Schlagwort: Tod

Wenn die Stunde schlägt: Gudrun ist tot…

Ich traf sie regelmäßig im Thermalbad Traben-Trarbach, dessen außergewöhnlich warmes Wasser bei chronischem Schmerzen heilend wirkt. Dorthin kam Gudrun immer mit ihrer Schwester Wilma. Wilma fährt trotz ihrer 87 Jahre zackig Auto: Einmal wären wir uns fast die die Haare geraten, weil sie mir ruck-zuck den letzten Parkplatz weggeschnappt hatte.

Gudrun und Wilma machten Wassergymastik bei der Rheuma-Liga und nahmen jeden Montag an ihrem Kurs teil. Gudrun fiel mir sofort ins Auge: Klein, gedrungen, rund um den Kopf abgeschnittene glatte Haare, die auch mit 85 noch nicht weiß waren, unter dem Pony wache, lebendige Augen. „Wir sagen doch du“, lachte sie  verschmitzt nach dem zweiten Gespräch, in dem wir ausführlich über altes Leinen geredet hatten. Fortan standen wir regelmäßig nach dem Ende des Gruppentrainings am Beckenrand, wo ich Gudruns und Wilmas Erzählungen folgte.

Echte Hunsrückerinnen, wie es heute nicht mehr viele gibt, sind die beiden. Wie die Frauen im Dorf meiner Kindheit arbeiten sie lebenslang viel und mit Freude, wahren die Traditionen, haben einen scharfen Blick auf das Zeitgeschehen und einen trockenen, manchmal bissigen Humor. In ihrer Jugend arbeiteten die Schwestern in den Steillagen der Mosel-Weinberge. Über den Weinbau lernten sie ihre Männer kennen, denen sie bis zuletzt von Herzen zugetan waren. „Mein Mann ist vor zehn Jahren an Krebs gestorben,“ berichtete Gudrun. Wilma nickte: Ihrer auch.

„Im Jahr bevor mein Mann starb, haben wir im Wald noch 30 Meter Eichen-Brennholz gemacht. Die meisten mögen ja keine Eiche wegen der unebenen Rinde – aber wir fanden sie toll. Wir haben alle Arbeiten gemeinsam  erledigt, uns daran erfreut, dass wir zusammen sein konnten. So war es  immer schön,“ schwärmte Gudrun. Bis jetzt reichten die 30 Raummeter, nun sind sie so gut wie verbraucht. Der Ehemann hatte eine Holz-Schneide- und Transportmaschine gebaut, die seiner Gudrun das Brennholz fertig zur Verwendung direkt an die Haustür brachte. Darauf war sie stolz: „Er konnte alles, mein Mann,“ pflegte sie zu sagen, und die dunklen Augen blitzen. „Ich habe den Kindern gesagt: Wozu braucht ihr eine Zentralheizung? Praktischer als so geht es doch gar nicht“…

Mit ausgeprägtem weißem Hautkrebs an den Unterarmen kämpften beide Schwestern. „Das ist von den Jahren in Wingert,“ sagte Wilma, und Gudrun pflichtete bei. Mit  75 und 77 Jahren haben sie die harte Arbeit dort eingestellt. „Aber mir brennt immer noch das Herz, wenn es an der Zeit ist; ich würde am liebsten wieder mitmachen,“ pflegte Gudrun zu sagen – und Wilma nickte.  Gudrun besiegte die tückische Krankheit Lymphdrüsenkrebs, überstand die Chemo, behielt ihre Lebensfreude und machte fleißig Gymnastik im Wasser des Thermalbades und der Turnhalle ihres Heimatortes – auch da natürlich zusammen mit Wilma. 

Von der Trockengymnastik gingen sie letzten Mittwoch um 14.30 Uhr gemeinsam nach Hause: Wilma wohnt nur einen Kilometer von Gudrun entfernt. Zwei Stunden später ein Anruf: Gudrun, in höchster Not, bat Wilma,  sofort zu kommen. Vor Bauchschmerzen schreiend brachte sie der  Rettungsdienst ins Krankenhaus:  Die Bauchaorta war verstopft. Im Krankenhaus folgte der tödliche Herzschlag: Infarkt von Vorder- und Hinterwand. Zwei Stunden nach der Einlieferung war Gudrun tot.

Einfach so. 

Gestern traf ich Wilma im Thermalbad. Noch zerbrechlicher als vorher, noch schmaler das Gesicht.

„Gudrun ist tot. Gut dass wir nicht vorher wissen, wann es passieren wird,“ sagte sie, und rund um die blassen Wangenknochen formten sich rote Flecken. 

Unter Glas seh‘ ich die Ander’n durch ihr buntes Leben wandern…

 

nicht mehr jung, eher schon alt

nicht mehr warm – nein, bald schon kalt

nicht gehasst, auch nicht geliebt

nichts mehr da, was mich einst trieb

*

nur das herz, es brennt noch immer

ohne hoffnung – nein, noch schlimmer

voller sehnsucht, voller trauer

nichts im leben war von dauer

*

unter glas seh‘ ich die ander’n

durch ihr buntes leben wandern

nur der schmerz, der niemals ging

zeigt mir heute, dass ich bin

*

so erschöpft von all dem warten

auf den einlass in den garten

*

werde, herz, doch endlich leis‘

ich will heim zum großen geist

Ein Haus im Himmel, ein Garten im Meer … eine Stimme verstummt …

Ein Haus im Himmel

ein Garten im Meer

in der Brust eine Lerche

Aufbruch in ein neues Leben

*

Sehnsucht nach den Sternen

ein Vogel-Herz schlägt

dein Bett eine Insel

Sonnenuntergang

*

Zeit und Stille

Schreie und Lieder

Himmel und Küsse

eine Stimme verstummt

*

Geboren aus deinem Lachen

aufgewachsen in deinen Tränen

Leben in deinem Schatten

sterben in deinen Armen

*

Zeit und Stille

Schreie und Lieder

Himmel und Küsse

eine Stimme ist verstummt

*

Ein Haus im Himmel

ein Garten im Meer

in der Brust eine Lerche

Aufbruch in ein neues Leben

*

Sehnsucht nach den Sternen

ein Vogel-Herz schlägt

dein Bett eine Insel

Sonnenuntergang

*

Zeit und Stille

Schreie und Lieder

Himmel und Küsse

eine Stimme ist verstummt

*

eine Stimme ist verstummt

eine Stimme ist verstummt….

