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Empath versus Narzisst: ein tragisches doppeltes Trauma

Schmerzliche Überlegungen über die Verbindung von Empathen und Narzissten hat Kaen Kim auf Quora verfasst, wo sie frei übersetzt wurden. Die Frage war: „Wann wird der Empath einen Narzissten verlassen?“ Dies ist der dritte Teil einer kleinen Serie zu Empathen und Narzissten.

„Viele Empathen sind auch HSP (hoch sensible Persönlichkeiten). Ihre Fähigkeit, wahres Mitgefühl zu spüren, geht über das hinaus, was die meisten Menschen verstehen können.

Die meisten Menschen verstehen extremes Einfühlungsvermögen nicht (manche nennen es bösartiges Einfühlungsvermögen, wenn das empathische Verlangen nach Heilung das der betroffenen  Person selbst übersteigt). Besonders wenn Menschen, die uns nahe stehen, leiden, fühlen Empathen so tief mit ihnen mit, als seien sie selbst betroffen. Durch Projektion nehmen wir die Agonie der Narzissten und die gestörte Ordnung an.  

Man sagt, Empathen seien der Spiegel der Narzissten und umgekehrt. Leider sind viele von beiden verwundete Kinder. Sowohl der Empath, als auch der Narzisst suchen Bestätigung und bedingungslose Liebe von außen.

Der Narzisst bringt den Empathen mit sich selbst in Kontakt, indem er dessen Qualitäten, aber auch seinen Schmerz spiegelt. Er hält ihm einen Spiegel vor, damit er sein wahres Gesicht sehen kann. Für den Empathen kann das ein Weckruf sein. Mancher mag vorher gar nicht erkannt haben, dass er/sie eine hoch sensible Persönlichkeit ist,  oder dass es eigene Wunden sind, die ihn zum Narzissten hingezogen haben.

Das selbst verletzte  empathische „Opfer“ verliebt sich tief in die Maske des verwundeten Narzissten, weil diese eine tiefe unbewusste Sehnsucht nach etwas sehr vertrautem auslöst.  Während es sich glücklich verliebt fühlt, löst gleichzeitig  der Narzisst eine schmerzhafte, ferne Erinnerung an eine Zeit aus, in der das „Opfer“ schon einmal  Liebe erhalten wollte, sie aber nicht bekam. Obwohl es eine Form tiefer Liebe zwischen Empathen und Narzissten ist, ist sie auch das Ergebnis eines schweren Traumas und nicht verheilter Wunden. Dieses Trauma  öffnet dem Narzissten ein Tor, um mit dem „Fressen seiner Nahrung“ zu beginnen. Narzissten können keine echte Liebe bieten, wissen aber sehr gut, wie sie eine solche für sich selbst nutzen können. Dabei zerstören sie das verwundete Opfer langsam von innen heraus, bis nichts mehr übrig ist.

Die Tragödie dabei ist, dass der Narzisst das Opfer verlässt, weil der Spiegel sich jetzt umkehrt. Diesmal sieht sich der Narzisst selbst als Opfer im Spiegel des Empathen: Die hohle, elende Kreatur, die er aus dem Empathen gemacht hat, weil der Narzisst nicht die Kraft hatte, seine eigene Wirklichkeit zu ertragen. Obwohl der Empath immer noch tief verliebt und hingebungsvoll ist, kann sich der Narzisst nicht mehr um ihn kümmern, denn alles, was er  jetzt in seinem Gegenüber sieht, ist nicht mehr seine eigene Grandiosität, sondern (ebenfalls seine eigene) Enttäuschung, seinen Misserfolg und seine zerbrochenen Träume.

Das ist das tragische Ergebnis des gegenseitigen Spiegelung von Narzisst und Empath.

Viele Empathen und Narzissten bleiben beieinander, lassen sich gegenseitig nicht gehen. Die  Schwingung des Universums in unseren Atomen weiß, dass wir das perfekt gestörte, tragische Match sind, das in der Hölle gemacht wurde. Ich wage zu behaupten, dass viele von uns machtlos sind und keine andere Wahl haben, als durch dieses Elend zu gehen, bis einer von uns stirbt oder endlich aufwacht. Es ist ein Krieg zweier Seiten der selben Münze. Ein Empath, der sich an einen bösartigen Narzissten bindet, wird von innen nach außen verändert. Für mich fühlte sich das Verlassen des Narzissten an, als würde ich mich selbst, das verwundete Kind aus meiner Vergangenheit, verlassen. Ich glaube, aus diesem Grund ist es für einen Empathen unglaublich schwer, zu gehen, wenn Wunden nicht geheilt sind. Wir verlieren einen Teil von uns selbst, wenn wir gehen. Wir sind für immer verwandelt.

Nicht jeder kann von so einer Beziehung betroffen werden. Ein Narzisst wirkt wie ein Virus. Empathen neigen am ehesten dazu, sich damit zu infizieren. Dies ist keine normale Anziehungskraft, es ist fast wie eine Hypnose. In der Verbindung gleicht sich die  Schwingung an. Der Empath muss die Kernwunde und Leere, die der Narzisst in sich trägt, automatisch spüren, zumal er sie von sich selbst kennt.

Einer der schmerzlichsten, lebhaftesten Träume, die ich von „meinem“ Narzissten hatte, war, dass er mit einer anderen Geliebten erschien. Während er mit verzweifelten Augen meine Hand hielt, sagte er: „Sie wird mich nie besitzen. Ich will  nicht, dass du mich verlässt.“

Den erstaunlichsten Traum hatte ich, bevor ich wusste, dass er ein Narzisst ist. Er war wie eine Vorahnung: Überall gab es Spiegel, und ich konnte darin sehen, wie seine leeren, toten Augen mich anstarrten. Jedes Mal, wenn ich versuchte näher zu kommen, verschwand das Spiegelbild und ich jagte ihm verzweifelt nach.  So hatte mich mein Unterbewusstsein von Anfang an gewarnt.

Es ist traurig, dass der Empath trotz des Missbrauchs und Traumas immer die Trauer und den Schmerz der fragmentierten Teile des verbleibenden Narzissten fühlen kann, da ihn diese an ihn selbst erinnern. So lehrt der Narzisst den Empathen eine mächtige Lektion: Wir müssen erkennen, dass wir unseren Spiegel zerstören müssen, den wir im Narzissten gesehen haben, den Spiegel, der unser eigenes, verletztes inneres Kind darstellt. Wir müssen den gleichen Seelentod wie der Narzisst durchmachen, um heilen zu können.

Der Empath hat keine andere Wahl, als die Stücke seines gebrochenen Herzens aufzusammeln. Wenn wir uns vom Narzissten unterscheiden wollen, müssen wir unseren Selbstwert erkennen und uns gegen den Teil unseres Wesens stellen, der bleiben will. Wir müssen lernen, wann wir loslassen müssen. Alles kann geheilt werden. Nicht jeder wird unser Mitgefühl zu schätzen wissen, und obwohl es ein wunderschönes Geschenk ist, ist es auch eine Fähigkeit, die auf verheerende Weise benutzt und missbraucht werden kann.

Ich glaube, dass, wenn ein Empath einen Narzissten verlässt, mehr geheilt wird, als in der Verbindung heilen könnte. Wir müssen den Wunsch aufgeben, eine Persönlichkeitsstörung zu heilen, die nicht geheilt werden kann. Ich kann nicht sagen, dass ich dieses Niveau schon  erreicht habe, da meine Sucht so extrem ist, aber ich hoffe, dass ich es eines Tages schaffen werde. „

Siehe auch: „Mein wahres Ich wirst du nie erreichen“

„Warum heilen wir uns nicht gegenseitig? sowie

„Der Mann meines Lebens ist ein Narzisst“ und die dortigen Links

Weltweiter Rechtsbruch über Ramstein: Steuerzentrale aller Todesdrohnen

„Vor unseren Augen werden inoffizielle Kriege angezettelt, werden Ausländer und Amerikaner per Dekret des Präsidenten ermordet.  Vor unseren Augen verwandelt sich der Krieg gegen den Terror in eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Kann so ein Krieg jemals enden? Und was passiert mit uns, wenn wir endlich sehen, was direkt vor unseren Augen verborgen war?“

Schlussworte des untenstehenden Films: „Schmutzige Kriege – die geheimen Kommandoaktionen der USA“. Autor Jeremy Scahill deckt die Folgen eines Krieges auf, der völlig außer Kontrolle ist. CIA-Agenten, Kämpfer der Special Forces, Generäle und von den USA finanzierte Warlords  treten aus dem Dunkel der Geheimhaltung vor die Kamera und reden über ihre Einsätze. Auch die Überlebenden der meist nächtlichen Attacken und Drohnenangriffe kommen zu Wort, darunter die Familie des ersten amerikanischen Staatsbürgers, der von seiner eigenen Regierung gejagt und getötet wurde.

In 75 Ländern der Erde, so erfährt der Zuschauer, ist das Joint Special Operations Command (JSOC) aktiv und hat sich vom sorgfältig getarnten Killerkommando inzwischen zum offen agierenden paramilitärischen Arm der US-Regierung entwickelt.
„Die Welt ist ein Schlachtfeld, und wir befinden uns im Krieg,“ sagt ein Informant dazu. Ein somalischer Bandenchef, der im Auftrag der USA „Leute fängt und verhört“, drückt es so aus: „Die Amerikaner sind Meister der Kriegsführung, sie wissen, wie man Kriege finanziert. Sie sind Lehrer, große Lehrer…“

9/11 war der äußere Anlass, mit dem heute der weltweite „Krieg gegen den Terror“ gerechtfertigt wird. Ein Krieg, in dem sich die Vereinigten Staaten immer wieder außerhalb jeden Völkerrechts bewegen. Und was das Schlimmste ist: Deutschland steckt mittendrin. Mit Wissen seiner Regierung. Zum Beispiel in Ramstein. Im größten  Militärstützpunkt der USA außerhalb ihres Staatsgebietes arbeitet die Zentrale der weltweiten Drohnenangriffe. Jede Tötung von Menschen wird über Ramstein ausgeführt.

Den begründeten Verdacht und Aussagen von beteiligten Soldaten gibt es schon lange, siehe dazu die Monitor-Sendung im Video oben. Auf eher halbherzige Fragen der Bundesregierung zum Thema verweigerte die amerikanische Regierung die Antwort. Nun, und das ist die Neuigkeit, die – eigentlich – dafür sorgen müsste, dass die deutsche Regierung endlich handelt, gibt es auch die zugehörigen Beweise, wieder einmal geliefert von The Intercept.

Es handelt sich um streng geheime Grafiken, die dokumentieren, dass praktisch alle Drohnenangriffe der Air Force über Ramstein abgewickelt werden. In seiner jüngsten Ausgabe berichtet der Spiegel ausführlich darüber. Das Geheimdienst-Diagramm offenbart, dass es auf diesem Globus derzeit zwei Orte gibt, die für den Drohnenkrieg unverzichtbar sind: Ramstein und Creech, ein hermetisch abgeriegelter Flecken in der Wüste von Nevada. Der Luftwaffenstützpunkt, eine Autostunde nordwestlich von Las Vegas, dient als Drohnenzentrale und Relaisstation für zehn Air-Force-Basen in verschiedenen US-Bundesstaaten.

Originalschaubild des US-Drohnenprogramms mit Standorten und Kommunikationswegen

„Von Ramstein wird das Signal übermittelt, das den Drohnen befiehlt, was sie tun sollen“, sagt ein Amerikaner, der mit dem geheimen Militärprogramm vertraut ist. Von ihm stammen die Dokumente. „Ohne Ramstein könnte keine der Drohnen gesteuert werden – jedenfalls nicht in der bisher geübten Weise.“

Kein Satellit, der mit der Erde kreist, kann ein Signal auf direktem Wege etwa von Pakistan auf den amerikanischen Kontinent senden – die Erdkrümmung ist zu stark. Einen zweiten Satelliten in den Datenfluss einzubeziehen würde alle Aktivitäten verlangsamen, denn die Videobilder der Drohne kämen nicht mehr in Echtzeit in den USA an. Ohne Ramstein wären die „Piloten“ praktisch blind, schreibt der Spiegel in seiner jüngsten Ausgabe

In Creech loggt sich zu Beginn seines Einsatzes jeder Drohnenpilot im Air and Space Operation Center (AOC) in Ramstein ein. Der ehemalige Pilot Brandon Bryant berichtete voriges Jahr unter anderem in der Süddeutschen Zeitung, dass er sich in Deutschland mit seinem Rufzeichen melden und die Kennung der jeweiligen Drohne durchgeben musste, um mit ihr verbunden zu werden.

Steht die Verbindung zwischen dem Drohnenpiloten in Nevada und dem AOC in Ramstein, werden die Steuerbefehle in der Pfalz an einen Satelliten umgeleitet. Aus dem All gelangen sie dann zur Drohne.

Die unbemannten Flieger werden jeweils von einem Team aus Spezialisten dirigiert. Der Pilot kümmert sich um Höhe, Richtung und Geschwindigkeit, andere um Infrarot- und Videokameras sowie das Lasersystem zur Zielerfassung. Entscheidend für eine präzise Steuerung ist die sogenannte Latenz, also die Zeit, die vergeht, bis das Signal vom Joystick des Piloten die Drohne erreicht.

Reaper Aircraft Flies Without Pilot From Creech AFB

Weil Piloten und Satellitenverbindung räumlich getrennt sind, glauben die USA, behaupten zu können, dass der Einsatz der Todesdrohnen nicht von Deutschland aus gesteuert wird. Man übt sich in Haarspaltereien. So versprach beispielsweise Präsident Obama dem Kanzleramt, dass Deutschland „kein Startpunkt“ für Drohneneisätze sei.

Aber: Die Air Base Ramstein ist kein exterritoriales Gebiet. Zwar hat der Bund den USA per Vertrag die Nutzung der Liegenschaften zugesichert – allerdings mit der Auflage, dass sie auf dem mit Stacheldraht gesicherten Areal nichts unternehmen, was gegen deutsches Recht verstößt. Was hier geschieht, ist jedoch massiver internationaler Rechtsbruch. Und die Behauptungen der Bundesregierung, nichts darüber zu wissen, sind schlicht gelogen, wie geheime Dokumente beweisen, die dem Spiegel vorliegen:

Am 18. November 2011 zum Beispiel teilte das Department of the Army dem Verteidigungsministerium mit, in Kürze auf der Air Base Ramstein eine Relaisstation für Drohneneinsätze errichten zu wollen. Dabei handelte es sich um einen zentralen Baustein des Drohnenkriegs: ein Antennenfeld, das die Kommunikation zwischen den Piloten auf amerikanischem Boden und den Drohnen in arabischer oder afrikanischer Luft nahezu in Echtzeit ermöglicht. Das Projekt, schrieb das US-Heeresamt den Deutschen, genieße „sehr hohe Priorität“. Mit seiner Hilfe werde ein „einzigartiges Kontrollzentrum“ für den Einsatz der Drohnen vom Typ „Predator“, „Reaper“ und „Global Hawk“ geschaffen.

Aus anderen Berichten an die Bundesregierung geht hervor, dass die 6,6 Millionen teure Anlage in der Nähe der Rampe 6 in Ramstein errichtet werde; vorgesehen seien auch Räume für „Betrieb, Verwaltung und Instandhaltung“, außerdem Platz für „Mission Control Vans“.

