Sind die Tageszeitungen noch zu retten? Beispiel Rhein-Zeitung

Sind die deutschen Tageszeitungen noch zu retten? Die Auflagen besonders der Regionalzeitungen schrumpfen alarmierend schnell, auch die Digital-Angebote der Blätter machen das nicht wett. Das geht aus der jüngsten Statistik der IVW (Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V.) hervor.

Regionale Tageszeitungen haben es auf dem Print-Markt schwerer als alle anderen. Der wichtigste Aspekt, der sie von Mitbewerbern unterscheidet, ist ihre jeweilige regionale und lokale Berichterstattung. Aber gerade diese ist besonders teuer und personalintensiv. Weder durch Abo-Zahlen, noch über den Anzeigenmarkt lässt sich diese Form der Berichterstattung mit Gewinn umsetzen, weshalb die betroffenen Medienhäuser in den letzten beiden Jahrzehnten hier besonders stark den Rotstift ansetzten. Damit jedoch entfällt für zahlreiche Leser der Grund, sich die Abos überhaupt noch zu leisten. Zusätzlich leiden Tageszeitungen unter hohen Papier-, Herstellungs- und Vertriebskosten.

Beispiel Rheinland-Pfalz: Im Herzen von Rheinland-Pfalz, aber nicht in der Landeshauptstadt, residiert die Rhein-Zeitung. Anfang der 1990er Jahre zählte das in Koblenz ansässige Blatt 30 Lokalredaktionen im nördlichen Rheinland-Pfalz. Bis auf kleine Bereiche an den Rändern gibt es keine Mitbewerber. Das Verbreitungsgebiet deckt sich weitgehend mit dem ehemaligen Regierungsbezirk Koblenz (1,7 Millionen Einwohner). Es gab eine sehr kleinteilige Berichterstattung und viel direkten Kontakt mit Lesern. Da erschien das erste große Problem am Verlagshimmel: Es wurde üblich, immer mehr Fotos in Farbe zu veröffentlichen. Um dies umzusetzen, musste der Mittelrhein-Verlag teure neue Druckmaschinen anschaffen. So wurden die 1990er Jahre die ersten, die zu großen Umstrukturierungen führten.

Parallel zu den neuen Maschinen wurde das gesamte Erscheinungsbild des Blattes überholt: Man ging von fünf auf sechs Spalten, veränderte Schrift, Überschriften, Bildformate. Die Zahl der Lokalredaktionen wurde erstmals verringert: Aus 30 wurden 12. Die anderen 18 Standorte, bei denen oft langfristige Mietverträge bestanden, wurden nicht sofort aufgelöst, sondern arbeiteten zunächst der jeweiligen Redaktion zu. Redaktionsleiter wurden abgestuft und bei Eintritt in den Ruhestand nicht mehr ersetzt. Volontäre wurden nach der Ausbildung nicht mehr automatisch übernommen. In den folgenden Jahren sank die Zahl der fest angestellten Redakteure kontinuierlich.

1987 schon hatte die Rhein-Zeitung den Versuch unternommen, sich auch in der Landeshauptstadt Mainz zu etablieren und mit großem Aufwand die Lokalredaktion Mainz gegründet. Das Blatt nannte sich hier Mainzer Rhein-Zeitung und trat gegen den Platzhirsch Allgemeine Zeitung Mainz an. Ende 1998 wurde dort eine verkaufte Auflage von 11 984 Exemplaren erreicht. Im Laufe der Jahre sank die Auflage jedoch kontinuierlich: Zum 31. Dezember 2013 wurde die Lokalredaktion bei einer Auflage von 6 913 Exemplaren aufgelöst und der Titel eingestellt. Die Mainzer Rhein-Zeitung war nicht rentabel zu betreiben.

Parallel zu den finanziellen Herausforderungen wuchsen für die Zeitungen die digitalen Möglichkeiten. Erst mussten keine Texte mehr in die Setzerei geschickt werden, sondern wurden von den Schreibern allein bearbeitet. Die Redaktionen bekamen zusätzlich zu ihren schwarz-weiß-Fotolaboren Maschinen, die Farbfilme entwickeln konnten. Die Fotos konnte man zunächst in einem aufwändigen Prozess funken, später gleich digital in die Seiten einbauen, die ab diesem Zeitpunkt komplett in den Redaktionen produziert wurden. Korrektoren gab es da schon lange nicht mehr. Jetzt sparte man viel Personal in der Druckerei ein, indem die Redakteure diese Arbeiten übernahmen. Das sorgte für mehr Aktualität: Nun konnten die Redaktionen bis kurz vor der jeweiligen Andruckzeit noch aktuelle Nachrichten nachschieben. Deshalb wurden Spätschichten eingeführt, obwohl die Zahl der Redakteure weiter sank. Wenig später kamen die ersten Digitalkameras auf den Markt, die eine große Arbeitserleichterung bedeuteten, musste man doch nicht mehr stundenlang im Labor stehen. Kurzfristig sorgten die neuen Entwicklungen für einen kleinen Aufschwung.

