Schlagwort: dependente Persönlichkeit

„Kaltes Herz“: Narzisstischer Missbrauch und wie man wieder auf die Beine kommt

Es ist eine ganz große Liebe.  Eine, die rasend schnell intensiv wird. So intensiv, dass Kopf und Herz in einem einzigen Rausch schwelgen und das leise innere Warnen bereitwillig überhören. Der Traum von Glück scheint wahr zu werden:  Geliebt zu sein, mit Haut und Haaren. Begehrt zu werden, voll und ganz. Ein kongeniales Gegenüber zu haben,  mit dem man sich tief verbunden fühlt: Das könnte die lebenslang vermisste Dualseele sein. Das Herz tanzt.

Schnell wird die Bindung eng. Beide  werden unzertrennlich. So unzertrennlich, dass  Freunde und Familie völlig außen vor bleiben. Aber so bleibt es nicht. Manchmal schleichend, manchmal sehr schnell, aber immer nach dem selben Muster geht der  geliebte Partner auf Distanz. Mal mehr körperlich, mal vor allem seelisch, immer verbal. Aus Liebesbekunden werden Abwertungen, aus langen, liebevollen Gesprächen werden Vorhaltungen, Schuldzuweisungen. Der Gefährte spricht plötzlich nicht mehr – manchmal über Tage, manchmal über Wochen – er verdreht Erinnerungen, lügt, betrügt. erinnert sich nicht an Versprechen, weicht jedem klärenden Gespräch aus.  Und es kann noch viel, viel schlimmer werden – wenn man an einen Narzissten geraten ist.

Ehemalige Partner von Narzissten berichten von Monaten, Jahren, Jahrzehnten in Beziehungen, in denen sie sich gedemütigt, entwertet, alleingelassen fühlten, in denen sie alle Freunde und nicht selten ihr ganzes Geld verloren und es dennoch über lange Zeit nicht schafften, sich zu trennen. Warum? Weil es doch eine so große Liebe war. Weil gleich am Anfang der Beziehung der Grundstein gelegt wurde für eine Sucht: Den verzweifelten Wunsch, (wieder) vollständig geliebt zu werden – und zwar so, wie man eben ist. Damit wird eine Trennung emotional schwerer als jeder Drogenentzug.

„Kaltes Herz“  – Narzisstischen Missbrauch überwinden“ heißt ein Buch von Monika Celik, das sich als Ratgeber an Betroffene wendet.  Veröffentlicht wurde das Buch im Self-Publishing Verlag Twentysix. Im dortigen Shop belegt es zurzeit Platz 1 unter den Ratgebern.

Die Lektüre ist schwere Kost – besonders, wenn man sich selbst im Buch wiederfindet. Die zahlreichen Beispiele reflektieren lange Gesprächen der Autorin mit Betroffenen sowie  ihre eigenen Geschichte. Auch Monika Celik war mehrfach in narzisstischen Beziehungen gefangen, hat Höllenqualen gelitten, bevor sie es geschafft hat, sich aus dem Kreislauf der Sucht zu befreien. Auf 435 Seiten geht es jetzt um Lovebombing, Crazymaking und Gaslighting, um Lügen, emotionale Erpressung, Abwertung und Isolierung des Opfers, um Silent Treatment, wütende Monologe und Gewalt, um Victim-Blaming, Stalking, Hoovering und Flying Monkeys – alles Begriffe, die typische Muster in Beziehungen mit Narzissten spiegeln.

Die Autorin definiert genau: Nicht nur die Diagnose Narzissmus, sondern auch die der dependenten Persönlichkeit oder des Co-Narzissten. Alles wird über wahre Geschichten   verdeutlicht. Das macht das Buch so schwer zu lesen: Schwer wiegt die Last des Erlebens der Frauen und Männer, die narzisstischen Missbrauch mit tiefen Blessuren überlebt haben. Und dann, im letzten Fünftel, kommt konkrete Hilfestellung – die noch schwerer zu verdauen ist. Erlösung aus dem Muster gibt es nämlich nur, wenn die Betroffenen bereit sind, nicht nur den Partner anzuklagen, sondern sich selbst genau zu betrachten.

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Welche sind meine eigenen Anteile an meiner destruktiven Beziehung? Welche schädigenden Glaubenssätze habe ich verinnerlicht? Wie ist das mit meinem Wunsch, gebraucht zu werden –  mit meiner eigenen Bedürftigkeit? Wie ist mein Selbstwertgefühl entwickelt – nicht zu verwechseln mit Selbstbewusstsein? Im Hinterfragen dieser Punkte  liegt der Schlüssel dazu, die furchtbare Sehnsucht nach einer Trennung zu überwinden und einen Weg echter Veränderung zu betreten. Kaum jemand schafft es, diesen Weg allein zu gehen. Betroffene brauchen, das stellt die Autorin unmissverständlich klar, die Hilfe von fachlich qualifizierten Therapeuten. Selbsthilfegruppen können wertvolle Foren sein, in denen man sich austauschen kann und in akuter Not Ansprechpartner findet. Ergänzend dazu gibt es Tipps, wie man sich im Alltag helfen kann, wenn die (Sehn-)Sucht nach dem Partner allzu zerstörerisch wütet.

Die Autorin sprich von „Narz“ und „Narzisse“; übliche Ausdrucksweise in Selbsthilfegruppen. Sie duzt ihre Leser, bleibt immer in einer relativ lockeren Umgangssprache und hält mit ihrer eigenen Meinung  nicht hinter den Berg – das mag man, oder man mag es nicht. Auf jeden Fall ist das Buch ein starker Ratgeber:  Man kann wahllos ein Kapitel aufschlagen und ist immer direkt an einer wichtigen Stelle. Und die Gedanken zur Selbstbetrachtung kann man nicht oft genug lesen, getreu dem Motto: „Wer sich nicht selbst helfen will, dem kann niemand helfen“ (Pestalozzi).

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In diesem Blog gibt es verschiedene Geschichten über erlebte narzisstische Beziehungen. Sie finden sie unter dem Stichwort „Männer – Frauen“