Bestattung alternativ: Durch’s Feuer gehen, im Ruheforst bleiben dürfen

Es dauert nur Sekunden: Die schwere Tür hebt sich und gibt den Blick auf einen großen, rundum glühenden Ofen frei. Geräuschlos wird der Sarg hineingeschoben. Von oben kommt Sauerstoff hinzu, Flammen schießen herab und umhüllen das Behältnis mit dem toten Körper. Ein Fauchen – und schon schließt sich die Tür wieder. Der Rest ist Kopfkino.

Vier Verbrennungsöfen gibt es im Rhein-Taunus-Krematorium Dachsenhausen, der fünfte ist in Planung. Alle sind nach hoch modernen Erkenntnissen gebaut, und alle sind rund um die Uhr in Betrieb: Feuerbestattung hat Konjunktur. „Streichen Sie den Satz ‚Ich lasse mich später verbrennen‘ aus Ihrem Wortschatz. Wählen Sie zwischen Körperbestattung und Feuerbestattung. Beides ist gleich würdevoll und hat nichts mit den Erinnerungen der Kriegsgeneration zu tun,“ sagt Olaf Erdmann, Kundenberater des privaten Krematoriums, das nach eigener Aussage das größte Deutschlands ist. Er leitet an diesem Wochenende gleich mehrere Führungen Interessierter durch die verschiedenen Gebäude des Unternehmens  hoch über dem Tal der Loreley.

Obwohl laut Erdmann hier rund 60 Mitarbeiter beschäftigt sind, davon mindestens fünf pro Schicht direkt im technischen Bereich, ist keiner von ihnen zu sehen. Alles scheint vollautomatisch zu laufen. Manchmal meint man, einen leichten Rauchgeruch wahrzunehmen – aber eher wie von einem Holzfeuer. Ansonsten sieht man lange Gänge, verzinkte Abluftschächte, blaue Deckel, eine Menge roter und schwarzer Regelungsventile, Metallgitter-Treppen, helle Kacheln. Zu hören ist ein Brummen und Fauchen – im obersten Raum fast gar nicht, in den Etagen drunter teilweise sehr laut.

Bestatter können Verstorbene zu jeder Tages- und Nachtzeit anliefern und in einem der Kühlräume unterbringen, bis die vorgeschriebene zweite amtsärztliche Leichenschau erfolgt ist, die zwingend jeder Einäscherung vorausgehen muss. Bevor ein Mensch nicht mindestens 48 Stunden nachweislich tot ist, darf er weder beerdigt, noch verbrannt werden. Dann geht es der Reihe nach: Etwa alle drei Stunden öffnet sich die Ofentür, um den nächsten Sarg aufzunehmen.

Eine Feuerbestattung läuft in Dachsenhausen in drei Etappen ab, während derer die Temperatur von 800 zuerst auf 100, dann auf 1200 Grad erhöht wird. Aschereste des Sarges werden zwischendurch abgesaugt. Am Ende bleibt ein merkwürdig klein anmutender Haufen zerbrochener, poröser Knochen übrig, die einen weiteren, automatisierten Weg durchlaufen: Sie werden fein gemahlen. Medizinischer Stahl, etwa von künstlichen Gelenken, wird mittels Magneten entfernt. Edelmetalle könnte man aussieben. Hier hat sich das Unternehmen jedoch verpflichtet, nicht tätig zu werden: „Wir lassen das Gold bei der Asche,“ sagt Olaf Erdmann. „Das geht ganz einfach, indem wir die entsprechenden Siebe entfernen. Stehlen kann es auch niemand: Der gesamte Ablauf der Einäscherung wird mit Kameras überwacht.“

Man sieht die Kameras nicht – man sieht im „Aschekasten“ voller Knochen auch kein Edelmetall – jedenfalls nicht auf den ersten Blick und mit bloßem Auge. Die Knochenmenge ist ganz unterschiedlich – je nach Konstitution der jeweiligen Verstorbenen. Zuordnen kann man diese Überreste nur noch mit Hilfe eines kleinen runden Schamott-Steines, der zu Beginn des Prozesses in den Sarg gelegt wird: Er ist numeriert, und diese Nummer ist registriert. Der Stein wird mit der Asche in die Urne gegeben – so ist theoretisch immer eine Identifikation möglich.

Das Rhein-Taunus-Krematorium bietet einen Rundum-Service: Wer möchte, kann seine Trauerfeier direkt hier abhalten, und zwar nach dem Ritus, der gerade gewünscht wird. Wer das möchte, kann sofort anschließend die Urne auch beerdigen: Entweder namenlos auf einer Wiese – mit Namensschild an einer Stele auf einem Blumenfeld, oder in einem Ruheforst. Das Büro der deutschen Friedhofsgesellschaft, einer Tochtergesellschaft des Krematoriums, bei der auch Olaf Erdmann angestellt ist, liegt direkt auf dem Gelände. Die Gesellschaft verwaltet 15 private Friedhöfe, darunter auch Ruheforste. Rein theoretisch wäre es also möglich, einen Verstorbenen drei Tage nach seinem Tod eingeäschert und beerdigt zu haben.

