Schlagwort: Urheberrecht

Gutachten zur Abgeordnetenbestechung soll geheim bleiben – WARUM?

Am heutigen 17. Oktober findet eine Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema “Bekämpfung Abgeordnetenbestechung” statt. Dazu existiert bereits seit dem Jahr 2008 ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das dringend Reformen anmahnt. Dieses Gutachten wurde jedoch offiziell nie öffentlich gemacht – mit Hinweis auf das Urheberrecht.

netzpolitik.org hat das Gutachten vor zwei Wochen exklusiv online gestellt (weiter unten der komplette Bericht in Kopie) und ausführlich kommentiert.

Heute erreichte den Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org, Markus Beckedahl,  ein Einschreiben des Bundestages, wonach das Gutachten umgehend aus dem Netz zu entfernen sei.

Angesichts der Diskussionen der letzten Wochen über Nebeneinkommen von Abgeordneten, aber auch angesichts der offensichtlichen Bestrebungen der Regierung, immer mehr  Gremien einzurichten, die nichtöffentlich tagen und zur Geheimhaltung verpflichtet sind (siehe Berichterstattung in diesem Blog zum ESM und dem Vorstoß Wolfgang Schäubles zur  Neuordnung der europäischen Union) halte ich es für notwendig, netzpolitik.org zu unterstützen. Transparenz ist eine wesentliche Grundlage der Demokratie. Bezahlte Lobbyarbeit – in welcher Form auch immer – darf für Abgeordnete kein Thema sein.

Hier nun zunächst der Kommentar von Markus Beckedahl zum heutigen Einschreiben, anschließend die Berichterstattung zum Gutachten – wörtlich übernommen aus dem Blog von netzpolitik.org.

Nein. Das Gutachten zur Abgeordnetenkorruption bleibt öffentlich und auch hier verfügbar.

‚Dem deutschen Volke‘ steht vorne auf dem Bundestagsgebäude, das Volk bezahlt die Erstellung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienste, es gibt keinen Geheimhaltungsgrund für das Gutachten – sonst dürfte es auch nicht nach IFG herausgegeben werden – und der Verweis auf das Urheberrecht ist für ein im Auftrag durch Beamte oder Angestellte des Bundestages in ihrer Arbeitszeit erstellten Gutachtens indiskutabel.

Die Diskussion der vergangenen Wochen hat noch einmal nachdrücklich gezeigt, welche Wichtigkeit das Thema der (Un-)Bestechlichkeit für die Öffentlichkeit hat. Das zeigte nicht nur die Diskussion um Peer Steinbrück und seine Nebenredeneinkünfte. Was soll man von einem Parlament halten, dessen wissenschaftlicher Dienst zwar dazu forscht, aber diese Ergebnisse dann unter Verschluss und damit vom Bürger fernhalten will?“

Deutsche Gesetzgebung eher symbolisch

Von  | Veröffentlicht am: 01.10.2012 bei netzpolitik.org

Die deutschen Gesetze zur Abgeordnetenbestechung sind “praktisch bedeutungslose symbolische Gesetzgebung” und müssen dringend verschärft werden. Diesem Urteil des Bundesgerichtshof schließt sich auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem vor vier Jahren erstellten Gutachten an. Das Dokument wird bisher geheim gehalten, netzpolitik.org veröffentlicht jetzt das komplette Gutachten.

Die Wikipedia sagt auf der Seite Abgeordnetenbestechung: In den meisten anderen Ländern ist dieser Straftatbestand schärfer als in Deutschland.
Der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch stellt ausschließlich den direkten Kauf von Stimmen vor einer Abstimmung unter Strafe. Und auch das wurde erst 1994 eingeführt.

Im Jahr 2005 ist die UN-Konvention gegen Korruption in Kraft getreten. Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag enthält Präventionsmaßnahmen gegen Korruption sowie die die Pflicht der Staaten, verschiedene Sachverhalte rund um Korruption unter Strafe zu stellen. Bisher haben 161 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland nicht, zusammen mit Myanmar, Sudan, Saudi-Arabien, Nordkorea und Syrien. Deutschland ist hier Bananenrepublik – weit weg vom internationalen Standard.

Bereits im September 2008 hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten “Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenkorruption” erstellt, der diesen Zustand kritisiert und dringenden Reformbedarf anmeldet.

Im Dezember 2008 berichtete der Spiegel aus dem Dokument: „Tatsächlich gilt ein deutscher Abgeordneter nur dann als korrupt, wenn nachgewiesen werden kann, dass er sich vor einer Wahl oder Abstimmung in einem Parlament kaufen ließ. Nimmt er dagegen den Lohn für sein Votum erst nach einer Abstimmung an, als eine Art “Dankeschön”, geht er straffrei aus – so entlarvt das bestehende Gesetz weniger die Bestechlichkeit eines Abgeordneten als seine Dummheit, sich die Gefälligkeit zum falschen Zeitpunkt erweisen zu lassen.“

Doch die Öffentlichkeit hat dieses Gutachten nie zu sehen bekommen. Zwar kann man mittlerweile auf FragDenStaat.de nach Informationsfreiheitsgesetz eine Anfrage stellen. Eine Veröffentlichung wird jedoch verboten, wegen des Urheberrechts: „Ich weise deshalb darauf hin, dass das Ihnen übersandte Gutachten für Sie persönlich bestimmt ist. Die Übersendung beinhaltet nicht die Befugnis der Verbreitung oder Veröffentlichung. Die unerlaubte Veröffentlichung oder Verbreitung von Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes stellt einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar und hat sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen“.

Das sehen wir nicht ein. Die Wissenschaftlichen Dienste werden von unseren Steuern bezahlt. Die Gutachten werden im Auftrag von gewählten Abgeordneten erstellt. Wir sind der Meinung, in dieser Art zustande gekommene Studien müssen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Bestärkt fühlen wir uns von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin. Das hat vor zwei Wochen entschieden: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erfasst auch Dokumente der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.

Daher veröffentlichen wir an dieser Stelle das komplette Gutachten als PDF.

