Schlagwort: Zivilisten

Weltweite Hinrichtungen per Drohne, gesteuert über Ramstein

„Egal, wie lange es dauert und wo ihr seid: Wir kriegen euch“ tönte letzte Woche marzialisch US-Präsident Joe Biden vor den Kameras. Da hatte gerade eine Drohne den Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri, der in einem Safe-Haus in Afghanistan auf den Balkon getreten war, gezielt getötet. Al-Sawahiri galt als Nachfolger von Osama bin Laden, der 2011 bei einem Einsatz von US-Spezialkräften in Pakistan getötet wurde. Beides geschah, ganz wie in den zahlreichen US-Heldenfilmen, ohne Gerichtsurteil, ohne Information der jeweiligen Regierungen – und damit in einem Bruch des Völkerrechts, wie auch der Menschenrechte.

Weltweit töten US-Drohnen ohne Gerichtsurteile und in völliger Eigenregie vermeintliche „Terroristen“, im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“. Immer wieder treffen sie aber auch Unschuldige. Panorama hat für die ARD minutiös nachgezeichnet, wie wegen eines Irrtums sieben afghanische Kinder und drei unschuldige Erwachsene von der Rakete einer Drohne getötet wurden (siehe Video unten). Beteiligt ist in den meisten Fällen die US-Basis im deutschen Ramstein. Die Grünen haben diese Praxis jahrelang als Bruch des Völkerrechts kritisiert, die Regierung in Anträgen zum Handeln aufgefordert. Doch nun, selbst an der Macht, scheuen sie die einst so klaren Worte.

Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, die überall wie eine Lichtgestalt für Völkerrecht und Menschenrechte eintritt, bezieht sich dabei grundsätzlich auf Staaten, die nicht mit dem Westen verbündet sind. Neben China und den von den USA als Schurkenstaaten benannten Ländern, geht es dabei selbstverständlich zurzeit gegen die Kriegsverbrechen Russlands im Ukraine-Krieg. Die hehren und berechtigten Anliegen werden von Menschenrechtsorganisationen bei jeder Gelegenheit eingefordert. Aber sie haben einen riesigen blinden Fleck: Auch der Westen begeht Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen. Nicht nur die USA: Deutschland ist mitschuldig, weil es den Betrieb der Drohnensteuerungsanlage Ramstein nicht nur zulässt, sondern auch ganz bewusst nicht kommentiert. Panorama hat versucht, dazu einen Kommentar Baerbocks zu bekommen. Obwohl zwei Monate Zeit waren, weigerte sich die Außenministerin „aus Termingründen“.

„Wie auch immer der Zustand seiner Demokratie sein mag: Deutschland ermöglicht Amerikas heimliche Kriegsführung in Afrika“, schreibt Netzpolitik.org in einem detaillierten Aufsatz über die Aktionen in Ramstein. Und weiter: „In vielerlei Hinsicht ist dieser militarisierte Streifen Deutschlands ein Pulverfass. Die gemeinsame NATO-Kommandobehörde „Allied Air Command“, die für alle Luftoperationen und in Weltraumfragen der NATO verantwortlich ist, hat ihren Sitz seit 2013 in Ramstein. Die Kommandobehörde beinhaltet ein Raketenabwehrzentrum, den Kern des neuesten US-Raketenschilds, welches der Kreml als Bedrohung ansieht, da es einen Erstschlag gegen Russland wahrscheinlicher machen würde.“

Die Militärs der USA sind von den Möglichkeiten der Drohneneinsätze begeistert. „Unsere RPA-Unternehmung“ (RPA, ferngesteuerte Flugzeuge) fliegt jetzt „Kampfeinsätze auf dem gesamten Globus“, sagte der für das Air Combat Command zuständige General Herbert Carlisle gegenüber einem Senatskomitee im März 2016. „Sie bestücken unsere Entscheidungsträger mit Informationen, unsere Krieger mit Zielen und unsere Feinde mit Angst, Furcht und ultimativ ihrem zeitlichen Ende.“ Heute sind knapp 8000 Mitarbeiter der Luftwaffe allein dem Predator- und Reaper-Drohnenprogramm gewidmet. „Von den 15 Basen mit RPA-Einheiten“, sagte Carlisle, „haben 13 Kampfeinheiten. Diese Mission ist von solcher Wichtigkeit, dass wir auf ein konsistentes Wachstum an Fluggeräten, Personal und Resultaten setzen.“ 