In der Praxis sieht es nicht ganz so aus: Es gibt Menschen, die es nicht über sich bringen, die Überreste ihrer geliebten Toten in die Erde zu geben. Für sie steht im Krematorium ein Raum der Stille bereit. Bis zu einem Jahr darf die Urne hier in einer Urnenwand bleiben. Die Angehörigen bekommen einen Schlüssel und können zu jeder Tages- oder Nachtzeit kommen, um letzte Zwiesprache zu halten. Danach jedoch muss die Urne in die Erde – so verlangt es das deutsche Recht. Wer sie auf dem Gelände des Krematoriums betten will, kauft eine maximale Ruhezeit von 15 Jahren, die nicht verlängerbar ist. „Danach holen wir die Behälter aus dem Boden und bringen sie zum benachbarten alten Waldfriedhof. Dort wird die Asche samt Schamottstein in ein Sammelgrab gegeben, danach wird die Urne entsorgt,“ sagt Olaf Erdmann.

Wer das Sammelgrab verhindern will, kann andere Wege beschreiten: Sogenannte Bio-Urnen bestehen beispielsweise aus Mais. Sie lösen sich im Boden innerhalb relativ kurzer Zeit vollständig auf und geben dem Knochenmehl den Raum, sich wieder mit der Natur zu verbinden. Besonders schön kann dieser Vorgang in einem Ruheforst sein.

Zum Beispiel in Beulich, auf der anderen Rhein-Seite: Gleich hinter dem Sportplatz geht es zu einem Parkplatz, von dort hinunter in einen naturbelassenen Mischwald an einem sanften Hang über dem Baybachtal. Moos, Pilze unter den Bäumen, Vogelgesang – eine friedvolle, erholsame Stimmung herrscht hier zwischen den Bäumen verschiedensten Alters. Rustikale Holzbänke laden zum Verweilen ein. Hier ist man der Schöpfung nah, kann zu sich kommen. Man erwirbt einen Platz an einem Baum, der sich anhand der Dicke des Stammes und der Zahl der dort ebenfalls Beerdigten berechnet. Dort kann die Urne bleiben, solange der Friedhof als solcher gewidmet ist. Eine schöne Vorstellung des natürlichen Kreislaufs, die an die Geschichte des Herrn von Ribbeck erinnert, aus dessen Grab der berühmte Birnbaum wuchs.

Auch im Ruheforst Beulich darf Jeder seine Trauerfeier gestalten, wie er es für richtig hält: Mit oder ohne Geistlichen, nach den Riten der verschiedenen Weltreligionen oder auch völlig frei. Es gibt einen Platz mit Sitzbänken rund um ein kleines Zentrum, das ein schlichtes Kreuz, gehauen in den Stamm eines toten Baumes ziert. Die Gräber selbst sind nicht gekennzeichnet – hier und da sieht man kleine Grüße der Angehörigen in Form von frischen Blumen, Zweigen oder kleinen Figuren. Wer möchte, kann ein kleines Namensschild seines Verstorbenen an einen Baum nageln lassen. Es ist ein ruhiger, ein beruhigender friedvoller Ort mit viel Würde, den man durchaus Heimat nennen und besuchen kann, wann immer man möchte.

Auch im Garten des Rhein-Taunus-Krematoriums gibt es einen stets zugänglichen Platz zum Trauern. Umgeben von Sitzbänken ist ein sogenanntes Rondell, auf dem Hinterbliebene Zeichen der Liebe ablegen können. Es ist mehr als voll: Für die meisten Menschen ist ein Ort des Trauerns unverzichtbar, das wird auf dem mit Engeln, Fotos und Sprüchen überhäuften engen Raum mehr als deutlich.

Raum der Toten verlassen

Eines können Trauernde in Deutschland auf legalem Weg niemals bekommen – auch nicht, wenn sie etwa Hindus sind und einen zweiten Teil des Rituals in Indien durchführen wollen: Sie bekommen weder Knochen, noch Asche persönlich ausgehändigt. „Das ist verboten, und wir halten uns hier an Recht und Gesetz,“ betont Olaf Erdmann. Im übrigen könne er auch nicht empfehlen, etwa, wie es in anderen Ländern möglich ist, die Urne eines Verstorbenen auf den Kaminsims zu stellen. „Es gibt einen Raum der Lebenden und einen der Toten. Man sollte die Möglichkeit haben, den Raum der Toten auch verlassen zu können.“

Genauso sieht das Bestatter Franzwerner Junker aus Boppard. Es könne zu einer großen Belastung werden, die Asche eines Verstorbenen aufzubewahren, oder sich etwa, wie das in unseren europäischen Nachbarländern möglich ist, einen Diamanten daraus machen zu lassen. „Was passiert, wenn Sie einen neuen Lebenspartner finden, oder wenn Sie dann selbst sterben? Parken Sie die Urne dann im Keller? Oder geben Sie sie in den Hausmüll, wie ich das in den USA gesehen habe?“

Berechtigte Einwände, in der Tat.