„Ramstein ist der zentrale Punkt für jede Datenübertragung“, sagt Dan Gettinger, Codirektor des Zentrums für Drohnenforschung am Bard College nahe New York, „die Infrastruktur für die Kommunikation ist für die Operationen wichtiger als die Waffen, die die Drohnen tragen.“

Die Geheimdokumente, die dies belegen, sind umso brisanter, weil sie in einem weiteren Punkt der Darstellung der Bundesregierung widersprechen. Demnach sind die Drohnen in der Lage, für ihre tödlichen Angriffe auch Mobiltelefone zu orten.

Auch dies weiß man eigentlich seit mehr als einem Jahr (siehe Panorama-Video oben). Das System nennt sich Gilgamesh und funktioniert wie ein mobiler Telefonmast, der Handydaten „absaugt“. Potentielle Opfer lassen sich also kinderleicht von Drohnen mithilfe ihrer Handy-Nummer und den übrigen, automatisch mitgesendeten Handy-Kennzeichen orten. Die NSA – und damit ihre Helfer beim BND – liefern die zugehörigen Nummern.  „Wenn der NSA die Handyortung genügt, um Menschen ohne Gerichtsverfahren in den Tod zu schicken, besteht der akute Verdacht, dass die deutschen Geheimdienste und mit ihnen die Bundesregierung mit der Übermittlung entsprechender Telefonnummern Beihilfe zum Mord geleistet haben“, stellte dazu  im Februar 2014 der Linke Andrej Hunko fest.

Ob die Drohnen schließlich überhaupt die anvisierte Person getötet haben, werde kaum mehr vor Ort überprüft. Die NSA könne Überwachungsziele anhand ihrer Stimme erkennen, wisse, wer seine Freunde seien, wer der Kommandeur und wer unterstellt sei. Dabei sei das Fehlerpotenzial solcher Quellen aber enorm, sagte Brandon Bryant. Inzwischen tauschten gesuchte Personen SIM-Karten oder Mobiltelefone mehrfach aus. Bei Treffen in größeren Gruppen würden sämtliche SIM-Karten der Anwesenden in einem Beutel gesammelt. Nach dem Treffen verlasse jeder den Raum mit einer anderen SIM-Karte. Quelle: Golem

Dabei steht das US-Militär auch unter zeitlichem Druck. Tödliche Angriffe müssen vom Weißen Haus direkt genehmigt werden und sind für 60 Tage gültig. Danach müssen sie einem erneuten Überprüfungsverfahren unterzogen werden. Das führe dazu, dass Kommandeure auch dann Angriffe ausführen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass Unschuldige bei dem Angriff getötet werden, hoch sei oder gar nicht überprüft werden könne.

Noch im Januar dieses Jahres hat die Bundesregierung bestritten, über die genauen Aktivitäten in Ramstein informiert zu sein und behauptet, dass es sich um „um selbstständiges hoheitliches Handeln eines fremden Staates“ handele, das keiner Genehmigung und auch keiner Überprüfung bedürfe. Ähnliches gilt für einen weiteren Unrechts-Standort in Deutschland, über den die Süddeutsche letztes Jahr ebenfalls berichtete: 200 Kilometer südöstlich von Ramstein, in Stuttgart, sitzt Africom, also das amerikanische Oberkommando für Afrika. Und in Somalia töteten US-Drohnen in der Vergangenheit mehrere Menschen.Reaper Aircraft Flies Without Pilot From Creech AFB

Ob Kampfdrohnen auch in Zukunft ausschließlich über Ramstein geleitet werden, sei indes nicht sicher, schreibt der Spiegel. Vor drei Jahren bereits haben die Vereinigten Staaten Ausschau nach einer Alternative gehalten. Auf dem süditalienischen US-Stützpunkt Sigonella wurden sie fündig. Inzwischen wächst dort eine ähnliche Anlage wie in der Pfalz heran. Als „Back-up-System für Ramstein“, so ein Planungspapier der Air Force, um im Falle eines Falles „einen Engpass zu vermeiden“.

Seit einem Jahr tagt nun der NSA-Untersuchungsausschuss. Er wird von der Bundesregierung und dem BND massiv in seiner Arbeit behindert und kommt nur in ganz kleinen Stücken voran. Akten werden unvollständig geliefert, überwiegend geschwärzt oder die Herausgabe wird gleich ganz verweigert. Immer wieder beschweren sich die Mitglieder über Informationsblockaden durch den BND. Edward Snowden, der unter anderem auch eine Dokumentation über die Zusammenarbeit von NSA und BND und über die Technik der Überwachung für Europa und Afrika geliefert hat, wird nicht nach Deutschland eingeladen, weil sich die Bundesregierung strikt weigert.

Der BND habe den Datenstrom zwischen 2003 und 2008 für die Amerikaner auf bestimmte Schlagworte – sogenannte Selektoren – hin untersucht. Die Amerikaner erhofften sich viele neue Erkenntnisse. Von selbst aber dürfen sie dort nicht tätig werden. „Die Erwartungen waren hoch“, sagt Eikonal-Chef S.L. im NSA-Ausschuss. Nur sei nicht alles gelaufen, wie sich das BND und NSA vorgestellt hatten. Am Ende hätten so wenig Ergebnisse gestanden, dass die NSA das Projekt 2008 abgebrochen habe.

Und was tut die deutsche Öffentlichkeit?

Das, was sie mehrheitlich am besten kann: Nichts sehen, nichts hören, nichts wissen.

Nur ist es in Zeiten des Internets nicht mehr so einfach, zu behaupten, man habe von nichts gewusst. Alle Informationen sind frei zugänglich – manche früher, einige später, aber alle kommen an’s Licht.

Damit sind wir alle mitschuldig an den rechtsfreien Räumen, die unsere wichtigsten Verbündeten auf der ganzen Erde schaffen. Verbündete, die von sich behaupten, eine Demokratie zu sein und die Menschenrechte weltweit verteidigen zu müssen. Verbündete, sie so handeln können, weil es niemand wagt, die Wahrheit offen auszusprechen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Schlimmer noch: Offenbar glaubt unsere Regierung, durch willfähriges Verhalten eine Option auf eigenen, größeren weltweiten Einfluss zu erwerben.

Armes Deutschland.

MQ-9 Reaper2

Bis 2018 soll die MQ-9-Reaper, zu deutsch: der Sensenmann, die wichtigste amerikanische Drohne werden.

„MQ-9 Reaper“(früher „Predator B“) basiert technisch gesehen auf der „MQ-1 Predator“. Sie ist aber für den Angriff optimiert, da sie die zehnfache Waffenlast im Vergleich zum Ursprungsmodell befördern kann. Eingesetzt wird sie von der US-Marine und Luftwaffe.

  • Hersteller: General Atomics Aeronautical Systems
  • Stückpreis: 10,5 Millionen Dollar
  • Bewaffnung: bis zu 1361 kg
  • (z.B. Raketen der Typen „AGM-114 Hellfire“ und „AIM-9 Sidewinder“ oder Bomben der Typen „GBU-12 Paveway II“ und „GBU-38 DAM“)
  • Maße: 10,97 m lang, 20,12 m Flügelspannweite
  • Reichweite: 5926 km
  • Flughöhe: max. 15.400 m
  • Steuerung: Fernsteuerung durch einen Piloten

Hier kann man sie im interaktiven 3D-Modell betrachten.

In den USA sind die weltweiten Drohnenoperationen kein Geheimnis. Die Washington Post berichtete beispielsweise im Juni 2014 ausführlich darüber, welche Modelle genutzt und wie sie gesteuert werden.  Ebenso offen wird über hunderte von  missglückten Einsätzen berichtet, bei denen Drohnen abgestürzt sind. Es gibt eine Tabelle über 194 Unfälle der sogenannten Kategorie A, bei denen ein Schaden von mindestens zwei Millionen Dollar enstand. Daraus geht hervor, wem das Gerät jeweils gehörte, um welchen Typ es sich handelte und wo der Absturz stattfand – und das war keineswegs immer in Kriegsgebieten. Keine Informationen gibt es allerdings über die von der CIA gesteuerten Drohnenaktivitäten.

Siehe auch: „Nein, das ist kein Film – wir werden wirklich überwacht“ , sowie:Warum wir nicht schweigen dürfen“ und die zahlreichen dortigen Links

und: Kriegsdrehscheibe Rheinland-Pfalz

Update: Neues US-Waffensystem: LOCUST – Drohnen-Schwarmtechnologie

Update: USA töten bei Drohnenangriff in Pakistan versehentlich westliche Geiseln

Update: US-Special Forces sind in 81 Ländern aktiv: Wo sie sind und was sie da machen

Update: Princeton-Studie: Die USA sind keine Demokratie mehr

Update: „Der Feind ist unbekannt“, deshalb müssen US-Truppen überall hin…

Update: Al Kaida-Anführer samt Sohn per Drohne im Jemen getötet

Update: USA weiten Drohnenprogramm um 50 Prozent aus

Update: CIA betreibt ein geheimes Drohnenprogramm gegen IS

Update: Videobotschaft von CIA-Analyst Ray McGovern; Schließt Ramstein!

Update: Eine Telefonnummer reicht aus, um Menschen zu töten

Update: „Wenn die Amis nicht wären, wären wir alle tot“

Untenstehendes ZDF-Video arbeitet den Verlauf der Überwachungsaktivitäten nach 9/11 auf.

Update 19.3.2019

Deutschland muss US-Drohneneinsätze via Ramstein prüfen

Deutschland muss nachforschen, ob die USA bei ihren Drohneneinsätzen das Völkerrecht wahren. Im Fokus steht dabei die US-Airbase Ramstein in der Pfalz. Das hat jetzt ein Gericht entschieden.

Drei jemenitische Kläger hatten im Zusammenhang mit tödlichen US-Drohnenangriffen in ihrer Heimat gegen die Bundesrepublik Deutschland geklagt – nun erzielten sie vor dem Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) einen Teilerfolg.

Deutschland müsse sich vergewissern und aktiv nachforschen, ob die USA bei ihren Drohneneinsätzen im Jemen das Völkerrecht wahren, entschied das Gericht am Dienstag. Konkret geht es um die Nutzung der US-Air Base Ramstein im Landkreis Kaiserslautern im Drohnenkrieg. Das Gericht ließ aber angesichts der großen Bedeutung und auch der politischen Dimension des Falls Revision beim Bundesverwaltungsgericht zu.

Es gebe „offenkundige tatsächliche Anhaltspunkte“ dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen aus der Air Base Ramstein bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen durchführten, die „zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen“, sagte der Vorsitzende Richter Wolf Sarnighausen. Belegt sei, dass eine Satelliten-Relais-Station in Ramstein bis heute eine zentrale Rolle bei den US-Drohneinsätzen spiele.

Die Kläger scheiterten aber mit einer wichtigen Forderung: Die Bundesrepublik muss den USA die Nutzung Ramsteins für die Drohneneinsätze nicht untersagen. Sollten sich bei aktiven Nachforschungen aber Rechtsverletzungen zeigen, müsse die Bundesregierung gegenüber den USA auf die Einhaltung des Völkerrechts „hinwirken“.

Die Klage eines Somaliers gegen die Bundesrepublik nach einem US-Drohnenangriff in seiner Heimat 2012 wies das OVG dagegen ab. Es könne keine Pflichtverletzung der Bundesrepublik festgestellt werden. Der Senat sei auch nicht überzeugt, dass der Vater des Klägers tatsächlich durch eine US-Drohne getötet worden sei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Eindeutige Beweise, dass Kriegsdrohnen über den US-Militärstützpunkt in Ramstein gesteuert werden, gibt es nicht. Das liegt daran, dass der Militärstützpunkt amerikanisches Hoheitsgebiet ist. Die Bundesrepublik kann damit keine eigenen Nachforschungen anstellen.

2015 hatte jedoch ein Ex-US-Drohnenpilot im NSA-Untersuchungsausschuss in Berlin ausgesagt, Ramstein spiele im weltweiten Drohnenkrieg der USA eine zentrale Rolle.

Die Friedensbewegung sieht sich durch das Urteil in ihrer Kritik an dem Luftwaffenstützpunkt in der Pfalz bestätigt. Damit werde „die Bedeutung der intensiven Aufklärungsarbeit der Friedensbewegung“ bestätigt, hieß es in einer Mitteilung des Aktionsbüro Kampagne Stopp Air Base Ramstein. Jetzt müsse der Truppenstationierungsvertrag für die US-Base gekündigt werden, forderte der Koordinierungskreis der Kampagne. „Das ist der Weg, den Drohnenkrieg zu beenden.“ Auch die Menschenrechtsorganisation ECCHR sprach von einem „wegweisenden Urteil“.

Quelle: SWR

Update: USA investieren in Ramstein – Dollar-Regen für die Pfalz

Update: Faktenblatt der „Aktion Stopp Air Base Ramstein“ zum Download

Update: Kuschen die Deutschen vor den USA?

Update: Auch die Todesdrohne für den iranischen General Quassem Soleimani wurde über Ramstein gesteuert

Medien: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – das wird immer so sein

Die Redaktionsleiterin des Nordbayrischer Kuriers (Region und Kultur) Christina Knorz bringt es auf den Punkt: „Die Lokalzeitungen in Deutschland sind, wenn man da einen Schnitt durch macht, einfach nicht gut. Die sind langweilig, das sind Verlautbarungsorgane von Entscheidern, das hat nichts mit Journalismus zu tun, wie er gemacht werden sollte. Die Texte sind unverständlich, bürokratisch, es ist unattraktiv, man schlägt es auf und will gleich weglaufen. Ich kann verstehen, dass Menschen so eine Zeitung nicht kaufen wollen. Ich würde das auch nicht tun. Aber es liegt ja an uns, dass wir uns zurückbesinnen, was wir eigentlich tun sollten und das deshalb dann auch machen.“

Wie wahr. Und das gilt nicht nur für die Lokalzeitungen.

Print als Ganzes ist im rasanten Sinkflug. Wie schwer die Krise ist, kommt in der breiten Öffentlichkeit kaum an. Wir, die User, nehmen, was wir bekommen können – und das, wenn möglich gratis. Wir haben im Auto das Radio, unzählige TV-Sender im Wohnzimmer, immer aktuell und samt Mediatheken auf Samartphone, Tablet und PC. Wenn wir schnell über das aktuelle Thema informiert werden wollen, das uns gerade interessiert, nutzen wir twitter – in den sozialen Netzwerken können wir jederzeit kommentieren und interagieren, statt zu warten, ob unser Leserbrief gnädig veröffentlicht wird oder nicht – uns geht es doch besser als jemals zuvor – oder?

Sogar die Bundeskanzlerin sah sich angesichts des jüngsten Kongresses der Zeitungsverleger (BDZV) genötigt, den Erhalt des „Qualitätsjournalismus“ zu fordern.

In Deutschland gibt es laut BDZV  329 Tageszeitungen, 20 Wochenzeitungen und 6 Sonntagszeitungen. Zusammen haben sie eine Auflage von rund 22,2 Millionen Exemplaren. Diese vereinen unter ihrem Dach 1.528 redaktionelle Ausgaben. Neben den Printtiteln unterhalten die deutschen Zeitungen 661 redaktionelle Online-Angebote, die von mehr als die Hälfte der deutschen Internetnutzer regelmäßig besucht werden. Darüber hinaus gibt es mittlerweile 450 Apps für Smartphones und Tablet-PCs von Zeitungsverlagen, von denen zwei Drittel kostenpflichtig sind. Mit 248 Exemplaren pro 1.000 Einwohner über 14 Jahren hat Deutschland eine der höchsten Zeitungsdichten Europas.

