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Weltwasserbericht 2019: Wir brauchen schnell Gerechtigkeit für alle!

Drei von zehn Menschen haben keinen Zugang zu sicherem (also sauberem und dauerhaft leicht verfügbarem) Trinkwasser. Fast die Hälfte der Menschen, die Wasser aus ungeschützten Quellen trinken, lebt in Afrika südlich der Sahara. Sechs von zehn Menschen haben keinen Zugang zu sicheren Sanitäranlagen und jeder Neunte verrichtet seine Notdurft im Freien. Über zwei Milliarden Menschen leben in Ländern mit hohem Trockenstress bzw. Wassermangel, etwa vier Milliarden Menschen erleben schwere Wasserknappheit mindestens einen Monat pro Jahr.

Krasse Zahlen im Weltwasserbericht 2019 der UNESCO, der heute veröffentlicht wurde. Wasser ist das Gold der Menschheit. Jetzt schon, in Zukunft aber noch viel stärker, wird es Kriege um das wertvolle Nass geben, denn Wasser bedeutet Leben.

Die Forderungen, die die UNESCO aus zurückgehenden Ressourcen und ungerechter Verteilung zieht, sind in steifer, korrekter Sprache formuliert, aber von enormer Brisanz: Verantwortlich dafür, dass jeder Bewohner dieses Planeten sein Menschenrecht auf frei zugängliches, sauberes Wasser, sowie effizienten Sanitäreinrichtungen nutzen kann, tragen die Staaten, aber auch die weltweit agierenden großen Konzerne, wie etwa Nestlé. Da die Einen wie die Anderen oft ihrer Pflicht nicht genügen, müssen sie sowohl von internationalen Organisationen wie etwa den Vereinten Nationen überwacht, als auch gegebenenfalls zur Rechenschaft gezogen werden. Neben enormen Investitionen für Förderung, Speicherung und Aufbereitung von Wasser, sowie einer geregelten Sanitärversorgung, braucht es nach Meinung der Organisation außerdem neue Formen der Zuweisung von Wasserresourcen. Eine Jahrhundertaufgabe, die entscheidend für das Fortbestehen der Menschheit werden wird.

Hier nun Auszüge aus dem Weltwasserbericht:

Der Wasserverbrauch steigt seit den 1980er Jahren aufgrund von Bevölkerungswachstum, sozioökonomischer Entwicklung und sich änderndem Konsum weltweit um etwa ein Prozent pro Jahr. Schätzungen zufolge wird das bis 2050 so weiter gehen. Für diesen kumulierten Anstieg von 20 bis 30 Prozent im Vergleich zum heutigen Wasserverbrauch ist vor allem die steigende Nachfrage von Industrie und Haushalten verantwortlich.

Die Menschenrechte verpflichten alle Staaten, sich für universellen Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen für alle ohne Diskriminierung einzusetzen und gleichzeitig den Bedürftigsten Vorrang einzuräumen. Die Verwirklichung der Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung erfordert, dass die Dienstleistungen verfügbar, physisch zugänglich, gerecht bezahlbar, sicher und kulturell akzeptabel sind.

„Niemanden zurücklassen” steht denn auch im Mittelpunkt der Verpflichtungen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung. Ihr Ziel ist es, dass alle Menschen in allen Ländern von sozioökonomischer Entwicklung profitieren können und dass Menschenrechte vollumfänglich verwirklicht werden. Dabei muss zwischen “Wasserrechten” und den Menschenrechten auf Wasser und Sanitärversorgung klar unterschieden werden. Wasserrechte werden normalerweise nach nationalem Recht geregelt und werden einer Person oder einer Organisation aufgrund von Eigentums- oder Landrechten oder aufgrund von Vereinbarungen zwischen Staat und Grundeigentümer übertragen. Diese Rechte sind oft nur befristet verliehen und können auch entzogen werden. Die Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung sind weder befristet noch staatlich genehmigungspflichtig, noch können sie entzogen werden.