Inzwischen hat die NATO unter Führung der USA auf dem Militärflugplatz Sigonella/Sizilien die Main Operating Base für ihr Aufklärungssystem Alliance Ground Surveillance errichtet. Es basiert auf der Drohne Global Hawk. Im Gegensatz zu Deutschland ging das praktisch lautlos und ohne jede öffentliche Debatte. In der Bundesrepublik gibt es immer wieder Proteste gegen Hinrichtungen mittels Drohnen, die über Ramstein gesteuert werden, weshalb manche Experten darüber spekulieren, dass diese Aktivitäten komplett nach Italien verlegt werden könnten. Europa ist für die USA im Drohnenkrieg unverzichtbar: Aufgrund der Krümmung der Erde können die Geräte nicht direkt aus den USA gesteuert werden. Die US-Drohnenangriffe, die 2001 unter George W. Bush begonnen wurden, haben dramatisch zugenommen – von insgesamt etwa 50 während der Bush-Jahre auf 12.832 bestätigte Angriffe allein in Afghanistan während der Präsidentschaft Donald Trumps. Auch bei eklatanten Irrtümern und vielen zivilen Opfern bleiben die handelnden Soldaten in der Regel straffrei.

Im Zweiten Weltkrieg hatten die Amerikaner das Gelände bei Ramstein-Miesenbach erobert und ab 1951 erweitert. Aus dem Militärflughafen „Landstuhl Air Base“ und dem Verwaltungstrakt „Ramstein Air Force Installation“ wurde dann 1957 die „Ramstein-Landstuhl Air Base“. Seit 1971 ist die Transporteinheit der US Air Force auf der Air Base stationiert. 1974 bezog außerdem die NATO mit ihrer Kommandobehörde für Luftstreitkräfte einen Gebäudekomplex auf dem US-Areal. Die „Ramstein Air Base“, wie sie heute offiziell heißt, liegt etwa einen Kilometer von Ramstein-Miesenbach entfernt und rund 13 Kilometer westlich von Kaiserslautern. Das Gelände ist etwa 1.400 Hektar groß. Der Lärm der Air Base ist groß, die Flugbewegungen sind jedoch mit keiner App nachvollziehbar.

Die Bedeutung der Air Base Ramstein für das US-Militär ist enorm. Der Flugplatz hat sich zum wichtigsten Drehkreuz für Fracht- und Truppentransporte der US Air Force weltweit entwickelt. Auch für Evakuierungsflüge wird der Flughafen regelmäßig genutzt. Verletzte Soldatinnen und Soldaten können im nahen Landstuhl Regional Medical Center behandelt werden, dem größten US-Krankenhaus außerhalb der USA. Auf der Air Base ist neben der US Air Force auch das Hauptquartier des Allied Air Command stationiert, einer Kommandobehörde der Luftstreitkräfte der NATO. Von Ramstein aus überwacht die NATO die Raketenabwehr des Bündnisses sowie die Weltraumaktivitäten der Mitgliedsstaaten. Für das Hauptquartier arbeiten mehr als 600 Menschen aus fast 30 verschiedenen Nationen.

Das Auto, in dem in Kabul zehn Unschuldige Menschen starben.

Drei Jemeniten, deren nahe Angehörige durch über Ramstein gesteuerte Drohnen ums Leben gekommen sind, versuchen seit Jahren, die Bundesregierung wegen einer Mitverantwortung zu verklagen. Das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte. „Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen“, schreiben die Münsteraner Richter.

Das Gericht äußerte Zweifel, ob die Einsatzpraxis der US-Regierung dem humanitären Völkerrecht genügt. Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs müssen „unverhältnismäßig hohe zivile Opfer“ vermieden werden. Ob die US-Armee im Krieg im Jemen vor jedem Drohneneinsatz eine derartige Prüfung vornehme, sei zweifelhaft.

Die Bundesregierung hatte versucht, die Rolle Ramsteins klein zu reden. Ulf Häußler aus dem Verteidigungsministerium erklärte sogar, die Relaisstation in Ramstein helfe, die Zahl ziviler Opfer zu reduzieren. Das Oberverwaltungsgericht ließ diese Argumentation nicht gelten. „Die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestünden keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Völkerrecht, beruht auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung und ist rechtlich letztlich nicht tragfähig“, so die Richter. Deutschland sei verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen den bestehenden Zweifeln nachzugehen.