Auch in einer anderen Frage stimmen die beiden Männer überein: Fragen Sie nicht den Bestatter, was Sie nach de Tod Ihres Angehörigen tun müssen, sondern sagen Sie ihm, was Sie sich wünschen. Angemessen Abschied zu nehmen ist für die Seele der Hinterbliebenen von großer Bedeutung. Dazu kann gehören, das tote Familienmitglied erst einmal zuhause zu waschen, anzukleiden und aufzubahren. „Jeder Verstorbene darf bis zu 36 Stunden zuhause bleiben, darauf dürfen Sie bestehen,“ sagt Franzwerner Junker. Man kann sogar einen Menschen, der im Krankenhaus gestorben ist, erst noch einmal heimbringen, bevor er bestattet wird. Transportiert werden dürfen Verstorbene allerdings nur per Bestatter.

„Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wie es ist, einen Menschen nach seinem Tod zu waschen, zu kleiden und für den Sarg herzurichten, weiß, wieviel Dank er von der Seele zurück bekommt, berichtet Junker. Er selbst nehme immer wieder wahr, dass sich die Atmosphäre im Raum spürbar entspanne, wenn der Tote achtsam und würdig behandelt werde und rate deshalb Angehörigen, sich dieser Erfahrung nicht zu berauben. Man könne sich auch beim Bestatter einfinden und unter dessen Anleitung arbeiten. Angst vor irgendwelchen Giften müsse man nicht haben: „Das Gerücht vom Leichengift gehört ins Reich der Legenden. Jeder Tote, der nicht an einer ansteckenden Krankheit gelitten hat, darf angefasst, umarmt und geküsst werden. Machen Sie sich im Umgang mit einem Verstorbenen immer eines bewusst: Es handelt sich um die höchste Form von Hilflosigkeit, der ein Mensch ausgesetzt sein kann. Sein Recht auf Würde hat er damit aber nicht verloren – im Gegenteil. Wenn Sie Ihr Handeln danach ausrichten, können Sie nichts falsch machen.“

Man muss auch nicht ständig befürchten, im Umgang mit Verstorbenen gegen geltendes Recht zu verstoßen. „Das Bestattungsgesetz ist kurz, die Liste der Verbote noch kürzer. Und alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt,“ betont Franzwerner Junker – nicht ohne den Hinweis, dass auch Bestatter Menschen sind. „Es mag sein, dass man Sie drängen will, Ihren Toten möglichst schnell zu übergeben, damit er dann in einer Leichenhalle aufgebahrt werden kann. Wenn Sie spüren, dass Ihnen das nicht gut tut, wehren Sie sich und sagen Sie, was Sie sich wünschen. Fürchten Sie nicht eine zu schnelle Zersetzung – da passiert in den erlaubten 36 Stunden relativ wenig – außerdem kann man Kühlgeräte aufstellen. Sehen Sie den Bestatter als Ihren Partner, der Ihnen eine würdige Form des Abschieds ermöglichen kann.“

Es gibt Menschen, die Jahrzehnte vor ihrem Ableben ihre Beerdigung geplant haben: Von der Kleidung, die sie im Sarg tragen wollen, über die Lieder, die gesungen werden sollen, bis hin zum Wortlaut der Todesanzeige. Aber das sind wenige. Immer wieder hört man Geschichten, wie beispielsweise die vom plötzlichen Tod eines langjährigen Ehepartners, der innerhalb weniger Stunden vom Bestatter außer Haus gebracht wird.  Eine traumatisierte zweite Hälfte, die noch am Morgen nichts geahnt hatte, muss den Abend und die Nacht des selben, sowie aller folgenden Tage allein am Tisch, auf dem Sofa und im Ehebett verbringen, ohne überhaupt verstanden zu haben, was genau passiert ist. Ohne Möglichkeit, den Tod des geliebten Menschen zu be-greifen, bis die Seele des Zurückbleibenden bereit ist, ihn gehen zu lassen, kann schwerer seelischer Schaden entstehen.

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Später dann ärgert man sich auf dem Friedhof vielleicht über „aufmerksame“ Mitmenschen, die meinen, jeden (nicht getanen) Handschlag an Nachbargräbern kommentieren, bzw. rügen zu müssen. Kommunale Friedhofsordnungen können schonmal für Aufsehen sorgen; etwa wenn Trauernde sich bei der Gestaltung von Grabsteinen nicht an das halten, was in den Regeln festgelegt ist. Schwierig kann es auch werden, wenn der Verstorbene kein Mitglied einer christlichen Kirche mehr ist. Auf welchem Friedhof kann er beigesetzt werden? Wie kann man auch ohne Geistlichen ein würdiges Abschiedsritual halten? Und dann noch die Kosten: Bestatter, Grabstelle, Trauerfeier mit Imbiss, Grabstein, Liegezeit, Einebnung, Entsorgung des Grabsteines…

All diesen Fragen und vielen weiteren lässt sich im Vorfeld begegnen. Dann lösen sich viele möglicherweise bestehenden Ängste in Wohlgefallen auf; wir können, wenn ein Angehöriger in den Sterbeprozess geht, das tun, was am wichtigsten ist: Mit eineingeschränkter Aufmerksamkeit an seiner Seite sein und in Liebe Abschied nehmen.

Was muss ich jetzt tun, was darf ich, bzw. was nicht? Ein Blick ins Gesetz hilft sehr schnell weiter: Man darf eine ganze Menge und sollte sich auf keinen Fall unter Zeitdruck setzen lassen.

Was sagt das Gesetz?