Zurückgelassen werden viele Menschen: Dazu gehören Frauen und Mädchen, ethnische, religiöse, sprachliche und andere Minderheiten; behinderte, alte und vor allem arme Menschen haben oft weder Zugang zu sicherem Wasser, noch zu sanitären Einrichtungen. Dabei unterscheidet die UNESCO zwischen verfügbarem Wasser und den Bedingungen unter denen dieses zugänglich gemacht wird. Zur Sanitärversorgung wird ebenso der Umgang mit Abfällen und deren Endprodukten gezählt wie die Sammlung dieser, wozu auch Toilettensysteme gehören.
Direkte Diskriminierung liegt vor, wenn Menschen durch Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder Praktiken bewusst der Zugang zu Dienstleistungen oder Gleichbehandlung verwehrt wird. Indirekte Diskriminierung liegt vor, wenn Gesetze, Verordnungen, Richtlinien oder Praktiken zwar neutral erscheinen, in ihrer Wirkung aber Menschen faktisch vom Zugang zu Dienstleistungen ausschließen.

Wie weit eine Grundversorgung mit Wasser sich auf einen Staat und seine Menschen auswirkt, ist extrem: Gesundheit und Produktivität verbessern sich. In Schulen steigen die Bildungsergebnisse, da Fehlzeiten, vor allem von Mädchen sinken. Die Anerkennung der Verantwortung der indigenen Völker für ihr Land und Wasser fördert sowohl deren Inklusion, die Verwirklichung ihrer Menschenrechte als auch die Wertschätzung ihres traditionellen Wissens.

Beim Zugang zu Wasser und sanitären Einrichtungen bestehen in Städten erhebliche Ungleichheiten zwischen Haushalten in Slums und außerhalb davon. Wohlhabende Haushalte haben oft hohe Servicequalität zu relativ niedrigen Kosten; arme Haushalte zahlen für einen Service von ähnlicher oder geringerer Qualität einen deutlich höheren Preis. Randgebiete von Städten werden oft gar nicht erst an die Versorgung angeschlossen. Dort lebende Menschen zahlen keine Steuern, werden nicht gezählt und gelten gar nicht als anerkannter Teil des Systems. In vielen Städten wird zudem deutlich weniger Infrastruktur zur Abwasserentsorgung als für die Wasserversorgung bereit gestellt. Dies trifft die ärmsten Bewohnerinnen und Bewohner von Slumgebieten am stärksten. Deshalb muss eine deutliche Verbesserung der Wasserversorgung mit entsprechenden Investitionen in die Sanitärversorgung einhergehen.

Von allen landwirtschaftlichen Betrieben weltweit sind mehr als 80 Prozent Familienbetriebe mit einer Anbaufläche kleiner als zwei Hektar. Kleinbauern bilden in vielen Ländern das Rückgrat der Lebensmittelversorgung. Sie tragen dort zu mehr als der Hälfte der landwirtschaftlichen Produktion bei. Doch gerade auf dem Land sind Armut, Hunger und Ernährungsunsicherheit am größten. In armen ländlichen Gebieten ist Wasserinfrastruktur nach wie vor kaum vorhanden. Millionen von Frauen und Männern auf dem Land sind daher mit Wasser und sanitären Einrichtungen unzureichend versorgt. Die Wasserbedürfnisse kleinbäuerlicher Bewässerungssysteme müssen stärker anerkannt werden, um sicheren und gleichberechtigten Zugang zu Wasser zu gewährleisten und zugleich künftige Wasserinvestitionen zu ermöglichen, fordert die UNESCO. Die Wasserzuteilung an Großverbraucher, sei es für die Bewässerung oder andere Zwecke, dürfe nicht auf Kosten der legitimen kleinbäuerlichen Bedürfnisse erfolgen, unabhängig davon, ob formale Wassernutzungsrechte nachweisbar sind oder nicht – ein klarer Hinweis auf missbräuchliche Nutzung durch Großkonzerne.

Die Zahl vertriebener Menschen weltweit steht aktuell auf einem Höchststand. Geflüchtete und Binnenvertriebene sind oft von grundlegender Wasser- und Sanitärversorgung ausgeschlossen. Fast ein Viertel dieser Vertriebenen lebt zwar in Lagern, die überwiegende Mehrheit jedoch in Städten und Dörfern. Sie werden von der jeweiligen lokalen oder nationalen Regierung oft nicht offiziell anerkannt und daher von Entwicklungsbemühungen ausgeschlossen.