Die Bundesregierung wurde im April 2010 und im November 2011 von der US-Seite darüber informiert, dass die Relaisstation in Ramstein von „herausragender Bedeutung“ für den Einsatz bewaffneter Drohnen in Übersee sei. Das geht auch aus offiziellen amerikanischen Dokumenten hervor. 2016 teilten US-Vertreter der Bundesregierung zudem mit, dass Ramstein „eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen“, wie es im Urteil des OVG heißt. Die Bundesregierung hat daraufhin im September 2016 hochrangige Gespräche in Washington geführt. Sie erklärte, sie habe keinen Anlass, an der Zusicherung der USA zu zweifeln, dass auf US-Militärliegenschaften in Deutschland geltendes Recht gewahrt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hob im November 2020 die Entscheidung aus Münster jedoch auf. Die Bundesregierung muss neben diplomatischen Gesprächen nicht kontrollieren, ob die Amerikaner bei ihren Einsätzen über die Air Base Ramstein im Einklang mit dem Völkerrecht agieren, entschied das Gericht. Grundrechtliche Schutzpflichten bestehen zwar auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern und im Fall von Grundrechtsbeeinträchtigungen anderer Staaten. Dafür müssen aber laut Gericht zwei Voraussetzung erfüllt seien: eine konkrete Gefahr und ein qualifizierter Bezug zum deutschen Staatsgebiet. Die Bundesregierung würde ihre Schutzpflicht demnach nur dann verletzen, wenn sie gänzlich untätig bliebe und ihre Maßnahmen offensichtlich völlig ungeeignet wären. Es gebe aber regelmäßige Konsultationen, die den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechen, und die Bundesregierung habe sich von den USA zusichern lassen, dass ihre militärischen Tätigkeiten in Deutschland im Einklang mit geltendem Recht erfolgen.

Nun kommt das Anliegen vor das Bundesverfassungsgericht.

Ob dieses den Mut haben wird, Völkerrechtsverletzungen auch als solche zu benennen?

Die USA haben dafür gesorgt, dass zu ihren Aktivitäten in Afghanistan, denen im Irak oder in anderen Ländern, bei denen Tausende unschuldiger Einheimischer zu Tode kamen, kaum Bild- und Beweismaterial im Netz zu finden ist. Ähnlich verhält es sich zu den Auslösern der Krim-Annektierung und des Ukraine-Kriegs durch Russland. Von diesem Krieg sind jedoch täglich neue Schauerbilder zu sehen. Es wird grundsätzlich von „Putins Krieg“ und einer unglaublichen Aggression Russlands gesprochen, der gegenüber sich der Westen als Hüter von Freiheit, Menschenrechten und Völkerrecht darzustellen versucht. Ganz so einfach ist das aber nicht.

Angehöriger, der beim Drohnenangriff in Kabul zehn Familienmitglieder verloren hat

Als US-Präsident Biden aufgrund des durch die Sanktionen gegen Russland selbst verursachten Gas- und Ölmangels im Westen in Saudi-Arabien mit der Bitte vorstellig wurde, doch die Produktion zu erweitern, da man auf Energie aus Russland aus Völker- und Menschenrechtsgründen verzichten müsse, erinnerte man ihn als erstes an den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA in den Irak. Ähnlich verhielt es sich beim Thema Menschenrechte: Joe Bilden hatte den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, auch MBS genannt, zuvor öffentlich wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Kashoggi verurteilt. Lächelnd konnte dieser jedoch auf unzählige vergleichbare Hinrichtungen der USA verweisen.

Auch in China, Indien und anderen asiatischen Staaten beißen die USA in ihrer Rolle als selbsternannte Retter der Menschenrechte auf Granit. Zu sehr haben sie sich in den letzten Jahrzehnten selbst ins Unrecht gesetzt. Und wir, die Verbündeten, sind an all dem mit schuldig. Weil wir der Schutzmacht USA wortlos alles durchgehen lassen, was wir ihren Feinden vorwerfen.

Siehe auch: Weltweiter Rechtsbruch über Ramstein und die dortigen Links

Menschenleben zählen im Krieg nicht – weder in Russland, noch den USA, in China oder Arabien

