Am 3. November haben die Vereinigten Staaten ihren Präsidenten gewählt. Selten war eine Wahl so spannend und die Beteiligung so hoch wie dieses Mal: Hatte doch Amtsinhaber Donald Trump in den vier Jahren seiner Amtszeit und einem schmutzigen Kampf um seine Wiederwahl das Volk in bisher ungekannter Weise gespalten. Fast eine Woche dauerte es, bis das vorläufige Ergebnis nach Auszählung der meisten Briefwahlstimmen fest stand: Konkurrent Joe Biden, dessen Ergebnis am Wahltag selbst gar nicht nach Sieg ausgesehen hatte, hatte Donald Trump in einer quälend langsamen Aufholjagd schließlich mit 306 Wahlmännern und -frauen, sowie einem Vorsprung von sechs Millionen Wählerstimmen deutlich überflügelt. 270 Wahlmänner genügen zum Sieg.
Noch immer weigert sich der amtierende Präsident, das Wahlergebnis anzuerkennen. Mit mehreren Dutzend Klagen versucht er das Unmögliche möglich zu machen und seinen Verbleib im Weißen Haus doch noch durchzusetzen. Dabei scheut er kein Mittel, spricht von Lug und Trug bei der Stimmauszählung, obwohl nichts derartiges nachweisbar ist. Gleichzeitig verweigert er seinem Nachfolger die übliche Art des Briefings durch seine Behörden, damit am Tag der Amtsübergabe, dem 20. Januar 2021, ein nahtloser Wechsel der Amtsgeschäfte möglich wird.
Dass es Donald Trump nicht gelungen ist, sich eine zweite Amtszeit zu sichern, ist für ihn der Supergau. In seinem ganzen Leben wurde er noch nie dazu gezwungen, eine Niederlage öffentlich einzugestehen. So lange sein Vater lebte, glich der mit seinem Geld die Pleiten seines Sohnes aus, um dessen Image als toller selfmade-Geschäftsmann zu sichern; später waren es die Banken, die Kreditausfälle fürchteten, würden sie Trump fallen lassen. Um ihn herum hat sich eine Entourage von Ja-Sagern versammelt, die ihn ausschließlich lobt und bestätigt – aus gutem Grund: Wer es wagt, die Wahrheit zu sagen, wird gefeuert. Jahrzehntelang in seinem narzisstischen Weltbild als gerissener Geschäftsmann bestätigt, war Donald Trump im Laufe der Zeit immer unverschämter aufgetreten, hatte sich immer weniger an geltendes Recht gehalten. Auch nach der verlorenen Wahl traut sich seine eigene Partei nicht, ihrem „900 Pfund-Gorilla“ zu widersprechen.
Jetzt droht diesem die Quittung: Sobald er nicht mehr durch die Immunität seines Amtes geschützt ist, rollt eine Welle von Prozessen auf ihn zu. Es geht um Steuerhinterziehung, Verleumdung, Betrug, sexuelle Belästigung. Die Vorwürfe beziehen sich auch auf die Trump-Organisation und weitere Familienmitglieder. Die Prozesse werden nicht nur Millionen an Anwaltskosten verbrauchen; es können Strafen in dreistelliger Millionenhöhe auf ihn zukommen, wie das ZDF-Auslandsjournal zusammenfasst (Video). Damit nicht genug: Wenn es ganz dick kommt, kann der Noch-Präsident für bis zu zehn Jahre im Gefängnis landen.
Im Buch „Die Akte Trump“ zeigt Pulitzerpreisträger David Cay Johnston den Aufstieg des 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten – angefangen bei Kindheit und Erziehung bis zum erbitterten Wahlkampf gegen Hillary Clinton. Mithilfe zahlreicher Interviews, Gerichtsakten und Finanzdokumente belegt er ein Geflecht aus Lügen und Betrug. Nach der Lektüre dieses Buches konnte jeder wissen, dass mit Donald Trump ein Lügner und Betrüger ins Weiße Haus eingezogen ist.
Donald Trump hat nach einer Auflistung der Financial Times mindestens 1,1 Milliarden Dollar Schulden. 900 Millionen davon werden in den nächsten drei bis vier Jahren fällig. Mit allein 340 Millionen steht er bei der Deutschen Bank in der Kreide. All seine Schulden sind über relativ wenige Gebäude und Golfplätze besichert. Laut Forbes besitzt der Noch-Präsident ein Vermögen von etwa 2,5 Milliarden Dollar. Wie realistisch diese Schätzung ist, steht auf einem anderen Blatt: Sein Leben lang hat Trump den Wert seines Vermögens für Zwecke wie die Forbes-Liste aufgebläht und für Steuerermittlungen klein gerechnet.

