Jan Böhmermann: Große Klappe, schlechter Text, politische Prinzipfrage

Was ist Satire? Wie weit darf sie gehen?

Wie geht man mit Satire um? Sollte man als Staatsoberhaupt dagegen vorgehen – und wenn ja, welches ist der sinnvolle Weg?

Ganz neue Fragen, die Deutschland zurzeit beschäftigen. Charlie Hebdo ist in Paris, das ist zwar nebenan, aber doch weit weg.  Wie nah Satire mit ihren Folgen kommen kann, erleben wir jetzt, wo ein schmächtiger Mann mit großer Klappe innerhalb weniger Tage mehr als 100 private Strafanzeigen gegen sich auslöste und den türkischen Präsidenten zu seinem erbitterten Feind machte.

Hat Jan Böhmermann überzogen?

Um es vorweg zu sagen: Ich persönlich halte das sogenannte Schmäh-„Gedicht“ für „unter aller Sau“ (wobei ich nicht die Sau als solche beleidigen möchte).  Der türkische Präsident Erdogan, der sich mit seiner religiös neokonservativen Einstellung mehr in Richtung Saudi-Arabien, als nach Europa bewegt, der die allgemein angespannte Lage in den arabischen Staaten und Europa dazu nutzt, die Kurden im Land gnadenlos nieder zu machen und der die Pressefreiheit wie überhaupt jeden Kritiker mit Füßen tritt, ist mir ein Brechmittel. Aber es gibt andere Wege, sich satirisch über ihn lustig zu machen, als ausgerechnet mit einem Pamphlet über erfundene Zoophilie und Genitalien, das keinerlei Sachbezug zu Erdogans Politik hat. Die Tatsache, dass Böhmermann selber vor der Verbreitung gesagt hat, diese Satire-Form sei in Deutschland verboten und sein „Gedicht“ diene nur als Beispiel dafür ist keine Rechtfertigung dafür, dieses dann zu verlesen. Ich finde, solche „Spezial-Satire“ ist keineswegs Kunst. Vielmehr lässt sie eine Menge darüber erkennen, wie Jan Böhmermann  innerlich tickt; aus meiner Sicht hat er sich damit selber ins Knie geschossen.

Was ist Satire und welches ist ihr Zweck?

Eine lange Geschichte hat sie, wie man bei Wikipedia nachlesen kann. Ihr Zweck war im Laufe der Jahrhunderte immer wieder, der herrschenden Klasse den Spiegel vorzuhalten, verzerrt, übertrieben, manchmal komisch, oft bissig. Ein Mittel also, dem Ärger über das Verhalten öffentlicher Personen oder Institutionen Luft zu machen und gleichzeitig eine breite Diskussion in der Öffentlichkeit anzustoßen.

Rechtlich hat in Deutschland die Satire ihre Grenzen:

Satire wird in der Bundesrepublik Deutschland durch die Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 GG) geschützt. Diese konkurrieren allerdings mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), welches sichert, dass der Einzelne selbst darüber bestimmen darf, wie er sich in der Öffentlichkeit darstellt.

Satire kann Kunst sein, ist es aber nicht notwendigerweise. Um durch die Kunstfreiheit geschützt zu sein, muss sie – rein rechtlich gesehen – eine schöpferische Gestaltung aufweisen, das heißt, als fiktive oder karikaturhafte Darstellung erkennbar sein. Ist diese nicht gegeben – oder wird sie vom Gericht nicht anerkannt –, greift das Persönlichkeitsrecht.

Vor Gericht müssen der Aussagekern einer Satire und seine künstlerische Einkleidung getrennt behandelt werden. Beide müssen daraufhin überprüft werden, ob sie das Persönlichkeitsrecht verletzen. Werden unwahre Aussagen nicht als fiktive oder karikaturhafte Darstellung erkennbar, ist die Meinungsfreiheit nicht geschützt; die Satire kann dann als „Schmähkritik“ und damit als üble Nachrede verstanden werden, bei der das Persönlichkeitsrecht greift. „Von einer Schmähkritik könne nur die Rede sein, wenn bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund stehe, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik persönlich herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll“, so ein Urteil des Bundesgerichtshofs.

