Pleiten, Pech und Pannen bei Abwasserbeiträgen: Ärger im Kirner Land

Kirn-Land. Eine regelrechte Völkerwanderung war heute abend in Richtung Gesellschaftshaus Kirn unterwegs, wo die Verbandsgemeindeverwaltung die neue Beitrags- und Gebührenordnung in Sachen Ab- und Schmutzwasser erläuterte. Nicht nur der große Saal, sondern auch die Empore war voll besetzt, als Bürgermeister Thomas Jung sich für Pleiten, Pech und Pannen bei der neuen Ordnung entschuldigte und erklärte, was sich die Verbandsgemeindewerke dabei gedacht haben.

Aber von vorn: In der Fusionsvereinbarung zwischen der Stadt Kirn und der damaligen Verbandsgemeinde Kirn-Land vom 30. Januar 2019 ist folgendes festgelegt: Die Aufgaben der Wasserversorgung und Abwasserbeseitigung der bisher verbandsfreien Stadt Kirn und der Verbandsgemeinde gehen vollständig auf die neu zu gründende Verbandsgemeinde Kirner-Land über. Dazu gehören auch die entsprechenden finanziellen Verpflichtungen und der Betrieb des Jahnbades. Die neue Verbandsgemeinde führt zum 1.1. 2020 für den Bereich Abwasserentsorgung ein neues, einheitliches Beitrags-, Entgelt- und Gebührensystem ein. Zum 1.1.2023 soll das gleiche für die Wasserversorgung passieren.

Mit satter Verspätung verschickte die Verbandsgemeindeverwaltung Kirner Land am 28. November 2023 Grundlagenbescheide zur Festsetzung wiederkehrender Beiträge für die Niederschlagsabwasser- und Schmutzwasserbeseitigung. Die versetzten die Einwohner der Landgemeinden und der Stadt gleichermaßen in Wut. Rückwirkend zum 1.1. 2022 wurden da beitragsfähige Flächen für Schmutzwasser berechnet, die wegen der Hinzuziehung von Vollgeschossflächen als zulässige Bebauung auf einmal deutlich größer waren als die Grundstücksflächen selbst. Vollgeschosszuschläge für Schmutzwasser wurden sogar auf unbebaute Grundstücke berechnet. Dazu kam die Festsetzung eines wiederkehrenden Beitrags für die Entsorgung von Niederschlagsabwasser, der erneut für einen Sturm der Empörung sorgte: Weder waren darin Maßnahmen zur Sammlung und Weiterverwendung des Niederschlagwassers auf den jeweiligen Grundstücken einbezogen, noch akzeptierte die Mehrheit der Einwohner überhaupt eine Notwendigkeit, hier wiederkehrende Beiträge zu zahlen; schließlich versickere das Wasser doch im Boden.

Am 12. April 2024 wurden nun konkrete Beitragsbescheide über 70 Prozent der voraussichtlichen Gesamtsumme rückwirkend bis 1.1.2022 verschickt, deren Höhe den Hausbesitzern die Zornesröte ins Gesicht trieben, weil sie teilweise um bis zu 50 Prozent höher als im Vorjahr waren. Für 2023 waren keine Vorausleistungen erhoben worden, so dass Besitzer von Einfamilienhäusern am 1. Mai 2024, wenn die einmaligen Beiträge für 2023 eingezogen werden, teilweise mehrere hundert Euro los sind. Die wesentlich geringeren Beiträge für 2022 werden „zur Entlastung“ der Bürger erst am 1. August eingezogen.

Bürgermeister Thomas Jung, Werkleiter Jochen Stumm und die Mitarbeiter Drusenheimer und Feistel der neuen Verbandsgemeindewerke standen nun bereit, um nach einem Informationsteil Fragen Betroffener zu beantworten. Solche Informationsveranstaltungen wurden in allen Orten der Verbandsgemeinde abgehalten. Sie begannen überall gleich: Mit einer Entschuldigung der Verantwortlichen für das Chaos, das sie angerichtet haben. Um überhaupt aussagekräftige Daten zu den 7500 Grundstücken in der Verbandsgemeinde zu erhalten, so der Bürgermeister, habe man diese von Drohnen überfliegen lassen und einen externen Dienstleister gebeten, die Foto-Ergebnisse zusammen mit den Ergebnissen der 2023 verschickten Erhebungsbögen auszuwerten. Der Rückfluss der Erhebungsbögen sei mit 35 Prozent sehr gering gewesen; von diesen wiederum war rund die Hälfte nicht vollständig ausgefüllt.

