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„Schattengesicht“ am Eingang der uralten Kirche in Kirn – ein Zeichen?

Seit Jahren gehe ich immer wieder daran vorbei, fotografiere es immer wieder. Und wundere mich, dass offenbar keiner der Passanten, Einwohner und Kirchgänger darauf reagiert: Im roten Sandstein direkt neben dem Eingang zur Pankratiuskirche am Hahnenbachufer in Kirn (Rheinland-Pfalz) sieht man ein Gesicht, das auf erstaunliche Weise an Jesus-Darstellungen erinnert. Und manchmal, wenn man länger hin schaut, erkennt man weitere Gesichter seitlich dahinter: leidende – mit hohlen Augen, „schlafende“ – einen Mann mit Schnurrbart.

Mit Witterungseinflüssen hat der „Schattenwurf“ im Stein nichts zu tun – ist er doch bei jeder Jahreszeit und Witterung immer gleich gut zu erkennen.

Ein Zufall?

Die heutige evangelische Kirche steht auf den Fundamenten ihrer Vorgängerin, die beim großen Hochwasser im Jahr 1875 im Zentrum der größten Schäden und meisten Toten in Kirn stand. Erinnert das Gesicht an das Leid und die Zerstörungen jener Tage? Imerhin sieht man es an dem Teil des Hauses, der nach dem genannten Hochwasser erneuert werden musste. Aber:

Kirn ist einer der ältesten, vielleicht der älteste Ort an der Nahe, diese Kirche eines seiner ältesten, noch genutzten Gebäude.

Ein Grund also, auf weitere Spurensuche in der Geschichte der Kleinstadt an der Nahe zu gehen.

Erstmals erwähnt wurde Kirn in einer Schenkungsurkunde des Klosters Fulda im Jahr 841. Dass die Stadt sehr viel älter sein muss, beweisen unter anderem Funde aus keltischer und römischer Zeit, wie ein Artikel über die Geschichte des uralten Marktfleckens auf der Homepage der Stadt Kirn zusammenfasst. Michael Ohlmann berichtet in seinem Heimatbuch über Kirn gar von einem Friedhof, der auf das erste Jahrhundert n.Chr. zurückgeführt werden kann.

Es ist nicht bekannt, wann die erste Kirche anstelle der heutigen am Ufer des Hahnenbachs entstand, der nicht weit entfernt in die Nahe mündet. Nachdem aber bereits in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts die Kyrburg gebaut wurde, darf angenommen werden, dass die Ursprünge der Kirche deutlich früher lagen, als  sicher belegt ist.

Im wohl ältesten bekannten Heimatbuch der Stadt Kirn aus dem Jahr 1900 berichtet Autor Franz Offermann, dass die Pankratiuskirche aus drei Teilen entstand, gebaut im 13., 15. und 18. Jahrhundert. Der Turm, der später um sieben Meter erhöht wurde, gehört noch zur romanischen Basilika, die in den ersten Jahren des 13. Jahrhunderts erbaut sein soll. 1467 und 1680 gab es größere Renovierungsarbeiten, ab 1750 ließ Fürst Johann Dominik den spätgotischen Chorraum neu erstellen.

Bereits 1890 musste das seit 1684 simultan genutzte Gotteshaus aber wegen Einsturzgefahr geschlossen werden. Eines der verheerenden Hochwasser, die Kirn im Laufe der Jahrhunderte immer wieder heimsuchten, hatte 1875 26 Tote gefordert und die Grundmauern des Chorraumes total unterspült. 02-11-2013 22-11-201895 fand die Neueröffnung des Gebäudes statt, das seither zwar renoviert, aber nicht mehr grundlegend verändert wurde.

Mehrere Hochwasser mit enormen Schäden, bei denen es immer wieder Tote gab, sind bekannt – viele frühere im Dunkel der Jahrhunderte versunken. Hochwasser sind aber nur ein Teil der bewegten Geschichte, die sich rund um die Kirche abgespielt hat. Im 17. Jahrhundert wütete beispielsweise die Pest – es gab zahllose Opfer und die Zahl der Haushalte in der Stadt reduzierte sich um mehr als die Hälfte, die Zahl der Einwohner sank auf weniger als 400. Zentrum der Infektion soll immer wieder die Nahegasse gewesen sein – beinahe in Sichtweite des Gotteshauses.

Auch von der Lepra wurde Kirn nicht verschont. Für ansteckend Kranke gab es zeitweise einen Hallenanbau an die Kirche, damit auch diese Menschen den Gottesdienst besuchen konnten. Es ist nicht klar, ob es direkt beim Haus zeitweise auch einen Friedhof gab.

Im dreißigjährigen Krieg fielen die Spanier über den Ort her und plünderten ihn und die Kyrburg aus. Ende des 17. Jahrhundert marschierten die Schweden ein, kamen die kaiserlichen Truppen, um Tribut zu fordern und fielen schließlich die Franzosen mordend und brandschatzend ein, um jahrelang zu bleiben.

Im zweiten Weltkrieg starben 62 Kirner bei Fliegerangriffen auf die Stadt, wie Professor Dr. Seibrich im jüngsten Kirner Heimatbuch berichtet. Zuvor in der Pogromnacht war die Synagoge in der Amthofstraße, fast in Sichtweite der Pankratuskirche, in Flammen aufgegangen.

Immer wieder stand die Pankratiuskirche im Laufe ihrer wechselvollen Geschichte also im Zentrum von Tod und Tränen. Heute ist der gesamte Bereich am Hahnenbach durch Hochwasser-Schutzeinrichtungen besser gesichert als jemals vorher. Auch wenn das Wasser sie überwinden würde, könnten ähnliche Schäden wie in den Jahrhunderten zuvor kaum noch eintreten. Die Mauern der Kirche sind trocken.

Und dennoch weicht das Gesicht ganz nah vom Eingang nie: Nicht in glühend heißen Sommern, auch nicht in eisigen Wintern. Eine zufällige Schattenbildung?

Ich bin kein abergläubischer Mensch. Aber mein Bauch sagt immer wieder:

Es ist ein Zeichen.

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Update: Die Außenfassade der Kirche wurde im Sommer 2014 renoviert, der Sandstein-Sockel mit einer Sandstein-ähnlichen Farbe überstrichen. Zurzeit ist das Schattengesicht nicht zu sehen.

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