Aus der Zusammenfassung:

  • Die Abgeordnetenbestechung, für die keine einheitliche Definition existiert und deren repressive Bekämpfung in Deutschland seit Jahren sehr kontrovers diskutiert wird, ist im Straftatbestand des § 108e StGB pönalisiert, dessen enger Anwendungsbereich sich jedoch lediglich auf den Teilbereich des Stimmenkaufs bzw. –verkaufs bei Wahlen oder Abstimmungen in Volksvertretungen beschränkt:
  • Die derzeitige bewusst restriktive Fassung der Norm begegnet in der Rechtswissenschaft und in der öffentlichen Diskussion wegen der Privilegierung von Mandatsträgern erheblicher Kritik, da § 108e StGB als praktisch bedeutungslose „symbolische Gesetzgebung“ viele Fälle strafwürdiger politischer Korruption nicht wirksam erfasse, zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten biete und die gesellschaftspolitische Realität der stetig zunehmenden Einflussnahme auf Parlamentarier nicht adäquat widerspiegele. Angesichts dieser tatbestandlichen Defizite und des vom BGH angemahnten legislatorischen Handlungsbedarfs sowie im Hinblick auf die teilweise noch nicht implementierten Vorgaben internationaler und europäischer Antikorruptionsübereinkommen und ferner auch in rechtsvergleichender Perspektive ist im Ergebnis zu konstatieren, dass die Abgeordnetenbestechung in Deutschland durch den Tatbestand des § 108e StGB hinsichtlich des mit der Norm intendierten Schutzes der Integrität und Unabhängigkeit der Mandatsausübung keine ausreichende strafrechtliche Regelung erfahren hat und diesbezüglich Reformbedarf besteht. Die Notwendigkeit einer Erweiterung und Verschärfung des § 108e StGB ist insbesondere auch mit Blick auf die Ratifikation des von Deutschland bereits am 27. Januar 1999 gezeichneten Strafrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption sowie der am 9. Dezember 2003 gezeichneten UN-Konvention gegen Korruption, die einen globalen Mindeststandard der Kriminalisierung der Abgeordnetenbestechung etabliert, angezeigt.

Auch Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, kritisiert die Zurückhaltung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vor der Öffentlichkeit. Bereits in seinem 3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit bestätigte er:

  • Der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem IFG gilt auch für Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.

Schaar sprach sich auch dagegen aus, …

  • … dass der Bundestag die Herausgabe von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes unter Hinweis auf Urheberrechte ablehnt. Schließlich seien diese Gutachten aus Steuermitteln finanziert und dienten der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.

Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland, kommentiert den Inhalt des Gutachtens:

  • Die Regierungsfraktionen sollten sich endlich zu Herzen nehmen, was der Wissenschaftliche Dienst bereits vor vier Jahren feststellte, nämlich dass Reformbedarf beim Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung besteht.

Am heutigen 17. Oktober findet eine Anhörung im Rechtsausschuss zum Thema “Bekämpfung Abgeordnetenbestechung” statt. Bis dahin können sich interessierte Bürger informieren, das Gutachten lesen und sich dann an die Bundestagsabgeordneten wenden – damit diese Abgeordnetenbestechung endlich wirksam unter Strafe stellen.

Wer uns unterstützen will: Das Gutachten kann gerne an anderen Stellen des Netzes gespiegelt werden. Je öfter es verteilt wird, umso weniger kann der Inhalt wieder der Öffentlichkeit entzogen werden.

Update: Auf change.org gibt es auch eine Petition zum Thema:

  • Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages,
  • ich fordere Sie auf, die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) zu ratifizieren.
  • Abgeordnetenbestechung muss auch in Deutschland endlich strafbar sein!
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Siehe auch:
Gesetzentwürfe und Stellungnahmen zur Anhörung des Rechtsausschusses und:
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Update: Soeben hat der Pressedienst des Deutschen Bundestages das Ergebnis der heutigen Anhörung im Rechtsausschuss veröffentlicht:
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„Handlungsbedarf bei der Abgeordnetenbestechung“

Vorsitzender Siegfried Kauder (CDU/CSU)

Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses, eröffnete die Anhörung. © DBT/Melde

Experten sehen mehrheitlich Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung und fordern eine entsprechende Gesetzgebung. Das ist das Ergebnis einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Siegfried Kauder (CDU/CSU) mit sieben Fachleuten am Mittwoch, 17. Oktober 2012. Anlass waren Gesetzesinitiativen der drei Oppositionsfraktionen. Nach Meinung der SPD-Fraktion ist die Vorschrift der Abgeordnetenbestechung nicht ausreichend, weshalb die Fraktion einen Gesetzentwurf (17/8613) eingebracht hat. Nach geltendem Recht seien Bestechlichkeit und Bestechung von Parlamentariern nur als Stimmenverkauf und -kauf bei Wahlen strafwürdig. Bis heute gebe es keine strafrechtliche Regelung, die sämtliche strafwürdige Verhaltensweisen von Mandatsträgern im Bereich der Vorteilsannahme und –zuwendung erfasst.

Vorschläge der Linken und Grünen

Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Gesetzentwurf (17/1412), Abgeordnetenbestechlichkeit in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Die Regelung solle für den Bundestag, die 16 Landtage und die Räte von Gemeinden gelten. So solle beispielsweise ein Mitglied des Bundestages mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belegt werden, wenn er „für eine Handlung oder Unterlassung, die im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats steht, einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wenn dies seiner aus dem Mandat folgenden rechtlichen Stellung widerspricht“.

Wie die Grünen in ihrem Gesetzentwurf (17/5933) erläutern, fordert das Übereinkommen der Vereinten Nationen und des Europarates gegen Korruption die Unterzeichnerstaaten auf, die Bestechung und die Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Abgeordneten konsequent unter Strafe zu stellen. Die geltende Regelung der Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Dadurch werde die Bekämpfung der Korruption geschwächt und das Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt.

„Wirtschaft befürwortet eine Gesetzgebung“

Privatdozent Dr. Sebastian Wolf von Transparency International aus Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Dozent an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Münster sowie Prof. Dr. Bernd Heinrich, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Humboldt-Universität Berlin begrüßten die drei Gesetzesinitiativen. Sie seien sehr „konstruktiv“, sagte Wolf. Da allerdings jeder Entwurf Schwächen habe, forderte er indirekt eine Synthese.

