschlandweit liegen die Auflagenverluste der Tageszeitungen zwischen 5 und 10 Prozent, Tendenz weiter sinkend. Auch andere Regionalzeitungen haben ihre Lokalberichterstattung stark eingeschmolzen. Die Nachrichten-Seiten dieser Zeitungen sind aber durch das Internet parallel dazu obsolet geworden. Die Notwendigkeit, dass Redakteure für sie Nachrichten einordnen, ein Argument, das gern als Begründung dafür genutzt wird, weshalb man eine Tageszeitung abonnieren sollte, bestätigen immer weniger Leser. Das einzige Gebiet, auf dem sie unschlagbar waren, den lokalen Bereich, haben die Printmedien aus Kostengründen derart verschlankt, dass potentielle Leser nicht mehr erkennen, warum sie für so wenig Information und Service Abos für knapp 50 Euro im Monat abschließen sollen. Wenn sich nicht nachhaltig etwas ändert, etwa durch staatliche Förderung von Lokalzeitungen, werden die Tageszeitungen in absehbarer Zeit Geschichte sein.

Wer sich nicht durch den Zahlendschungel der IVW wühlen möchte, kann Details zu den Auflagen der deutschen Tageszeitungen und Zeitschriften auch gebündelt beim Meedia-Magazin nachlesen.

Beitragsbild: Mali Maeder, Pexels

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Siehe auch

Niedergang der Print-Medien: Kreativität in ganz neuen Strukturen notwendig

Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – das wird immer so sein mit zahlreichen weiteren Links

„Der Abend“ – Konzept einer digitalen Tageszeitung und eine Vision

Forbes-Liste 2023: Auch die Reichsten der Welt müssen kämpfen

Auch für die Milliardäre dieser Welt war 2023 kein einfaches Jahr. Die Hälfte von ihnen ist jetzt ärmer als zu Jahresbeginn, stellt die Forbes-Liste der reichsten Menschen weltweit fest.

Insgesamt zählt Forbes 2640 zehnstellige Vermögen weltweit, das sind 28 weniger als letztes Jahr. Alle Milliardäre der Welt halten zusammen ein Vermögen von 12,2 Billionen Dollar, das sind 500 Milliarden weniger als im März 2022. Die meisten Milliardäre leben nach wie vor in den USA. Die 735 Personen auf der Liste halten zusammen 4,5 Billionen Dollar. Mit 562 Milliardären folgt China (inclusive Hongkong und Macao), sie halten zusammen zwei Billionen Dollar. Es folgt Indien mit 169 Milliardären, die zusammen 675 Milliarden Dollar besitzen.

Insgesamt 254 Menschen fielen aus der Forbes-Liste heraus; einige davon verloren ihr Vermögen vollständig. Der Ukraine-Krieg, die Inflation, steigende Zinsen und das Platzen der Krypto-Blase forderten ihre Opfer. Sam Bankman-Fried (von 24 Milliarden auf weniger als 10 Millionen) und Kanye West (von zwei Milliarden auf etwa 499 Millionen) sind zwei besonders bekannte Opfer. Am härtesten getroffen wurde Big Tech: 52 Tycoone sahen ihr Vermögen auf unter eine Milliarde schrumpfen. 44 Personen aus der Welt der Banken und Investments und 35 aus dem produzierenden Gewerbe fielen komplett heraus. die meisten Milliardäre verlor mit 80 China, 47 verloren die USA und 15 Korea. 23 weitere Menschen, die zuvor auf der Liste waren, sind verstorben.

Auch Ex-Präsident Donald Trump hatte kein gutes Jahr: Sein Vermögen sank um 700 Millionen auf jetzt 2,5 Milliarden Dollar. Hauptgrund war der Flop seines Social Media-Versuches Truth Social. 100 000 neue Abonnenten im Monat sind den Investoren viel zu wenig. Haupteinnahmequelle Trumps sind nach wie vor Immobilien. Sein Manhattan-Portfolio hat einen Wert von 700 Millionen Dollar und ist um 300 Millionen gesunken. Ob diese Summe real ist, wird sich herausstellen, wenn sein Prozess wegen Falschangaben zum Wert seiner Immobilien abgeschlossen ist. Weitere Prozesse auf Basis seiner Steuererklärungen sind zu erwarten.

150 Menschen wurden neu in die Liste aufgenommen, darunter der Golfer Tiger Woods mit 1,1 Milliarden Dollar. Das Durchschnittalter der Milliardäre liegt bei 65 Jahren, wobei der älteste, der Versicherungs-Magnat George Joseph, 101 Jahre alt ist. 15 Personen auf der Liste sind 30 Jahre alt oder jünger. 337 Personen auf der Liste sind Frauen, zehn mehr als letztes Jahr. Die reichste Frau der Welt bleibt die französische L’Oréal-Erbin Françoise Bettencourt-Meyers mit einem Vermögen im Wert von 80,5 Milliarden Dollar.

Hier nun ein Blick auf den vorderen Teil der Forbes-Reichen-Liste und auch die darin enthaltenen deutschen Milliardäre.