Pro Erscheinungstag werden die gedruckten Zeitungen von 67,4 Prozent der Bürger über 14 Jahren gelesen (Tageszeitungen: 63,2 Prozent). Fast 44 Prozent der über 14-Jährigen (30,9 Millionen unique User) sind auf den Websites der Verlage unterwegs. 9,6 Millionen Nutzer steuern mindestens einmal pro Monat die Website einer regionalen Zeitung mobil an. Und: Bei der mit gedruckter Lektüre nur schwer zu erreichenden Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen ist die Reichweite der Verlage im Netz seit Ende 2011 um 14 Prozentpunkte auf 66,9 Prozent gestiegen. Die gedruckte Tageszeitung lesen zwei von drei Deutschen über 14 Jahren regelmäßig, das sind knapp 45 Millionen Männer und Frauen. Bei den lokalen und regionalen Abonnementzeitungen liegen die Leserinnen mit 52 Prozent sogar ganz leicht vor den Lesern (gut 50 Prozent). Dagegen werden Kaufzeitungen und überregionale Abonnementzeitungen stärker von Männern (23 Prozent beziehungsweise knapp 6 Prozent) als von Frauen (13 Prozent beziehungsweise knapp 4 Prozent) genutzt.

Die Zeitungen in Deutschland, so der BDZV weiter, haben eine Gesamtauflage von gut 21,5 Millionen verkauften Exemplaren pro Erscheinungstag (IVW: II. Quartal 2014). Im Vergleich zu dem entsprechenden Vorjahresquartal bedeutet dies ein durchschnittliches Auflagenminus von 3,7 Prozent. Zu der Gesamtauflage zählen 590.000 verkaufte E-Paper-Ausgaben von 178 verschiedenen Titeln (+47,9 Prozent). Insgesamt belaufen sich die Verluste per Saldo bei den lokalen/regionalen Zeitungen auf -2,6 Prozent, bei den überregionalen Titeln auf -6,1 Prozent, bei den Kaufzeitungen auf -8,1 Prozent, bei den Sonntagszeitungen auf -4,7 Prozent. Die Wochenzeitungen erzielten ein Plus von 0,4 Prozent.

Mit Journalismus im Netz Geld verdienen, um die Print-Ausgabe zu retten. Das ist das erklärte Ziel der Verleger, die horrende Vermögen in teuren Druckhäusern, Maschinen und Papier gebunden haben, die viel Geld für „analoge“ Vertriebswege verbrauchen, und die in ihren Blättern eine Vielzahl von Themen bündeln, die eine Vielzahl ganz verschiedener Interessenten ansprechen. Der Leser einer Tageszeitung wird einmal am Tag informiert, und zwar im Paket: Er bekommt von der Außenpolitik über die Kultur und den Sport bis hin zu Informationen aus seinem Heimatort alles. Wobei die Informationen aus dem Heimatort immer weniger, die Neuigkeiten, die über Nachrichtenagenturen und Lobbyisten beziehbar sind, immer mehr werden. Besonders ärgerlich dabei: Man bekommt zumeist alles oder nichts.

Um wenigstens die Bezugspreise einigermaßen stabil zu halten, sparen die Verlage, was das Zeug hält – und zwar da, wo es sich quer durch die ganze Wirtschaft am schnellsten sparen lässt: Bei den Menschen. Angestellte Redakteure sind teure Mitarbeiter. Sie haben im Vergleich zu anderen Berufen ausgesprochen gute Tarifverträge. Für die gute Bezahlung gibt es auch gute Gründe:  Den sogenannten Qualitätsjournalismus. Die Ausbildung von Redakteuren umfasst ein breites Spektrum von Verantwortlichkeiten rund um das Thema Information: Im besten Fall verinnerlichen sie nicht nur den genauen Unterschied zwischen den Stilrichtungen, mit deren Hilfe sie informieren, sondern auch die dahinter stehende Ethik: Ein Journalist hat zuerst nüchtern die Fakten zu präsentieren, bevor er irgend etwas wertet. Entschließt er sich zu einer Wertung, hat er sie als solche kenntlich zu machen, zu begründen und in Zusammenhang zu stellen. Medien stehen im Dienst ihrer Leser – nicht im Dienst von Interessengruppen, sei es nun aus der Wirtschaft oder der Politik. Damit tragen sie eine hohe gesellschaftspolitische Verantwortung.

Nun hat die technische Entwicklung in den letzten Jahrzehnten für eine stattliche Veränderung des Berufsbildes gesorgt. Heutige Tageszeitungsredakteure verbringen bestenfalls einen Bruchteil ihrer Zeit mit eigener Recherche. Statt dessen verarbeiten sie Material von Presseagenturen, freien Mitarbeitern, Korrespondenten. Sie ordnen es ein, gestalten damit optisch, inhaltlich und technisch das Blatt des nächsten Tages – reichern es vielleicht an mit einem Kommentar oder gar Leitartikel – sind ansonsten aber Informations-Verarbeiter, denen von ihren Arbeitgebern täglich neu klar gemacht wird, dass ihr eigenes Überleben vom Umsatz abhängt, und dass sie gefälligst etwas dafür zu leisten haben.

Hier beginnt ein Konflikt, der nur ganz selten aus den Medienhäusern in die Öffentlichkeit gelangt, denn es gibt außer den Medien ja niemanden, der über die Situation von Medienmachern berichten würde oder könnte…

Jeder Journalist – sei es beim kleinen Anzeigenblatt oder beim größten Medienhaus der Republik – möchte „gute Geschichten“ schreiben. Ehrliche Geschichten, die die Dinge aufzeigen wie sie sind, ungeschönt, tief  recherchiert, versehen mit guten Fotos, Anregungen zur Veränderung, einem fundierten Kommentar. Jeder Journalist weiß, wieviel Zeit so etwas braucht: Tagelanges Telefonieren, lange abendliche Treffen, Überzeugungsarbeit bei Informanten, das richtige Licht für das Foto – Freiraum im Kopf zum Überdenken des Kommentares. Zeit, die kein Mensch mehr hat, der in die tägliche Produktion eingebunden ist. Und schon gar nicht, wenn es wie in den Lokalausgaben, manchmal nur um wenige hundert oder wenige tausend Leser geht. Da kann die Story noch so gut sein – über den Verkauf wird sie sich nur im großen Rahmen refinanzieren, auf lokaler Ebene nicht.

Im überregionalen Bereich hat die Tageszeitung den Anspruch, die Informationen des Tages von Timbuktu bis Berlin widerzuspiegeln, zu wichten und zu werten – eine Auswahl im Sinne ihrer Leser zu treffen. Zwar ist sie damit hoffnungslos im zeitlichen Hintertreffen: Wenn sie endlich beim Leser auf dem Frühstückstisch liegt, ist die Nachricht im Zweifelsfall uralt. Aber: Es sind große Themen, mit denen sich die Journalisten beschäftigen – und das streichelt die Eitelkeit. Es ist schließlich ein Unterschied, Frau Merkel mal Bescheid zu sagen, als dem heimischen Ortsbürgermeister, der im Zweifelsfall dann schimpfend vor der privaten Haustür steht. Über den digitalen Verkauf, so die Hoffnung,  könnte man das analoge Zeit-Defizit ausgleichen. Außerdem nimmt man für sich in Anspruch, die Leser vor „Überflutung“ mit Information zu schützen.

Nein, ich will Journalisten nicht Unrecht tun.  Ich möchte ein Dilemma aufzeigen: Im Digitalen herrscht ein mörderischer Wettbewerb zwischen allen Anbietern, wo Print erstmal seinen Umsatz erstreiten muss. Und der Umsatz ist es, der zählt; nicht die Klicks. Bisher gibt es keinerlei Notwendigkeit, digitale Allround-Zeitungs-Abos zu kaufen. Spätestens über twitter sind alle relevanten Informationen gratis erhältlich – und zwar als persönliches Nutzerprofil. Das Einzige, was das twitter-Mitglied nicht bekommen kann, sind regelmäßige kleinteilige, lokale Informationen.

Der  Markt, auf dem gedruckte Tageszeitungen auch in Zukunft am leichtesten Wachstum erzielen könnten, ist ihr einziges Hoheitsgebiet: das Lokale. Im lokalen Bereich lieben die Leser ihre Zeitung als täglichen Begleiter im Alltag, wie immer neue Erhebungen auch deutlich machen. Nicht einmal lokales Fernsehen kann der Tageszeitung hier das Wasser reichen: Nur sie kann wirklich immer am Ball sein. Hier, wo man höchst selten Preise gewinnen kann, spielt sich das Leben der Abonnenten ab, hier kann echte emotionale Bindung hergestellt werden, die auch Zeitschranken aushält.

Informationsquellen für lokales Geschehen

Gerade hier wird aber seit Jahrzehnten kontinuierlich gespart. Man bedient sich ungelernter freie Mitarbeiter, die oft sehr engagiert sind, aber manchmal bereits Probleme haben, die deutsche Sprache in ihrem ganzen Spektrum zu nutzen – dafür lassen sie sich mit lächerlichen Zeilen- und Bildhonoraren abspeisen. Im Zweifelsfall werden ganze Lokalteile eingestellt, um die Kosten einigermaßen im Griff zu behalten. Denn bisher ist für die Verlage ehernes Gesetz: Die Tageszeitung muss als Paket verkauft werden. Mit allem, was drin ist: Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport, Reise, der Anzeigenbeilage und der Werbung – vom Automarkt bis zur Partnervermittlung. Die Aufsplitterung in viele Lokalteile kostet Geld, bringt aber vergleichsweise wenig Umsatz.

Warum? Weil sich die Anzeigenpreise an der Auflage orientieren. Würde man die Werbeeinahmen nach Auflagenzahlen einzelner Lokalausgaben stückeln, würden die ohnehin sinkenden Umsätze in den freien Fall übergehen.

Die redaktionelle Stückelung bei digitalen Abos wird dennoch eine Frage der Zeit sein. Man wird in Zukunft wohl kaum noch einen Leser zwingen können, immer neue Pakete zu kaufen, von denen er nur Bruchteile nutzt. „Persönliches Leseprofil“ heißt das Stichwort.

Online kämpfen die Verlage an allen Fronten: Gegen öffentliche TV-Archive, gegen Auszüge aus den Zeitungstexten in der Google-Suche, sie twittern, sie versuchen sich in Bezahlschranken – alles bisher mit mäßigem Erfolg. Fernsehsender, finanziert durch Zwangs-GEZ, haben es nicht nötig, Bezahlschranken einzurichten. Google interessiert das Snippet-Thema nicht: Jüngst hat die Suchmaschine beschlossen, Kurzangaben zu den Suchergebnissen im Zweifelsfall einfach wegzulassen und sich auf die Überschriften zu beschränken. Und Bezahlschranken? Ja, da wird man wohl lieb gewordene Gewohnheiten loslassen müssen, wenn es dauerhaft klappen soll. Mit einem Jahres-Abo der Gesamtausgabe und einem geschenkten Tablet dazu wird auf Dauer niemand Leser halten.

ARTE, wie so oft führend in Sachen Dokumentationen, hat sich des Print-Themas angenommen und vor einigen Wochen gezeigt, was im digitalen Bereich noch auf Medienmacher und Konsumenten zukommen wird. Ein sehenswertes Video, in dem sich das ganze Print-Drama abbildet.

War das, was wir früher gemacht haben, wirklich so toll? Eine Frage, die im Online-Zeitalter Programme wie etwa Chart Beat, ganz genau beantworten. Hier wird nicht nur analysiert, was viele Klicks bringt, sondern auch, welche Leser zurückkommen – und warum. Die New York Times hat beispielsweise inzwischen mehr als 700 000 Online-Abonnenten – weil sie sich konsequent auf treue Leser ausgerichtet hat. Dazu muss man goldene Kälber vom Thron werfen – aber es sichert das Überleben.

„Information ist erstmal frei von Wertung – einfach da, wie Luft und Wasser. Dann gibt es Systeme, die nach einem bestimmten Schlüssel aus der Flut etwas herausfischen. Der Journalist als Urheber der Information hat ausgedient – wir sind alle zu Überbringern geworden“, hat man bei der renommierten französischen Tageszeitung Le Monde herausgefunden. Was das in der Praxis heißt, wird durchaus unterschiedlich interpretiert: Aus Frankreich kommt der Gedanke, digitalen Lesern auch digitale Nutzerprofile nach ihren persönlichen Interessen zu schneidern, in New York möchte man nicht auf das Bewusstsein verzichten, „für alle“ zu schreiben. „Auch viele kleine Einnahmequellen können ein Fundament sein,“ meint man beim Guardian in England – dem Blatt, das durch die Snowden-Berichterstattung international bekannt wurde. Dort, wie auch bei der deutschen BILD, wird aus Überzeugung getwittert: Als Gegenpol zu all den anderen Schreibern, die sich in höchst unterschiedlichen Qualitäten hier, wie überhaupt in den sszialen Medien tummeln.

„Die Idee der Zeitung zu retten – wenn das gelingt, hat das Verlegertum, die digitale Tageszeitung, eine grandiose Zukunft. Qualitätsjournalismus ist mit Werbung schlicht nicht zu finanzieren,“ sagt Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender von Axel Springer. Springer arbeitet konsequent auf eine Verzahnung des Print-Bereichs mit dem Digitalen hin und ist dafür bereit, auch die goldenen Kälber zu schlachten.

In der Bilanz für das Jahr 2012 erwirtschafteten die digitalen Medien der Axel Springer AG mit 1,174 Mrd. Euro erstmals mehr Umsatz als die deutschen Zeitungen (1,126 Mrd.). Während Digital um 22 Prozent zulegte, schrumpfte das Geschäft mit Zeitungen um 3,3 Prozent. Beim operativen Gewinn legten die digitalen Medien bei Springer um satte 53,6 Prozent auf 242,9 Mio. Euro zu. Aber: Die Umsätze aus dem Digitalgeschäft kommen weniger von klassischen, journalistischen Medienangeboten, sondern aus der Vermarktung und von Anzeigen-Portalen. “Wir wollen den digitalen Umbau des gesamten Unternehmens deutlich forcieren“, sagte bei der Bilanzvorstellung Vorstandsvorsitzender Mathias Döpfner. Was er damit meinte, wurde auch der Öffentlichkeit bald klar: 2013 wurde in einer groß angelegten Studie „Der Abend„, das Konzept einer digitalen Tageszeitung entwickelt.

In der Spiegel-Redaktion, dem – wenn man so will – intellektuellen Kopf der Springer-Presse, geht es jetzt um das Schlachten der goldenen Kälber. Es wird ein hartnäckiger Kampf Print gegen Digital ausgetragen, der im Rauswurf beider Chefredakteure einen ersten Höhepunkt hatte. Vor wenigen Wochen wurde der Machtkampf entschieden: Ein Aufstand der Print-Ressortleiter gegen den neuen Chefredakteur Wolfgang Büchner endete in einer Niederlage. Die analog schreibende Zunft schaut immer noch herablassend auf die digitalen Kollegen hinab – die meist auch deutlich weniger verdienen. Warum Analog glaubt, sich Herablassung leisten zu können, ist genau genommen unklar…

Vor uns liegt nicht nur eine Zukunft, in der wir uns, wo wir gehen und stehen, digital informieren können – sei es durch google glass, einen sprechenden Badezimmer-Spiegel oder andere technische Allroundgeräte. Vor uns liegt auch eine Zeit, in der die affektive Bindung zu einem bestimmten Medium immer weniger vorhanden ist. Die Arte-Doku macht das sehr deutlich. „Von mir aus können die Zeitungen sterben. Mich interessieren Nachrichten,“ sagt der sogenannte Open Journalismus, und folgerichtig: „Mir ist egal, wer ein Journalist ist. Wichtig ist: Wer handelt journalistisch? Wer kann Informationen seriös prüfen, sie bewerten und Zusammenhänge herstellen?“

Denn:  „Das Einzige, was sich nicht verändert, ist: Eine gute Geschichte ist eine gute Geschichte – egal, wer sie erzählt“.

