Schlagwort: tantrische Vereinigung

Tantra ist mehr als guter Sex: Es stellt das universelle Prinzip der Schöpfung dar

Die tantrische Praxis auf reine sexuelle Aktivität zu reduzieren, scheint ein unheiliger Trend zu sein, der sich wie ein Waldbrand ausbreitet. Nicht könnte aber schlimmer sein, als eine solche Entwicklung.  Vielleicht wird deshalb in Indien das Wissen um Tantra teilweise bis heute geheim gehalten: Seine Interpretation in den Händen eines Unwissenden wäre außerhalb jeder spirituellen Wahrheit. Kommerzielle tantrische Praktiken und öffentlicher Wettbewerb unter selbsternannten Tantra-Meistern scheint inzwischen die Bedeutung des Wortes in „freien Sex“ verwandelt zu haben.

Yogi Ananda Saraswathi formuliert in seinen englischsprachigen Lehrtexten viele Themen, mit denen sich westliche Spirituelle mehr oder weniger erfolgreich versuchen. Dazu gehören auch seine Ausführungen zum Thema Tantra, die ich im folgenden übersetze.

Jahrhundertelang war für Indiens spirituelle und rituelle tantrische Szene mit all den Theologien des Shivaismus, Shaktismus, Vishnuismus, Buddhismus, Jainismus und anderen mehr Tantra eine wissenschaftliche, technische und spirituelle Methode, Selbst-Wahrnehmung zu üben. Tantra war das absolute Wissen über Moksha; sprich, Erlösung aus dem Rad der Wiedergeburt. Heutzutage verbindet man Tantra direkt mit dem Körper, dessen Natur und Begierden. Man nimmt an, es gehe darum, den Körper des Partners als göttlich zu behandeln oder anzusehen.

Bedauerlicherweise  hat sich diese tantrische Praxis in einem Klima von Pseudo-Religiosität entwickelt, in dem man anstrebt, sexuelle Energie als Entspannungsweg oder zwecks  Erzielung zahlreicher Orgasmen zu feiern. Es scheint das Motto zu herrschen: Ich bin Shiva, du bist Shakti – jetzt drücken wir den Startknopf und tun es – sonntags am besten gleich zweimal! Man zündet eine Kerze an, verbrennt etwas Räucherwerk … und schon scheint alles richtig zu sein, denn so wird es gelehrt…

So wird Tantra zum rein körperlichen Ritual – weit entfernt vom eigentlichen Ziel, das ungetrennte Ganze zu realisieren. Im Grundsatz nimmt Tantra die gesamte Schöpfung als ungeteiltes Ganzes wahr: Kosmisch, metaphysisch und philosophisch teilt der Mensch den Kosmos mit allen Mit-Geschöpfen. Der menschliche Körper ist nichts anderes als ein mikrokosmisches Beispiel des gesamten Universums – und die gesamte Geschichte des Universums ist repräsentiert im menschlichen Körper. Tantra erforscht den Körper auf allen fünf Ebenen und deren Yantras, beziehungsweise Mitteln, Nirvana zu erreichen. Die beiden höchsten Ebenen heißen Manomaya – das ewige Element der Freude im Menschen und Anandamaya – das Bewusstsein des Glücks.

Einige Äußerlichkeiten der Praxis scheinen von der shivaistischen und buddhistischen Ikonografie, den Bildern und Skulpturen inspiriert zu sein. Sie sind Hilfsmittel, um die tiefere Ebene der Vereinigung von Shiva und Shakti zu erreichen. Die tantrische Achse, auf der Shiva und Shakti sich im Akt der Kopulation verbinden, ist als die Vereinigung der männlichen und weiblichen Prinzipien auf höchster metaphysischer Ebene zu sehen – als die Vereinigung von Pakriti und Purusha, von Verstand und Seele. Shakti, die Göttin des Tantra, ist die Quelle von Freude und Schöpfung. Sie arbeitet sich entlang Shivas Wirbelsäule nach oben, um auf dem Yogaweg der hohen Ebenen im Kronenchakra anzukommen. Methaphysisch gesehen, initiiert Shiva den Akt der Vereinigung, bei dem die Kundalini-Energie explodiert und Schöpfung stattfindet.

Tantra definiert sich nicht über weltliche Freuden oder intellektuelle Fragen – auch nicht über metaphysische Forschungen. Tantra akzeptiert die Dinge genau wie sie sind und verarbeitet sie in innere Wahrnehmung, in einen Weg, alle Energien in die endgültige Bedeutung von Mokhsa zu transzendieren. Es ist ein Aufstiegsprozess zur vollständigen Akzeptanz des im Menschen innewohnenden Potentials.