Massenvertreibungen belasten an Durchgangs- und Zielorten die Wasserressourcen und die damit verbundenen Leistungen, einschließlich sanitärer Grundversorgung und Hygiene. Oft entstehen Ungleichgewichte zwischen der bereits ansässigen Bevölkerung und den neu Angekommenen. Da sich Regierungen der Zielländer oft gegen die Erkenntnis sperren, dass Vertreibungen langwierig sein können, bestehen sie auf Verbleib der Geflüchteten/Binnenvertriebenen in Lagern mit “temporären” oder “gemeinschaftlichen” Einrichtungen mit niedrigerem Leistungsniveau. Auch die umgekehrte Situation kann eintreten, so dass Geflüchtete qualitativ hochwertigere WASH-Dienste erhalten. Hier weist die UNESCO daraufhin, dass alle Menschen, auch Geflüchtete und Vertriebene, ein Anrecht auf angemessene Versorgung mit sicherem Wasser und Sanitäreinrichtungen haben und fordert die Staaten der Welt auf, eine „Lager-Politik“ zu vermeiden.

Im arabischen Raum wird die Pro-Kopf-Wasserknappheit aufgrund von Bevölkerungswachstum und Klimawandel weiter steigen. Allen Menschen trotz Wasserknappheit Zugang zur Wasserversorgung zu gewährleisten, ist gerade in Konfliktgebieten, wo Infrastruktur beschädigt, zerstört bzw. als Zerstörungsziel vorgesehen wurde, eine sich verschärfende Herausforderung, heißt es im Bericht. Humanitäre Hilfe ist hier immer stärker auch Entwicklungsarbeit, mit dem Ziel eine dauerhaftere Wasser- und Sanitärversorgung in Flüchtlingslagern und informellen Siedlungen auzubauen. Dies führt zuweilen zu Konflikten und Spannungen mit den aufnehmenden Gemeinschaften, besonders falls die beiden Gruppen keinen gleichberechtigten Zugang zur Wasserversorgung haben.

Im asiatisch-pazifischen Raum wurden 2016 29 von 48 Ländern aufgrund geringer Wasserverfügbarkeit und nicht nachhaltiger Grundwasserentnahme als wasserunsicher eingestuft. Die Wasserknappheit wird durch die Auswirkungen des Klimawandels noch verstärkt. Naturkatastrophen treten häufiger und intensiver auf, das Katastrophenrisiko steigt schneller als die gesellschaftliche Widerstandskraft. Katastrophen haben Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP), Einschulungsraten und Pro-Kopf-Ausgaben für das Gesundheitswesen. Sie können dazu führen, dass Menschen an der Armutsgrenze – mit Einkommen zwischen 1,90 und 3,10 US-Dollar pro Tag – in extreme Armut geraten.

Auch in Europa und Nordamerika ist der Zugang zu sicherer Sanitärversorgung vielerorts, vor allem auf dem Land, weiter eine Herausforderung. Besonders ernst ist für einen Großteil der Bevölkerung die Situation in Osteuropa, im Kaukasus und in Zentralasien. Aber auch viele Bürger in West- und Mitteleuropa sowie in Nordamerika haben keinen oder nur ungerechten Zugang zu Wasser- und Sanitärdienstleistungen.

In Lateinamerika und der Karibik müssen noch immer Millionen ohne angemessenes Trinkwasser auskommen. Noch mehr sind vom Mangel an sicherer und angemessener Entsorgung von Ausscheidungen betroffen. Menschen ohne Zugang zu Versorgungsleistungen leben vor allem in den Vorstädten, insbesondere in den Armutsgürteln.

Ganz schlimm ist die Lage im südlichen Afrika. Das Fortbestehen von Armut südlich der Sahara ist auch eine direkte Folge des Mangels an wasserwirtschaftlicher Infrastruktur sowohl in Bezug auf die Speicherung und Versorgung als auch auf die Verbesserung der Trinkwasser- und Sanitärversorgung. Dies wird wirtschaftliche Wasserknappheit genannt. Etwa 60 Prozent der Gesamtbevölkerung Subsahara-Afrikas leben auf dem Land. 2015 hatten nur drei von fünf Landbewohnern Zugang zu mindestens grundlegender Wasserversorgung; nur jeder fünfte hatte Zugang zu mindestens grundlegender sanitärer Versorgung. Etwa jeder zehnte trinkt bis heute unbehandeltes Oberflächenwasser, und viele arme Menschen auf dem Land, besonders Frauen und Mädchen, verbringen viel Zeit mit der Beschaffung von Wasser.