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100 Zeitungen, so berichtet Statista, haben laut Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger mittlerweile eine Bezahlschranke im Netz eingeführt. Davon setzen 60 Zeitungen auf ein Freemium Modell. Dabei bleibt ein Teil der Artikel kostenfrei, während der Rest des Online-Angebotes nur nach Erwerb eines Tagespasses oder Abos zugänglich wird. Ein Beispiel für dieses Modell ist BILDplus bei Bild.de. 35 weitere Blätter setzen auf das so genannte Metered Model. Ein Beispiel hierfür ist die Welt, bei der Leser monatlich freien Zugang zu maximal 20 Artikel haben. Ist dieses Kontingent erschöpft, müssen sie bis zum nächsten Monat warten oder ein Abo abschließen. Schließlich gibt es noch die harte Bezahlschranke, bei der das komplette Online-Angebot kostenpflichtig wird. Für dieses Modell haben sich vier Zeitungen entschieden. Einen Sonderweg hat die TAZ eingeschlagen, die es ihren Lesern freistellt, ob sie für einen Artikel etwas bezahlen wollen oder nicht.

Die vollständige Liste der deutschen Zeitungen mit Paid Content Angebot:

Aachener Nachrichten Freemium Tagespass und Abo
Aachener Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Aller Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Allgäuer Zeitung Freemium Tagespass
Allgemeine Zeitung Metered Model Tagespass und Abo
Augsburger Allgemeine Metered Model Tagespass und Abo
Badische Zeitung Metered Model Abo
Bayerische Rundschau Freemium Tagespass und Abo
Berliner Morgenpost Freemium Tagespass und Abo
Bild Freemium Tagespass und Abo
Bocholter-Borkener Volksblatt Harte Bezahlschranke Abo
Böhme Zeitung Harte Bezahlschranke Einzelverkauf
Borkener Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Braunschweiger Zeitung Harte Bezahlschranke Tagespass und Abo
Bürstädter Zeitung Metered Model Tagespass und Abo
Cellesche Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Coburger Tageblatt Freemium Tagespass und Abo
Cuxhavener Nachrichten Freemium Tagespass und Abo
Darmstädter Echo Metered Model Abo
Deister- und Weserzeitung Freemium Tagespass und Abo
Der Patriot Freemium Abo
Die Kitzinger Freemium Tagespass und Abo
Die Welt Metered Model Abo
Donaukurier Metered Model Tagespass und Abo
Dorstener Zeitung Metered Model Abo
Dresdner Neueste Nachrichten Freemium Abo
Emsdettener Volkszeitung Metered Model Abo
Eßlinger Zeitung Freemium Einzelverkauf und Abo
Frankenpost Freemium Tagespass und Abo
Frankfurter Neue Presse Freemium Tagespass und Abo
Fränkische Nachrichten Metered Model Tagespass und Abo
Fränkischer Tag Freemium Tagespass und Abo
Freemium Freemium Tagespass
Freies Wort Freemium Tagespass und Abo
Gäubote Freemium Abo
Gmünder Tagespost Freemium Einzelverkauf, Tagespass und Abo
Goslarsche Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Göttinger Tageblatt Freemium Tagespass und Abo
Grafschafter Nachrichten Metered Model Abo
Grevener Zeitung Metered Model Abo
Halterner Zeitung Metered Model Abo
Hamburger Abendblatt Freemium Tagespass und Abo
Handelsblatt Freemium Einzelverkauf und Abo
Hannoversche Allgemeine Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Haßfurter Tagblatt Metered Model Tagespass und Abo
Heilbronner Stimme Freemium Tagespass und Abo
Hildesheimer Allgemeine Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Ibbenbürener Volkszeitung Harte Bezahlschranke Abo
Kieler Nachrichten Freemium Tagespass und Abo
Kölner Stadtanzeiger Metered Model Abo
Kreiszeitung Böblinger Bote Freemium Abo
Lampertheimer Zeitung Metered Model Tagespass und Abo
Lausitzer Rundschau Freemium Tagespass und Abo
Leipziger Volkszeitung Freemium Abo
Lübecker Nachrichten Freemium Tagespass und Abo
Main-Post Metered Model Tagespass und Abo
Main-Spitze Metered Model Tagespass und Abo
Mannheimer Morgen Metered Model Tagespass und Abo
Märkische Allgemeine Freemium Tagespass und Abo
Mindener Tageblatt Freemium Tagespass und Abo
Mühlacker Tagblatt Freemium Abo
Münsterland Zeitung Metered Model Abo
Münstersche Zeitung Metered Model Abo
Neckar Chronik Freemium Einzelverkauf
Neue Deister-Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Neue Osnabrücker Zeitung Metered Model Abo
Neue Presse Freemium Tagespass und Abo
Neue Presse Freemium Tagespass und Abo
Neues Deutschland Freemium Abo
Niederelbe-Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Nordbayerischer Kurier Freemium Einzelverkauf, Tagespass und Abo
Nordkurier Freemium Abo
Nordsee-Zeitung Freemium Abo
Nordwest-Zeitung Metered Model Tagespass und Abo
Nürtinger Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Oberbayerisches Volksblatt Metered Model Abo
Oberhessische Presse Freemium Tagespass und Abo
Ostsee-Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Peiner Allgemeine Freemium Tagespass und Abo
Rhein-Zeitung Metered Model Tagespass und Abo
Rhön- und Saalepost Metered Model Tagespass und Abo
Ruhr Nachrichten Metered Model Abo
Saale-Zeitung Freemium Tagespass und Abo
Saarbrücker Zeitung Metered Modell Abo
Sächsische Zeitung Freemium Abo
Schaumburger Nachrichten Freemium Tagespass und Abo
Schwäbische Post Freemium Einzelverkauf, Tagespass und Abo
Schwäbische Zeitung Metered Model Abo
Schwäbisches Tagblatt Freemium Einzelverkauf und Abo für Printabonnenten
Stader Tageblatt Freemium Tagespass und Abo
Südkurier Freemium Abo
Südwest Presse Metered Model Abo
taz – die tageszeitung Freiwillige Bezahlung Einzelverkauf
Trierischer Volksfreund Metered Model Tagespass und Abo
Waldeckische Landeszeitung Freemium Tagespass und Abo
Weser Kurier Metered Model Abo
Wiesbadener Kurier Metered Model Tagespass und Abo
Wiesbadener Tagblatt Metered Model Tagespass und Abo
Wolfsburger Allgemeine Freemium Tagespass und Abo
Wormser Zeitung Metered Model Tagespass und Abo

Siehe auch:

Niedergang der Printmedien: Kreativität in ganz neuen Strukturen notwendig

Weiterführende Links:

BDZV: Die deutschen Zeitungen 2014

Konzentration bei Tageszeitungen auf historischem Höchststand

ARD/ZDF-Onlinestudie 2014

IVW-Analyse: Deutschlands erfolgreichste Heimatzeitungen

Mediendaten Südwest

Entwicklung der RZ seit verschärfter Bezahlschranke

Die Zukunft der Tageszeitung ist jetzt

Digitale Medien überfluten Zeitungen

Springer-Bilanz: Digital überholt Zeitungen

Warum Zeitungen plötzlich wieder Auflage machen

Der Abend: Konzept einer digitalen Tageszeitung

Machtkampf beim Spiegel geht weiter: Wirtschafts- und Kulturchef sollen gehen

Google schmeißt Snippets raus

Update: IVW Q3 2014: Alle Tageszeitungen verlieren

Update: Video: Wie wird die Zukunft des Journalismus aussehen?

Update: Verlage geben Google nach

Update: „Brigitte“ entlässt alle schreibenden Redakteure

Update: Journalismus unter Verdacht

Update: Der Spiegel: Klaus Brinkbäumer soll Nachfolger von Wolfgang Büchner werden

Update: Machtkampf beim Spiegel ist vorbei – Büchner muss gehe

Update: Anhörung im Bundestag: Experten zerpflücken Leistungsschutzrecht

Update: RZ-Zugriffsbilanz nach vier Monaten Paywall

Update: Wer gehört zu wem?

Update: Milliardäre machen Zeitung – die Magie der Macht

Update: The Last (or at Least Looniest) Newspaper in America

Update: Zeitungen verlieren dramatisch an Reichweite

Update: Mit Geld von Axel Springer: Deutscher Business Insider startet noch dieses Jahr

Update: Aus jeder Zeitung das herauspicken, was man lesen will: Geht doch!

Update: Frauenquote in Verlagen würde gut tun

Der Mann meines Lebens ist ein Narzisst – wer oder was bin jetzt bitte ICH?

Vier Wochen ist es nun her. Vier lange Wochen. Bis jetzt hat sie es geschafft. Sie hat nicht versucht, ihn anzurufen, nicht versucht, ihn irgendwo abzupassen, ihm keine Mail geschrieben und auch keine SMS. Sie hat auch nicht versucht herauszufinden, was er tut, was er denkt, womit er sich beschäftigt, wen er vielleicht trifft.  Sie war stark. Und sie wird stark bleiben. Auch wenn der sengende Schmerz ihr Herz im Zeitlupentempo in Scherben friert.

Sie hat keine Tränen mehr – es ist, als seien ihre Augen leer geweint. Brennend liegen sie in den Höhlen, giftig stechende Bälle mit Greifarmen bis ins Gehirn, wo sie  langsam und genüsslich jede Windung einzeln lähmen.

Oder nein. Eine Lähmung ist es nicht. Es ist ein glühendes Vereisen – eine eisige Erkenntnis: Diesen Kampf konnte sie nicht gewinnen. So wenig wie ein Ball eine Gummiwand überwinden kann – so wenig wie eine zärtliche Berührung Panzerglas durchdringen kann – so wenig hat sie in all den Jahren sein Herz erreicht.

Je lauter sie nach ihm gerufen hat, desto mehr hat er sich versteckt im Nebel tausender Ausreden, die ganz glatt und leicht von seinen Lippen glitten. In immer seltenerer persönlicher Anwesenheit. Schließlich sogar in den letzten Worten, die er – wie immer, wenn sie Gefahr liefen zu streiten – lieber schriftlich verfasste, um anschließend gar nicht mehr erreichbar zu sein.

Ich bin zum Sterben traurig – enttäuscht von dir und all den leeren Worten“ hatte sie gesagt und dabei gedacht: ‚Wenn er mich doch einfach in die Arme nähme – ein einziges Mal ganz ohne Vorbehalt – ich wäre Wachs in seinen Händen…

Wir leben beide in völlig unterschiedlichen Welten, die schlicht und einfach nicht alltagstauglich miteinander vereinbar sind„, hatte er, wie schon so oft zuvor unterkühlt geantwortet und sich auf unbestimmte Zeit verabschiedet.  Wie immer hatte er sie aber auch diesmal nicht freigegeben – nur die Distanz zwischen ihnen größtmöglich erweitert: „Lass uns nach einer Zeit des Nachdenkens korrespondieren und sehen, was daraus wird.“ Dann war er weg – wie jedes Mal ohne ein Wort zu den konkreten Fragen, die sie ihm gestellt, zu der konkreten Bitte, die sie an ihn gerichtet hatte.

Sie versucht nicht, den Schmerz zu betäuben. Sie weiß, dass sie dann keine Chance mehr hat. Nur ein kleines Glas Wein und sie würde weinend zu betteln beginnen, einmal mehr all seine Bedingungen akzeptieren und dann am ausgestreckten Arm verhungern. Verhungern an ihrer eigenen Sehnsucht, lieben zu dürfen und geliebt zu werden. Einen Mann lieben zu dürfen, der nicht lieben kann.

So, jetzt ist es heraus.

Zum 100. Mal liest sie ihren letzten Brief an ihn: „Ich bin nicht mehr bereit, immer weiter ohne Aussicht auf Änderung zu warten. Wie du zwar weißt, aber nicht realisiert hast, will ich alles oder gar nichts.

Liebe duldet keine Lügen. Liebe ist absolutes Vertrauen.Liebe kann man nicht töten.

Es gibt eine Chance, wie wir zueinander finden können: Du wirst mir gegenüber treten als der Mensch, der du wirklich bist. Ohne jede Maske. Was immer du vor mir versteckt hast, wirst du mir sagen. Nichts ist so schlimm, dass ich es nicht aushalten könnte. Keine Lügen mehr, kein Weglaufen. Ein anderer Weg steht nicht mehr offen.“

Ihre Chance ist etwa so groß wie die, im Lotto zu gewinnen, das weiß sie. Sein herrisches Wesen duldet keinen Widerspruch. Er erwartet bedingungslose Gefolgschaft. Sein Dank dafür ist nicht seine Liebe – aus seiner Sicht aber etwas ganz Großes. Die Person, der er gestattet, vor ihm zu knien, darf nur vom gleichen Holz sein, wie er selbst: elitär. Diese beiden Voraussetzungen – die komplette Unterwerfung, sowie die gleiche, elitäre Sicht der Welt – erlauben es ihm, das maximal Mögliche von sich selbst preis zu geben: seine Gedanken. Seine Gedanken etwa über die Frage, wie er es anstellen kann, aus dieser Welt eine bessere zu machen.

Wie sie die vertrauten Gespräche mit ihm vermisst!

… Waren sie überhaupt jemals vertraut?

Sie greift zu dem Papier, das ihr klar gemacht hat, worin sie nun so viele Jahre verstrickt war – nein, verstrickt IST – denn frei von ihm ist sie so wenig wie eine Süchtige vom „Stoff“. ‚Ich warne dich: Noch bist du frei. Aber du wirst süchtig werden nach mir. So süchtig, dass du nie mehr loslassen kannst…‘ Wie viele Jahre ist das nun her, dass er das sagte? Sie hatten sich gerade eine Woche gekannt. Eine Woche, in der sie mit Begeisterung die Nächte durch debattiert hatten.

Sie hatte befremdet reagiert – wie oft auf seine Übertreibungen. Aber sie hatte die Übertreibung, wie später auch oft, auf das Adrenalin in seinen Adern zurückgeführt. Er lebte in einer Welt ohne Pastelltöne, sah sich selbst als Kämpfer. Als erfolgreicher Kämpfer. Als einer, der nach jeder Niederlage wieder aufstand, um noch besser zu werden. Noch immer bewundert sie ihn für seine eiserne Disziplin und seine Konsequenz im Handeln. Obwohl jedes Mal eine eisige Hand ihr Herz zusammenpresste, wenn er einmal mehr drohend erklärte: „Ich habe keine Feinde. Du bist entweder für mich oder gegen mich. Das kannst du ganz frei entscheiden. Aber nur einmal. Wer gegen mich ist, ist für mich gestorben.“

Sie war und ist für ihn. Und zwar genau so, wie er ist.

Aber heute weiß sie: Der Mann ihres Lebens leidet unter einer schweren Persönlichkeitsstörung. Er ist ein ausgeprägter Narzisst.

Narzissmus in der Partnerschaft

„Der männliche Narzisst sucht permanent die Konkurrenz und den Vergleich, ist ansatzweise glücklich in Ausnahmesituationen, wo man(n) glänzen kann, ist in der Tat häufig auf mehreren Ebenen überbegabt bis manchmal fast manisch angetrieben und genial, steckt aber unglaublich enge Verhaltensgrenzen, über die auch die liebevollste Partnerin nur selten und wenn, dann mit vielen Tricks, gehen kann.