Wolf wies zudem darauf hin, dass mittlerweile in der deutschen Wirtschaft eine „breite Mehrheit“ eine derartige Gesetzgebung befürworte. Dagegen kam Wolfgang Jäckle zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag der Grünen-Fraktion am geeignetsten wäre. Bernd Heinrich sah die Vorteile überwiegend bei dem Entwurf der SPD-Fraktion.

Völker- und verfassungsrechtliche Bedenken

Dr. Gerald Kretschmer, Ministerialrat a.D. aus Bonn, und Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, der an der Universität Würzburg öffentliches Recht lehrt, wiesen alle drei Gesetzesinitiativen zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung zurück und äußersten völkerrechtliche beziehungsweise verfassungsrechtliche Bedenken.

Schwarz erklärte, dass es sich im internationalen Vergleich in Deutschland um ein „Luxusproblem“ handele. Er äußerte Verständnis dafür, diese Problematik auch in Deutschland zu thematisieren. Allerdings seien derartige Vorkommnisse hierzulande kaum vorhanden. (ver/17.10.2012)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
  • Prof. Dr. Bernd Heinrich, Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
  • Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Dozent, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Münster
  • Eberhard Kempf, Rechtsanwalt, Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins (DAV),Frankfurt am Main
  • Dr. Gerald Kretschmer, Ministerialrat a. D., Bonn
  • Dr. Regina Michalke, Rechtsanwältin, Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrprofessur für Öffentliches Recht
  • Privatdozent Dr. Sebastian Wolf, LL.M.Eur., Transparency International Deutschland e. V., Berlin
  • N. N.

NACHTRAG:

So kann Lobbyarbeit praktisch aussehen: Das Berliner CDU-Fraktionsmitglied im Abgeordnetenhaus Michael Freiberg ist einen typischen Berufsweg gegangen: Verwaltungsschule – Verwaltung – aktive Politik.

Ab 1995 war er Stadtrat im Bezirk Neukölln, danach bis Oktober 2006 stellvertretender Bezirksbürgermeister. Im Frühjahr 2007 machte Freiberg sich mit als Politikberater selbstständig. Seine Arbeit: Türöffner für Interessenvertreter und Lobby-Gruppen. Sein Lebenslauf verweist auf eine beeindruckende Liste von Aktivitäten innerhalb verschiedenster Gremien in Berlin-

Im Oktober 2011 gelang Michael Freiberg der Einzug ins Landesparlament als Direktkandidat, wo er zurzeit als Abgeordneter Gehalt und Rentenanspruch erarbeitet. Trotzdem besteht seine Homepage mit dem Beratungsangebot der Freiberg Consulting fort.

Jetzt die Frage: Genügt es, wenn so ein Mann die Höhe seiner Nebeneinkünfte pauschal angibt? Oder macht es vielleicht Sinn zu erfahren, wem der Abgeordnete für wieviel Geld wo eine Tür öffnet?

Entscheiden Sie selbst.

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Update 9.11.2012: Rent a Volksvertreter 
Update 29.2.2013: Deutschland blamiert sich im Vergleich – Zehn-Stufen-Modell erlaubt weiter Verschleierung
                                       Antwortboykott: Wenn Politiker plötzlich verstummen
Update 5.3.2013: Transparency begrüßt interfraktionellen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung
Update: FDP blockiert Gesetz – Petition unterzeichnen
                  Hier können Sie recherchieren 
Update: Rechtsausschuss des Bundestages hat der Unterzeichnung der UN-Konvention zugestimmt

Leistungsschutzrecht: Es droht ein langer Streit auf Kosten der Leser

Gekürzt entnommen aus ZEIT online

Das Bundeskabinett hat das sogenannte Leistungsschutzrecht beschlossen. Zwei Entwürfe des Gesetzes gab es und wurden verworfen, der dritte wurde am Mittwoch nun angenommen. Mit diesem neuen Recht sollen Verlage und Presseerzeugnisse besser geschützt werden, wie es in dem Entwurfstext heißt, der von iRights.info veröffentlicht wurde (siehe unten). Das bedeutet, Verleger sollen die Möglichkeit bekommen, von Seiten wie Google Lizenzgebühren zu fordern, wenn Suchmaschinen Zeitungstexte et cetera verlinken und auf sie hinweisen.

Der neue Entwurf sieht dabei im Großen und Ganzen wieder aus wie der erste. Mit einer Ausnahme: Im Absatz vier des geplanten neuen Paragrafen 87g des Urheberrechts ist ein Satz etwas ausführlicher formuliert. Im ersten Entwurf vom Juni hieß es noch: „Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen für nichtgewerbliche Zwecke.

Das wurde heftig kritisiert, da es auch jeden Blogger betraf. Demnach hätte es gereicht, neben einem Link auf einen Zeitungsartikel auch noch einen Flattr-Knopf zu haben, um eine Abmahnung zu riskieren. Im zweiten Entwurf hieß es daraufhin: „Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen, soweit sie nicht durch die Anbieter von Suchmaschinen erfolgt.“

Jetzt heißt es:

„Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten.“

In der Begründung des Gesetzes wird das noch ein wenig differenziert. Dort steht, Ziel seien Suchmaschinen und gewerbliche Anbieter, die „systematisch“ auf Verlagsinhalte zugreifen und Ergebnisse „entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten“. Blogger sind damit nicht mehr betroffen, es meint allein Google, Microsoft und Nachrichten-Aggregatoren wie Rivva.

Allerdings steht nun als Einschränkung auch noch der Satz in der Begründung: „Deren Geschäftsmodell ist in besonderer Weise darauf ausgerichtet, für die eigene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen.“

Bei Google sorgt dieser Satz für Verwirrung. Denn das eigene Geschäftsmodell und die eigene Wertschöpfung sind nach Ansicht des Konzerns auf keinen Fall von Verlagsangeboten abhängig oder in „besonderer Weise“ auf sie ausgerichtet. „Die Frage, ob Google von dem Gesetz überhaupt betroffen ist, ist durchaus legitim“, sagt Unternehmenssprecher Ralf Bremer.

Zwar habe Google intern nie erhoben, wie viel Geld der Konzern mit Links und Verweisen auf journalistische Texte verdient, sagt Bremer. Doch verweist er auf eine Studie, die aufgrund der Gesetzespläne gerade für Aufmerksamkeit sorgt.