Nach wochenlangen Angriffen auf die Ukraine stellt sich heraus: Russland kommt nicht wie geplant voran. Die russische Truppe hat eine niedrige Kampfmoral, der Nachschub klappt nicht so recht, und die Ukraine, die vom Westen mit Waffen inzwischen regelrecht überschüttet wird, wehrt sich in Teilen erfolgreich. Obwohl inzwischen mehr als vier Millionen Einwohner – vorrangig Frauen und Kinder – nach Westen geflohen sind, ist der Wille zum Widerstand im Land ungebrochen. Dazu trägt Präsident Selensky höchst erfolgreich bei. Der Mann, der inzwischen mehr als ein Dutzend Mordversuche überlebt hat, führt einen bisher einmaligen Kommunikationskrieg über die sozialen Medien. Täglich richtet er sich an die Soldaten und alle Einwohner des Landes mit aufmunternden Worten. Er und seine Botschafter heizen dem Westen auf eine Weise ein, die nichts mehr mit Diplomatie zu tun hat. „Wir kämpfen für den gesamten Westen“ ist das Motto, und jedes Land wird einzeln aggressiv verbal angegriffen, damit es sich bewegt und mehr gegen diesen Krieg unternimmt.

Tausende Tote hat der inzwischen gefordert, und die Wut Wladminir Putins wächst stetig. Die Regionen entlang der nordöstlichen, östlichen und südlichen Grenze der Ukraine sind unter Dauerfeuer, und längst nehmen die Soldaten dort keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung. Gezielt werden Wohnsiedlungen, Krankenhäuser, Schulen und andere Einrichtungen der Infrastruktur ebenso wie einfache Leute angegriffen. Das ukrainische Internet funktioniert nicht mehr. Milliardär Elon Musk sorgt für Abhilfe: Er stellt sein Satelliten-Netz Starlink zur Verfügung und schaffte innerhalb kürzester Zeit Container voller Receiver ins Land. Beim russischen Überfall kamen sowohl international geächtete Streubomben, als auch Thermobomben und die nicht abwehrbaren russischen Hyperschallraketen zum Einsatz. Seit Wochen ist die Küstenstadt Mariupol eingeschlossen und total zerbombt. Evakuierungskorridore werden, wenn überhaupt, nur Richtung Russland geöffnet. Ohne Heizung, Wasser, Strom und Nahrung harren in der zerstörten Stadt noch immer über 100 000 Einwohner aus.

Seit dem ersten Aprilwochenende hat sich die russische Armee aus dem Großraum Kiev zurückgezogen. Die zerstörten umliegenden Orte offenbaren ein Bild des Grauens: Hunderte gefolterter und getöteter Zivilisten liegen auf den Straßen herum. Im Ort Butscha ist es besonders schlimm. Während der Westen in höchster Aufregung weitere strengste Sanktionen fordert, behauptet die russische Regierung, die Toten seien gestellt, so wie viele andere Szenarien der letzten Wochen Teil der ukrainischen Propaganda. Russland eröffnet seinerseits ein Strafverfahren gegen das ukrainische Militär, nachdem Hubschrauber ein Öllager bei der grenznahen russischen Stadt Belgorod in Brand gesetzt haben…

In Panik haben in der vierten Kriegswoche die russischen Soldaten die Region rund um das Katastrophen-Kraftwerk Tschernobyl verlassen. Als sie sich befehlsgemäß rund um den havarierten Atommeiler in den verseuchten Boden eingruben, erlitten sie Strahlenschäden. Ein halbes Dutzend russischer Generäle sind inzwischen gefallen. Der Frust in der Truppe ist hoch: Ein Verband hat den eigenen Kommandeur mit dem Panzer überfahren, nachdem die Brigade hohe Verluste erlitten hatte. Die Soldaten plündern Lebensmittelgeschäfte und vergewaltigen systematisch Frauen.

Der Handel der Ukraine ist durch die Blockade der Häfen durch Russland massiv eingeschränkt. Die Angreifer haben außerdem das Asowsche Meer vermint. Mehrere treibende Seeminen sind vor der Küste der Türkei aufgetaucht. Korridore für die Handelsschiffe werden nicht freigegeben. Da die Frühjahrsaussaat in weiten Teilen des Landes nicht ausgebracht werden kann, drohen nun Hungersnöte vor allem in ärmeren Staaten Afrikas, die von günstigen Weizen-Einfuhren abhängig sind.

Die EU und die USA haben massive Finanzsanktionen gegen Russland ausgesprochen. Das Auslandsvermögen in Höhe von etwa der Hälfte der Staatsreserven ist eingefroren, das Land ist so weit von Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen, dass es gerade noch möglich ist, Öl- und Gasimporte zu bezahlen, die noch den ganzen März über unverändert fließen. Putin versucht, mit Gegenmaßnahmen den wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern. Dann verlangt Putin die Zahlung der Energieimporte in Rubel, was die EU geschlossen ablehnt. Die Energieimporte werden rückwirkend bezahlt, so dass zu befürchten war, dass Öl und Gas nicht weiter fließen. Der deutsche Wirtschaftsminister Habeck rief also die erste von mehreren Warnstufen für den Gas-Notfallplan aus, und die deutsche Wirtschaft reagierte höchst alarmiert. Ein plötzlicher Stopp der Gas-Lieferungen, so eine DIW-Studie, würde Deutschland in eine zehnjährige Rezession treiben. Schon jetzt haben Hamsterkäufe dafür gesorgt, dass in den Supermärkten seit Wochen weder Sonnenblumenöl, noch Mehl zu finden ist.