Der externe Dienstleister habe Fehler über Fehler gemacht, so dass man mittlerweile mit Schadensersatzansprüchen gegen ihn vorgehe. Trotzdem hatten die Verbandsgemeindewerke, wie Werkleiter Jochen Stumm bestätigte, die letzte Datensammlung mit angeblich korrigierten Fehlern nicht mehr überprüft und deshalb vielfach auf fehlerhaften Daten basierende Abrechnungen verschickt. Daneben hatten die Verbandsgemeindewerke ein Ingenieursbüro beauftragt, sämtliche Entsorgungsleitungen mit Kameras zu untersuchen, um herauszufinden, ob die Kanaldurchmesser zu eng oder zu breit seien, wo es Beschädigungen gebe, und welche Kanäle für die Mischentsorgung von Oberflächen- und Schmutzwasser oder nur für Schmutzwasser genutzt werden. Sind die Durchmesser zu breit, müssen die Kanäle häufiger gespült werden, weil sich Reste in ihnen festsetzen.

Eines sei schonmal sicher, so der Bürgermeister: Die Sache mit den hinzu gerechneten Vollgeschossen müsse nochmal genau überdacht werden. Außerdem decken die jetzt verlangten Beiträge bereits die Gesamtkosten der Aufwendungen ab, mit weiteren Forderungen sei also nicht zu rechnen. Warum die Gesamtsumme so viel höher war als in Vorjahren ergab sich unter anderem aus der völlig anderen Berechnung der Grundstücksflächen. Die Größe für die wiederkehrenden Beiträge Schmutzwasser war von 6.888.000 auf nun 8.359.930 Quadratmeter gestiegen, die für das Niederschlagswasser von 2.876.000 auf 3.999.389 Quadratmeter. Dazu kommt, so der Werksleiter, „dass die allgemeinen Kostensteigerungen der letzten Jahre auch an uns nicht spurlos vorübergegangen sind.“ Dazu kommentierte Unternehmer Buss: „Wenn ich meinen Kunden 50 bis 60 Prozent an Preiserhöhungen für meine Waren innerhalb eines Jahres mit Kostensteigerungen erklären wollte, könnte ich gleich zumachen.“

Einmal öffentlich zu machen, wie diese Kosten sich zusammensetzen wünschten sich anschließend gleich mehrere Redner bei den Fragen an die Verwaltung. Auch dem Haushaltsplan der Verbandsgemeindewerke sind dazu keine Details entnehmbar. Im Erfolgsplan 2024 stehen im Bereich der Abwasserbeseitigung Einnahmen von 4.078 Millionen, Aufwendungen von 4.015 Millionen Euro, im Vermögensplan Einnahmen und Ausgaben von 8.591 Millionen Euro Schulden von insgesamt 7,75 Millionen Euro gegenüber. Verpflichtungsermächtigungen für Abwasserentsorgung, Wassergewinnung und Wasserversorgung für 2022 und folgende Jahre sind mit 8.467 Millionen Euro veranschlagt. Weder ist aufgeschlüsselt, woraus sich die jährlichen Aufwendungen zusammensetzen, noch weshalb eine so hohe Schuldenlast besteht. Darauf wurde auch in der heutigen Versammlung nicht eingegangen.