Ganz vorn hat sich nicht viel geändert: Bernard Arnault, Chef eines Imperiums von 75 Kosmetik- und Modemarken, führt sie mit einem Vermögen von 211 Milliarden Dollar an. Zu seinen Marken gehören unter anderem Louis Vuitton und Sephora. Zweiter ist weiterhin Elon Musk, Chef von Tesla, Space X und twitter, das er in den unhandlichen Namen X umgetauft hat. Er ist rund 180 Milliarden schwer. Über ein Vermögen von 140 Milliarden verfügt auch nach seiner Scheidung noch Jeff Bezos, Gründer von Amazon. Larry Ellison, Gründer von Oracle besitzt immerhin noch satte 107, Warren Buffet, Chef des Investment-Unternehmens Berkshire Hathaway, folgt mit 105 und Bill Gates, Gründer von Microsoft, auch nach seiner Scheidung noch mit 104 Milliarden Dollar.

Carlos Slim Helú, der mexikanische Tele-Kommunikationsunternehmer und seine Familie, der vor einigen Jahren noch die Liste anführte, kommen auf 93 Milliarden Dollar (Platz 8); Larry Page, der Google-Gründer auf 79,2 (Platz 12). 64,4 Milliarden schwer ist Mark Zuckerberg, der Facebook-Gründer. Er belegt Platz 16 der Liste. Platz 23 mit 50,1 Milliarden nimmt Charles Dell vom gleichnamigen Unternehmen ein. Auf Platz 27 findet sich der reichste Deutsche, Michael Schwarz mit 42,9 Milliarden (u.a. Kaufland und Lidl). Klaus-Michael Kühne von Kühne&Nagel (Schweiz) liegt mit 39,1 Milliarden Dollar auf Platz 29. Jacqueline und John Mars vom gleichnamigen US-Unternehmen verfügen über jeweils 38,3 Milliarden Dollar und teilen sich damit Platz 31. Mark Mateschitz, Sohn des Mitgründers von Red Bull (Schweiz) hat ein Vermögen im Wert von 34,7 Milliarden Dollar und liegt damit auf Platz 37 der Liste.

Die Brüder Alain und Gérard Wertheimer teilen sich die französische Modemarke Chanel mit je 31,6 Milliarden Dollar und damit Platz 41. Auf Platz 46 liegt der Deutsche Reinhold Würth mit dem gleichnamigen Unternehmen im Wert von 29,7 Milliarden. Die reichste deutsche Frau ist weiterhin Susanne Klatten (BMW) mit 27,4 Milliarden Dollar und Platz 51. Ihr Bruder Stefan Quandt folgt ihr auf Platz 59 mit 24.6 Milliarden. Weit dahinter, auf Platz 101 liegen Theo Albrecht jr. und Familie (Aldi) mit einem Vermögen im Wert von 16,5 Milliarden Dollar. Albrechts Schwester, Beate Heister, teilt sich den Platz mit ihm mit einem Vermögen in gleicher Höhe.

Ray Dalio, Gründer des US-Investment Fonds Bridgewater Associates, ist mit 19,1 Milliarden Dollar auf Platz 83; Lakshmi Mittal, Chef des indischen Stahlunternehmens, hat ein Vermögen von 17,7 Milliarden Dollar (Platz 93). Rupert Murdoch, der US-Medienmogul, verfügt über ein Vermögen von 17,1 Milliarden Dollar und liegt damit auf Platz 99 der Forbes-Liste. Die beiden deutschen Zwillingsbrüder Andreas und Thomas Stringmann sind als Finanziers des Mainzer Unternehmens BionTech reich geworden und liegen mit einem Vermögen von je 11,5 Milliarden Dollar auf Platz 148.

Giorgio Armani, der italienische Modemacher, ist 11,1 Milliarden schwer und liegt damit auf Platz 157. Georg Schaeffler, dem zusammen mit seiner Mutter die deutsche Unternehmensgruppe Schaeffler (Automotive) gehört, teilt sich mit 10,1 Milliarden Platz 171 mit Christy Walton (Walmart). Mit seiner Firmengruppe, die Software und Unternehmens-Service anbietet, erreicht der Deutsche Friedhelm Loh Platz 190 (9,7 Milliarden). Alexander Otto von der deutschen Otto Group liegt mit 9 Milliarden Dollar auf Platz 215. Michael Otto, Sohn des Firmengründers Werner, kommt mit 8,7 Milliarden Dollar auf Platz 230. Der Deutsche Hasso Plattner (IBM) steht mit 8,6 Milliarden Dollar auf Platz 232. Die Deutsche Françine von Finck und ihre Kinder haben von ihrem Ehemann (Investments) 8,3 Milliarden Dollar geerbt und liegen damit auf Platz 246 der Forbes-Liste. Der Industrielle Heinz Hermann Thiele vererbte 2021 seiner Ehefrau Nadja ein Vermögen von 6,6 Milliarden Dollar. Damit belegt sie Platz 383 der Liste.

Die Forbes-Liste der reichsten Menschen der Welt wird täglich aktuell gehalten und verändert sich ständig.

Alle Fotos: Forbes