Mehr als die Hälfte des bis 2050 erwarteten Bevölkerungswachstums, nämlich 1,3 Milliarden von 2,2 Milliarden weltweit wird in Afrika stattfinden. Das Bevölkerungswachstum findet vor allem in Städten statt, was ohne angemessene Planung zu einem dramatischen Wachstum der Slums führen kann. Auch wenn sich die Lebensbedingungen in Slums zwischen 2000 und 2015 stetig verbessert haben: In Afrika bleibt die Rate des Wohnungsneubaus weit hinter der Rate des städtischen Bevölkerungswachstums zurück.

Maßnahmen in lokalen Gemeinschaften sind entscheidend für die Bekämpfung der eigentlichen Ursachen für das “Zurückbleiben von Menschen” in Bezug auf Wasser und sanitäre Einrichtungen, sagt die UNESCO. Verantwortungsvolle staatliche Steuerung würde hierarchische Machtstrukturen überwinden und gleichzeitig Rechenschaftspflicht, Transparenz, Legitimität, Bürgerbeteiligung, Gerechtigkeit und Effizienz – also einen menschenrechtsbasierten Ansatz – stärken. Neue Formen der Zuweisung von Wasserressourcen könnten verschiedene sozioökonomische Ziele erreichen – wie die Wahrung der Nahrungsmittel- und/oder Energiesicherheit oder industrielles Wachstum; garantierte Priorität müsse aber eine ausreichende Wasserverfügbarkeit in angemessener Qualität für alle sein.

Alle Akteure, die an der gleichberechtigten Verwirklichung der Menschenrechte auf Wasser und Sanitärversorgung beteiligt sind, haben ihre spezifische Verpflichtung und Verantwortung. Die Menschenrechte definieren den Einzelnen als Rechteinhaber und die Staaten als Pflichtenträger. Nichtstaatliche Akteure tragen ebenfalls Verantwortung für die Menschenrechte und können für deren Verletzung zur Verantwortung gezogen werden. Nichtregierungsorganisationen und internationale Organisationen spielen mitunter eine wichtige Rolle bei der Leistungserbringung und müssen Gleichberechtigung und Rechenschaftspflicht gewährleisten. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, internationale Handels- und Finanzinstitutionen und Partner der Entwicklungszusammenarbeit sind aufgerufen, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Unterstützung in jene Länder oder Regionen fließt, die am wenigsten in der Lage sind, das Recht auf Wasser und Abwasser zu verwirklichen.

Siehe auch:

Bottled Life: Nestlés einträgliche Geschäfte mit Wasser

Geliebtes Wasser, unbekanntes Wesen

Trinkwasser ist ein Menschenrecht und darf nicht privatisiert werden!

Update: Süßwasserseen unter der Antarktis entdeckt

 

Gestrandet im Paradies: Wenn geliebte Menschen sich als Teufel erweisen…

Eigentlich hat sie „alles“. Mit Mitte 50 hat sie ihre Eigentumswohnung in guter Wohnlage in Berlin abbezahlt, sie hat ein erfreulich gut bestücktes Sparkonto, einen sicheren Beruf als Teilzeit-Lehrerin und einen freundlichen Ehemann.  Aber trotzdem fehlt ihr „alles“. Ihr Beruf, wie auch die ganze eingefahrene Alltagsroutine machen sie krank. Das soll nun alles gewesen sein? Oh nein. Julia lässt sich an ihrer Schule für ein Sabbatjahr freistellen und geht auf Reisen.

Knapp drei Jahre später steht sie vor den Scherben ihrer Existenz. Facebook-Freunde sind es, die sie retten und ihr helfen, nach Europa zurückzukehren. Sie braucht viele  Monate, um zu sich zu kommen. Jahre wird es dauern, bis ihre Seele das Erlebte verarbeitet haben wird. Sie versucht, sich dabei zu helfen und hat ein Buch über die beiden schlimmsten Jahre ihres Lebens geschrieben: „Gestrandet im Paradies,“ heißt es.

Es war die Dominikanische Republik, die Julia während ihres Sabbatjahres total verzauberte. Das leuchtend blaue karibische Meer, strahlend blauer Himmel, die Wärme, farbenprächtige Natur, und ein Mann – zehn Jahre jünger als sie selbst – bildeten einen unwiderstehlichen Cocktail der Anziehung. Ja, beschloss sie. Ja, sie will es noch einmal wissen. Sie will ein neues Leben wagen und eine neue Liebe.