Andererseits kann dieser Mann oft sehr erfolgreich an seiner Karriere bauen, ist häufig visionär und verführerisch und mitreißend, kann durchaus sehr charmant und überzeugend wirken, wenn ihm eine Sache oder ein Mensch für eine bestimmte Phase und Zeit wichtig ist.

Ebenso kann er aber auch diesen umworbenen Menschen oder das Projekt „wie eine heiße Kartoffel“ aus dem Nichts heraus fallen lassen. Diese gestörte, da überproportionale Selbstliebe und das damit verbundene verzerrte unrealistische Selbstbild, kann bei einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung egozentrische bis asoziale Ausmaße annehmen und bis zur völligen Gefühlsabwehr gehen.

(…) Ein progressiv narzisstischer Mann betont immer erst seine eigenen Qualitäten, die anderer interessieren ihn in Wahrheit wenig, höchstens als der niedrigere Vergleichsmaßstab.  Ein Narzisst befindet sich daher in einer Endlosschleife ständiger Überkompensation seiner tiefliegenden Minderwertigkeitskomplexe, geht ständig in Konkurrenz und Vergleich, will dabei immer der Beste und Überlegenste sein.

(…)Interessanterweise ziehen progressive Narzissten den regressiven narzisstischen Menschen magisch an. Dieser ist immer in der Rolle des Bewunderers, fühlt sich kleiner, unwichtiger, unbedeutender oder gar weniger klug als sein progressiv narzisstisches, immer sicher wirkendes Gegenüber, steht in dessen Schlagschatten und wertet das eigene Image über diesen „Superstar“ auf. Der regressive Narzisst kann sich manchmal lebenslang unterordnen, was jedoch immer auch eine große Abhängigkeit produziert.

So ein narzisstisches Grundmuster beider Partner kann beispielsweise sein, dass beide sich, also der eine über den anderen in gewisser Weise aufwerten müssen, um sich selbst zu verwirklichen. Anfänglich sprühen oft die „Funken“ in einer solchen narzisstischen Beziehung, alles scheint zu passen, später gleichen die Streitszenen eher einem ganzen Feuerwerk. In der ersten Beziehungsphase gibt es grundsätzlich die (regressive) „Bewunderin“ und den omnipotent Bewunderten (progressiv), der dies narzisstisch absolut benötigt wie umgekehrt.

Zum Konflikt bzw. der Kollusion kommt es genau dann, wenn sich plötzlich die unbewussten Muster und Erwartungen nicht mehr automatisch einlösen und es nun eher störend wird, dass der eine Partner eher zu selbstherrlich auftritt und der andere „ seinen Ohrfeigen“ trotzdem weiter nachläuft und um Liebe bettelt, oder zur Schonung oder Fürsorge auffordert, oder sich nur noch depressiv unterwürfig bis nörglerisch – anklagend äußert. (…)

(….)Die narzisstische neurotische Lebensdramaturgie orientiert sich ausschließlich am eigenen überproportionalen Autonomie- und Überlegenheitsstreben. Echte Nähe passt da nicht hinein. Tiefe Gefühle und Nähe und echte Intimität sind irritierend und zu vermeiden. Genau dies kann eine Partnerin in eine extreme Gefühlsabhängigkeit treiben, da sie ständig etwas bei ihm sucht, was er nicht zu geben vermag. Ein narzisstischer Mann erwartet die Kompromisse immer von der anderen Seite und selten von sich selbst.

(…)Neurotisch narzisstische und damit bindungsgestörte, beziehungsschwache Menschen benötigen für sich immer alle Zeit der Welt zum möglichen JA zu einer Beziehung, machen dem Anderen dabei einerseits Hoffnung und entziehen sich gleichzeitig beim kleinsten Wink einer Festlegung, also wenn der Andere es etwas verbindlicher haben möchte. Hier entsteht immer eine narzisstische Gefühlsachterbahn.“ (Quelle: stark gekürzter Blog der Psychotherapeutin Monika Koch in der Aachener Zeitung).

Hm.

Bin ich ein armes, um Zuneigung bettelndes Häschen?

IMG_0093Sie geht zum Spiegel und betrachtet sich lange. Sie ist sportlich, wenn auch nicht mehr so schlank wie früher – ihre weiblichen Formen bringt das deutlicher zur Geltung. Ihre dunklen langen Haare zeigen noch kein Grau, in den seelenvollen, dunklen Augen liegt oft ein Lächeln – sie können jedoch auch angriffslustig funkeln. Sie hat eine Führungsposition in einem kreativen Beruf. Dort gehört Klappern zum Handwerk – unter den Mitarbeitern, wie auch den Kunden sind wirkungsvolles Eigenmarketing ebenso wie eine Portion Übertreibung Alltag. Sie empfindet es oft als anstrengend, von solchen Menschen umgeben zu sein: Zeigt sie nicht genügend Autorität, wird man sie gnadenlos absägen – ist sie nicht kreativ genug, wird man sie umgehend links überholen. Manchmal ertappt sie sich dabei, sich müde zu fühlen. Dann wünscht sie sich starke Arme, in die sie sich flüchten könnte – einen Partner, der ihr erlaubt, auch einmal schwach zu sein.

Aber macht sie das zur regressiven Narzisstin?

Wenn das Herz doch nicht so weh täte. Seit einigen Jahren bemerkt sie an sich, besonders abends, beunruhigende Herzrhythmusstörungen, die laut Arzt keine organische Ursache haben. Seitdem übt sie sich in meditativen Techniken und hat so auch zum Malen gefunden. Das städtische Symposium der Landschaftsmaler vom letzten Sommer kommt ihr in den Sinn. Zwei Tage lang hat sie da Seite an Seite mit einem Maler aus Süddeutschland gesessen und sich angeregt mit ihm unterhalten. So lange, bis er sich outete, in einem BDSM-Forum als „Dom“ aktiv zu sein. „Du bist reif„, hatte er ihr unvermittelt eröffnet. „Du bist eine Sub – schau dich ehrlich an und erkenne es.

Das Thema Dominanz und Submission hat sie danach noch Monate beschäftigt. Dann war es für sie geklärt: Nein. So wie sie selbst Demütigung und Kränkungen ihres Partners ablehnt, braucht sie auch keine solche Behandlung, um sich sexuell angeregt oder glücklich zu fühlen. Etwas länger dauerte die Auseinandersetzung mit der Frage: „Willst du führen oder geführt werden?“

Sie weiß, dass sie sich selbst führen kann – sie hat es seit vielen Jahren bewiesen. Aber war sie in dieser Zeit glücklich? Warum hatte dann der Mann ihres Lebens solch ein leichtes Spiel mit ihr?

86cvdsug1[2]Tränen steigen in ihr auf, als sie an den Vater denkt. Als kleines Mädchen war er der Größte für sie gewesen, der klügste Mann der Welt, der sein Wissen gern mit ihr teilte. Ein Mann mit machtvollen grünen Augen, der mit ihr spielte, mit ihr sprach wie mit einer Erwachsenen, der ihr sagte, sie werde später einmal „zur Elite“ gehören, der seine Gedanken und seine Sehnsüchte mit ihr teilte … So lange, bis sie in die Pubertät kam. Da begann ihr Bild vom tollen Vater zu bröckeln. Sie war klug, vielseitig begabt, lernte schnell und dachte vernetzt. So stellte sie den Vater sehr früh in Frage.

Das wiederum hatte aus dem begeistert liebenden einen immer wieder prügelnden Vater gemacht, der sich mit aller Kraft anstrengte, ihre innere Freiheit zu brechen. Sie war gegangen, sofort nach dem Abitur. Und hatte nie aufgehört, nach der Liebe ihrer Kindheit zu hungern…

Aber halt: War das wirklich so einfach gewesen? Längst vergessen geglaubte Bilder steigen in ihr auf: Das kleine Mädchen, das zum Vater rennt, um ihn zu umarmen und ihm zu sagen, dass es ihn lieb hat. Der Vater, der sich grade mit anderen Eltern unterhält, dem Mädchen rüde mit dem Handrücken ins Gesicht schlägt und kalt sagt: „Wenn Erwachsene reden, haben Kinder zu schweigen„… Die eisige Hand um das Herz des Mädchens – die Angst, seine Liebe zu verlieren, war immer präsent.

Und dann die Jahre danach, als sie versuchte, sich vom übermächtigen Vater zu lösen. Typische Szene, vorzugsweise am Mittagstisch: Er: „Du wirst das jetzt tun.“ Sie: „Warum?“ Er: „Weil ich es sage.“ Sie: „Das reicht mir als Begründung aber nicht.“ Wie dann beide aufspringen. Sie flüchtet in den Flur, lässt sich zu Boden fallen, schützt ihr Gesicht. Er schlägt blindlings zu, wo immer er hin trifft. Sie gibt keinen Laut von sich. Merkwürdigerweise fühlt sie auch keinen Schmerz. Irgendwann lässt er von ihr ab, geht ins Schlafzimmer, um Mittagsschlaf zu halten.

Schließlich der Tag, als er sie zum letzten Mal prügelt. Da ist sie 17. Sie liegt wie immer am Boden und schützt ihr Gesicht, fühlt die Fäuste auf sich niederdreschen, als plötzlich eine heiße Welle der Wut in ihr aufsteigt. Nein, es ist mehr als Wut. Mordlust ist es, die ihr aus den Augen schießt, als sie sich unter den Schlägen aufrichtet und seine grellen grünen Augen fixiert: „Na, hast du dich bald ausreichend an mir befriedigt?“

Sein Arm friert mitten im Schlag ein. Die Mutter, die wie so oft das Geschehen reglos sitzend mit verfolgt, bricht in Tränen aus und ruft: „Du Hexe – du bist eine Hexe!“ Die Hexe, die aufsteht, den Vater noch einmal mit einem vernichtenden Blick von oben bis unten misst und dann ruhig ins Mädchenzimmer geht, um Hausaufgaben zu machen. Ein Metzgermesser. Sie hat die ganze Zeit an ein langes, schweres Metzgermesser gedacht, das sie in seine Brust stoßen würde.

Im selben Jahr der vorerst letzte Akt des Vater-Tochter-Dramas. Sie kommt zum ersten Mal eine ganze Nacht lang nicht nach Hause, taucht am Sonntag zur Frühstückszeit im Garten auf. Auf der Wiese der Vater, auf und ab patrouillierend wie ein wütender Grizzly. Auf der Terrasse die Mutter, schweigend, mit vorwurfsvollem Gesicht. „WO warst du?“ Sie antwortet nicht, lächelt nur – auch, als der Vater einen Tobsuchtsanfall bekommt: „Ich will, dass du gehst“ Verschwinde von hier! Du bist nicht mehr meine Tochter!“

Viele Jahre später, in einer langen Nacht an den Weihnachtsfeiertagen, als sie allein mit dem Vater ein Glas Wein trinkt, wird sie es wagen, ihn zu fragen: „Warum hast du mich immer so furchtbar verprügelt?“ Da wird er in Tränen ausbrechen und mit der Stimme eines kleinen Jungen sagen: „Du warst es doch, die mich nie geliebt hat. DU hast mich so sehr gehasst„…

Wie entsteht eine narzisstische Persönlichkeit?

Der Narzisst ist ein Mensch, der zwar funktioniert, aber nicht wirklich „lebt”.
Was führt zu einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung? Ist das Milieu der Kindheit nicht „ausreichend gut”, schafft es also nicht, dem Kind das zu geben, was es braucht, dann ist ein solcher Mensch zu vergleichen mit einem Baum ohne Wurzeln. Er vertrocknet. Ein solcher Mensch muss nun viel zu früh selber für das sorgen, was ihm vorenthalten blieb, will er überleben. Er treibt – vertrocknet wie er ist – Blätter aus eigener Kraft. Er entwickelt ein grandioses Selbst.
Wer sich selbst als hochgenial, begabt und vollkommen erlebt, ist gegen Kränkungen scheinbar geschützt. Dieser Schutz kann aber auch von einem allmächtig gesprochenen Objekt ausgehen, das nicht unbedingt ein lebender Mensch sein muss, sondern genauso
gut auch eine Ideologie o.ä.“ schreibt Brigitte Fragner in einer Broschüre, herausgegeben vom HPE Österreich.

(…) „Auf Kränkung, Verletzung und Beschämung reagiert der narzisstisch gestörte Mensch mit destruktiver Wut. Narzisstische Menschen erscheinen auf den ersten Blick als unabhängig und über allem stehend, sie sind aber – ganz im Gegenteil – überaus abhängig von anderen Menschen: von deren Bewunderung und Beurteilung. Gekränkt werden aber kann man nur von jemandem, den man idealisiert oder mit Allmachtsaspekten ausgestattet hat. Geschieht Kränkung, dann muss der bis dahin idealisierte Mensch schnellstens abgewertet werden. Abwertung in diesem Kontext heißt aber nicht einfach Entidealisierung, sondern gleich Vernichtung. Narzisstische Wut ist immer Vernichtungswut und daher gefährlich.

Infolge einer frühkindlichen Störung kann es zur Ausbildung eines NOT-ICH kommen. Es ist dies ein infantiles und grandioses Ich, das mit Spannungen, Gegensätzen und Frustrationen nicht fertig wird. Also wird alles Unangenehme und Bedrohliche (oder bedrohlich Scheinende) radikal abgespalten, „weil nicht sein kann, was nicht sein darf”. Ich bin großartig, ich bin wichtig, ich bin gut. Alle anderen sind nichtig, dumm und böse.

Ein Mensch, der mit einem Not-Ich leben muss, wird unbeweglich und starr, er lebt gleichsam in seiner eigenen Festung. Er ist nicht mehr flexibel, kann sich an neue Situationen nicht anpassen, denn seine gesamte Energie geht in die Verteidigung. Er verliert die Neugier auf die Welt. Denn das einzige, worauf es ankommt ist, sich vor der bedrohlichen Welt zu schützen.

Das reife Ich hingegen ist ein integrales Ich, das heißt, es schließt Positives und Negatives, Gutes und Schlechtes in sich ein. Es hebt die Spaltungen auf und arrangiert sich mit der Tatsache, dass sowohl jedes Individuum für sich, als auch die Mitmenschen und die Welt sowohl gut wie auch böse sind. Ein Mensch mit einem reifen Ich kann von sich sagen: „Ich bin in manchen Dingen gut, in manchen aber schlecht. Die anderen ebenso. Ich bin manchmal ein guter Mensch, manchmal aber auch ein Versager. Die Welt ist manchmal wunderschön, dann aber wieder schlecht und angstmachend.

Mit dem allen kann ich leben, ja muss ich leben. Aber ich arbeite weiter an meiner eigenen Entwicklung und an der Entwicklung der Welt.”

Mit dieser Realität muss der persönlichkeitsgestörte Mensch immer wieder auf konsequente, aber behutsame Art konfrontiert werden, damit das mangelnde Urvertrauen und der Selbstwert nachreifen können.“

Narzissmus und Borderline ähneln sich in ihrem Erscheinungsbild oft sehr. Die zitierte Broschüre arbeitet die Unterschiede aus:

19-02-2014 20-45-31

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Ist ein Narzisst auch ein Psychopath?

Sie kann Verallgemeinerungen nicht leiden. Zu groß ist die Gefahr, ungerecht zu werden, Andere zu verurteilen für etwas, das sie nicht sind. Zufall oder nicht – sie ist in den letzten Monaten immer wieder auf Blogs, Artikel in Zeitschriften und Videos gestoßen, in denen es um Psychopathen ging.  Alle haben sie nachdenklich gemacht. Gewiss sind die Grenzen fließend – aber wer ist nun der Mann, den sie als Mann ihres Lebens betrachtet?