Das Bestattungsgesetz ist in Deutschland Ländersache. Es gibt jedoch vergleichsweise wenig Unterschiede zwischen den Bundesländern.  Allen gemeinsam ist die Kernaussage: Es herrscht im Gegensatz zu unseren europäischen Nachbarn Bestattungs-PFLICHT.  Damit sind Städte und Gemeinden verpflichtet, entsprechende Friedhöfe samt Infrastruktur vorzuhalten. In den Ländergesetzen, hier am Beispiel Rheinland-Pfalz betrachtet, gibt es einige wenige relevante Passagen, die man sich leicht merken kann:

  • Die Würde des Toten und das sittliche Empfinden der Allgemeinheit sind zu achten.
  • Jede Leiche muss bestattet werden. Auf ein tot geborenes oder in der Geburt verstorbenes Kind finden die Bestimmungen dieses Gesetzes entsprechende Anwendung, wenn das Gewicht des Kindes mindestens 500 Gramm beträgt. Beträgt das Gewicht weniger als 500 Gramm (Fehlgeburt), so ist eine Bestattung zu genehmigen, wenn ein Elternteil dies beantragt.
  • Für Ort, Art und Durchführung der Bestattung ist der Wille des Verstorbenen maßgebend, soweit gesetzliche Bestimmungen oder zwingende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Bei Verstorbenen, die geschäftsunfähig waren oder das 14. Lebensjahr nicht vollendet hatten oder deren Wille nicht bekannt ist, ist der Wille der nach … Verantwortlichen maßgebend.

Für die Erfüllung der aufgrund dieses Gesetzes bestehenden Verpflichtungen ist der Erbe verantwortlich. Soweit ein Erbe nicht rechtzeitig zu ermitteln ist oder aus anderen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig in Anspruch genommen werden kann, sind die folgenden Personen in der angegebenen Reihenfolge verantwortlich, sofern sie voll geschäftsfähig sind:

1. der Ehegatte oder Lebenspartner,

2. die Kinder,

3. die Eltern,

4. der sonstige Sorgeberechtigte,

5. die Geschwister,

6. die Großeltern,

7. die Enkelkinder.

Wer einen Toten auffindet oder beim Eintritt des Todes anwesend ist, hat unverzüglich eine der verantwortlichen Personen oder die Polizei zu benachrichtigen. Vom Auffinden von Körperteilen ist die Polizei unverzüglich zu unterrichten.

Tod, Todeszeitpunkt, Todesart und Todesursache werden von einem Arzt festgestellt (Leichenschau).

  • Jeder erreichbare niedergelassene Arzt ist verpflichtet, die Leichenschau unverzüglich vorzunehmen sowie die Todesbescheinigung auszustellen und auszuhändigen. Das selbe gilt für Ärzte von Krankenhäusern und vergleichbaren Einrichtungen für die dort Verstorbenen. Erfolgt die Feststellung des Todes durch einen Arzt während eines Einsatzes im Rettungsdienst oder im Notfalldienst, so ist dieser nur zur Ausstellung und Aushändigung einer vorläufigen Todesbescheinigung verpflichtet.
  • Bestehen Anhaltspunkte für einen nicht natürlichen Tod, hat der Arzt sofort die Polizei zu verständigen. Er soll dafür sorgen, dass an der Leiche und deren Umgebung bis zum Eintreffen der Polizei keine Veränderungen vorgenommen werden.
  • Der Verantwortliche  hat die Leichenschau unverzüglich zu veranlassen; dies gilt auch dann, wenn eine vorläufige Todesbescheinigung ausgestellt worden ist. Tritt der Tod in einem Betrieb, einem Heim, einer Schule, einer Anstalt, einem Krankenhaus oder einer vergleichbaren Einrichtung ein, veranlasst der Leiter oder Inhaber dieser Einrichtung die Leichenschau.
  • Leichen sind nach Abschluss der Leichenschau unverzüglich einzusargen. Während der Überführung und während der Bestattungsfeier sowie außerhalb von Leichenhallen ist der Sarg geschlossen zu halten. Die örtliche Ordnungsbehörde kann Ausnahmen zulassen.

Eine Leiche ist nach Ausstellung der Todesbescheinigung in eine Leichenhalle zu überführen, sofern nicht eine Überführung in eine andere Einrichtung zur Durchführung einer richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Leichenschau, ärztlicher Maßnahmen oder wissenschaftlicher Untersuchungen erfolgt (…)  Die Überführung muss spätestens 36 Stunden nach Eintritt des Todes beginnen.

  • Zur Überführung von Leichen im Straßenverkehr dürfen nur hierfür besonders ausgestattete Leichenfahrzeuge verwendet werden.
  • Eine Leiche darf frühestens 48 Stunden nach Eintritt des Todes bestattet werden. Die Erdbestattung oder Einäscherung muss innerhalb von sieben Tagen nach Eintritt des Todes erfolgen.

Zuwiderhandlungen werden als Ordnungswidrigkeiten mit Geldbußen bis 1000 Euro belegt.

Was kostet ein Todesfall?

Einen ersten Überblick kann man beispielsweise bei bestattungen.de finden. Um sicher zu gehen, dass die gewünschte Form der Bestattung auch finanzierbar ist, kann man mit dem Bestatter seiner Wahl einen Vorsorgevertrag abschließen. Dabei wird die voraussichtlich benötigte Summe Geldes plus zu erwartende Teuerungen hinterlegt. Um sich vor einer möglichen Insolvenz oder Geschäftsschließung des Bestatters abzusichern, nutzt man ein Treuhandkonto. Da die gesetzlichen Krankenkassen kein Sterbegeld mehr zahlen, kann man auch eine sogenannte Sterbeversicherung abschließen. Der Beitrag ist vergleichsweise niedrig, weil die Summe zweckbestimmt ist und nur im Todesfall ausgezahlt wird. Eine Bestattungsverfügung, die genau festlegt, was mit den eigenen sterblichen Überresten geschehen soll, kann man ins notarielle Testament aufnehmen, beim gewählten Bestattungsunternehmen oder an einem gut auffindbaren Ort zuhause hinterlegen. Mehr Details gibt es beispielsweise bei bestattungsplanung.de. Eine solche Verfügung entlastet die Angehörigen und stellt sicher, dass unerwünschte Rituale entfallen, erwünschte aber durchgeführt werden.