Männliche und weibliche Energie vereint - die Darstellung des großen kosmischen Prinzips im menschlichen Körper
Männliche und weibliche Energie vereint – die Darstellung des großen kosmischen Prinzips im menschlichen Körper

Was ist der tantrische Körper?

Das göttliche Königreich wohnt im menschlichen Körper und um ihn herum. Es ist in der Tat ein Gottesgeschenk, als Mensch geboren zu sein. Tantra fordert den Menschen auf, seinen Körper zu lieben – diesen Körper, der ironischerweise jedem Menschen am nächsten ist und dennoch oft vernachlässigt wird.  Man achtet auf den Körper nur aus Gründen der Vernunft – wobei der Begriff Vernunft sehr subjektiv ausgelegt wird: Man kümmert sich dann um den Körper, wenn man sich einen wie auch immer gearteten Vorteil davon verspricht.

In allen anderen Fällen wird der Körper entweder vernachlässigt oder auf bestimmte Funktionen reduziert, die gerade benötigt werden. Oft brauchen Menschen andere, um über ihren Körper sprechen zu können und werden von anderen Menschen gebeten, mit ihnen über deren Körper zu sprechen.

Das ist jedoch nicht die tantrische Sicht. Für den Tantriker ist sein Körper ein Haus Gottes, ein Tempel. Das verlangt, ihn als göttlich zu behandeln. Der unermüdliche,  auf wunder-volle Weise funktionierende Mechanismus verdient Respekt und Liebe. Dankbarkeit ist angebracht dafür, dass der Körper leise, automatisch und 24 Stunden am Tag seine Arbeit tut.  Die tantrische Sichtweise  führt automatisch zu einer veränderten Haltung gegenüber dem eigenen Körper: Den Körper zu lieben, bedeutet nämlich, das ganze Universum zu lieben – und nicht etwa, 24 Stunden am Tag orgasmusfähig zu sein.

Der Buddhismus summiert tantrische Praxis in vier reinen Werten: 1. Den eigenen Körper als den Körper Gottes anzusehen; 2. Die persönliche Umgebung als das reine Land Gottes wahrzunehmen; 3. Persönliche Freude als bedingungslosen Segen Gottes anzuerkennen und 4. eigene Aktivitäten nicht zum persönlichen Vorteil, sondern im Dienste der Gemeinschaft zu initiieren. Die zugehörigen Rituale umfassen ausgedehnte Visualisierungen und mentale Übungen.

Hier wirken zwei Faktoren zusammen: Stolz auf einen göttlichen Körper und lebendige Wahrnehmung dieser innewohnenden göttlichen Kraft. Wer seinen Körper derart behandelt, wird von Gott selbst davor bewahrt, gewöhnlich zu sein. Lebendige göttliche Präsenz schützt den Menschen vor gewöhnlichem Auftreten. Was immer die Sinne des Körpers wahrnehmen, sind göttliche Lehren. Jede Form, die unterschieden werden kann, wird als göttliche Manifestation  wahrgenommen, alle Töne und Klänge als göttliche Mantras.

Das Wort Mantra enthält das Grundwort man (Denken) und die Silbe tra (Werkzeug). Ein Mantra ist also ein Denkwerkzeug. Man spricht ein Mantra, während Körper, Sprache, Geist und Atem auf einen gemeinsamen Fokus konzentriert sind. In solch tiefer Konzentration erreicht man klarere Visionen. In diesem Sinne gelten tantrische Mantras als Beschützer des Geistes.

Der rituelle tantrische Aspekt im Behandeln des Körpers als göttlich führt zu einer Veränderung der Einstellung. Da entsteht Zustimmung und Stolz, göttlich zu sein, wenn das göttliche Bewusstsein erst im Geist angekommen ist. Das Ergebnis ist ein innerer Schutz vor gewöhnlichen Erscheinungen. Dieser Schutz des Geistes ist das Ziel der tantrischen Rituale und Mantras.