Die Inflation in Deutschland hat im März die 7 Prozent-Grenze überschritten. Die Lebensmittelpreise steigen, der Handel erwartet Erhöhungen um bis zu 50 Prozent. Die Chemieunternehmen weisen darauf hin, dass, falls sie im Notfall kein Gas bekommen, sich dies an zahlreichen Produkten des Alltags zeigen werde, wie beispielsweise Shampoo. Die Bauern schlagen Alarm, weil auch russische Düngemittel von den Sanktionen betroffen sind. Das Problem ist so groß, dass die USA, die weltweit allen anderen Ländern mit Konsequenzen drohen, falls sie die Sanktionen umgehen, ihrerseits klammheimlich den russischen Dünger von der Liste nehmen. Um die Bevölkerung von völlig ungewohnt steigenden Preisen an den Tankstellen zu entlasten, entscheidet Präsident Biden außerdem, in der nächsten Zeit täglich eine Milliarde Barrel Öl aus der strategischen Reserve freizugeben.

Öl erreicht am Welt markt Preise von zeitweise 130 Dollar pro Barrel, die Dieselpreise an deutschen Tankstellen steigen bis auf 2,40€ pro Liter; haben sich damit gegenüber den Jahresbeginn verdoppelt. Die europäischen Regierungen reagieren schnell, die deutsche wie immer sehr langsam und viel zu schwach: Während die Gaspreise sich inzwischen verdreifacht haben, will die deutsche Regierung ein Energiegeld von 300 Euro pro Person und 100 Euro pro Kind auszahlen, das zu versteuern ist. Rentner bekommen nichts. Dazu soll es – aber nicht sofort – drei Monate lang ein ÖPNV-Ticket für 9 €/Monat geben – das auf dem Land so gut wie gar nichts nützt. Benzin und Diesel sollen drei Monate lang subventioniert werden, Benzin etwa doppelt so hoch wie Diesel.

Robert Habeck ist krisendiplomatisch in Arabien unterwegs, um neue Lieferanten für Öl und Gas zu finden, denn der Druck auf Europa, Energieimporte aus Russland zu kappen, steigt. Immer wieder wird jetzt wieder ein „vorübergehendes“ Tempolimit gefordert. Die Grünen betonen, dass der dauerhafte Ausweg ohnehin nur die erneuerbaren Energien seien. Die EU diskutiert, gemeinsam neue Einkaufsmöglichkeiten für Öl und Gas zu finden. Deutschland und wenige andere Staaten blockieren einen gemeinsamen Einkaufsstopp von Öl und Gas in Russland – mit Mühe einigt man sich auf den Importstopp von Kohle.

Mit Spannung wird erwartet, ob die EZB nun endlich ihre Geldpolitik ändert. Aber es besteht nur eine geringe Aussicht auf Änderung; zu sehr brauchen einige Staaten billiges Geld, das sie in der Vergangenheit freigiebig unter’s Volks gebracht haben: Italien beispielsweise hat damit der Bevölkerung völlig kostenfreie energetische Sanierungen ihrer Häuser spendiert.

Das Vorgehen der russischen Armee bei der Zivilbevölkerung der Ukraine und die wahllose Erschießung unbewaffneter Menschen werden mit dem Völkermord vom Srebrenica verglichen. Rufe nach einem internationalen Haftbefehl gegen Putin als Kriegsverbrecher werden laut. Für diesen ist es inzwischen kaum mehr möglich, seinen Angriff auf die Ukraine ohne Gesichtsverlust zu beenden – sofern er das überhaupt vor hat. Es kursieren Gerüchte, wonach der Präsident von seinen Beratern über den wahren Verlauf des Überfalls nicht informiert worden war, zu groß sei die Furcht vor seinen Wutausbrüchen. Seit Wochen werden Gespräche zu einem Waffenstillstand und/oder Bedingungen für ein Ende des Krieges gestellt – bisher ohne jedes Ergebnis. Der russische Präsident verlangt nicht nur dauerhafte Neutralität der Ukraine, zu der das Land inzwischen gegen Sicherheitsgarantien bereit wäre. Er fordert auch die Anerkennung des Donbas als eigenständig, was für die Ukraine nicht zur Debatte steht. Und eigentlich denkt er noch viel globaler, wie jetzt in aller Grausamkeit deutlich wird: Seit zehn Jahren propagiert Putin eine Freihandelszone von Portugal bis Wladiwostock. Ob es nur eine Freihandelszone sein soll, darf inzwischen bezweifelt werden.