Die Rechtsfrage ist aber nur ein Aspekt dieses Konflikts, der sich absehbar zur Staatsaffaire ausweiten wird. Der weit wichtigere Teil des Themas ist die Situation, in die Böhmermann die Bundesregierung, speziell die Kanzlerin, gebracht hat. Deren Flüchtlingsdeal mit der Türkei erregt die Gemüter, und zwar zu Recht. Da bekommt ein Nicht-EU-Land, das sich immer noch als osmanisches Reich fühlt, Milliarden versprochen, um den Migrantenstrom nach Europa aufzuhalten. (Wenn es dann grenznahe Lager für die Flüchtlinge nicht im eigenen Land, sondern auf syrischem Boden baut, wird es gleichzeitig von Menschenrechtsorganisationen angegriffen, weil es die Syrer nicht ins Land lasse).

Da wird ein Deal mit einem Land gemacht, das regierungskritische Medien stürmen lässt, Journalisten hinter Gitter bringt, weil sie den Staatschef kritisieren – in der Sache, wohlgemerkt, und keineswegs satirisch. Mit einem Land, dessen Präsident sagt, Frauen seien dazu da, mindestens drei Kinder zu gebären und diese zuhause aufzuziehen. Mit einem Land, das sich im Bürgerkrieg mit seiner kurdischen Minderheit befindet, das IS-Kämpfer als Brüder betrachtet. Da wird ein Deal gemacht, der der Türkei ab Juni Visafreiheit verspricht und uns damit einen Zustrom von verfolgten Kurden, sowie eine Verlagerung des türkisch-kurdischen Konflikts ins Land bringen wird. Und das alles, weil Europa nicht fähig ist, mit dem Migrantenstrom auch europäisch umzugehen. Und weil unsere Kanzlerin sich in dieser Situation mehr als ungeschickt verhalten hat.

Eine öffentliche Diskussion zu diesem Thema hat bisher nur sehr begrenzt stattgefunden. Jetzt kommt sie. Eher weniger wegen einer echten Satire, wie dem Erdogan-Lied; nein, ganz massiv wegen der bodenlosen Unverschämtheit eines Jan Böhmermann. Man kann also zu Recht fragen: War sein „Schmäh-Gedicht“ notwendig, um die Deutschen endlich aus der Rolle des Zuschauers zu holen?  Der Mann steht jetzt unter Polizeischutz, sagt die persönliche Entgegennahme des Grimme-Preises und seine nächste Show ab. Der Polizeischutz ist angemessen: Es ist nur eine Frage der Zeit, wann sich irgendein Radikaler berufen sieht, Böhmermann zu bestrafen. Verfolgt man den gesteuerten Teil der Berichterstattung in der Türkei, ist leicht ersichtlich, wohin man dort zielt. Unter anderem hat die „Welt“ hierzu berichtet und den Ausschnitt eines bizarren Videos aus einer türkischen „Enthüllungssendung“ beigefügt, die das ZDF und mit ihm gleichsam ganz Deutschland aufs Korn nimmt. Allerdings, das muss hinzugefügt werden: Die Sendung wirkt eher wie eine Parodie.

Dass Erdogan über 100 Klagen wegen persönlicher Beleidigung angestrengt hat, dass insgesamt in fast 2000 Fällen ermittelt wird, wäre für sich betrachtet, Anlass für eine Satire. Dass er den deutschen Botschafter gleich zweimal einbestellt, weil ihm die deutsche Meinungsfreiheit (im Erdogan-Song) nicht passt, ebenfalls. Souverän geht eindeutig anders; dieses Verhalten ist für mich ein Zeichen von Schwäche – eine für Diktatoren typische Schwäche.