Weiterführende Links: 

Studie: Traditionelle Bestattungen werden immer unbeliebter

Bundesverband Deutscher Bestatter

Ratgeber Sozialbestattung

Feuerbestattung

Geschichte der Feuerbestattung und mehr

Naturbestattungsort suchen

Rhein-Taunus-Krematorium

Info-Film Rhein-Taunus-Krematorium: Ablauf Feuerbestattung

Deutsche Friedhofsgesellschaft

Dachsenhausen: Krematorien stehen in hartem Wettbewerb

Am Ende bleiben Rauch, Asche und Zahngold

Update: Bremen erlaubt Bestattung der Asche im eigenen Garten

Update: Zu Besuch im Tierhimmel

Update: Das sind die neuen letzten Ruhestätten

Wolfsnatur und Pantherherz – eine schamanische Reise zur Dualseele

Unter schamanischen Reisen versteht man eine Trance, hervorgerufen durch einen monotonen Rhythmus, wie etwa den einer Trommel, oder auch durch Tanz. Diese Art der Seelenschau wird rund um den Globus von Naturvölkern praktiziert. Es gibt darunter, etwa in Mittel- und Südamerika, auch Völker, die „natürliche Drogen“ nutzen, um in einen bewusstseinserweiterten Trancezustand zu gelangen.  Solche Drogen sind jedoch keineswegs notwendig, um eine Bilderreise in die Welt der eigenen Seele zu machen, deren Wünsche und Ziele zu erkennen und gegebenenfalls Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Die erlebten Bilder sind nur in Einzelfällen auch eine Zukunftsschau. Zumeist handelt es sich um Seelenthemen, die sich mit Hilfe von Symbolen einen Zugang ins Wachbewusstsein bahnen und dem „Reisenden“ damit ein Stück Klarheit über sich selbst verschaffen.

 *

Als der  Gebieter über sein Reich blickt, ist sein Herz voller Stolz.  Hohe Berge und kristallklare Seen in stillen Wäldern gehören dazu; tropische Vegetation beherrscht die  tieferen Lagen, wo auch sein Palast steht. Er schaut aus dessen Fenster auf sein Volk, das fruchtbares Land bearbeitet und sieht in der Ferne das weite Meer.

Fröhlich sind die Gesichter seiner Untertanen, seit der Kaiser beschlossen hat, seine Macht und sein Wissen mit ihnen zu teilen. Nun gibt es genügend frisches, reines Wasser, die Bauern nutzen einfache, aber durchdachte Anbaumethoden, und sogar frischer Fisch erreicht täglich den Palast. Wohlstand für alle hat der Herrscher bewirkt, und sein Volk dankt es ihm mit Ehrerbietung.

Der Gebieter ist noch immer ein schöner Mann. Machtvoll schauen dunkle Augen unter den dichten Brauen hervor – seine grau melierten Schläfen unterstreichen die Aura der Weisheit, die ihn umgibt – seit diesem Kampf. Er war ein furchtloser Krieger in jüngeren Jahren – zog zu Felde gegen alle Feinde seines Reiches und blieb siegreich – auch wenn an jenem Tag sein Leben nur noch an einem seidenen Faden gehangen hatte. Ein Krieger Gottes hatte ihn mit dem Schwerte geschlagen und todbringende Wunden am ganzen Körper beigebracht. In jener Nacht hatte der Kaiser Gott gesehen und dessen Auftrag gehört, der ihn zurück sandte auf Zeit, um gerechtes Teilen zu üben.  Obwohl er nie darüber sprach, geht seitdem ein Raunen durch sein Volk, wann immer er sich zeigt, und die Menschen lächeln ihn dankbar an.

Und doch … als er die weiten Ebenen betrachtet, die unter der goldenen Sonne von innen heraus zu leuchten scheinen, zieht sich die Stirn des Gebieters schmerzvoll zusammen. An manchen Tagen fehlt sie ihm sehr, die Gefährtin an seiner Seite. Die Frau, die ihm bedingungslos folgt, die Seele, die seine Seele und sein Werk versteht, ein  Verstand, der seinen erfasst, aber nicht bekämpft; eine Liebe, die ihn annimmt, wie er ist und das Misstrauen seiner Wolfsnatur, die gegen jede Form von Verrat – und sei sie auch noch so gering – mit tödlicher Härte vorgeht, mit ihrer Liebe heilt.

Unruhig durchmisst der Gebieter den großen Hauptraum des Palastes. Es muss etwas geschehen. Er wird eine Pilgerreise unternehmen zu dem weisen Mönch, der hoch oben in den Felsen lebt. Gleich morgen wird er gehen.

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Es ist ein knapper Tagesmarsch, erst langsam, dann steil bergan zu den Granitfelsen auf dem höchsten Berg seines Landes. Der Gebieter  ist gut zu Fuß, er hat seinen Körper als Gefäß  des großen Geistes stets in Ehren und in Form gehalten. Federnden Schrittes durchquert er den tropischen Wald auf schmalen Pfaden und freut sich dabei an der Vielfalt von Vegetation wie Tierwelt.

Dort wo die Luft langsam kühler und der Wald stiller wird, zweigt ein Pfad in rechtem Winkel von seinem Weg ab. An der Kreuzung bemerkt der Herrscher eine kupferne Statue der grünen Tara unter einem hölzernen Dächlein, davor liegen zahlreiche kleine Opfergaben und Dankesbotschaften.