Sie forscht nach.

„Das Bild, das sich die Öffentlichkeit anhand von Hollywood-Figuren wie Hannibal Lecter von Psychopathen macht, ist bestenfalls unvollständig: Brutale Mörder, Kinderschänder, echte Irre. Doch Psychopathen sind nicht verrückt. Ihr Verstand, sagt Robert Hare, ist völlig in Ordnung. Sie sind mitunter sehr intelligent, sie wissen, was richtig und was falsch ist. Sie können sich auch rein rational in ihr Gegenüber hineinversetzen und dessen Perspektive übernehmen.

Was ihnen fehlt, ist also nicht die sogenannte „Theory of Mind“. Was ihnen fehlt, ist Empathie. Weil sie selbst Gefühle wie Liebe oder Angst vermindert wahrzunehmen scheinen, ist ihre Fähigkeit, Mitgefühl, Schuldbewusstsein oder Reue zu empfinden, eingeschränkt, erklärt Hare. Sie wirken zunächst charmant, sind tatsächlich jedoch seltsam kalt. Laut Robert Hare sind sie „perfekt angepasste Raubtiere“. Geradezu instinktiv finden sie die Schwächen ihrer Mitmenschen und nutzen sie aus.“ (Quelle: dasgehirn.info)

„Es gibt erfolgreiche Psychopathen (die Kerngruppe antisozialer Persönlichkeiten), die z.B. als Investmentbanker oder Pokerspieler große Risiken eingehen und manchmal sogar für ihre Leistungen gefeiert werden. Sie sind wagemutige Draufgänger, die das Risiko suchen. Ob jemand seine antisoziale Persönlichkeit im Rahmen der Gesetze auslebt, ist eine Frage der Sozialisation. Mancher lernt, die Regeln einzuhalten, weil die Nachteile sonst zu groß werden.“ (Quelle: www.gehirn-und-geist.de)

Da ist sie wieder, die kalte Hand um ihr Herz. Ein Gespräch, erst vor wenigen Monaten mit ihm geführt, klingt in ihren Ohren nach:

Ich habe immer Angst, dass du eines Tages wortlos aus meinem Leben verschwinden wirst.

So ein Unsinn.“

„Nicht wahr, du wirst niemals einfach so gehen, ohne ein Wort, egal was passiert…“

„Nein, versprochen. Und das gilt.“

„Danke, das ist so wichtig für mich.“

„Gut.  Ich muss ja die Q. noch weiter ausbeuten – so bin ich eben.“

„??“

„Q – Quelle, Wissens-Quelle„…

Wie sehr sie doch gebettelt hat. Gebettelt um eine Nähe, die scheinbar da war und dann doch wieder nicht. Und wie sie immer wieder abgeprallt ist, an der Gummiwand seiner Eloquenz:

„Wir beide wollen besprechen, wenn es Probleme gibt, ja?“

„Wie soll ich das verstehen?“

„Ich will niemals wieder eine wortlose Beziehung haben, wenn es eng wird. Ich möchte, dass wir aneinander wachsen und miteinander wachsen.“

„Eng?“

„Wenn die Ur-Ängste berührt werden.“

„Ich denke, wir können immer über alles reden – ganz sicher sogar. Keine Sorge also.“

Wie seltsam platt das auf einmal klingt – jetzt, wo sie wieder, und diesmal wohl endgültig, wortlos auseinander gegangen sind. War dieser Mann, der so tief in ihr verankert ist, dass sie meint, erst vollständig zu sein, wenn er bei ihr ist – war dieser Mann nur die Antwort auf einen kindischen Traum? Der Spiegel ihrer eigenen Leere, die von ihr selbst vorgegebene Formulierung zur Erlösung ihrer Sehnsucht? Spielte er einfach nur die Rolle, die sie selbst ihm auf den Leib geschrieben hat?

Nein, oh nein …

Ruhelos wandert sie hin und her. Ihr ist schwindlig. Der Schmerz hat wieder die ganze linke Körperhälfte erfasst, das Atmen fällt ihr schwer. Wie so oft, wünscht sie sich, das Elend möge endlich ein Ende haben. Sie will so gern nach Hause. Nach Hause. Dahin, wo kein Körper sie mehr quält. Dahin, wo sie ganz sie selbst sein darf. Dahin, wo sie wieder vollständig sein wird, so wie sie es schon einmal war, bevor ihre Seele beschlossen hatte, dieses Leben voller Prüfungen zu beginnen.

Sie öffnet das Fenster. Der Winter endet früh in diesem Jahr. Die Wiese ist voller Winterlinge, die Haselnüsse blühen, die Vögel singen, und gestern hat sie im Radio gehört, dass eine Straße wegen der Krötenwanderung voll gesperrt wurde. Krötenwanderung im Februar. Sie schüttelt den Kopf. Muss unwillkürlich lächeln, als ihr Lieblingsvogel direkt vor ihr auf dem Flieder landet und sich in die Brust wirft: Der Distelfink schmettert aus voller Kehle. Wie wunderschön es aussieht, wenn so ein kleiner Mann die ganze Pracht seines Gefieders und seines Gesangs verschenkt!

Was wäre die Welt ohne das männliche Element … Immer wieder erfreut sie sich auch an den männlichen Menschen. Wie berührend, wenn ein Mann einen Kampf ausgefochten hat – ganz allein und unter Einsatz aller Kraft, wie ein Bergsteiger auf einem Achttausender – wenn er sich dann spreizt voller Stolz, und strahlt wie die Sonne – wenn er sich dreht und zeigt: ‚Seht her, ich bin kraftvoll und erfolgreich…‘ Dann muss sie lächeln, an die Frauen des römischen Reiches denken und möchte ihm den Siegerkranz auf’s Haupt legen…

Bin ich lächerlich in meiner Frauenrolle? Oder besser: In dem, was ich für meine Frauenrolle halte?

Gute Frage – und nicht wirklich zu beantworten. Wie ist denn die „richtige“ Frauenrolle in einer Welt, in der frau ihren Mann stehen muss? Wieder hört sie einen oft wiederholten Satz ihres Herzmanns in den Ohren klingen: „Ich trage niemanden. Ich sage dir, wie es funktioniert. Aber gehen musst du allein.

Allein. Ja. Allein.

Ihr ist kalt.

Haben wir noch eine Chance?

Nicht, wenn er ein Psychopath ist. Dann kann er nicht fühlen und wird es auch niemals können. Was ist er denn nun?

„Das Verhalten von Narzissten kann dem Verhalten von Psychopathen stark ähneln, mit Blick auf die grobe Missachtung und den groben Missbrauch von anderen Menschen. Doch wenn man die Beweggründe für ihr Verhalten erforscht, werden Unterschiede sichtbar. Der Narzisst verlangt nach Anerkennung und Bestätigung. Er fordert von anderen, dass sie seine besonderen Qualitäten bemerken und würdigen; seine besonderen Qualitäten machen seine Bedürfnisse besonders.

Dies gibt ihm das Gefühl, dass er Anspruch darauf hat, dass diese befriedigt werden. All dies fordert er, als ob sein innerstes Selbst auf dem Spiel stünde, und genau das tut es auch. Enttäuschung/ausbleibende Befriedigung geben ihm das Gefühl, nicht beachtet und vernachlässigt zu werden. Wut und Zorn dringen dann an die Oberfläche und zeigen sich in aggressiven und passiv-aggressiven Verhaltensweisen – oft im proportionalen Verhältnis zum Schmerz und zur Verletzung, die er empfindet.

Der Psychopath ist weniger gequält vom Verlangen nach Bestätigung als der Narzisst. In der Tat scheint seiner inneren Welt alles zu fehlen, was Wertschätzung erfahren könnte: Sie ist karg und beherbergt nichts, was empfänglich wäre für Bestätigung. Die seelische Welt des Psychopathen ist wie mit einem Geheimcode verschlüsselt. Das Ausnutzen von anderen Menschen ist beim Psychopathen räuberischer als beim Narzissten. Für den Psychopathen, der paranoid sein kann, ist die Welt so etwas wie ein riesiges Jagdrevier, das mit „Personen-Objekten“ bevölkert ist, welche er zu seinem Vorteil ausnutzen kann.

(…) Aber wenn wir etwas tiefer gehen, so entdecken wir, dass der Narzisst in Wirklichkeit schrecklich unsicher und bedürftig ist. Der Narzisst rationalisiert sein Verhalten mit seinen besten Verteidigungsmechanismen – Beschuldigungen und Verachtung. Der Narzisst ist ein Experte im nahtlosen Fertigen von solchen Rationalisierungen. Der Psychopat hingegen hat keine Moral, und deshalb braucht er auch nichts zu rationalisieren. Das Leben ist für ihn ein Spiel. Das Spiel besteht darin, herauszufinden, wie er das bekommt, was er will, und zwar sofort (mit welchen Tricks auch immer). Und es ist ein Spiel ohne Regeln. Wo es keine Regeln gibt, da gibt es auch keine Regelverstösse und keine Ausnutzung. Der Psychopath macht sich nach und nach die Regeln selbst, betrügt diesen und jenen Menschen, lügt wie ein schamloses Kind, während er improvisiert und seine Pläne ausführt, manchmal ohne Schwierigkeiten, manchmal mit – aber immer ohne Rücksicht auf und total gleichgültig gegenüber dem Schaden, den er anrichtet.“ (Quelle, stark gekürzt: erkennepsychopathie.wordpress.com)

Und was ist mir mir selbst?

Bin ich überhaupt beziehungsfähig?

Immer wieder fragt sie sich das. Und hat sich deshalb entschlossen, auch selbst die ersten sieben Schritte zu gehen, die sie im Forum narzissmus.net gefunden hat.  Ihr Arzt hat ihr Hoffnung gemacht. „Sie leiden an einer tiefen Verunsicherung bezüglich ihrer eigenen Identität,“ hat er gesagt und sie freundlich angelächelt. „Aber wissen Sie: Was man sich nicht erlaufen kann, kann man sich immer noch erhumpeln. Sie sind ein sensibler, empathischer Mensch und beziehungsfähig. Sie können es schaffen. Und so lange werde ich eine sichere Konstante an Ihrer Seite sein. Ein großer Bruder, sozusagen.“

Das hat ihr Mut gemacht. Für sich und auch den Mann ihres Lebens.

Wenn es Liebe ist, werden sie sich finden. Wenn er fühlen kann, wird er fühlen. Wenn er der mutige, konsequente Mensch ist, den sie hinter all seiner Angst vor Nähe zu sehen glaubt, wird er den Mut haben, sich Hilfe zu suchen. Dann haben sie eine Chance, miteinander zu wachsen.

Und wenn nicht, hat er sie viel gelehrt.

Wann ist ein Mensch narzisstisch veranlagt?

Die narzisstische Persönlichkeitsstörung wird im ICD 10 nur unter der Rubrik „Andere spezifische Persönlichkeitsstörungen

(F 60.8)“ aufgeführt. Im Anhang I der ICD-10-Ausgabe „Forschungskriterien“ wird sie allerdings weiter charakterisiert.

Mindestens fünf der folgenden Merkmale müssen vorhanden sein:

  • Größengefühl in Bezug auf die eigene Bedeutung (z.B.: die Betroffenen übertreiben ihre Leistungen und Talente, erwarten ohne entsprechende Leistungen als bedeutend angesehen zu werden)
  • Beschäftigung mit Phantasien über unbegrenzten Erfolg, über Macht, Scharfsinn, Schönheit oder die ideale Liebe
  • Innere Überzeugung, „besonders“ und einmalig zu sein und nur von anderen besonderen Menschen oder solchen mit einem hohen Status (oder von entsprechenden Institutionen) verstanden zu werden oder mit diesen zusammen sein zu können
  • Bedürfnis nach übermäßiger Bewunderung
  • Anspruchshaltung; unbegründete Erwartung besonders günstiger Behandlung oder automatische Erfüllung der Erwartungen
  • Ausnutzung von zwischenmenschlichen Beziehungen, Vorteilsnahme gegenüber anderen, um eigene Ziele zu erreichen
  • Mangel an Empathie; Ablehnung, Gefühle und Bedürfnisse anderer anzuerkennen oder sich mit ihnen zu identifizieren
  • häufiger Neid auf andere oder Überzeugung, andere seien neidisch auf die Betroffenen
  • arrogante, hochmütige Verhaltensweisen und Attitüden.

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Anmerkung: Dieser Blog beruht auf der wahren Geschichte eines Paares in meinem erweiterten Umfeld, mit der ich kürzlich einige Tage lang sehr intensiv in Kontakt kam. Das Leid auf beiden Seiten hat mich so berührt, dass es mich bis heute nicht los lässt.

Siehe auch: Ein Sehnen, unstillbar brennend und tief wie das Meer

Erlösung durch Liebe ist von außen unmöglich 

Narzisstische Wut will vernichten: H.G. Tudor und Donald Trump

Allein in der Hölle der Leere – vom Ringen um den Weg aus dem schwarzen Loch

Von allem getrennt, sogar von sich selbst: Depression ist ein Albtraum, der nie endet

Dualseele, Zwillingsflamme, Liebe: Die große Sehnsucht, nach Hause zu kommen

Nie wieder verletzt werden: Ein Blick ins Herz eines Narzissten

Partnerschaft mit einem Narzissten: Wie er und wie sie die Beziehung erleben

Ein gebrochenes Herz wird andere Herzen brechen – es kann nicht anders

Der Narzisst und die Frauenwelt

Ich kann’s nicht ertragen, nochmal zu versagen

Nur Anerkennung kann den Selbsthass dämpfen

Wenn ein Herz bricht

Krankhaftes Lügen: Ursachen und Symptome

Auf den ersten Blick kein Zusammenhang, auf den zweiten umso mehr:

Wie manipuliert man Menschen?“ Das Handbuch der NSA und:

Manipulation: Einfach, wenn man weiß wie’s geht – und sehr wirkungsvoll…

My life in fur: BDSM-Blog einer Frau über ihre Beziehung mit einem dominanten Narzissten

.

Hilfreiche Links:

http://www.narzissmus.net/

www.narzismus.org

Hilfe für Opfer von Narzissten

emlifeforum

http://www.narzissmus-info.com/

http://www.narzissmus.org/eigenschaften-narzisstischer-mutter.php

http://www.parfen-laszig.de/psychoanalytische-ressourcen/

http://www.hpe.at/upload/documentbox/Broschuere-Borderline.pdf

http://www.mensch-und-psyche.de/formen-der-liebe/narzissmus/narzissmus-in-der-partnerschaft/

http://antipsychopathen.blog.de/2012/12/20/widerpruechliche-welt-narzissmus-sozialverhalten-liebe-15339293/

Video mit ausführlichen, klaren Definitionen und Verteidigungsstrategien

Buch: Kaltes Herz: Narzistisscher Missbrauch und wie man wieder auf die Beine kommt 

Update: Studie: Jede dritte Frau in Europa ist Opfer von Gewalt 

Update: These: Die fehlende zweite Hälfte ist ein eigener, dissoziierter Persönlichkeitsanteil

Update: Illusion Dualseele?

Update: What are the twin-flames?

Update: Borderline – was ist das, wie fühlt sich das an?