Im Herbst des selben Jahres wandert Julia aus. Mit einem Container voller Teile ihres bisherigen Lebens, mit einem gut gefüllten Konto vom Verkauf zweier Wohnungen und zusammen mit ihrer Tochter, die ebenfalls einen Neuanfang sucht. Da hat sie die beiden  schwersten Fehler ihres Lebens schon gemacht: Ihre sichere Beamtenstelle hat sie gekündigt. Und sie hat dem dominikanischen Mann, in den sie sich Hals über Kopf verliebt hatte, eine sechsstellige Summe überwiesen. Er soll damit ein Grundstück am Meer bezahlen, das sie sich ausgesucht hat. Ein Öko-Hotel mit Hobbitwohnungen, vegetarischer Ernährung  und spirituellem Hintergrund will sie dort errichten, sich zusammen mit ihrem Liebsten eine gemeinsame Existenz aufbauen.

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Was dann geschieht, hat das Zeug zu einem handfesten Krimi – und lässt den Leser sich immer wieder die Augen reiben: Unglaublich die Unbekümmertheit, mit der die eigentlich lebenserfahrene Julia gegenüber den bettelarmen Einwohnern ihren Wohlstand zur Schau stellt, als freundliche Gönnerin von Mensch und Tier auftritt und damit wie eine „Goldeselin“ auf dem Präsentierteller steht. So wenig wie sie nach eigenem Bekunden anfangs die Gesichtszüge der Menschen auseinander halten kann, so wenig begreift sie ihre Wirkung auf die chancenlosen, bettelarmen Menschen in ihrem neuen Umfeld.

Ausgerechnet Barahona, unweit der Grenze zu Haiti, haben sich die beiden Frauen als neuen Lebensmittelpunkt ausgesucht.  Hier gibt es kaum Tourismus, ist die ohnehin hohe Kriminalität der Karibikinsel noch höher, die ganze Gegend ist als Drogenstraße aus Richtung Mexiko bekannt. Aber hier ist die Natur besonders wild und schön. Und hier lebt Rafael, der geliebte Mann, der in einem Moment unglaublich zärtlich, im nächsten schroff und unnahbar sein kann. Besonders letztere Seite zeigt er, nachdem Julia mit ihrem ganzen Hab und Gut in Barahona eingetroffen ist. Sie ist verunsichert und reagiert gelähmt. Sie glaubt, ihn zu brauchen, um ihren Lebensunterhalt in der fremden neuen Welt verdienen zu können. Da er aber nie zur Verfügung steht, sitzt sie zuhause – weitab vom Strand – verbringt ihre Zeit damit, frustriert auf ihn zu warten und Supermärkte zu finden, in der es einigermaßen abwechslungsreiche vegetarische Kost gibt. In langen einsamen Stunden postet sie für ihre 13 000 Facebook-Abonnenten spirituelle Weisheiten mit schönen Fotos.

Dann nehmen die Katastrophen ihren Lauf – so schnell aufeinander folgend, eine schlimmer als die andere, dass man beim Lesen kaum zu Atem kommt.  Rafael gesteht, ihr Geld veruntreut und statt des Grundstücks einen Gips-Steinbruch erstanden zu haben.  Nun hätte Julia zusammen mit ihrer Tochter und ihrem ebenfalls hergezogenen Bruder – alle der spanischen Sprache mächtig – versuchen können, sich auf eigene Faust eine Existenz aufzubauen. Statt dessen fördert sie die Gipsmine finanziell weiter, verköstigt unzählige unliebsame Verwandte Rafaels, kümmert sich um drei der minderjährigen Kinder ihres Lebensgefährten, glaubt ihm, dass er von seiner Ehefrau wirklich getrennt lebt und ändert auch nichts, als er das erste Mal handgreiflich wird. Nachdem er sie ein paar Wochen später mit der Faust k.o. geschlagen hat, zieht der Lebensgefährte bei Nacht und Nebel aus. Eine weitere Woche danach ist er tot: Unter dubiosesten Umständen erschossen. Nun erfährt Julia, dass die Geliebte „ihres“ Rafael,  ein minderjährige  Mädchen,  ein Kind von ihm trägt. Die Umstände des Mordes an Rafael werden nie aufgeklärt, obwohl der Mörder gefasst ist.