Das kleine Moldawien, Polen, die baltischen Länder, Finnland und Schweden fürchten, dass Putins Aggression sich in Kürze auf sie richten könnte. Erstmals denken Finnland und Schweden an einen Beitritt zur Nato, obwohl Russland für diesen Fall mit ernsthaften wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen droht. Die Nato reagiert mit großflächiger Verlagerung von Truppen und Gerät an ihre Ostgrenze. Alle Verbindungen zwischen dem Westen und Russland scheinen dauerhaft gekappt. Wladimir Putin bleibt jedoch nicht untätig: Bei Besuchen in China und Indien werden Verträge über die Lieferung von Öl und preisgünstigem Gas abgeschlossen, zahlbar in den Landeswährungen, also unabhängig von den US-Sanktionen. Indien, das von Russland auch Waffen bezieht, hat sich, wie China, bei der UN-Vollversammlung geweigert, den russischen Überfall auf die Ukraine zu insgesamt verurteilen, hat allerdings nach den grauenhaften Bildern aus Butcha die Tötung von Zivilisten angeprangert. Beide Staaten, die zusammen immerhin für rund drei Milliarden Menschen stehen, rechnen sich Vorteile durch die Zusammenarbeit mit Russland aus.

So ist innerhalb weniger Wochen nicht nur ein neuer kalter Krieg entflammt, der jederzeit ein heißer werden könnte. Vielmehr ändert sich die bisherige Weltordnung in Riesenschritten. Die wirtschaftlich starken und aufstrebenden Länder Asiens verbünden sich mit Russland gegen Europa und die USA, vor allem aber auch gegen den Dollar. Wenn dieser als Welt-Leitwährung endgültig entmachtet wird, werden Sanktionsmaßnahmen zunehmend ihre Wirkung verlieren. China weitet seinen Einfluss unter anderem in Afrika kontinuierlich aus. Auch mit wenig Fantasie lässt sich leicht ausmalen, wohin diese Entwicklung führt: Der Westen muss darauf achten, nicht unter die Räder zu geraten. Allein die ständige Demonstration moralischer Überlegenheit wird ihn davor nicht retten.

Wohin die Reise führen könnte, zeigte sich diese Woche im Weltsicherheitsrat. Dort wurde, um der russischen Propaganda etwas entgegen zu setzen, Präsident Selensky per Video zugeschaltet. Dieser stellte den gesamten Sicherheitsrat in Frage: Wenn er nicht in der Lage sei, Sicherheit herzustellen, müsse er sich entweder dringend reformieren – oder sich selbst auflösen. Damit trifft der ukrainische Präsident einen Nerv: Da sowohl die USA, als auch Russland, bei Beschlüssen des Weltsicherheitsrates Vetorecht haben, können sie jeweils eine Verurteilung ihres eigenen Handelns verhindern. Jetzt versuchen die USA, Russland aus dem Weltsicherheitsrat zu werfen. Das wäre für die Vereinigten Staaten der beste Weg: Sie würden ihr Vetorecht behalten, und Russland könnte verurteilt werden. Sinnvoller wäre aber, im Rat Mehrheitsbeschlüsse möglich zu machen, die von keinem Veto verhindert werden können. Dann könnte sich der Rat auch anderen Kriegsverbrechen widmen – und die USA kämen nicht gut dabei weg.

Ganz besonders geht es hier um den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA in den Irak vor fast 20 Jahren. Im Unterschied zum Ukrainekrieg bekam die Öffentlichkeit dazu so gut wie keine Bilder zu sehen und erfuhr auch kaum Einzelheiten, wie etwa zum Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung – dafür sorgten die US-Präsidenten höchstpersönlich. Umso ärgerlicher war es für das Land, das sich so gern als Vertreter der Menschenrechte inszeniert und den moralischen Zeigefinger zeigt, dass Wikileaks im Oktober 2010 fast 400 000 Geheimdokumente der Amerikaner zum Irak-Krieg veröffentlichte. Wenige Monate zuvor hatte die Enthüllungsplattform bereits 77 000 geheime US-Dokumente zur Lage in Afghanistan veröffentlicht und sich damit den Zorn der US-Regierung zugezogen. Nun wurden blutige Details des Irak-Krieges offenbar: Einer internen Aufstellung der Armee zufolge wurden zwischen der Invasion 2003 und Ende 2009 insgesamt etwa 109 000 Iraker getötet, 63 Prozent von ihnen Zivilisten.