Update: Checklisten zu dissozialen Persönlichkeiten

Update: Sieben Opfer eines kranken Hirns – Amoklauf in Kalifornien

Update: Sucht ist eine erworbene neurochemische Erkrankung des Gehirns

Update: Niemand überlebt die Liebe unbeschadet

Update: How to deal with a narcissist

Update: Magdalena Kopp, die Gefährtin des „Schakals“

Update: Donald Trump: Wie er wurde, was er ist

Update: Arme dämonisierte Narzissten

Update: 6 signs you were raised by a narcissist

Update: Liebe heilt Narzissten nicht

Update: Loslassen macht frei – Tipps wie man das macht

Update: Das silent Treatment

Update: Ex und Next im Feuer der Eifersucht

Update: Die schwere Trennung von einem Narzissten

Update: Narzissten leben von Bewunderung statt von Liebe

Update: Krankhaftes Lügen der Narzissten

Update: Unter’m Strich zähl‘ nur ich

Update: Video: Beziehung mit einem Narzissten

„Der Abend“: Konzept einer digitalen Tageszeitung – und eine Vision …

Niedergang der Printmedien – Kreativität in ganz neuen Strukturen notwendig – unter diesem Titel habe ich seit der Insolvenz der Frankfurter Rundschau im Dezember 2012 zahlreiche Updates zur kritischen Lage der Zeitungsbranche in Deutschland in diesem Blog gesammelt.

Der Spiegel hat nun in den letzten vier Wochen etwas getan, wozu sich alle anderen Medien bisher nicht trauten: Er hat Chefredakteure von regionalen und überregionalen Tageszeitungen an einen Tisch geholt und zusätzlich über die sozialen Medien Tausende von Lesern befragt. Herausgekommen ist nicht nur eine nachahmenswerte Diskussion, sondern auch ein erstes Konzept einer Verlags-übergreifenden digitalen Tageszeitung mit frei gestaltbarem Lokalteil, das eine echte Zukunftschance zu bieten scheint – wenn die Verlage es nicht nur nutzen, um noch  mehr Personal als bisher zu sparen.

Den folgenden Artikel habe ich Spiegel Online  vom 10.9.2013 entnommen. Er ist lang. Aber er führt zu einer Vision, die sich aus meiner Sicht noch ausfeilen ließe…

Nehmen wir an, es gelänge nicht nur der Spiegel-Gruppe  oder den Verlagen die sie hier zusammen gerufen hat, den „Abend“  zu produzieren und zu vermarkten. Denken wir noch eine Schuhgröße weiter: Man nehme einen Pool aus beliebig vielen, auch kleinen (Fach-)Verlagen, deren beste Redakteure Hintergrund-Recherchen, Bewertungen und Kommentare zu Nachrichten einstellen, die von Agenturen aller Kontinente kommen – also breiter vorhanden sind, als es zurzeit irgendwo in Deutschland kaufbar ist. Das wäre eine Ebene, die GEZ-förderfähig sein könnte.

Nehmen wir nun an, alle beteiligten Verlage bieten im Rahmen dieses Konsortiums ihre eigenen Regional- und Lokalnachrichten an, ebenfalls gefächert nach Sparten.

Damit wäre meine Ideal-Zeitung auf dem Markt: Ich könnte einen nationalen und internationalen Teil, außerdem einen Lokalteil nach meinen Interessenlagen fest abonnieren und würde täglich gute drei Stunden Suche im Netz einsparen.

Den Anbietern stünde ein wesentlich breiter gefächerter Werbemarkt zur Verfügung, als sie jeweils mit ihren hauseigenen e-papers erreichen. In den Zentralredaktionen würden Posten frei, die ins Lokale verlagert werden und die „Hausmacht“ über Leser-Blatt-Bindung neu erstarken lassen könnten. Im Ergebnis könnte damit zumindest ein Teil der noch bestehenden Print-Ausgaben mittelfristig gerettet werden – und vor allem würden wir nicht verlieren, was wir an ausgebildeten Redakteuren zu schätzen wissen: Ihre Fachkompetenz in Sachthemen und ihre Fähigkeit, Ereignisse in größere Rahmen einzuordnen.

Geht nicht?

Vielleicht treibt die Not die Verlage ja zusammen.

*

Hier nun der Spiegel-Text:

Stirbt die Tageszeitung?

Wenn nicht – warum?

Brauchen wir noch Tageszeitungen, und wenn ja, welche? Fragten wir vor vier Wochen. Und über tausend Leser antworteten. Schimpften, lobten, argumentierten, pöbelten, schwärmten. Formulierten Gedanken, machten Vorschläge – die wichtigsten fassen wir in diesem Text zusammen. Und entwickeln daraus so etwas wie die Zeitung von morgen, im sechsten Kapitel stellen wir sie vor. In den fünf Kapiteln davor antworten Leser auf die großen Fragen der Zeitungsdebatte: Was ist der Sinn von Tageszeitungen? Warum verlieren sie so viele Leser? Frisst Online Print? Machen Bezahlmodelle für Online-Journalismus Sinn? Was können Redaktionen tun gegen die Leserflucht? Schließlich: Wie sollen Journalisten in Zukunft informieren? Am Beginn jedes Kapitels antworten Chefredakteure deutscher Zeitungen aus ihrer Sicht auf die Fragen. Viel Spaß!

Von Cordt Schnibben

Die letzten vier Wochen waren für mich eine seltsame Erfahrung: Einerseits war ich erfreut darüber, wie ernst viele Leute den Journalismus nehmen, sich hinsetzen, um lange Mails und Kommentare zu schreiben. Andererseits erstaunt darüber, wie hart sie mit Journalisten ins Gericht gehen, auch mit SPIEGEL und SPIEGEL ONLINE übrigens. Schreiben voneinander ab, linke Zensoren, intellektueller Abwärtstrend, devote Hofberichterstattung, PR-Maschine, schlecht recherchiert, nur noch Agenturmeldungen kopiert, schlechtes Deutsch, solche Beschwerden ziehen sich durch viele Leserkommentare. Man kann das abtun als die Nörgelei von chronischen Nörglern, aber solche Urteile finden sich in den meisten Leseräußerungen. Nicht das Netz sei der wahre Grund für die Leserflucht, bilanzierte Kommunikationsforscher Michael Haller in seinem Debattenbeitrag, die Enttäuschung über die Tageszeitung sei noch wichtiger, der Auflagenrückgang habe schon vor der massenhaften Nutzung des Internets eingesetzt. Über die lokale Tageszeitung wird besonders hart geurteilt.

Leser- Kommentare

„Es ist schön festzustellen, dass die Kompetenz der LeserInnen gefragt ist.“

Kora Gouré Bi per E-Mail

Wenn man sich durch die Zuschriften der Leser wühlt, spürt man allerdings immer noch eine mystische Abhängigkeit von der Zeitung. „Es ist so schön im Morgenrock an den Briefkasten zu gehen“ (Anne-marie Arveuf-kayser). „Eine noch nicht aufgeschlagene Zeitung zwingt zur Lektüre“ (MTV). „Ein Familienmitglied  am Frühstückstisch“ (twaddi). Man könne sie überall lesen, die Zeitung; man zeige, dass man seine Ruhe will; man lese viel konzentrierter. Die Zeitung sei übersichtlich und abgeschlossen, „ein Fels in der Brandung“ (besim), sie trenne Unwichtiges von Wichtigem, liefere Hintergrund und Lesespaß und: „Das große Plus der Tageszeitung ist die Qualitätskontrolle und der Umstand, dass jemand für einen Beitrag mit seinem Namen haftet“ (mueller-thurau).

„Jetzt tauchen hier plötzlich irgendwelche Blogger aus der Versenkung auf, von denen kein Mensch je gehört hat.“

georgtrakl auf Spiegel Online

Viele Menschen sind verliebt in ihre Zeitungen, und ich muss zugeben, wenn ich an der Nordsee Urlaub mache, wie in den letzten zwei Wochen, dann kann ich Feinkost Meyer nicht verlassen, ohne den „Weser-Kurier“ mitzunehmen. Als Bremer bin ich mit dem „Weser-Kurier“ aufgewachsen, im Lokalteil waren die Bilder von unseren Schülerdemonstrationen und vom Beat-Club, im Sportteil las ich über die 1. Herrenmannschaft des ATSV Bremen 1860 und die erste Deutsche Meisterschaft von Werder Bremen. Und auf der Titelseite tobte der Vietnam-Krieg.

„Es ist schön festzustellen, dass die Kompetenz der LeserInnen gefragt ist.“

Kora Gouré Bi per E-Mail

Jeder ist mit einer Zeitung groß geworden, sie ist Teil seiner Biografie. Dieser Satz stimmt nicht mehr, viele, die heute groß werden, wachsen ohne Zeitung auf. Und bei vielen, die mit einer Zeitung groß geworden sind, verschwindet die Zeitung für immer aus ihrem Leben. Warum?

Wie schlimm ist es?

Wie schlimm ist es

(Quelle: IVW)

Mehr als 50 Zeitungen eingestellt in den vergangenen 20 Jahren, sechs Millionen weniger Auflage im Vergleich zu 2003, 1,3 Milliarden Euro weniger Werbeerlöse seit 2006 – das sind die Zahlen der Zeitungskrise.

Die Gründe: Zeitungen, die ihre Leser langweilen und ihnen zu teuer sind. Verleger, die Redaktionen zusammenschrumpfen, um ihre Rendite trotz sinkender Erlöse zu halten. Verleger, die zu spät und zu halbherzig auf die Digitalisierung reagiert haben. Blogger und soziale Medien, die im Netz bessere Alternativen zu den alten Medien bieten. Das sind die Ursachen für die Zeitungskrise, wenn man die Leserkommentare ernst nimmt.

„Weg von dieser verbeamteten Worthülsenstanzerei. Den ewig gleichen Phrasen und Wendungen, die keiner mehr ertragen kann.“

waldlergeist auf Spiegel Online

„Mir macht diese Entwicklung große Angst“, schreibt ohnebenutzername, „keiner ist mehr bereit für Qualitätsjournalismus zu zahlen.“ Um Tageszeitungen lesen zu können, „benötigt man Zeit und Geld, immer weniger Arbeitnehmer haben dies“ (naklar?).

Sich online besser informieren zu können gilt für immer mehr Leser als selbstverständlich. „Online habe ich die Möglichkeit, jeden Artikel, der mir suspekt vorkommt, in die Suche zu schmeißen“ (Galik). „Seit Jahren suche ich die lokalen (und überregionalen) Inhalte, die mich interessieren, in Blogs, über socialmedia und andere digitalen Medien zusammen“ (Gudrun Lahm).

Die Antwort der Verleger auf die Herausforderungen des Internets befriedigen Online-Leser nicht. „Die meisten Tageszeitungen, die auf digital umgesattelt sind, haben den Leser einfach vergessen und das Papierformat eins zu eins übernommen, der moderne Weg wäre, eine Onlinequelle, zu erschaffen, die sich dem Leseverhalten des Users anpasst.“ (spon-facebock-jerrykess). Und der Fehler vieler Tageszeitungen, die gesamten Inhalte der Printausgabe kostenlos auf die Website zu stellen, verstehen viele Leser noch weniger, obwohl sie gern davon profitieren. Die sinkenden Erlöse durch immer neue Sparrunden in den Redaktionen auszugleichen, habe die Qualität vieler Zeitungen deutlich reduziert. „Die Verleger schmeißen in kurzsichtigem Profitdenken Redakteure raus und wandeln Lokalredaktion in Profit-Center“ (FerrisBueller2).

„Am liebsten lese ich inzwischen die Nachrichten auf dem Online-Portal meiner Bank.“

Enzian auf Spiegel Online

Lokal und regional informiert zu werden, finden die einen sehr wichtig, aber so, wie es passiert, ist es den anderen zu provinziell: „Beiträge, die ich so fast auch aus dem amtlichen Mitteilungsblatt der Gemeinde kenne“ (Wunderläufer). „… sind die Verbandelungen zwischen Wirtschaft, Politik und Presse so tief gewachsen, dass die Zeitung auch kaum noch in der Lage sein wird, unabhängig zu berichten“ (franks meinung).

Auflage deutscher Tageszeitunge

„Die Tageszeitung“ ist nicht in der Krise, nicht alle trifft es gleich: Die kleine Regionalzeitung hat noch ein Informationsmonopol; die überregionale Zeitung hat den Einordnungsvorsprung; die Lokalzeitungen in den großen und mittelgroßen Städten leiden am stärksten unter der digitalen Konkurrenz.

Sie sind, wie es der Schweizer Journalist Constantin Seibt in seinem Debattenbeitrag geschrieben hat „riesige Routinemaschinen“, und „sie tun nichts dafür, dass ich sie mögen muss“ (Silke Burmester), sie wirken im 21. Jahrhundert wie „fremdartige Text- und Themenbündel“ (Mario Sixtus) für „imaginäre Durchschnittsleser“ (Thomas Knüwer).

„Leider scheint es auf diesem Planeten keinen Geschäftszweig zu geben, der beratungsresistenter ist als Verlage.“

Uli Stühlen per Email

Der „SZ“-Journalist Dirk von Gehlen hält den Zeitungskritikern in seinem Blog entgegen: Eine Tageszeitung ist mehr als das Papier, auf dem sie gedruckt ist; am Beispiel des „Guardian“ und seiner Rolle in der NSA-Affäre werde deutlich, dass die Redaktion einer Tageszeitung durch Geld, Kompetenz und Haltung so etwas wie ein „Ort der Freiheit“ und der Leser als Abonnent Unterstützer dieser Haltung sein könne.

Als Mittelpunkt einer Gemeinde, die an Informationen ebenso interessiert ist wie an Einordnung und Gemeinsinn, hat die Zeitung eine Zukunft, was nicht heißt, dass diese Zukunft aus Papier sein muss. Die neue Smartphone-App von SZ.de bietet einiges von dem, was eine digitale

Frisst Online Print?

Der Auflagenrückgang vieler Tageszeitungen setzte zwar schon ein, bevor die große Zeit des Internet begann, aber seit sich der kostenlose Journalismus im Netz breitgemacht hat, verschärft sich die Krise des Printjournalismus.

Da sind solche Stimmen: „Ich bin 23 Jahre alt und habe mir selten Zeitungen gekauft. Wozu auch? Gibt doch alles kostenlos im Internet“ (Lexx). „Im Tempowettbewerb mit dem Internet wird die Tageszeitung immer verlieren. Deshalb ist es mir auch ein Rätsel, weshalb alle deutschen Tageszeitungen der Tagesaktualität hinterherhecheln“ (caroline-NL). „Die Papierzeitungen werden von zwei Seiten in die Zange genommen: den Kosten und der breiten Palette von Informationen im Netz“ (dieter.neef).

„Das Internet lässt dem Menschen einfach keine Zeit mehr zum Lesen von Papier. Die Freizeit ist schon aufgebraucht.“

Arzgebircher auf Spiegel Online

Besonders schädlich für Print, so meinen viele Leser, sind die Websites der Printmedien. Ursprünglich gedacht als Marketing für die Zeitung, als Lockmittel um Gedrucktes zu kaufen, entfalten sie eine zerstörerische Kraft: „Die Printmedien leiden unter dem schlechten Ruf ihrer Internetcousinen; der Kunde hat die Wahl zwischen minderwertig und kostenlos oder gut und teuer.“ (peter_30201). Für die Blogger, die sich an der Zeitungsdebatte beteiligten, sind Zeitungen dem Tode geweiht, weil sie nicht nur ökonomisch dem Netz unterlegen sind, sondern auch journalistisch. Für die Printverteidiger sind Zeitungen, trotz des Erfolgs der Online-Medien, (fast) unsterblich, weil sie als Kulturgut aus deutschen Küchen, Wohnzimmern und Büros nicht wegzudenken sind.