Im Jahr 2000 verzeichnete die Rhein-Zeitung eine verkaufte Gesamtauflage von 239 072 Exemplaren, davon 224 365 im Abonnement. Man begann, über ein neues Druckhaus nachzudenken. Das Internet bestand nun seit etwa zehn Jahren und wurde langsam für die Masse an Verbrauchern alltagstauglich. Die sozialen Netzwerke waren noch nicht geboren.

Trotz der scheinbar guten Geschäftslage war man sich im Verlag dessen bewusst, dass die Kosten weiter steigen würden. Durch die Verbreitung in einem Flächenland war man trotz der Konzentration der Redaktionen bei den Anzeigenpreisen an Grenzen gestoßen. Zwar hatte man in der Druckerei durch die Digitalisierung erhebliche Personalkosten einsparen können. Aber das Papier stieg kontinuierlich im Preis, der Vertrieb mit seiner Hauszustellung auch in den kleinsten Orten des Landes wurde immer schwieriger und kostenträchtiger. Eine dynamische Website musste erstellt und täglich aktuell gehalten werden. In diesem Rahmen wurde das gesamte Zeitungsarchiv digitalisiert, um es den Lesern zur Verfügung zu stellen; eine Herkulesaufgabe.

Trotzdem war der Höhepunkt der Auflagenstärke überschritten. In den folgenden Jahren wurde das Internet zum größten Feind der Print-Tageszeitungen, denn es war rund um die Uhr aktuell. Der Kleinanzeigenmarkt brach ein, nachdem seit 1994 Amazon und seit 1995 Ebay mit viel günstigeren und gleichzeitig einfacheren Methoden Kunden an sich banden. Auch der Stellenmarkt wurde immer dünner: Es gab zeitweise praktisch keine Stellenanzeigen mehr. Das Arbeitsamt und die Wirtschaft waren ebenfalls digitalisiert worden und konnten offene Stellen im Internet anbieten.

Hatte man Ende der 1990er Jahre noch überlegt, in welche Richtung sich die Zeitung weiter entwickeln sollte: mit regionalem und lokalem Schwerpunkt oder eher konzentriert auf überregionale, nationale und internationale Nachrichten, war es jetzt beschlossene Sache: Man würde das Lokale weiter konzentrieren, dafür Regionalseiten einführen, denen die Lokalredaktionen zuarbeiten mussten, und sich ansonsten auf die „großen“ Nachrichten konzentrieren, die über ohnehin abonnierte Nachrichtenagenturen zugeliefert wurden. Einzelne zentral beauftragte Reporter brachen einige Themen auf Regionalebene herunter oder kommentierten.

Foto: Rhein-Zeitung.de

1998 wurde Google gegründet. Die Suchmaschine zählte schon im Jahr 2000 mehr als eine Milliarde Seiten. Jetzt begann das unaufhaltsame Sinken der Auflagen. Schon in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends wurde öffentlich über die „Krise der Tageszeitungen“ diskutiert. Und das war erst der Anfang.

Im Jahr 2001 entwickelte die Redaktion der Rhein-Zeitung das erste E-Paper der Bundesrepublik Deutschland. Die Tageszeitung war damit im Original-Format ab dem Zeitpunkt der Drucklegung online abrufbar, was geradezu unglaublich aktuell war. 2004 ging Facebook an den Start. Es tötete das regionale Forum „Wer kennt wen“, das 2006 gegründet worden und zunächst extrem beliebt war, langsam, aber stetig und wurde über seine Gruppen zum Vermittler von lokalen und regionalen Nachrichten. 2005 ging Youtube an den Start und 2006 wurde Twitter gegründet. Diese Nachrichten-Plattform, das heutige X, kann als internationale, stets topaktuelle Nachrichtenquelle genutzt werden, wenn man dort ausschließlich Medien abonniert. Youtube liefert aktuelle Videos zu allem, was gerade in der Welt passiert .Damit wird es überflüssig, Geld für eine einzelne Tageszeitung auszugeben, wenn man über die Weltlage informiert sein will. 2010 folgte Instagram für IOS und 2012 für Android. Die Rhein-Zeitung versuchte, sich dieser Entwicklung zu stellen, indem sie damit begann, ihr Online-Angebot mit aktuellen Videos anzureichern, wofür extra Redakteure eingesetzt wurden.