Im Kern ist ein Teil der trantrischen Praxis das Beherrschen und Transformieren körperlicher Energien. Die Sexualkraft ist eine der stärksten Formen körperlicher Energie. Die Natur nutzt sie, um den Fortbestand ihrer Arten zu sichern. Wenn der Mensch nicht lernt, diese Kraft zu transformieren, kann sie außer Kontrolle geraten. In der sexuellen tantrischen Praxis behandelt man nicht nur den Körper wie einen Gott – auch die gewöhnlichen Begierden und die Lust werden spirituell erhöht. Sex wird auf spirituelle Weise erlebt. Tantrische Rituale finden beispielsweise Wege, sexuelle Energie in eine(n) zu diesem Zweck visuslisierte(n) Partner(in) zu leiten. Konsequenterweise werden dann die Sexualorgane nicht mehr gewöhnlich wahrgenommen, sondern dienen dem göttlichen Körper als Werkzeug. Die spirituelle Vereinigung steht symbolisch für die Vereinigung von Seeligkeit  und Leere.

Es handelt sich um das gleiche tantrische Prinzip wie das der heiligen Vereinigung Shivas mit Parvati. Tantra ist eine sehr tiefgründige Form aktiver Meditation, die  das Bewusstsein erweitert, indem sie die körperlichen Sinne benutzt, um den Meditierenden in die darunter liegenden Ebenen zu führen. Tantra lehrt, dass heilige Sexualität ein Weg ist, die Intimität zu vertiefen und das Bewusstsein zu erweitern; ein Weg, mich frei von allen Anhaftungen mit dem Göttlichen zu verbinden.

In tantrischen Schriften ist Shakti ein Beispiel für die sexuellen und spirituellen weiblichen Energien. In der Hindu-Sicht stellt Shakti das weibliche Prinzip, die weibliche Energie dar. Auch wenn diese weibliche Kraft in den Körpern beider Geschlechter zu finden ist, wird die Frau als die Hüterin der Shakti-Energie angesehen. Ihre Kraft ist grenzenlos. Einmal erweckt, kann diese spirituelle sexuelle Kraft kreativ gelenkt werden.

Tantra, die Paarbildung eines Mannes und einer Frau, dient dazu, diesen großen, universellen kreativen Prozess darzustellen, der weit über den Körper hinaus geht : Den einzigartigen Schöpfungstanz von Shiva und Shakti.

Tantra: Das Geheimnis der Vereinigung von Shiva und Shakti

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Tantraschulen, Tantrakurse, die Kunst des Tantra – darunter versteht man im Westen vor allem eines: Die Kunst der (körperlichen) Liebe zwischen Mann und Frau. Das ist allerdings die Reduzierung eines großen spirituellen Weges auf nur  eines seiner Details.

„Gewebe, Kontinuum, Zusammenhang“ – so wird das Sanskrit-Wort Tantra übersetzt. Es ist der Ausdruck einer Strömung innerhalb des Hinduismus, die auch ihren Weg in den Buddhismus fand. Frei übersetzt  könnte man sie in das bekannte Bild „wie oben, so unten“ zusammenfassen.  Die tantrische Philsosophie geht davon aus, dass der Mensch sowohl Teil des göttlichen Ganzen ist, als auch alle Teile dessen in sich enthält. Dies muss dem Einzelnen jedoch erst wieder bewusst werden.

Wie kann man sich vorstellen, eins mit dem Absoluten zu sein und gleichzeitig all dessen Teile zu enthalten?

Das Studium der in der Natur vorkommenden Fraktale hat uns in jüngster Zeit auf wundervolle Weise deutlich gemacht, wie das in der Praxis aussieht. Mittels abgeleiteter mathematischer Formeln lassen sich Wiederholungen immer gleicher Formen per Computer deutlich machen, und das Ergebnis ist reine Faszination: Die im Großen enthaltenen Schemata und Farben wiederholen sich im Kleinen (nach unten) immer wieder neu in der gleichen Ausprägung und Darstellung.

Ausgehend von der hinduistischen Denkweise enthält das gesamte Universum zwei wesentliche Strömungen: das männliche Prinzip, symbolisiert durch Shiva und das  weibliche, symbolisiert durch Shakti. Diese beiden durchdringen sich gegenseitig und brauchen ein Gleichgewicht. Deshalb wird Tantra oft durch das Symbol der sexuellen Vereinigung dargestellt.

Dem entsprechend  haben die Götter im hinduistischen Pantheon jeweils einen weiblichen Gegenpart, eine Shakti: Zu Brahma, dem Schöpfer, gehört beispielsweise Sarasvati, die Göttin der Künste und der Wissenschaft. Zu Vishnu, dem Erhalter, gehört Lakshmi, Göttin des Glücks, der Schönheit und des Reichtums. Shiva, der Erlöser und Zerstörer, wird begleitet von Parvati, der lebensspendenden Mutter.