Dass aber die Bundesregierung entscheiden muss, ob deutsche Gerichte den Vorwurf der Beleidigung klären sollen, wenn eine ausländische Regierung eine Verbalnote einreicht, ist nicht mehr zeitgemäß. Wir haben Gesetze, der Gerichtsstandort ist Deutschland, und jeder sollte Klage einreichen können, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt.

Angela Merkel hat nun einen schwarzen Peter, der nur zu Gesichtsverlust führen kann, egal wie sie sich entscheidet. Befürwortet sie eine gerichtliche Klärung, wird man das als Einknicken vor einem nicht mehr demokratischen Staat und gleichzeitig als Heuchelei in Bezug auf die immer so hoch gelobten „westlichen Werte“  sowie die Menschenrechte betrachten. Lehnt sie das Ansinnen ab, wird Erdogan Konsequenzen im Flüchtlingsdeal ziehen – außerdem darf man vermehrt mit radikalen Handlungen rechnen.

Weil die Situation so hoch politisch ist, weil das Verhalten Erdogans einen Erpressungs-Aspekt hat und es nicht zuletzt um die Deutungshoheit zwischen zwei sehr verschiedenen Kulturen geht, bleibt aus meiner Sicht der Regierung nur ein einziger Weg: Sie muss die Verbalnote der türkischen Regierung mit Hinweis auf die deutsche Meinungsfreiheit zurückweisen und sich der Konfrontation stellen. Tut sie das nicht, wird sie nicht nur im eigenen Volk, sondern im ganzen Westen noch unglaubwürdiger, als sie es bereits ist. Es bliebe aber eine sehr angreifbare Haltung, denn Böhmermanns Werk hat keinen Sachbezug und bewegt sich ehrverletzend unter der Gürtellinie.

Da der türkische Präsident aber auch persönlich Anzeige erstattet hat, wird es ohnehin eine Klärung vor Gericht geben. Dieses kann dann den schwierigen Zusammenhang zwischen der Frage aufarbeiten, ob Jan Böhmermann eine künstlerische Leistung oder eine bewusste Diffamierung abgeliefert hat. „Selbst wenn Böhmermann verurteilt würde, es käme allenfalls eine Geldstrafe heraus“, meint die Süddeutsche Zeitung. Hm. Man lese einmal nach, wie teuer schon die Beleidigung von Polizisten in Deutschland werden kann – und die wird im allgemeinen nicht über die Medien verbreitet. Die Beleidigung von Angela Merkel wird übrigens auch strafrechtlich verfolgt, zum Beispiel im Fall einer Frau aus Dresden oder im Fall des Facebook-Eintrags eines Bochumers.

Ob Jan Böhmermann nun eine Satire abgeliefert hat oder nicht, spaltet die Nation bis auf Manager-Ebene. Mathias Döpfner beispielsweise, der Vorstandsvorsitzende der Springer AG, sagt, er habe über das Machwerk laut gelacht. In einem offenen Brief hat er sich mit Jan Böhmermann solidarisiert. Doppeltes Aha: Solidarisierung ok, interessant; aber worüber Herr Döpfner so lacht, erstaunt doch irgendwie…

Oliver Welke erklärte in der letzten Heute-Show, dass Satire „alles“ darf und ausschließlich die Kanzlerin Fehler gemacht habe. Komiker Bernhard Hoëcker sieht das differenzierter: „Witze über das Geschlechtsteil von Politikern sind einfach nicht mein Stil. Da hört mein Humor auf.“ Martin Sonneborn, Herausgeber des Satire-Magazins „Titanic“ und Mitglied des Europa-Parlaments hält die Reaktionen von Recep Tayyip Erdogan für „absolut irres Verhalten„, das nur davon übertroffen werde, „wie devot sich die Kollegin Merkel im Moment verhält“.