Zusätzlich wurden Berichte über Folter und Erniedrigung veröffentlicht. Wikileaks zitierte Augenzeugen mit den Worten: „Die einzigen Grenzen, die es gab, waren die Grenzen der Vorstellungskraft.“ In der Mehrzahl der Fälle gehe es um Taten von Irakern gegen Iraker. Ausgebildet worden waren diese irakischen Foltertrupps von US-Amerikanern. Eine führende Rolle dabei soll der Texaner Jim Steele inne gehabt haben, involviert war auch General Petreus, der später wegen einer Liebesaffaire stürzte. Ein Skandal für sich wurden die Berichte über Folterungen und Demütigungen im US-Geheimgefängnis Abu Graib: Dort hatten US-Soldaten in mindestens 400 Fällen Männer und Frauen vergewaltigt, sexuell extrem misshandelt, mit Hunden bedroht, kopfüber aufgehängt und vieles mehr. Präsident Obama verbot die Veröffentlichung der Bilder aus dem Gefängnis, weil sie „den Anti-Amerikanismus stärken und Soldaten in Afghanistan gefährenden“ könnten. So wurde möglich, was im Ukraine-Krieg niemals gelingen wird: Während die Flut der Bilder geschundener Menschen und zerstörter Zivilgebäude aus der Ukraine sich auf Dauer ins kollektive Gedächtnis einprägen werden, geraten die Hässlichkeiten des Irak-Krieges so langsam in Vergessenheit. Jedenfalls im Westen – nicht jedoch im Nahen Osten und in Asien. Dort vergleicht man Putins Krieg sehr wohl mit denen der USA.

Wikileaks konnte so viel über den Irak-Krieg veröffentlichen, weil ein als Bradley Manning bekannt gewordener Soldat während der Stationierung im Irak Hunderttausende Armeedokumente sowie Depeschen der USA von Militärrechnern heruntergeladen hatte. Darunter waren auch zwei Schock-Videos: Kampfhubschrauber der Army hatten am 7. Juli 2007 Ziele in Nord-Baghdad angegriffen.

Beim ersten Angriff beschossen die beiden Apaches mit ihren 30mm-Bordkanonen eine Gruppe von neun bis elf Männern, die sich im Weg von herannahenden amerikanischen Bodenkräften befanden. Einige der Männer waren bewaffnet mit AK-47 und einer Panzerfaust; andere waren unbewaffnet. Zwei für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitende irakische Kriegsberichterstatter Saeed Chmagh und Namir Noor-Eldeen, begleiteten die Gruppe. Noor-Eldeens Kamera wurde dabei ebenfalls für eine Waffe gehalten. Acht Männer, Noor-Eldeen eingeschlossen, wurden während dieses Angriffes getötet. Der zweite Angriff, bei dem auch die 30mm-Kanone zum Einsatz kam, galt dem verletzten Saeed Chmagh und zwei unbewaffneten Männern, die Chmagh helfen wollten: Kurz bevor die Bodentruppen eintrafen, versuchten sie ihn in ihren Van zu ziehen. Dabei wurden die drei Männer getötet und zwei im Wagen sitzende Kinder verletzt.

Bradley Manning, der Informant, der heute Chelsea Manning heißt, wurde in den USA wegen Geheimnisverrat 2013 zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, legte aber Berufung ein und kam wesentlich früher frei. Als Staatsfeind Nr. 1 betrachten die Vereinigten Staaten hingegen noch immer Julian Assange, einen der Gründer von Wilikeaks. Assange hatte für die Veröffentlichung gesorgt. Der 1971 in Australien geborene investigative Journalist wird seit dem Jahr 2010 gejagt. Zunächst stellte Schweden einen internationalen Haftbefehl wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung aus, der inzwischen längst zurückgezogen ist. Großbritannien verhaftete Assange und bereitete sich auf die Überstellung in die USA vor. Der auf Kaution Freigelassene flüchtete sich in die Botschaft von Ecuador, wo er sieben Jahre lang ausharrte. Er erhielt sogar die ecuadorische Staatsbürgerschaft, konnte die Botschaft aber nicht verlassen, weil er sofort verhaftet worden wäre.