Hier muss er sein, der Weg zu der weisen Frau, von dem ihm die jungen Geliebten, die er zeitweise zu seiner Zerstreuung in den Palast holt, immer wieder berichten. Sie sei Zuflucht der Rat suchenden Frauen, vernahm er – und verfüge über geheimnisvolle Kräfte und viele Gesichter. In einem plötzlichen Impuls  biegt der Gebieter ab und folgt dem bemoosten Pfad. Es wird still im Fichtenwald, der ihn nun umgibt, und er zieht seinen Umhang etwas dichter um die Schultern.

Nach wenigen Gehminuten erreicht er die kleine Hütte, die sich unter eine alte Fichte duckt.  „Komm herein“, sagt freundlich eine Stimme aus dem Innern – „aber lass dein Schuhwerk vor der Tür“.

Schmunzelnd gehorcht der Gebieter und tritt in den niedrigen Raum ein, für den er fast zu hoch gewachsen scheint. Drinnen bleibt er staunend stehen. Die kleine Frau, die da im Lotussitz auf einem Kissen vor dem Feuer sitzt, ist ganz in weiches, rötliches Leder gekleidet. Neben ihr liegen eine flache Schamanentrommel und ein Federwedel – im Halbdunkel hinter ihr scheint ein Waldkauz auf einer Stange zu schlafen.

„Suche dir einen Sitz aus“. Warme braune Augen schauen den Herrscher wissend an, ein Lächeln begrüßt ihn  freundlich, und er schaut etwas unschlüssig auf die drei zur Verfügung stehenden Sitzmöglichkeiten. Da sind ein Meditationskissen, ein halbhoher Schemel ohne Lehne und ein bequem gepolsterter Lehnstuhl.  Den würde er normalerweise nehmen – aber da er sich noch nicht zu erkennen geben, sich andererseits nicht auf gleiche Ebene mit der Unbekannten begeben will, nimmt er den Schemel.

„Von wo kommst du“ fragt deren freundliche Stimme nach einer angemessenen Wartezeit. „Aus einem Land der Einsamkeit“, antwortet der Gebieter, und in seiner Stimme schwingt unausgesprochener Schmerz. „Wohin gehst du?“  Der große, schlanke  Mann auf dem Schemel ist verwundert ob der Ansprache, antwortet aber wahrheitsgemäß: „Auf einen ungewissen Pfad“.

„Was suchst du?“  Er schaut die Frau vor sich nachdenklich an. Um ihre Gestalt scheinen sanfte Farben in verschiedenen Pastelltönen lebendig hin und her zu wabern. Unter seinem Blick verändert sich der ihre. Täuscht er sich – oder sind ihre Augen auf einmal smaragdgrün? Er meint, ein dunkles Grollen zu hören. Aber nein, nur der Kauz im Halbdunkel ist erwacht und hat einen scharfen Blick aus dem geöffneten rechten Auge auf die beiden geworfen.

Der Gebieter beschließt, von seiner Suche zu berichten. Aber zuvor wird er die Frau warnen. Niemand verrät den Herrscher dieses Landes, auch nicht eine weise Schamanin. Zollt sie ihm nicht den Respekt, der ihm gebührt, wird sie sterben.

„Ich bin der Gebieter dieses Landes“, beginnt er und wirft einen forschenden Blick in ihr Gesicht. Sie ist nicht mehr jung, aber sein geübtes Auge sieht: Noch ist ihre Schönheit nicht vergangen. „Jeden, der mich verrät, schlägt mein scharfes Schwert bis zum Tode.“

Ruhig wartet sie ab, scheint ungerührt.

„Ich habe alles, was ein Mann sich wünschen kann: Das schönste Land der Erde gehört mir – meine Untertanen sind satt, ehrerbietig und zufrieden. Meine Feinde sind vernichtet. Ich bin in den besten Jahren, es geht mir gut. Aber – ich bin allein. Ich brauche eine Gefährtin, ergeben, klug und feinfühlig. Sie soll mich lieben, verstehen und bedingungslos akzeptieren; kurz: Ich suche meine Zwillingsseele.“

So, jetzt ist es heraus. Feine Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, er fühlt sich fast lächerlich auf diesem unbequemen Schemel, von dem er auf dieses skurrile, unbekannte Weib herabschaut. Was ist nun das? Ihr Unterleib auf dem Kissen beginnt zu leuchten, wird heller, rötlich-orange, fast transparent. Er nimmt eine zusammengerollte Schlange darin wahr, deren Kopf sich langsam hebt. Höher und höher steigt die Schlange entlang der Wirbelsäule auf. Unvermittelt entfährt dem Gebieter ein Laut der Überraschung. Die Frau zu seinen Füßen schaut auf – misst ihn mit einem nun stechenden, wieder smaragdgrünen Blick….

Das Schweigen zwischen ihnen wird schwer, kaum noch erträglich, bis sie es endlich bricht. „Partnerschaft ist das Thema deines Lebens“ Gebieter, lächelt sie schließlich – nun wieder so warm und freundlich wie zu Beginn. Ihr Körper sitzt wie zuvor im Lotussitz auf dem Kissen, umschmeichelt von dem weichen, rötlichen Leder. Ihre nun wieder leuchtenden braunen Augen schauen im voll ins Gesicht.