Die hohe Belastung größerer Grundstücke sei so nicht gewollt gewesen und werde auf jeden Fall noch verändert, sagte Bürgermeister Jung, der nach eigenen Angaben selbst ein Grundstück von 1800 Quadratmetern in Kirn besitzt. Auch das rief Ärger hervor: Sollen die kleinen Grundstücke dann zugunsten der großen mit höheren Beiträgen herangezogen werden? Besonders ärgerlich finden viele, dass überhaupt wiederkehrende Beiträge angesetzt werden, deren Höhe man durch Änderung des Verbrauchsverhaltens nicht steuern kann. Carl Christian Rheinländer als Mitglied der BI Limbachtal wies darauf hin, dass es ausschließlich in Rheinland-Pfalz überhaupt wiederkehrende Beiträge gebe; der Rest Deutschlands komme ohne aus. Das allein sei Beweis genug, dass es auch ohne gehe. Überhaupt vermisse er Nachhaltigkeit in der Wasserversorgungs-Planung. Der Hauptteil des wertvollen Nasses für die ganze Verbandsgemeinde komme aus Limbach- und Großbachtal, und die dortigen Quellen seien an ihrer Belastungsgrenze angekommen.

Während Werkleiter Stumm wiederkehrende Beiträge als einzige Möglichkeit bezeichnete, auch die Besitzer unbebauter Grundstücke zur Kasse bitten zu können, sagte Rheinländer, dieses Argument sei Quatsch. Es handele sich um reine Behördenwillkür und eine weitere Grundsteuer, zu der man die Bürger zur Kasse bitte. Auch die Kommunalberatung, mit der die Verbandsgemeinde zusammengearbeitet hatte, sei keine Behörde, sondern eine gewinnorientiert arbeitende Tochter des Städte- und Gemeindebundes, die hier gezielt gegen die Interessen der Bürger arbeite. Er plädierte dafür, dass man, wenn jetzt sowieso alle neu geregelt werde, man es auch „gleich richtig machen“ und zum Beispiel einen progressiven Tarif einführen könnte. Aus der Gemeinnützigen Baugenossenschaft war zu hören, dass die auf die Mieter umzulegenden Kosten im Jahr 2022 um 50 und im Jahr 2023 nochmal um 25 Prozent gestiegen sind. Das müsse erstmal vermittelt werden.

Sehr viel Kritik sei bei den Informationsveranstaltungen an die Verbandsgemeinde heran getragen worden, so Bürgermeister Jung. Nun wolle man es besser machen. Nicht nur überprüfen die Mitarbeiter der Verbandsgemeindewerke jetzt alle Datensätze des externen Dienstleisters zu den 7 500 Grundstücken noch einmal auf Richtigkeit. Auch sitze ein Ausschuss wöchentlich beisammen, um erneut zu beraten, ob man die richtige Wahl der Abrechnung getroffen habe. Man habe sich bereits mit einem Bürgermeister ausgetauscht, dessen gesamte Einnahmen nur über Gebühren und ohne wiederkehrende Beiträge kostendeckend seien. Auch dieser Gedanke stehe zur Diskussion – wobei Werkleiter Stumm darauf hinwies, dass die Bebauung der Verbandsgemeinde Kirner Land im Vergleich jedoch „viel weniger homogen“ sei. Es sei schwierig und teuer, sehr kleine Gemeinden mit wenigen Haushalten an das Netz anzuschließen.

Fazit: Die Verbandsgemeinde bucht zum 1. Mai erstmal ab. Was danach geschieht? Nichts genaues weiß man nicht. Offenbar bestehen starke Kräfte auf dem System der wiederkehrenden Beiträge. Aber auch der andauernde Protest der Einwohner hat die Verwaltung offensichtlich beeindruckt. Man kann also nur hoffen, dass dem Ausschuss noch etwas kluges einfällt, und dass es der Verwaltung gelingt, den externen Dienstleister in Regress zu nehmen, damit die Beitragszahler für dessen Murks nicht auch noch aufkommen müssen. Und die Einwohner? Sie standen nach der Veranstaltung noch Schlange, um weitere Fragen zu besprechen, nicht eingetroffene Erfassungsbögen zu melden und genaues Nachmessen ihrer Grundstücke zu fordern (siehe Bild oben). Zufrieden ist trotz Informationsveranstaltung auch jetzt keiner.

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