Dieter Hallervorden springt Böhmermann bei, indem er ein sehr flaches,  scheinbares Solidaritäts-Lied komponiert hat, mit dem er in Wahrheit leider vor allem sich selbst fördern will. Bushido hingegen twitterte heute: „Wenn Boehmermann auf Rapper macht, dann sollte er auch die Konsequenzen tragen. Willkommen in unserer Welt du Tourist!!!“  Yanis Varoufakis, der böse Bube Griechenlands, letztes Jahr von Böhmermann mit dem „Fake-Stinkefinger“ auf’s Korn genommen, verteidigt den Deutschen: „Europa hat zuerst seine Seele verloren“, schrieb Varoufakis im Hinblick auf das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei (auf twitter). „Jetzt verliert es seinen Humor.“

Wie dem auch sei: Ohne Blessuren kommt in diesem Fall niemand mehr davon. Ob Jan Böhmermann noch einmal auf diese Weise „dichten“ würde, ist fraglich, wenn man sieht, wie ihn die Folgen offensichtlich verschrecken. Oder warum sonst hat er nun seine nächste Sendung abgesagt?

Schön wäre, wenn der Vorfall unsere zerstrittene Parteienlandschaft mal wieder in die Spur bringen und zu einer gemeinsamen Linie über das Vorgehen in der Migrantenfrage führen würde. Aber das wird wohl ein Wunschtraum bleiben.

Siehe auch: 

Je suis Charlie – für Meinungsfreiheit und ein friedliches Miteinander

Schmähkritik ist etwas althergebracht Germanisches

Die Schmähkritik Böhmermanns im Ganzen dokumentiert

Die verfassungsrechtliche Dimension der Causa Böhmermann

Dümmer als das Presserecht erlaubt

Erdogan: Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufspringen, bis wir am Ziel sind

Update: Böhmermann will sich nicht beugen

Update: Merkel befürwortet Verfahren

Kommentar der BILD:

16-04-_2016_23-01-13

Update: Erdogan saß 1998 selbst wegen eines Gedichtes im Gefängnis

Update: In der Türkei gibt es wichtigeres als Böhmermann

Update: Böhmermann macht komplette Medienpause

17-04-_2016_20-09-24

Update: Sultan Erdogan, der Vizekanzler

Update: Parodist Oliver Kalkofe rechnet im Video ab:

Update: „Kunst kommt nicht von Kotzen“

Update: Die vergessene Liebe zwischen Türken und Deutschen

Update: Dieter Nuhr: Darf Satire alles?

Update: SWR-Reporter in Istanbul festgesetzt

Update: Warum Merkel schlauer ist als der schrille Rest

Update: Erdogan-Anwalt erwirkt Buchschwärzung

Update: „Erdogan ist ein Fall für die Psychiatrie“

Update: Erdogan: Türken in den Niederlanden sollen angeblich Beleidigungen melden

Update: Merkel bereut ersten Kommentar zu Böhmermann

Update: Gravierender Ansehensverlust für Angela Merkel

Update: Radiosendung „sanft & sorgfältig“ wird eingestellt

Update: Niederländischer Telegraaf verhöhnt Erdogan als Affen

Update: Erdogan will EU-gefördertes Konzert Zum Genozid an den Armeniern stoppen

Update: Keine Chance, Erdogan zu verklagen

Update: Erdogan-Kritiker tot aufgefunden

Update: „Erdogan hat getobt wegen der Karrikaturen“

Update: 12.4.1998: Lebenslanges Politikverbot für Erdogan

Update: Schmäh-Kultur in den USA: White House Correspondent’s Dinner

Update: Böhmermann: „Was Satire darf und was nicht, entscheidet immer noch die Bundeskanzlerin“

Update: „Die Bundesregierung hat sich ohne Not zum Büttel gemacht“

Update: Böhmermann geht wieder auf Sendung

Update: Schmähgedicht wird im Bundestag vorgetragen und diskutiert

Update: Erdogan gewinnt erste Runde vor Gericht

Update: Jan Böhmermann: Kein Ziel, kein Herz, keine Agenda

Update: Landgericht Hamburg: Weite Teile des Böhmermann-Gedichtes bleiben verboten

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