Das Beratungsunternehmen TRG hatte untersucht, wie viele der Suchergebnisse in der Googlesuche auf einen Verlagsinhalt verweisen. Das Ergebnis ist für deutsche Verleger eher ernüchternd. Zwar wird Google für sie immer wichtiger als Lieferant von Besuchern und Klicks, umgekehrt aber spielen sie für Google offensichtlich nur eine kleine Rolle. Zitat aus den Ergebnissen: „92,5% der Google Suchergebnisse gehören nicht zu einem News-Publisher. Nur 8,3% der Ergebnisse auf der wichtigen Google-Ergebnisseite 1 gehören zu 
deutschen Nachrichtenangeboten.“

„Wir müssten eigentlich alle Inhalte rausnehmen, um nicht schadensersatzpflichtig zu werden“, sagt Googlesprecher Bremer. „Anschließend müssten wir dann mit jedem Verlag verhandeln.“

Ob Google das wirklich tut, wollte Bremer nicht sagen, das müssten Juristen prüfen. So etwas kann dauern. Genau wie die anschließenden Verhandlungen. Gut möglich also, dass nach dem Streit zwischen Gema und YouTube der nächste jahrelange Kampf droht, der vor allem für die Nutzer lästig ist.

iRights.info veröffentlicht den aktuellen Entwurf zum Leistungsschutzrecht für Presseverlage im Volltext. Betroffen sind wohl auch News-Aggregatoren, die selbst in der Hand der Verlage sind.
Netzpolitik.org berichtete am Dienstag, das geplante Leistungsschutzrecht für Presseverlage (LSR) werde am Mittwoch Thema im Bundeskabinett sein. Der Sozialdemokrat Jan Mönikes veröffentlichte Änderungen zum bisherigen Entwurf. iRights.info veröffentlicht nun die aktuelle Version im Volltext.Gegenüber den bekannten Formulierungen findet sich darin eine Erweiterung, wonach nicht nur gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen vom LSR betroffen sind, sondern auch „gewerbliche Anbieter von Diensten (…), die Inhalte entsprechend aufbereiten“. Darunter könnten News-Aggregatoren wie Virato, Rivva und Nachrichten.de fallen. Die Formulierung bietet neuen Zündstoff für die Debatte um das LSR. So gehört Nachrichten.de selbst zu einem der großen Presseverlage, dem Burda-Konzern.Der entsprechende Passus im Originaltext:

„(4) Zulässig ist die öffentliche Zugänglichmachung von Presseerzeugnissen oder Teilen hiervon, soweit sie nicht durch gewerbliche Anbieter von Suchmaschinen oder gewerbliche Anbieter von Diensten erfolgt, die Inhalte entsprechend aufbereiten. Im Übrigen gelten die Vorschriften des Teils 1 Abschnitt 6 entsprechend.).“

Dass die Abgrenzung zum Balance-Akt wird, zeigt die neue Begründung:

„Erforderlich ist ein Schutz nur vor systematischen Zugriffen auf die verlegerische Leistung durch die gewerblichen Anbieter von Suchmaschinen und gewerbliche Anbieter von solchen Diensten im Netz, die Inhalte entsprechend einer Suchmaschine aufbereiten. Denn deren Geschäftsmodell ist in besonderer Weise darauf ausgerichtet, für die eigene Wertschöpfung auch auf die verlegerische Leistung zuzugreifen. Erfasst sind also unabhängig von ihrer technischen Ausgestaltung auch entsprechende Dienste, die nicht das gesamte Internet durchsuchen, sondern lediglich einzelne, ausgewählte Bereiche hiervon, also auch so genannte News-Aggregatoren, soweit sie nach Art einer Suchmaschine ihre Treffer generieren oder ihre Ergebnisse darstellen. Demgegenüber werden Dienste nicht erfasst, die die verlegerische Leistung auf andere Weise nutzen, z. B. indem sie dem Internet-Nutzer aufgrund eigener Wertung eine Auswahl von Presseerzeugnissen anzeigen. Auch Suchfunktionen innerhalb des eigenen Datenbestandes werden vom Leistungsschutzrecht nicht betroffen.“

CDU/CSU und FDP haben im Koalitionsvertrag vereinbart, ein Leistungsschutzrecht für Presseverlage auf den Weg zu bringen. Welche gewerblichen Anbieter danach genau künftig für die Verbreitung von Presseerzeugnissen im Internet ein Entgelt an die Verlage zahlen sollen, ist ungeklärt.

Updates: „Verlage sind neidisch“    

BDZV: Leistungsschutzrecht für Verlage, Fakten und Argumente

gesammelte Kommentare bei Netzpolitik.org.

Wenn der Link nicht mehr linkt… oder: Wer braucht wen nötiger? 

Tagesschau-App: Etappensieg für die Verlage

 

 

Kontrollwahn? US-Pläne für den Cyber-Ernstfall

Von Alfred Krüger, entnommen heute.de

SOPA, PIPA – und jetzt CISPA: In den USA jagt ein Netz-Gesetz das nächste. Der jüngste Entwurf verspricht Firmen Schutz vor Datenspionen und Hackern und soll die Weitergabe sensibler Informationen an Behörden erleichtern. Datenschützer protestieren.

Mitte Januar liefen Netzaktivisten zusammen mit Bürgerrechtlern und Unternehmen wie Google, Facebook oder eBay Sturm gegen SOPA und PIPA, zwei Gesetzentwürfe gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet. Die US-Ausgabe der Wikipedia schloss aus Protest gegen eine befürchtete Zensur des Internets sogar für einen Tag die Tore. Die Proteste hatten Erfolg. SOPA und PIPA sind mittlerweile vom Tisch.

Mehr Schutz vor Spionen und Hackern

Nun stößt ein anderer US-Gesetzentwurf auf nicht minder heftige Kritik – zumindest bei Bürgerrechtlern und Netzaktivisten. Es geht um den Cyber Intelligence Sharing and Protection Act (CISPA), ein Gesetz zur Bekämpfung von Kriminalität und Datenspionage im Internet. Es soll Regeln festlegen, wie staatliche Stellen und private Unternehmen im Falle einer Bedrohung der Cybersicherheit Informationen austauschen können.

