Wahrheit duldet keine Kompromisse

Vielleicht war es das „Glück“ – mit dessen Hilfe ich an mein Volontariat kam: Ich hatte eine einzige Bewerbung geschrieben, eine eintägige Aufnahmeprüfung gemacht, anschließend Abitur – und fand mich im August 1976 mit jugendlichen 18 Jahren in einer regionalen Tageszeitung wieder. Ich war also völlig unbehindert durch irgendwelche Diener, die ich im Vorfeld hätte machen müssen – im Gegenteil: Ich fühlte mich enttäuscht, dass nun all meine Träume, in die Welt zu gehen, ausgeträumt schienen.

Das Kind geht zur Zeitung...In den ersten Wochen war ich noch beeindruckt: Von all den selbstbewussten älteren Männern, die ich  in der Zentrale sitzen sah – ganz breit von der eigenen Bedeutung. Oder von der Fähigkeit meines ersten Redaktionsleiters, nachmittags beim Korrekturlesen in der Setzerei Bleisatz auf dem Kopf und seitenverkehrt zu entziffern. Oder der mehr als deutlich zur Schau getragenen Kultiviertheit unseres Redaktionsfotografen, der das Labor beherrschte und alle Negative auch in den verwuseltesten Haufen wiederfand. Nebenbei fand ich es ganz lustig, dass wir Feierabend hatten, wenn die Marter um 16.30 Uhr mit dem Bus via Zentrale auf den Weg ging – und dass alles, was nach 15.30 Uhr passierte, am nächsten Tag das Logo „letzte Meldung“ trug.

Begierig auf Ideale, nach denen ich mich ausrichten wollte, folgte ich den Ausbildern unserer Lehrredaktion. Bis heute leiten mich Linien, die ich im Volontariat für mich entdeckt habe:

  • Wahrheit duldet keine faulen Kompromisse
  • Nichts ist wertvoller als das Verbinden von Intuition mit persönlicher Recherche
  • Ich muss die Menschen kennen – und mögen – für die ich arbeite, denn sie spüren es, wenn ich es nicht tue und lesen nicht mehr.

An letzterem bin ich in den ersten Jahren beinahe gescheitert. Ich landete in einer fremden Stadt, hatte keinen Bezug zum lokalen Geschehen, wäre gern mal mit der Jugend ausgegangen, saß aber statt dessen in biestigen, verbissenen und vor allem endlos langen Gemeinderatssitzungen und Jahreshauptversammlungen. Der Kollege von der Mitbewerber – Zeitung  sprach kein Wort mit mir. Und ich fragte mich verzweifelt, wann dieser schlechte Film wohl enden werde.

Um es kurz zu machen: Er endete nicht. Aber ich veränderte mich. Nicht schleichend, sondern mit einem Klick, der in meinem Kopf knallte wie ein Feuerwerk. Der Anlass war alltäglich: Ein Karnevalverein wollte sich auflösen, weil es kaum noch Aktive gab. Ich bemerkte plötzlich in den Augen der wenigen verbleibenden „Rappelköpp“ echten Schmerz,  beschloss spontan, mich zu engagieren und hatte plötzlich unzählige Gespräche mit Mitgliedern, die mich dazu erstmals, später aber immer wieder in der Redaktion besuchten.

Der Bann war gebrochen. Ich hatte verstanden, warum Menschen eine Lokalzeitung lesen: Weil sie ein gemeinsames Forum für die Diskussion ihres privaten Lebensmittelpunktes ist – mit nichts zu ersetzen – so lange sie sich einbringt: persönlich, engagiert, uneitel und mit Herz.

Vor einem Jahr habe ich meine Lokalzeitung abbestellt.

Lange habe ich ihr aus reiner Gewohnheit die Treue gehalten. Im Lokalteil finde ich nichts mehr, das den Preis lohnen würde – und  der überregionale Teil ist morgens schon alt. Ich konsumiere nicht nur etwa zwei Stunden Fernsehnachrichten am Tag, sondern auch jede Menge internationaler Nachrichten im Netz. Um zu erfahren, was über meine kleine Stadt niemand mehr berichtet, gehe ich zum Bäcker, zum Metzger und auf den Wochenmarkt.

Meine Zeitungszeit ist lange vorbei. Noch immer tut mein Herz weh, wenn ich den bekannten Geruch von Papier und Druckerschwärze in die Nase bekomme. Noch immer habe ich eine Neigung zu dokumentieren und  kommentieren.

Noch immer habe ich die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass es wieder Lokalnachrichten geben wird, die das Herz berühren, die Lust machen, sich am öffentlichen Leben zu beteiligen. Papier brauche ich dazu nicht. Kluge, bewegliche, uneitle Journalisten mit Herz für die Menschen schon.

Siehe auch:

FTD: Macht es nochmal, Leute

und: Niedergang der Printmedien 

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