„Geh zurück zu deinem Pfad. Du wirst deine Partnerin finden.“

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Die Sonne geht unter, als der Gebieter die in den Fels gehauene Wohnhöhle des Mönchs erreicht. Die Luft ist geschwängert vom Rauch der Kräuter. Der alte Mann ist beim Rezitieren vor dem Vajrasattva eingenickt, das glückliche Lächeln noch im Gesicht. Als er des Herrschers gewahr wird, bietet er ihm seine Matte an und reicht ihm kniend sein eigenes Mahl. „Nimm, mein Gebieter. Ich habe auf dich gewartet. Morgen werden wir reden.“

Sie verlieren keine weiteren Worte mehr. Der Kaiser nimmt Platz auf der Matte und betrachtet den Erleuchteten, auf dessen Statue sich der wechselnde Schein des Feuers spiegelt. Dann sinkt er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

In der Hütte im Fichtenwald starrt eine Frau mit wilden Augen in die Glut ihres Feuers. „Das ist er also. Nun wird das Schicksal seinen Lauf nehmen. Werde ich den Krieger lieben können? Wird er sich öffnen können?“

Der Kauz hinter ihr öffnet vor Schreck beide Augen gleichzeitig, als aus ihrer Kehle ein wildes Grollen dringt. Nicht nur ihre Augen sind es nun, die smaragdgrün  glimmen – nein, als sie sich fauchend vom Kissen auf den Boden rollt, wandelt sich der ganze Leib: Es ist eine  schwarze, herrlich glänzende, geschmeidige  Pantherdame, die mit aufgerichtetem Schwanz die Hütte auf leisen Sohlen verlässt und sich auf den Weg zur Höhle des Mönchs macht.

Das Feuer in der Höhle ist fast niedergebrannt. Noch immer schwingt der Duft der geräucherten Kräuter  im  Raum, in dem die beiden Männer schlafen: Der Gebieter auf der Matte des Mönchs vor dem Erleuchteten, der alte Mann auf einem Strohlager in der Ecke.

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Lautlos betritt der schwarze Schatten den Raum. Glühend grüne Augen mit riesigen, runden Pupillen mustern die beiden Schlafenden, der lange, schwarze Schwanz zuckt in großer Erregung. Der Panther tritt an das Lager des schlafenden Gebieters. „Wolf, komm heraus. Wir wollen es jetzt klären, einmal und für immer.“

Lautlos löst sich ein Schatten aus dem Körper des Kaisers. Gelb funkelnd die Augen, silbergrau das dichte Fell, hoch aufgerichtet die Rute, löst sich der Wolf vom Körper des Menschen und folgt dem Panther in die mondhelle Nacht.

Auf dem Felsplateau über dem Abgrund sitzen sie sich lange schweigend gegenüber. Lodernde Augen schätzen sich ab, gespannte Aufmerksamkeit in muskulösen Körpern. Vor ihrem inneren Auge ziehen zahllose Leben vorbei, in denen sie sich trafen. Mal herrschte der Eine, mal war es die Andere. Mal diente die Eine, mal war es der Andere. Immer war es die gleiche Kraft, die in verteilten Rollen zwischen ihnen schwang: Der Kampf des Geistes und der Körper um die rechte göttliche Ordnung.

Ein Kampf, der jetzt in die finale Runde gehen wird, das wissen sie beide.

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Gelbgrüne Augen starren sich an, Pupillen sinken ineinander und erkennen das Begehren: Sie wollen sich lieben, rasend, wild – sanft und tief. Sie wollen sich töten – um endlich frei zu sein. Frei voneinander oder frei miteinander?

„Diene mir, sonst töte ich dich!“ Wütend knurrend hat sich das Alphatier aufgerichtet.

Wie in all ihren Frauenleben zuvor schmilzt sie auch diesmal in Bewunderung, und rollt sich schnurrend vor ihm auf dem Fels. Er starrt sie an und liebt ihre Geschmeidigkeit, ihren weichen, glatten Bauch, ihr heißes Locken….

Nein! Sie wird ihn verraten, er weiß es genau.  Ohne einen Laut setzt der große Wolf zu einem riesigen Sprung an. Die Pantherfrau erkennt die Absicht, dreht sich – aber zu spät. Er liegt auf ihr und schlägt seine Zähne tief in ihren Nacken..

2

Der Stoß durchfährt ihren Körper in einem roten, brennenden Strahl. Sie kann die Schlange nicht mehr halten, die in Sekundenbruchteilen auffährt  – entlang der Wirbelsäule direkt ins Gehirn. Ungezähmte Wildheit entlädt sich in einem langen, hellen Schrei – mit einem wilden Fauchen windet sie sich unter ihm heraus und greift an. Ihre Krallen schlagen tiefe Wunden in seinen Bauch, ihre Reißzähne graben sich in seinen Hals – dann rollen sie über die Felsen, blutend, knurrend, bellend, fauchend entlädt sich die aufgestaute Kraft tausender Leben. Ein Knäul aus schwarzem und silbernem Fell mit blutendem, rohem Fleisch untrennbar ineinander verbissen wälzt sich zur Kante des Plateaus.

Schweigend stürzen sie in die Tiefe.

Nur der Mond und der Kauz werden Zeuge von dem, was dann passiert.

Aus den sterbenden Körpern lösen sich die Lichtgestalten eines Mannes und einer Frau. Sie schwingen über der Tiefe und lächeln sich an. „Endlich“ – sagt sie, als sie nach seiner Hand greift. „Ja Geliebte.“ Er zieht sie zu sich heran. Als er sie küsst, erstrahlen ihre Lichtkörper in rosa-grün-goldenen Farben.

„Nun bin ich dein.“ Sie sieht strahlend zu ihm auf. Ich bin ein Teil von dir.“  Er sinkt herab zu ihr, ihre Augen werden eins. „Ich bin ein Teil von dir und will dich lieben und ehren bis zum Ende der Zeit.“

Der Buddha lächelt, als sie  verschmelzen – und die Tore des Himmels öffnen sich weit.

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