Der umstrittene Gesetzentwurf stammt aus der Feder des republikanischen Kongressabgeordneten Michael Rogers. Staaten wie China würden über das Internet gezielt Industrie- und Wirtschaftsspionage betreiben, sagt Rogers. „Jahrelange Arbeit und Milliarden Dollar, die in Forschung und Entwicklung geflossen sind (…), das alles kann in Sekunden verloren sein.“ Staat und Wirtschaft müssten sich deshalb besser vor Spionage und anderen Netzgefahren schützen.

 „Datenschutz wird ausgehebelt“

Unternehmen wie Facebook oder Microsoft schlagen in dieselbe Kerbe. „Wenn ein Unternehmen einen Angriff erkennt, kann die schnelle Weitergabe von Informationen andere Unternehmen und deren Kunden davor schützen, ebenfalls zum Opfer zu werden“, so Facebook-Vize Joel Kaplan. An Rogers schrieb er deshalb einen offiziellen Dankesbrief. „Ihr Gesetz befreit uns von lästigen Regeln, die uns daran hindern, unser Cyber-Ökosystem zu schützen“, so Kaplan in dem Brief.

Solche Äußerungen sind Wasser auf die Mühlen der CISPA-Gegner. Sie warnen davor, dass das geplante Gesetz im Falle einer tatsächlichen oder nur behaupteten „Cyberbedrohung“ sämtliche Datenschutzrechte außer Kraft setzen könnte. „Es gibt fast keine Einschränkungen, welche Informationen gesammelt und wie sie benutzt werden dürfen, solange sich ein Unternehmen auf ‚Cybersicherheit‘ beruft“, heißt es in einem Aufruf der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF).

Auch Urheberrechtsverletzer im Visier

Wann die Sicherheit eines Unternehmens oder einer Behörde bedroht sei, werde im Gesetzentwurf viel zu vage definiert, kritisiert die EFF. Als Sicherheitsbedrohung gelten nämlich nicht nur Angriffe krimineller Hacker, die das Netzwerk eines Unternehmens schwächen, unterbrechen, zerstören oder Daten ausspionieren könnten. Das Gesetz soll ausdrücklich auch bei Urheberrechtsverletzungen greifen.

Kritiker des Gesetzes wie die Vereinigung Reporter ohne Grenzen warnen deshalb vor einem „drakonischen Sicherheitsgesetz“, das unter dem Deckmantel der Cybersicherheit ein weit reichendes Kontrollsystem installieren könnte. Webunternehmen wie Facebook und Google, aber auch Internetprovidern werde es erlaubt, beliebige Daten ihrer Nutzer ohne den normalerweise nötigen Gerichtsbeschluss an staatliche Stellen herauszugeben – darunter protokollierte Webseitenzugriffe, Inhalte von E-Mails und IP-Adressen, mit denen zum Beispiel Nutzer von Tauschbörsen identifiziert werden können.

US-Regierung mahnt Datenschutz an

Mittlerweile hat sich auch das Weiße Haus in die Debatte um CISPA eingeschaltet. Ein Gesetz, das Unternehmen und Behörden besser vor Netzangriffen schützen solle und zu diesem Zweck die Weitergabe von Nutzerdaten regele, müsse „robuste Vorkehrungen“ enthalten, um Privatsphäre und Bürgerrechte ausreichend zu schützen. Die Obama-Regierung werde kein Gesetz unterstützen, „das den Datenschutz der Bürger im Namen der Sicherheit opfere“. Ein Veto gegen das Gesetz, das in diesen Tagen im US-Repräsentantenhaus verhandelt wird, kündigte das Weiße Haus jetzt an.

Nachtrag von Newswatch4u: Bericht über die entsprechende Debatte im US-Kongress.

Zweiter Nachtrag: CISPA wurde klammheimlich und im Eiltempo durchgewunken.

Urheberrecht: Nicht der Gedanke wird geschützt, nur seine konkrete Form

Ein Gastbeitrag von Konstantin Wegner. Rechtsanwalt und Justiziar des Börsenvereins des deutschen Buchhandels/Landesverband Bayern in der Süddeutschen Zeitung vom 4.4.2012

 

Das Urheberrecht behindert Freiheit und Kreativität? Das ist populistischer Unsinn. Gerade der rechtliche Schutz schafft Anreize für kreatives Wirken – und sichert, dass Künstler selbst entscheiden können, zu welchen Bedingungen sie ihre Werke veröffentlichen.

Das Urheberrecht steht in der Kritik: Es gebe zu viel Schutz, heißt es, der kreatives Schaffen und den Austausch kulturellen Wissens blockiere. Gefordert wird stattdessen ein freierer Zugang zu geschützten Werken. Erst die viel zitierte Wutrede des Sängers und Schriftstellers Sven Regener (Element of Crime, „Herr Lehmann“) hat einen Kontrapunkt gesetzt.

Im tiefen Mittelalter konnte sich der Herausgeber des Sachsenspiegels, Eike von Repgow, in Ermangelung jeglicher Rechte an seinem Werk nur mit einem Bücherfluch behelfen: Er wünschte Kopisten seiner Texte den Aussatz an den Hals. Eine seinerzeit gängige, aber wohl nicht in jedem Fall wirksame Methode.

Erst mit der Erfindung des Buchdrucks rückte im Lichte der Aufklärung der Wert immaterieller Leistungen in das Bewusstsein, etwa durch Johann Gottlieb Fichte, der in seiner Abhandlung „Beweis der Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks“ (1793) festhielt: „Wir können an einem Buche zweierlei unterscheiden: das körperliche desselben, das bedruckte Papier; und sein geistiges.“

Unser heutiges Urheberrecht basiert auf diesem Gedanken der Aufklärung: Das kreative Schaffen einer Person ist schützenswert. Gegenstand dieses Schutzes ist die „persönliche geistige Schöpfung“, womit bereits das gesetzliche Kernanliegen zum Ausdruck kommt: die Geistesleistung als schutzwürdiges Gut, die kreative „Schöpfungshöhe“ als Schutzvoraussetzung und die unauflösbare Verbindung des Urhebers mit seinem Werk, die ökonomische wie ideelle Interessen umfasst.