Nach einem Regierungswechsel in Ecuador wurde Assange 2019 die Staatsangehörigkeit wieder entzogen. Er wurde in der Botschaft verhaftet und sitzt seitdem in einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft, bis über den Antrag der USA auf Auslieferung entschieden ist, der sich im Berufungsverfahren befindet. In den USA droht Assange lebenslange Haft unter extremen Bedingungen. Nachdem er inzwischen seit 12 Jahren eingesperrt ist, hat der Journalist seelisch erheblich Schaden genommen. Wäre seine Anwältin nicht, die er kürzlich geheiratet und mit der er zwei Kinder hat, würde er womöglich nicht mehr leben.

Diese Gegenüberstellung zweier Kriege dient nicht der Rechtfertigung einer oder der anderen Seite. Es geht darum, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Unzählige Kriegsverbrechen sind nicht gesühnt – und das darf nicht sein. Von den Sünden Chinas in dieser Beziehung habe ich andernorts bereits berichtet. Seit 63 Jahren ist Tibet nun aus chinesischer Sicht „befreit“. Noch immer werden Klöster zerstört, Mönche inhaftiert und grausam gefoltert, bevor sie zum Sterben heimkehren. Der Besitz eines Fotos des Dalai Lama ist dem tiefgläubigen Volk unter Strafe verboten. Unterricht in tibetischer Sprache darf nicht mehr stattfinden. Sogar die Gebetsfahnen, mit denen Tibeter die heiligen Berge geschmückt haben, müssen „aus Gründen des Umweltschutzes“ entfernt werden. Von der Behandlung der muslimischen Uiguren war in letzter Zeit häufiger die Rede. Sie werden zu Zigtausenden in Umerziehungslager gesteckt. In China soll nichts existieren, das anders denkt, als es die Partei vorgibt. Der Weltsicherheitsrat weiß von all diesen Dingen, handelt aber nicht. Es darf auch nicht sein, dass die größten Kriegsführer dieser Welt nicht bereit sind, sich Kriegsverbrecher-Verfahren in Den Haag zu stellen, weil sie den Gerichtshof schon gar nicht anerkennen.

Saudi-Arabien führt zusammen mit einer Allianz arabischer Staaten, zu denen auch Katar, Kuweit und die Vereinigten Emirate gehören, seit sieben Jahren einen vernichtenden Stellvertreterkrieg gegen den Iran im Jemen. Er wird von den USA unterstützt. Jemen war schon vorher ein bettelarmes Land. Dort gibt es inzwischen eine der schwersten humanitären Katastrophen weltweit. Trotzdem wird dieser Krieg bei uns kaum beachtet. Warum? Weil wir kaum Bilder davon sehen. Inzwischen wurden mehr als 24 000 Luftangriffe auf Ziele im Jemen geflogen. Wer sich die Karte anschaut sieht, dass es so viele militärisch wichtigen Ziele dort gar nicht geben kann. Es geht also auch hier gegen Zivilisten. Seit 2014 sind mehr als 200 000 Menschen gestorben, rund die Hälfte davon an Hunger oder Krankheiten. Hilfstransporte erreichen die leidende Bevölkerung nur schwer.

Und was tun wir? Wir tauschen Energielieferungen vom Kriegsverbrecher Putin gegen Lieferungen aus Arabien, deren Regierungen sich keinen Deut weniger schuldig gemacht haben. Mal ganz abgesehen davon, dass weder in Katar, noch in Saudi-Arabien die Menschenrechte so geachtet werden, wie wir das immer einfordern. Erst kürzlich hat Saudi-Arabien an einem einzigen Tag 81 Menschen hingerichtet, einige davon allein wegen Teilnahme an Sitzstreiks und Protesten.

Auf dieser Welt sollte es überhaupt keine Kriege geben. Nahrung und Wasser müssten gerecht verteilt und das Zusammenleben geprägt sein von dem Bewusstsein, dass wir alle Brüder und Schwestern sind – egal wo wir leben und welche Hautfarbe wir haben. Leider wird das wohl niemals der Fall sein und die Menschheit sich irgendwann wohl selbst vernichten. Dann profitiert wenigstens der Planet, an dessen Zerstörung wir so erfolgreich arbeiten.

Siehe auch: Angriff auf die Ukraine: Putins aufgestauter Zorn entlädt sich