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Wenige Wochen später stirbt Rafaels Mutter bei einem Verkehrsunfall. Danach lernt Julia seine Sippschaft mal richtig kennen: Alle wollen Rafael beerben, beanspruchen das Unternehmen, das er mit ihrem Geld gekauft hat und weiteres Vermögen. Anwälte verlangen horrende Honorare ohne Leistung zu erbringen, Julia setzt große Summen ein, um die Gipsmine vor der Witwe Rafaels in Sicherheit zu bringen. Papiere verschwinden, Verträge sind plötzlich ungültig, ihr Vermögen schmilzt in schwindelerregendem Tempo dahin. In dieser Zeit stirbt Julias Bruder an mehreren Infekten, die er sich im karibischen Paradies zugezogen hat.

Um das Maß voll zu machen, bringt Julias Tochter Zwillinge zur Welt. Eins der Kinder ist hirngeschädigt. Da ist das Geld schon so knapp, dass Julia ihre Facebookfreunde um Hilfe bitten muss, um die Krankenhausrechnung zu bezahlen. Der Lebensgefährte ihrer Tochter erweist sich als genauso wenig vertrauenswürdig wie zuvor der ihre. Als „Geschäftsführer“ des Steinbruchs veruntreut er große Summen Geldes. Es kommt, wie es kommen musste: Mittellos und praktisch ohne einheimische Freunde müssen Frauen und Kinder um ihr Leben fürchten, denn würde ihnen etwas zustoßen, würde der Lebensgefährte der Tochter als Vater der Kinder alles erben. Nur mit Hilfe einer wohlhabenden Facebookbekanntschaft können sie bei Nacht und Nebel mit wenigen Kisten und Kasten das Land verlassen – die geliebten Hunde und eine Katze bleiben zurück.

Das Buch ist eine Warnung an alle, die vorhaben, auszuwandern: In fremden Ländern herrschen andere Sitten; angefangen beim Status von Männern und Frauen über den Umgang mit Behörden bis hin zu den Einheimischen selbst: Wer in ein sehr armes Land, und dort noch in eine Gegend geht, in der praktisch keine Europäer wohnen, muss sich darüber im Klaren sein, dass die meisten seiner zahlreichen neuen, so netten  „Freunde“ nichts anderes wollen als einen Teil vom Wohlstandskuchen. Das ist die harte Wirklichkeit: Wo bittere Armut herrscht, sind Tier- und Menschenfreundschaft  unterentwickelt. Wer das in unserem wohlstandsverwöhnten Land nicht beachtet, muss es unter Umständen teuer bezahlen.

Julia Martin: Gestrandet im Paradies ist erschienen bei „Books on Demand“.

Siehe auch: „Kaltes Herz – Narzisstischen Missbrauch überwinden“

Kuba: Ein Besuch mit berührenden Einblicken ins Leben der Menschen

Havanna – schon der Name ist Legende: Karibik, Piraten, Zucker, Rum, Zigarren, Salsa … Oldtimer ohne Ende, ein heißblütiges Völkergemisch, wundervolle alte Häuser… auch ich, von Berufs wegen daran gewöhnt, inneren Abstand zu halten, hatte einen folkloristisch-verklärten Blick auf diese Stadt und das ganze Land.

Verklärt ist der Blick jetzt nicht mehr.

Aber meine Zuneigung zu dieser Insel, in der sich Vergangenheit und Zukunft die Hand geben, ist nach meinem Besuch dort eher noch gewachsen.

02-07-2012 22-05-11

Che Guevaras Kopf  auf rotem Grund hing schon in meinem Zimmer, als ich, jugendlich-naiv, von Politik so gut wie nichts wusste. Die Leidenschaft in seinem Gesichtsausdruck hatte mich fasziniert.  Heute weiß ich, wie wild und leidenschaftlich dieser Berufsrevolutionär wirklich war, der an Fidel Castros Seite für die politische und gesellschaftliche Erneuerung der Karibikinsel kämpfte und 1967 in Bolivien starb.  Sein Charisma wirkt noch immer nach – auch in Liedern, die sich seiner fast zärtlich erinnern. In meiner Jugend kursierte in der Schule auch die Mao-Bibel; wir lasen Sartre, Camus und Kant – wir suchten wie alle jungen Leute Ideale, die über den Alltag hinaus gehen.  Das Charisma  des nur allzu menschlichen Ernesto Guevara de la Sernas, genannt Che Guevara aber war es, das mir die Idee der Gerechtigkeit für alle begreiflich machte.