Nicht der Gedanke, die konkrete Form ist geschützt

Wenn mancher in der „Netzgemeinde“ die Gefahr der Monopolisierung von Fakten, Ideen oder wissenschaftlichen Erkenntnissen durch das Urheberrecht beschwört, dann ist dies populistischer Unsinn. Das Urheberrecht schützt den Ausdruck, den die Gedanken des Urhebers gefunden haben, die konkrete Form eines Werkes – aber eben nicht den Gedanken selber, die Idee oder die dem Werk zugrundeliegenden Tatsachen.

Jeder darf eine Biographie auf Basis recherchierter Fakten, jeder einen Roman über den Niedergang einer Kaufmannsfamilie im Lübeck des 19. Jahrhunderts schreiben, aber eben nicht mit denselben Worten, die Thomas Mann dafür gefunden hat.

Natürlich versetzt das Urheberrecht den Inhaber in die Lage, allein zu bestimmen, ob, wann und wie sein Werk veröffentlicht und verwertet wird. Es hat aber zugleich die Interessen der Öffentlichkeit im Blick, sodass ein Urheber ungleich stärkere Eingriffe in seine Rechte hinnehmen muss als etwa ein Grundstückseigentümer in seinen Grund und Boden.

Die „Tatort“-Autoren weisen in ihrem offenen Brief vom 29. März mit Recht darauf hin, dass freier Zugang zu Kulturgütern nicht deren kostenfreie Verfügbarkeit bedeutet – wenn aber das Urheberrechtsgesetz das Zitieren von Werken, die Verbreitung von tagesaktuellen Nachrichten, von Werken im Schulunterricht und an Universitäten, deren nichtkommerzielle öffentliche Wiedergabe, die Privatkopie und vieles mehr erlaubt, dann ist das für den Nutzer nicht nur frei, sondern sogar kostenfrei.

Warum ist das Urheberrecht uncool geworden?

Der rechtliche Schutz nun schafft gerade Anreize für kreatives Wirken. Er schafft die wirtschaftliche Basis für Kreativität und hat unserer Gesellschaft ihre kulturelle Vielfalt beschert. Es erscheinen Bücher, geschrieben von Autoren, illustriert von Fotografen, verlegt von Klein- oder auch Konzernverlagen – ähnlich produktiv sind Musik, Film, Theater und bildende Kunst.

Mit der digitalen Verfügbarkeit dieser begrifflich auf „Inhalte“ reduzierten Schöpfungen sind die Maßstäbe verlorengegangen. Der Content wird kopiert und ohne Skrupel herumgereicht. Die anonyme Leichtigkeit der Tat wird zu ihrer Legitimation – oder wie Sven Regener es formuliert: „Es wird so getan, als ob wir Kunst machen würden als exzentrisches Hobby. Und das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt – und sagt, euer Kram ist eigentlich nichts wert.“ Und warum ist das Urheberrecht uncool geworden? Aus Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und reinem Egoismus.

Natürlich hat die „Verwerterseite“ Fehler gemacht. Die Musikindustrie hat jahrelang vor allem auf Piraterieverfolgung gesetzt anstatt auf überzeugende, einfache digitale Geschäftsmodelle – und es sich so auch mit zahlungswilligen Kunden verscherzt. Aber die Lage hat sich geändert: Filme, Bücher, Hörspiele, Software, Musik – alles ist mittlerweile legal und zu angemessenen Preisen im Netz erhältlich.

Es gibt überhaupt keinen Grund mehr, bei Rapidshare & Co. zu saugen – es sei denn, man möchte sich auf illegalem Wege ungerechtfertigte Vorteile verschaffen, auf Kosten der Kreativen, Verlage und Produzenten. Was zum Leidwesen aller ausgehen muss. Die Erlöse sämtlicher Medienbranchen sind rückläufig, nicht zuletzt verursacht durch die Internetpiraterie – und weniger Erlöse bedeuten unabwendbar auch weniger Geld für neue Projekte, kulturelle Vielfalt und natürlich die Künstler.

Es lässt sich darüber diskutieren, ob es richtig ist, die – im Kern gerechtfertigten – Abmahnungen von Rechteverletzern mit Schadensersatzforderungen in vierstelliger Höhe zu verbinden (die Regel ist dies übrigens entgegen allem öffentlichen Getöse nicht). Den Zahlen aber, die über Abmahnfälle und angeblich hieraus gezogene Gewinne der Medienindustrie herumgeistern, fehlt jede nachvollziehbare Grundlage – doch einmal in die Welt gesetzt, werden sie dankbar aufgegriffen, um die eigene Position im Deutungswettstreit um die Zukunft des Urheberrechts zu untermauern.

Die Anzahl der Abmahnfälle, die auch Jürgen Ziemer in seinem Artikel „Goldene Eier“ (SZvom 20. März 2012) verbreitet, basiert überwiegend auf einer Schätzung der Abmahnkritiker, deren Grundlage unter anderem die Akten-Nummerierung der beteiligten Anwaltskanzleien sind, die zwar viele Internetpirateriemandate, aber eben auch andere Fälle bearbeiten.

Die Zahl der Abmahnungen geht zurück

Auch wird nicht erwähnt, dass selbst nach Angaben der Abmahnkritiker die Anzahl der Abmahnungen von 2010 auf 2011 um etwa 40 Prozent zurückging und nur etwa 10 Prozent der Abgemahnten freiwillig bezahlen.

Es wird auf Basis dieser willkürlichen Fallzahlen ein ebenso willkürlicher Abmahnerlös hochgerechnet und so getan, als ob dieser ungefiltert in die riesigen Taschen einer maßlosen Verwerter-, gar „Abmahnindustrie“ flösse. Ohne zu berücksichtigen, dass aufwendige Ermittlungen notwendig sind, bis die IP-Adressen der User gerichtsfest dokumentiert sind; dass Gerichtsgebühren bezahlt werden müssen, da die Internetprovider zum Schutze der User nicht ohne richterlichen Beschluss verpflichtet sind, die hinter der IP-Adresse verborgene Identität preiszugeben; dass manche Provider diese Daten bereits nach wenigen Tagen löschen und die Auskunftsbemühungen daher ins Leere gehen – die Liste ließe sich fortsetzen.