Michael Cohen, Trumps „Ausputzer“, hat in seinem Buch „Disloyal“ , das kurz vor der Wahl erschien, sowie vor Gericht viele der erhobenen Vorwürfe gegen den Präsidenten bestätigt. Nicht wenige der Betrügereien und Schweigegeldzahlungen, die dem Präsidenten vorgeworfen werden, hat Cohen persönlich in die Wege geleitet, begleitet oder ausgeführt, so etwa Schweigegeldzahlungen an mindestens zwei Frauen, mit denen Donald Trump Affairen hatte. Er musste im Namen des Präsidenten immer wieder dessen Frau Melania belügen.
Eine kleine Chance, sein Amt zu behalten, hat Donald Trump noch; auch wenn es kaum möglich scheint, sie zu erreichen: Bis zum 23. November müssen alle Stimmen fertig ausgezählt sein, damit sie zertifiziert werden können. Bis 8. Dezember stellt in jedem Staat ein paritätisch besetztes Gremium das Wahlergebnis offiziell fest. Ab dann ist dieses im „safe harbour“ und kann grrundsätzlich nicht mehr angefochten werden.
Normalerweise geht es dann so weiter: Die Wahlleute der jeweiligen Staaten geben bis 14. Dezember ihre Stimmen ab und schicken das Ergebnis bis zum 23. Dezember nach Washington. Dabei kommt es immer wieder vor, dass einige anders wählen, als sie sollten (faithless electors). 2016 gab es überdurchschnittlich viele von ihnen: zehn. Dennoch haben diese nicht vom Wahlergebnis überzeugten Wahlmänner und -frauen bisher nie eines verändert. Bis 3. Januar konstituiert sich der Kongress, der dann die Stimmen der Wahlmänner auswertet. Bis 6. Januar muss das Ergebnis vorliegen. Der neue Präsident wird ausgerufen und am 20. Januar vereidigt.
Das Trump-Team könnte nun während dieses Ablaufs für Verzögerungen sorgen, die ein Eingreifen ermöglichen: Die erste Gelegenheit dazu gibt das Datum 23. November. Wenn bis dahin genügend Unsicherheit geschürt wurde und (berechtigte) Klagen noch nicht entschieden sind, bestimmen die Parlamentarier die Wahlmänner nach ihren Vorstellungen. Sind sie überzeugt, dass Trump Präsident bleiben sollte, könnten sie die entsprechenden Wahlmänner und -frauen am Wählerwillen vorbei aufstellen. Zu diesem Zweck hat der Präsident diese Woche bereits zwei republikanische Abgeordnete aus Michigan ins Weiße Haus eingeladen. Die beiden erklärten danach jedoch, keinen Grund zu sehen, um gegen das Wahlergebnis vorzugehen und hätten statt dessen druckvoll um mehr Pandemiehilfen für ihren Bundesstaat geworben. In Pennsylvania musste das Trump-Team gerade einen großen Teil seiner Klage zurückziehen, mit der die Zertifizierung gestoppt werden sollte. In Georgia hat der Noch-Präsident die zuständigen Behörden und Abgeordneten regelrecht terrorisiert.
Danach kann Trump noch zu erreichen versuchen, dass die Wahlmänner und Frauen nicht zertifiziert werden. Auch hier ist er bereits bei der Arbeit und ruft persönlich bei Wahlkommissionen an. Sollte das scheitern, bleiben noch die faithless electors. Hier könnte das Schüren von Unsicherheiten, mit dem der Präsident bereits Monate vor der Wahl begonnen hat, Wirkung zeigen. Ohne Beweise, allein durch ständige Wiederholungen seiner Behauptung, es habe groß angelegten Betrug bei der Briefwahl gegeben, hat er drei Viertel seiner Wählerschaft davon überzeugt. Weil er sich bei allen drei Wegen noch Chancen ausrechnet, betont der Präsident immer wieder, dass er am Ende gewinnen werde.
Siehe auch:
Narzisstische Wut will vernichten: H.G. Tudor und Donald Trump
Make America great again: Mit Donald Trump kommt ein Lügner und Betrüger ins Amt