Che ist nun seit 45 Jahren tot und ein Volksheld. Fidel Castro blieb die undankbarere Aufgabe, die Ziele der Revolution umzusetzen – und das gegen den Widerstand des mächtigsten Staatenbundes der Welt: der USA. Nicht zuletzt dank Amerika war Kuba bis Ende der 1950er Jahre der reichste unter den Karibikstaaten gewesen. Den größten Teil seiner enormen Zuckerproduktion kauften die USA zu festgesetzten Preisen auf. In ihrem karibischen „Wohnzimmer“ errichteten die Amerikaner eindrucksvolle Gebäude, wie etwa in Havanna die Nachempfindung ihres „Kapitols“.

Ab 1962 griff jedoch ein umfassendes Embargo gegen den Klassenfeind. Veranlasst und bis heute jedes Jahr erneuert auf Druck der Vereinigten Staaten wurde Kuba fast vollständig vom internationalen Handels- und Währungssystem ausgeschlossen, war damit auf Gedeih und Verderb von sozialistischen Bruderstaaten abhängig, zunächst  vor  allem der Sowjetunion, heute von Venezuela. Versuche, das System zu stürzen, wie etwa den Angriff in der Schweinebucht oder viele hundert Mordanschläge auf Fidel Castro, die der CIA zugeschrieben werden, scheiterten zwar, bewirkten aber, dass das System sich und seine Bürger bis heute bestmöglich abschottet.

50 Jahre Isolation führten zu der heute mehr als unbefriedigenden Situation, der sich eine überwiegend junge Bevölkerung gegenüber sieht: Die Grundbedürfnisse des Lebens sind gesichert. Bildung und Gesundheitssystem sind kostenlos. Die Mieten sind beispiellos preiswert, liegen meist bei weniger als zehn Prozent des Einkommens. Aber im Westen alltägliche Konsumgüter sind praktisch unerreichbar, sogar Grundnahrungsmittel sind rationiert, es gibt wenig bis keinen Zugang ins Internet. Die Menschen brauchen Devisen, und die Einzigen, die sie ihnen beschaffen können, sind die Touristen.

Ich verzichte hier auf eine Analyse der politischen und sozialen Situation in Kuba. Viel Information bietet Wikipedia. Unter den dort aufgeführten Links empfehle ich beispielsweise Wirtschaftsdaten Kuba kompakt, den Aufsatz  Wie reformfähig ist Kubas Sozialismus? oder den zwar bereits 2002 entstandenen, dennoch interessanten Beitrag  Kuba nach Castro.

Havanna, die 500 Jahre alte Hauptstadt, zeigt ein getreues Abbild der wechselvollen Jahrhunderte: Trutzige Festungen, herrliche neo-klassizistische Gebäude in der historischen Altstadt, die im Rahmen der Unterschutzstellung als UNESCO-Weltkulturerbes restauriert wurden. In den neueren Stadtteilen finden sich Plattenbausiedlungen, erbaut von „Baubrigaden“ des eigenen Landes und befreundeter Bruderstaaten, dazwischen zerfallende Gebäude der traditionellen Lehmbauweise, kleine Wohnhäuser, liebevoll bunt angemalt. Es gibt die wohl weltweit eindrucksvollste Sammlung von Oldtimern, die den Straßenverkehr dominiert. Mit Liebhaberei hat das allerdings nichts zu tun: Die Wagen, vielfach noch aus den 1950er und 60er Jahren, sind weder wasserdicht, noch nach westlichen Maßstäben verkehrstauglich. Ihre alten Motoren schlucken bis zu 40 Liter Sprit pro 100 Kilometer – was bei den extrem hohen Benzinpreisen auf der Insel für eine unfreiwillige Verhinderung von Staus sogar in der Rush Hour sorgt. In meinem Video, gedreht bei einer Stadtrundfahrt, versuche ich, einen kleinen Eindruck davon zu geben.