Dennoch werden die falschen Zahlen zur Grundlage der öffentlichen Kritik gemacht. Dies ramponiert den Ruf der Verlags-, Film- und Musikbranche – vorgestrige Besitzstandswahrer! – und prägt die Berichterstattung über das Verhältnis zwischen den Urhebern und Verwertern.

Es gibt keine Front zwischen Kreativen und Verbreitern

Der Verleger Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des deutschen Buchhandels, hat zur Leipziger Buchmesse neulich eine Eröffnungsrede gehalten, sozusagen die Sven-Regener-Rede für die Buchbranche: „Bislang habe ich meinen Beruf als kreativ erlebt. Ich habe Texte und Inhalte gefunden, bei denen ich für wichtig erachtete, dass sie publiziert würden, ich habe dabei vertrauensvoll mit Autorinnen und Autoren zusammengearbeitet, habe mit ihnen Rechte und Pflichten geteilt, habe mit Lektoren und Mitarbeitern diskutiert und es als die schönste Aufgabe des Verlegers empfunden, aus unscheinbaren Manuskripten wirkmächtige Bücher machen zu können. Jetzt lese ich, die Verlagsmenschen seien als Rechteverwerter, Inhaber von Nutzungsrechten, als Makler von Inhalten Angehörige einer Content-Mafia.“

So wie ihm geht es den meisten Verlegern, die eine intensive, kreative und oft auch freundschaftliche Beziehung zu ihren Autoren pflegen. Viele von diesen erhalten Honorarvorschüsse, die ihnen unabhängig davon verbleiben, wie erfolgreich oder eben schlecht sich das Buch anschließend verkauft. Der Öffentlichkeit aber wird suggeriert, es gäbe eine unüberbrückbare Front zwischen Kreativen und der angeblich so renditestarken Verbreiterbranche.

Die Piratenpartei fordert auf ihrer Homepage, es sollten die „Chancen der allgemeinen Verfügbarkeit von Werken erkannt und genutzt werden“, da sich „die Kopierbarkeit von digital vorliegenden Werken technisch nicht sinnvoll einschränken lässt und die flächendeckende Durchsetzbarkeit von Verboten im privaten Lebensbereich als gescheitert betrachtet werden“ müsse. Die Schutzfristen sollten drastisch verkürzt werden, weil „die Rückführung von Werken in den öffentlichen Raum“ im Sinne der „Nachhaltigkeit der menschlichen Schöpfungsfähigkeiten von essentieller Wichtigkeit“ sei.

Das aber hat mit dem propagierten Freiheitsgedanken wirklich gar nichts zu tun. Freiheit bedeutet, dass der Künstler selber entscheiden kann, ob, wann und wie sein Werk veröffentlicht wird – und sei es auch, dass er entscheidet, der Öffentlichkeit die Nutzung im Wege einer „free licence“ kostenlos zu gestatten. Aber es bleibt seine eigene, freie Entscheidung – die ihm niemand unter der scheinheiligen Forderung nach freiem Wissenszugang abzunehmen hat.

Fichte schrieb in seiner schon zitierten Abhandlung zur Unrechtmäßigkeit des Büchernachdrucks: „Wer schlechte Gründe verdrängt, macht bessern Platz.“ Das bleibt zu hoffen – im Sinne der Aufklärung.

Siehe auch: Milliardenklage gegen Youtube

Update: Google leitet pro Minute 100 000 Klicks auf Verlagsseiten

 

 

 

Tatort Internet – Urheberrechtsdebatte

Eine kluge Analyse von Florian Güßgen aus „Stern“ online vom 29.3.1012:

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Es gibt eine direkte Verbindung zwischen den wütenden, fassungslosen Ausfällen von FDP-Generalsekretär Patrick Döring und dem wütenden, fassungslosen Aufschrei mancher Musiker, Künstler, Autoren. Angesichts des Erfolgs der Piratenpartei in Saarland fluchte Döring über die „Tyrannei der Masse“. Künstler, die angesichts der Kopiererei im Netz und der Kritik am Urheberrecht um ihr Einkommen und ihre Existenz bangen, zetern, wie es 51 „Tatort“-Autoren in einem offenen Brief getan haben, gegen die „Lebenslügen“ vor allem der „Netzgemeinde“. Der Musiker und Autor Sven Regener schimpfte bei einem mittlerweile legendären Wutanfall im „Bayerischen Rundfunk „Man pinkelt uns ins Gesicht“. Und: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“

Was passiert da? Was ist da los? Die direkte Verbindung zwischen Döring und den Künstlern ist das Netz, das Internet, die größte Medienrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks. Langsam, ganz langsam, aber mit unendlicher Kraft werden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen dieser Revolution spürbar. „Ihr kommt mit Eurer Hinterzimmerpolitik nicht mehr durch, wenn technisch mehr Transparenz, mehr Mitsprache, mehr Kommunikation möglich ist“, lautet die Botschaft der Piraten. „Ihr kommt mit Euren elitären Vorstellungen von Kultur, von Geschäftsmodellen, von Profit nicht mehr durch, wenn wir uns Musik und Videos einfach kopieren oder sie selbst machen“, lautet die Botschaft der Nutzer im Netz.

Es sind ein paar einfache neue Möglichkeiten, die die schöne, neue Medienwelt geschaffen hat und die alles Bestehende auf den Kopf und in Frage stellen.

Erstens, jeder, Krethi und Plethi, Du, ich, wir können alle höchstpersönlich zum Medium werden. Blogs, Facebook, Twitter, all das, macht uns zu Sendern mit einem Milliardenpublikum.

Zweitens, wir können alle im Nu Künstler, Kulturschaffende werden. Internetphilosophen nennen das die „Demokratisierung der Produktionsmittel.“ Eine Idee, eine schrammelige Videokamera, ein Rechner, ein Internetanschluss, ein Schnittprogramm reichen aus, um einen Film zu produzieren und ihn hochzuladen. Hurrah. Hier bin ich, Welt. Hollywood? C’est moi. Kein Produzent muss mich entdecken, kein Verlag, nur die Nutzer. Ich brauche wenig Kapital. Die Rolle der Mittler, der Verlage, höhlt das zwangsläufig aus, verändert sie. Zudem verschwimmt die Grenze zwischen geldwerter, von Profis gemachter „Hochkultur“ und von Laien produzierter „Amateur-Kultur“. Jeder hat jetzt das Zeug zum Star.