Wie die männlichen Götter haben auch die Göttinnen sowohl eine Leben spendende, als auch eine dunkle, zerstörerische Seite, die immer dann erscheint, wenn es gilt, die Erde zu verteidigen und Dämonen zu besiegen. Dies sind jedoch nur scheinbar Gegensätze: In Wahrheit sind es Teile des selben Mosaiks.

Das Erkennen dieser Nicht-Dualität ist das wesentliche Ziel des Tantrismus. Um es zu erreichen, geht der Mensch einen langen spirituellen Weg, während dessen er sich jedoch nicht zurückzieht in die Einsamkeit einer Zelle, sondern lernt, alles Materielle als Ausdruck feinstofflicherer Energien zu begreifen und entsprechend zu meistern.

So erreicht er schließlich einen Zustand, in dem er frei von Täuschungen die höchste Wahrheit erkennen kann.

Um dort hin zu kommen,  bedient man sich diverser Mittel. Die Arbeit mit Mantras und Mudras stimmt Körper und Seele auf das Ziel ein. Symbole wie Yantras und Mandalas verdeutlichen das Prinzip „wie oben so unten“, also die Spiegelung des Makrokosmos im Mikrokosmos.  Das System der Chakren (Energiezentren) und Nadis (Energiekanäle) im Körper sowie deren Fortsetzung in den feinstofflichen Raum mittels meditativer Praxis wird ergänzt durch Visualisierung von Gottheiten, bzw. göttlicher Prinzipien und innerlicher Vereinigung mit diesen.

Hier treffen wir auch wieder die rituelle sexuellen Vereinigung, mittels derer die Dualität zwischen Mann und Frau überwurden werden kann.

Innerhalb des menschlichen Körpers ist die weibliche und mütterliche Energie als Kundalini im Unterleib gesammelt. Sie wird dargestellt als Bild einer zusammen gerollten Schlange. Wenn Kundalini erweckt wird, steigt sie entlang der Wirbelsäule über die Chakren auf, bis sie sich schließlich im obersten Chakra, dem Sahasrara, mit Shiva, dem männlichen Prinzip vereinigt. Dann wird aus aller Dualität eine vollkommene Einheit: beginnend von den Körperfunktionen bis hin zum seelischen Befinden.

Diese Erfahrung geht einher mit einem großen Glücksempfinden und höchster Einsicht in spirituelle Zusammenhänge. Deshalb streben viele Menschen an, die Kundalini in sich zu erwecken – ein nicht ungefährliches Ziel: Ohne vorherige Einsicht in notwendige Läuterung kann der durch Kundalini freigesetzte Energiestrom stärkste körperliche und seelische Nebenwirkungen hervorrufen.

Im Buddhismus wurde die tantrische Lehre des Hinduismus in großen Teilen übernommen. Ziel ist die Befreiung von allem Leid, das durch Gier, Neid und Hass entstanden ist, zum Wohle aller fühlenden Wesen. Die Idee dahinter ist, dass jeder Mensch das perfekte Ganze bereits enthält, sich dessen aber nicht bewusst ist. Durch Konzentration und Beherrschung körperlicher und geistiger Energien gilt es nun, den „Spiegel zu reinigen“ – also los zu lassen, was die Sicht auf die Erkenntnis verstellt. Ziel ist es, im ganz alltäglichen Leben immer mehr Freuden zu erfahren, ohne diesen jedoch wie in einem Hamsterrad ständig nachzulaufen.

Neben täglicher konsequenter Übung verlangt dies auch große Ehrlichkeit des tantrischen Schülers sich selbst gegenüber. Es gilt, grundsätzlich zwei Dinge zu unterscheiden:

Verlange ich sehr nach einem bestimmten Genuss, beherrsche ihn aber, indem ich ihn mir nur unter bestimmten Bedingungen gestatte? Dann muss ich noch viel lernen.

Oder brauche ich einen bestimmten Genuss eigentlich nicht mehr, kann ihn aber, wenn er mir zufällt, aus vollem Herzen genießen und dann wieder verabschieden? In diesem Fall bin ich auf dem richtigen Weg.

Quellen, bzw. weiterführende Informationen:

http://de.wikipedia.org/wiki/Tantra

http://de.wikipedia.org/wiki/Shakti

http://de.wikipedia.org/wiki/Shiva

Helmut Poller   http://www.tantra-tradition.de