Natürlich weist auch Havanna Nobel-Vororte mit Villen am Meer aus. Die Mehrheit der Menschen lebt jedoch unter mehr als schwierigen Bedingungen mit täglich stundenlangem Ausfall der Wasserversorgung, mit maroden Stromleitungen, in qualvoller Enge. Auf der Straße versuchen sie, den Touristen zu verkaufen, was immer sie gerade zu bieten haben: Fritierte Kokosbällchen in Honig, Rasseln, Zeichnungen, notfalls eben einzelne Feuerzeuge.

Shopping ist auch in Kubas Hauptstadt kein Thema; die wenigen Geschäfte sind für Touristen kaum attraktiv und verlangen horrende Preise. Dennoch ist das Durchstreifen der Altstadt ein sinnliches Erlebnis: Kunterbunte Kleinläden bieten Souvenirs aller Art, es gibt Straßencafés, Bücherflohmärkte, ein Durcheinander von Einheimischen und Besuchern, die sich lachend mit Händen und Füßen verständigen – und über allem liegt Musik, Musik, Musik.

Mehrmals stand ich in Key West am Haus von Ernest Hemmingway, dessen Gartentor die Aufschrift „Gone fishing“ ziert. Das Floritida in der Altstadt Havannas, ist die Kneipe, wohin es den Dichter zog, wenn er Florida den Rücken kehrte. Fans des Films und der Musik des „Buena Vista Social Club“ haben die traditionelle Musik des Karibikstaates lieben gelernt, die hier, wie in allen anderen Gaststätten und auf der Straße gespielt und live gesungen wird. Sie scheint es zu sein, die widrige Lebensumstände einfach leichter erträglich macht. Musik auch im Bus, im Taxi, im Privatwagen – wenn ein Einheimischer das Verbot missachtet, Touristen in seinem Auto mitzunehmen. Hier können wirkliche Gespräche stattfinden, wenn Tezo, der junge Mann am Steuer, mir erklärt, dass er mit Schichtarbeit im Tourismus sein Studium der Wirtschaftswissenschaften finanziert hat, während seine Frau ihr Diplom als Psychologin machte. Beide leben in einer winzigen Wohnung. Den Platz, wo das Baby, das bald geboren wird, schlafen soll, müssen sie noch frei räumen.
Nein, Tezo hasst Kuba nicht, will auch nicht auswandern; im Gegenteil. „Dieses Land braucht eine sanfte Veränderung“, meint der 33-Jährige. „Ich habe Träume, und ich werde mein Leben lang daran arbeiten, sie zu verwirklichen,“  sagt er, und die dunklen Augen leuchten. Er ist Teil einer ausgesprochen gut ausgebildeten jungen Generation, die jede sich bietende Arbeit annimmt, um Geld zu verdienen – egal wie schwer der Job ist. Immer wieder sehe ich junge Leute, die bescheiden auftreten, abgeschlossene Studien vorweisen können und auf ihre Chance warten.

Derweil leben in Ghettos wie Varadero gut abgeschottet Tausende Touristen aus aller Welt in Hotels, deren Standard etwa mit der Nachbarinsel Hispaniola gut mithalten kann. Bis auf eine Ausnahme: Das Internet. Es ist nicht nur unglaublich langsam und unzuverlässig – es ist vor allem extrem teuer: 10 CUC die Stunde – etwa 9 Euro…

Aber wer wird vor dem PC hängen, wenn draußen Traumstrände warten und ein smaragdgrünes Meer, das fast Badewannen-Temperaturen erreicht. An den Stränden Varaderos ist viel Platz, man muss nicht drängeln. Die See lockt zu Ausflügen auf benachbarte Inseln, zu kleinen Touren mit dem Kajak oder Katamaran. Der All inclusive-Service beinhaltet oft auch heimische Alkoholika, die Buchung in Kuba ist deutlich günstiger als etwa in der Dominikanischen Republik. So bringen wir Touris, die bei grandiosen Sonnenuntergängen sonnendurchglühte Tage ausklingen lassen, der schönen Insel im karibischen Meer das, was sie am meisten braucht: Devisen über ihren mittlerweile stärksten Wirtschaftszweig.

Aus ZEIT online vom 11.8.2012: Kuba – das Leben hält den Atem an

Aus Spiegel online vom 11.8.2012: Wie Kuba zur Insel der Energiesparer wurde

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