Drittens lassen sich digitale Produkte sehr einfach kopieren, vervielfältigen, ändern, remixen. Computer sind nichts anderes als Kopiermaschinen. Es ist deshalb fast unmöglich, massenhafte Kopiererei technisch zu verhindern. Mehr noch. Das Kopieren, das Mitteilen ist im Netz ein zentrales Element der Sprache, der Selbstdarstellung der Nutzer. Die Kopiererei unterläuft nicht nur ein Geschäftsmodell, sie kollidiert auch mit einem Urheberrecht, dass „Rechteinhabern“ – Autoren, Musik- und Filmkonzernen – sehr weit gehende Schutzrechte einräumt. Fast jeder, der sich im Netz tummelt, gerät in Konflikt mit dem Urheberrecht, einerlei, ob er sich bei einem kino.to-Klon einen Film ansieht oder ein Privatvideo mit einem David-Bowie-Song hinterlegt und bei Youtube hoch lädt. Aber was folgt daraus, wenn es eine Regel gibt, an die sich niemand mehr hält, wenn sie sich in einer „Legitimationskrise“ befindet? Muss die Regel an gesellschaftliche Gepflogenheiten angepasst werden? Oder die Gepflogenheiten mit Gewalt der Regel?

Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Entwicklungen und der Fragen, die sie aufwerfen, kann gar nicht überschätzt werden. Denn tatsächlich wird nun – anhand des an sich abstrakten Urheberrechts und der neuen wirtschaftlichen Ängste der alte Stars – darüber gestritten, wie die Verfassung jener digitalen Welt aussieht, in der viele schon jetzt und mittelfristig alle leben werden. Was ist eigentlich Kultur? Wie halten wir es aus, dass der Schein der öffentlich-rechtlich abgesegneten Hochkultur ein Ende findet, zu Gunsten unübersichtlich vieler, gern auch obskurer Nischen? Gibt es so etwas wie Geistiges Eigentum? Wie muss es geschützt werden? Ist Kopieren, Teilen, Sharen, tatsächlich Meinungsfreiheit – oder doch schnöder Diebstahl? Wo fängt die Freiheit im Netz an – und wo hört sie auf? Und bedeuten die großen Erfolge von Apples iTunes Store oder den neuen Musikstreamingdiensten wie Simply oder Spotify nicht eindrucksvol, dass auch der moderne, digitale Konsument bereit ist, für Kulturgüter Geld auszugeben?

Klar ist: Die eine pauschale Lösung auf alle diese Fragen gibt es nicht. Allerdings gibt es zu Einzelfragen Lösungsansätze, Ideen, etwa zu dem Problem, wie Künstler entlohnt werden können, wenn ihre Werke – Lieder – im Netz ständig kopiert werden. Im Raum steht das Modell einer Kulturflatrate. Was man davon hält, ist eine politische Sache. Ein Marxist steht der Idee des Eigentums, auch des Geistigen, nun mal anders gegenüber als ein Liberaler. Nur: eine echte politische Diskussion wird im Moment noch gar nicht geführt. Es erscheint eher so, als knallten zwei Planeten mit Karacho aufeinander: die alte, analoge Welt auf die neue, digitale. Hier schreien Sie Diebstahl und wettern gegen die „Netzgemeinde“, die es als homogene Glaubensgemeinschaft so nicht gibt, dort spotten sie, im revolutionären Eifer, gegen die Betonköpfe des Ancien Regime, wettern gegen die bösen „Verwerter“, Musik- und Filmfirmen oder die Musikverwertungsgesellschaft Gema, singen das Hohelied des Kopierens als Kulturtechnik und gehen gegen das internationale Anti-Piraterie-Abkommen Acta auf die Straße. Es wird viel Besitzstand verteidigt, es herrscht viel Ignoranz.

Dabei sind es tatsächlich vor allem die Vertreter der alten Welt, die Regeners und die Autoren, die lernen müssen, dass ihre alten Sicherheiten im digitalen Zeitalter schwinden, die verstehen müssen, was da in dieser Gesellschaft um sie herum genau passiert und wie vor allem die U25-Generation Medien nutzt. Wenn Regener bei seinem berüchtigten Wutanfall etwa sagt: „Ich möchte kein Straßenmusiker sein“ und so seinen elitären Anspruch begründet, hat er nicht verstanden, dass der Abstand zwischen Star und Straßenmusiker wieder kleiner geworden ist. Wenn er ätzt, dass „die Leute zwischen 15 und 30 keine eigene Musik mehr“ haben, muss er verstehen, dass ihre Musik vielleicht „eigener“ ist denn je, weil sie sie mehr denn je selbst machen.

Genau so unsinnig wie die Pauschalkritik ist es, das „Netz „und alle netzpolitisch Bemühten in einen Topf zu werfen, zu unterstellen, dass sich hier niemand ernsthaft um vernünftige Lösungen für kniffelige Fragen bemüht. Der Antwortbrief von „51 Hackern des Chaos Computer Clubs“ auf die Anwürfe der Tatort-Autoren spießt diese Ignoranz wunderbar auf, wenn auch mit wenig Einigungsbereitschaft. „Es wird keinen ‘historischen Kompromiß‘ geben“, schreiben die Hacker, „denn es stehen sich nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten, sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren Verträge aufgezwungen bekommen.“ Wummms. Es wird noch eine Weile dauern, bis die einen die anderen als echte Partner akzeptieren.

Und hier kommen wieder Patrick Döring, die Politik und die Piraten ins Spiel. Denn an der Politik ist es nun, das Forum für eine echte Diskussion über das Urheberrecht und die Verfasstheit des Netzes zu schaffen, die gesellschaftliche Debatte aufzugreifen. Denn gelingt es der etablierten Politik nicht schnell, sich um diesen Kulturkampf ums Kopieren zu kümmern, werden sich die Frustrierten und Enttäuschten schlicht neue Akteure suchen. Denn das „Problem“, in Politik und Kultur, besteht darin, dass die Döringsche Masse aus mündigen Bürgern besteht. Und die leben eben immer mehr im Netz. Wer das nicht begreift und ernst nimmt, hat schon verloren, bevor die spannende Debatte überhaupt richtig begonnen hat.