42 Millionen Euro hatte der Verlag in das neue Druckhaus investiert, das im Mai 2012 groß eingeweiht wurde. Da lag die verkaufte Auflage der Rhein-Zeitung bei 202 340, davon 182 363 Abos. Die Redakteure mussten jetzt auch Konten auf Facebook und Twitter mit aktuellem Content befüllen. Dadurch stieg aber das Risiko, die Ausgabe des nächsten Tages durch Vorabmeldungen zu „verramschen“. Daher beschloss der Verlag, eine radikale Bezahlschranke einzurichten. Ab 4. November 2013 konnte niemand mehr ohne Bezahlung auf das digitale Angebot zugreifen. Das war und ist wesentlich krasser, als es viele andere Tageszeitungen bis heute halten. Sie bieten zumeist einen kostenfreien Teil und einen +Teil gegen Bezahlung an. Für die Rhein-Zeitung war es eine riskante Wette: Um zu reüssieren, musste sie ihre Abonnenten bei der Stange halten.

Foto: Rhein-Zeitung.de

1,5 Jahre nach Einführung der Bezahlschranke lag die verkaufte Auflage der Rhein-Zeitung bei 188 345 Ausgaben, davon 171 405 Abonnenten und 9 071 E-Paper-Leser. Heute, nach dem dritten Quartal 2023 und zehn Jahre nach Einführung der Bezahlschranke, liegt die verkaufte Auflage bei gerade noch 134 447 Stück, davon 17 999 e-Paper, 121 822 Abonnenten und 8 640 E-Paper-Abonnenten. Allein im Vergleich zum Vorjahr ist das ein Verlust von 7,7 Prozent. Die 12 teuren Lokalredaktionen wurden noch einmal massiv eingeschmolzen, die Lokalnachrichten damit ebenfalls – mit dem Ergebnis, dass die meisten der 1 113 Kommunen im Verbreitungsgebiet Nachrichten aus ihrem Leben nicht einmal jeden zweiten Tag lesen können. Damit ist das einst so starke Alleinstellungsmerkmal dieser Tageszeitung nur noch marginal vorhanden. Informationen zu den vielen kleinen und größeren für Lokalredaktionen so undankbaren Terminen bekommen die einstigen treuen Leser heute beim Einkaufen, aus dem kostenlosen Anzeigen-Blatt, den Mitteilungsblättern ihrer Verwaltungen und über Facebook-Gruppen. Das lokale Angebot wirkt auf den ersten Blick groß, besteht aber de facto aus einzelnen Spotlights zu den jeweiligen Gebieten.

Mit dieser Entwicklung ist die Rhein-Zeitung nicht allein. Deutschlandweit liegen die Auflagenverluste der Tageszeitungen zwischen 5 und 10 Prozent, Tendenz weiter sinkend. Auch andere Regionalzeitungen haben ihre Lokalberichterstattung stark eingeschmolzen. Die Nachrichten-Seiten dieser Zeitungen sind aber durch das Internet parallel dazu obsolet geworden. Die Notwendigkeit, dass Redakteure für sie Nachrichten einordnen, ein Argument, das gern als Begründung dafür genutzt wird, weshalb man eine Tageszeitung abonnieren sollte, bestätigen immer weniger Leser. Das einzige Gebiet, auf dem sie unschlagbar waren, den lokalen Bereich, haben die Printmedien aus Kostengründen derart verschlankt, dass potentielle Leser nicht mehr erkennen, warum sie für so wenig Information und Service Abos für knapp 50 Euro im Monat abschließen sollen. Wenn sich nicht nachhaltig etwas ändert, etwa durch staatliche Förderung von Lokalzeitungen, werden die Tageszeitungen in absehbarer Zeit Geschichte sein.

Wer sich nicht durch den Zahlendschungel der IVW wühlen möchte, kann Details zu den Auflagen der deutschen Tageszeitungen und Zeitschriften auch gebündelt beim Meedia-Magazin nachlesen.

Beitragsbild: Mali Maeder, Pexels

.

Siehe auch

Niedergang der Print-Medien: Kreativität in ganz neuen Strukturen notwendig

Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – das wird immer so sein mit zahlreichen weiteren Links

„Der Abend“ – Konzept einer digitalen Tageszeitung und eine Vision

Hinterlasse einen Kommentar