Klickzahlen deutscher News-Seiten

Während der Zeitungsdebatte gelang allerdings hier und da das Aufweichen der Fronten, zum Beispiel im „Digitalen Quartett“. Das ist eine Internet-Talkshow, bei der Leute vor ihrem Computer sitzen und via Videochatprogramm Google Hangout debattieren, aus Seattle moderiert von der Bloggerin Ulrike Langer. Als sich das Quartett mit der Zeitungskrise beschäftigte, redeten drei Blogger mit zwei Tageszeitungsjournalisten und einem Mediajournalisten, als Diskussionsteilnehmer stand ich in meinem Urlaubsort in einer Kneipe – die einzige Möglichkeit, eine stabile Internetverbindung zu nutzen.

„Sind wir nicht alle irgendwie Journalisten?“

Holger Rösler auf Facebook

Schnell lösten sich die starren Fronten auf, weil die beiden Printleute das Netz genauso selbstverständlich nutzen wie die Blogger. Der eine, Markus Schwarze, ist in der Chefredaktion der „Rhein-Zeitung“ zuständig für digitale Inhalte, der andere, der Schweizer Constantin Seibt, schreibt im „Tagesanzeiger“ und in seinem Blog „Deadline“, dort über die Zukunft des Journalismus. Die „Rhein-Zeitung“ hat (seit 1995) als erste deutsche Tageszeitung einen Onlinedienst mit eigener Redaktion und seit 2001 eine E-Paper-Ausgabe.

Die „Rhein-Zeitung“ ist ein gutes Beispiel dafür, wie eine Print-Redaktion das Netz nutzt, um User einzubeziehen und Print-Inhalte digital zu verbreiten, allerdings mit denselben Beschränkungen, die allen deutschen ePaper-Ausgaben anhaften: Sie kleben noch zu sehr am Gedruckten, enttäuschende 340 000 Exemplare der täglichen ePaper-Ausgaben verkaufen alle Tageszeitungen zusammen (bei einer Print-Auflage von 20 Millionen).

Nach dem ersten Glas Rotwein habe ich während des „Digitalen Quartetts“ neue Eindrücke nach einer Woche Zeitungsdebatte zusammengefasst als Streit zwischen digitalen Stalinisten und analogen Maoisten. Das ist umso lächerlicher, weil es „Print“ eigentlich gar nicht mehr gibt: Das, was eine Print-Redaktion produziert, findet seine Leser heutzutage zu immer größeren Teilen online: als ePaper, auf der Online-Seite, im Smartphone, auf dem Tablet. Jeder Journalist muss das, was er an den Leser bringen will, online und offline denken und erzählen können. Und jede Redaktion sollte beginnen, wenn sie an die Zukunft ihrer Zeitung denkt, sich diese digital vorzustellen.

„Wenn das Druckmedium nicht aussterben soll, muss der qualifizierte Journalismus das Netz meiden.“

Lars Höppner per Email

Nur so kann sie an die Erlöse kommen, die sie braucht, um ihren Papierlesern auch zukünftig das Rascheln zu erhalten. Das gilt nicht nur für Zeitungen, das gilt für die gesamte Printbranche. Auflagenverluste beklagen Wochenblätter, Programmzeitschriften und Magazine, auch der SPIEGEL blieb davon nicht verschont, bei den Abonnenten verlor er weniger als im Kioskverkauf.

Seit Edward Snowden enthüllte, dass das Internet von Geheimdiensten großräumig überwacht und besonders die sozialen Medien ausgeforscht werden, hoffen Printgläubige zwar, das neue Misstrauen gegen das Netz könne die Flucht aus den Papiermedien verlangsamen, aber der Strukturwandel der Öffentlichkeit ist unumkehrbar.

Im Netz bezahlen – wenn ja: wie?

Die große Hoffnung der Verleger: Wenn wir für die bisher kostenlosen Websites unserer Zeitungen Geld nehmen, dann können wir den Auflagenrückgang bremsen und zusätzliche Erlöse erzielen. Und wenn wir dann noch die Zeitungen über Tablets und Smartphones an neue Käufer bringen, bekommen wir die Zeitungskrise in den Griff.

Wertet man die Lesermeinungen der Zeitungsdebatte aus, zeichnet sich eine deutliche Mehrheit dafür ab, zukünftig im Netz für Journalismus zu zahlen; mehr als bisher, muss man sagen, denn für ePaper wird ja schon gezahlt. Und bereits 46 von 332 deutschen Zeitungen nehmen auf ihren Websites Geld für bestimmte Artikel oder für alle Artikel. Es gibt natürlich die ablehnenden Stimmen. „Der Großteil der Leser will gar nicht zahlen.“ (KarlRad). „Ich denke nicht, dass ich für Nachrichten zahlen werde, solange ich diese auch an anderen Stellen konsumieren kann“ (balubaer). „Würde ich pro Tag z. B. 5 Euro für so eine Zeitung ausgeben?“ (Emmi)

„Führen Sie Micropayment ein! Meine Oma hat immer gesagt: Kleinvieh macht auch Mist.“

mii auf Spiegel Online

Wer schreibt, dass er zahlen will, hat genaue Vorstellungen davon, wofür und wie. Ja, ihr kriegt mein Geld, aber erstens nur dann, wenn die Qualität besser wird. „Eine valide Geschichte, die recherchiert, gegengeprüft, dessen Quellen validiert werden müssen und, und, und. So etwas kostet Geld“ (jan-bernd meyer). Zweitens sollen es auf den Leser zugeschnittene Informationen sein: „Ein Online-Service, der mir täglich „qualitätsverlesene“ aktuelle Meldungen und Beiträge zu meinen persönlichen Interessengebieten liefert“ (Ok-naja). Konrad Lischka brachte in seinem Debattenbeitrag das Beispiel von „Politico Pro“, die mit einer extrem detaillierten Berichterstattung über das politische Geschehen in Washington Geld verdienen.

Drittens zahlen wir, so die Leser, nur, wenn die Verlage schaffen, ein „Kombiabo“ zu etablieren: „20 Euro im Monat für alle gängigen Zeitungsseiten, ein login“ (lateralus). „Sämtliche Verlage sollen kooperieren, mit geballter Kraft eine Plattform wie iTunes lancieren“ (Sacha Ercolani). Alle gemeinsam und, viertens, ganz einfach: „Ich möchte online mit maximal zwei Klicks sicher bezahlen können“ (roland-jansen).

„Good journalism is expensive. Bad journalism isn‘t useful for anyone.“

@Burk68 auf Twitter

Die einen sind für Abo-Lösungen, die anderen, fünftens, für Micropayment, zahlen pro Artikel. Richard Gutjahr hat in seinem Debattenbeitrag beteuert, wie wichtig es nach Jahren der Gratiskultur wäre, wenn „der Leser behutsam, durch Kleinstbeträge, erlernt, welchen Gegenwert er durch das tägliche Querbeetlesen verkonsumiert.“ Spiegelator möchte sein Geld einzelnen, besonders guten Beiträgen einzelner Journalisten zukommen lassen. „Insofern finde ich die taz-Möglichkeit gut, für einen Artikel, den man als besonders wichtig empfindet, per unkomplizierter Abbuchung einen Wahlbetrag zu speichern“ (a.b. haddorp).

Vergleich Mediennutzung - Anteil am Werbemarkt

„Wie wär‘s mit einer Teilung der GEZ-Gebühren, 50:50, und schwupps hätten wir weniger Müll im Fernsehen, dafür bessere Konditionen für Journalisten.“ technikaffin auf Spiegel Online

Gegen das Micropayment spreche allerdings, so frognal, dass man den Text im Unterschied zu einem Song nicht kenne, bevor man ihn bezahlen soll: „Musik höre ich mir an, und wenn sie mir gefällt, kaufe ich sie.“

Vertriebserlöse im Netz sind auch deshalb für die Printmedien so wichtig, weil ihre Werbeerlöse schnell sinken. Die Werbeetats reagieren auf den Medienkonsum der Deutschen, sie wandern von den Printmedien zum Fernsehen und ins Netz, allerdings nur zum kleinen Teil auf die Websites der Printmedien – Google ist der große Profiteur.

Besser geht‘s nicht?

Durch die Zeitungsdebatte zieht sich der Disput zwischen Evolutionären und Revolutionären. Die Zeitung ist bald weg, sagen die einen, und das ist gut. Die Zeitung muss besser werden, sagen die anderen, dann wird sie noch lange leben.

Nicht über „SZ“, „FAZ“, „Welt“, „taz“ oder „Handelsblatt“ wird gestritten, sondern über Regional- und Lokalzeitungen. Lokaler sollen die Zeitungen werden, hintergründiger, kritischer und recherchierender, das ist so etwas wie die Mehrheitsmeinung unter den Zeitungsfreunden. „Wenn ich allein an die Fälle der letzten 6 Monate denke, in denen die Süddeutsche Zeitung Missstände aufgedeckt und kritisch berichtet hat, dann weiß ich: wir werden das auch künftig benötigen, und zwar dringend“ (vinophilus). Besonders aus dem „wenig prestige-prächtigen Bereich“ des Lokaljournalismus hätten sich Journalisten abgeseilt, findet oohpss. Meinungen sollten deutlich als Meinungen gekennzeichnet werden, „Nachrichten und Kommentar müssten strikt getrennt sein“ (StFreitag).

„Die App der Stuttgarter Zeitung. Die habens meiner Meinung nach geschafft.“

Baghervadi Amir auf Facebook

Die Rolle des Journalisten ändert sich durch die Zunahme des digitalen Nachrichtenangebots, „die Journalisten müssen uns, den Leser, helfen durchzublicken, sie müssen Moderatoren werden, Projektleiter des Projekts Verständnis“ (Amadeus Mannheim). Weil soziale Medien wie twitter und facebook immer mehr zur entscheidenden Drehscheibe der Öffentlichkeit werden, wird der Journalist wichtiger als Einordner. Der Job des Redakteurs werde durch das Netz „also demokratisiert, er muss vom Thron des Meinungsbildners herunter und wird zum intelligenten Vermittler“ (dieter.neef). Und er muss „den Leser als intelligenten und gebildeten Mitmenschen jenseits von Foren“ (vicbrother) einbeziehen.

Constantin Seibt hat in seinem Debattenbeitrag darauf hingewiesen, die Tageszeitung müsse „in ihrem Kerngeschäft ihre künftige Leserschaft organisieren, nicht durch Schmeichelei, sondern durch das, was sie kann: durch Neugier, Frechheit und harte Recherche.“

Der Markt der Tageszeitungen werde sich „noch stark bereinigen“, schreibt georg_doerner. „Survival of the fittest“ sei angesagt, das „sieht man derzeit in den USA“. Dort wollen inzwischen 450 der 1380 Zeitungen durch Bezahlmodelle auf Websites die Verluste der Tageszeitungen ausgleichen, aber nur zwei bis vier Prozent der User zahlen bisher für Online-Journalismus. Wer in die USA schaut, um in die News-Redakteure in den USA: Weniger als 1978 (Quelle: American Society of News Editors) News-Konsum über soziale Medien in den USA (Quelle: Pew Research Center) Zukunft zu blicken, schaut auf dramatisch wegkippende Kurven.

Journalisten der „FAZ“, „FAS“ und der „Zeit“ haben in Artikeln sehr ängstlich und polemisch auf die Zeitungsdebatte reagiert, als wolle ihnen jemand den Stuhl wegziehen und den Computer wegnehmen. Wenn Journalisten den Zeitungsjournalismus kritisieren, dann sei es so, als machten Autoverkäufer ihre Autos schlecht, so eines der Argumente. Autohersteller müssen nicht unbedingt kritische Artikel über Autos schreiben, aber reagiert die Automobilbranche mit Elektroautos, Car-Sharing etcetera nicht viel besser auf die Kritik an Autos als unsere Branche auf die Kritik an Zeitungen?

„Und eine Party für die Community, um Spaß zu … äh, die Leserbindung zu stärken.“

bettyboop2013 auf Spiegel Online

Wenn man eine Debatte lostritt, zudem noch über Journalismus, muss man einiges einstecken können. Bei einem Absatz eines Artikels in der FAS allerdings musste ich so laut lachen, dass meine Frau Kaffee verschüttete und den Artikel lesen wollte. In dem Absatz geht es darum, dass sich mein „Sanierungskonzept“ für Zeitungen lese wie eine interne Vorgabe der „Bild“-Chefredaktion. Der Autor meinte einen von elf Punkten: Print-Journalisten sollten vom Online-Journalismus lernen, „das Wort muss dem Foto, dem Video, der Grafik dort weichen, wo es unterlegen ist“. Die „Bild“-Keule macht sich immer gut, schlägt aber in diesem Fall vollkommen daneben. Gemeint habe ich damit, dass Neuerungen im Journalismus heutzutage vor allem online zu finden sind und dass es darauf ankommt, diesen Pioniergeist in Printredaktionen zu übertragen, was zum Beispiel bei der „Zeit“ (Wahlometer, Trikotwerbungsschaubild im Zeit-Magazin) und „SZ“ (Spezial zu NSU) schon passiert. Tour de France (auf „Zeit online“), Zugmonitor (auf SZ.de) und auch „Flut“ und „Solingen“ auf SPIEGEL ONLINE sind Beispiele dafür, wie in neuen Formen gedacht wird. Daran mangelt es im Print-Journalismus.

„Die richtigen Schlüsse hat das niederländische ,NRC Handelsblatt‘ gezogen: Alle Börsenkurse raus, den Umfang verkleinert, für jeden Tag ein Schwerpunktthema.“

caroline-NL auf Spiegel Online

Mich treibt bei der ganzen Debatte nicht der Wille, Tageszeitungen zu Grabe zu tragen, wie mir der Autor in der FAS unterstellt, sondern Lesern klarzumachen, dass da gerade etwas den Bach runtergeht, was sie vielleicht erst dann vermissen werden, wenn es nicht mehr da ist. Und Journalisten muss klar werden, dass sich die Tageszeitungen, dass sich alle Printmedien verändern müssen, wenn sie die Leserflucht stoppen wollen.

Sie stecken alle in der ePaper-Falle: Wir vertrauen darauf, unsere Printprodukte, so wie sie sind, in digitale Medien zu übertragen. Was wir brauchen, sind Konzepte dafür, unsere journalistischen Inhalte auf neue Art, in neuen Medien an den Leser zu bringen. Diese Suche will die Debatte anregen.

Früher war der Marktplatz der Marktplatz der Öffentlichkeit, dann die Zeitungen, dann das Fernsehen. Jetzt bestimmen zunehmend soziale Medien wie Facebook und Twitter, Aggregatoren wie Google und Youtube, welche Nachrichten ins öffentliche Bewusstsein dringen, was skandalisiert und debattiert wird. Die Lokalzeitung muss wieder zum Marktplatz einer Stadt werden.

Über tausend User haben ihre Gedanken aufgeschrieben und Vorschläge gemacht. Brauchen wir noch Tageszeitungen, und wenn ja, welche? Ja, wir brauchen Zeitungen, antworteten die meisten, aber die sollten anders sein als die, die wir heute kennen.

Für mich waren diese Wochen wie ein großes, vielstimmiges Gespräch. Wann kann ein Journalist schon so viele Experten, so viele Chefredakteure, so viele Blogger und vor allem so viele Leser einbeziehen in die Recherche und die Formulierung seiner Geschichte? Was habe ich gelernt?

Es gibt den Wunsch nach einer Zeitung, die ganz viele Dinge in sich vereint. Wenn es ein Auto wäre, dann wäre das „ein Modell mit 300 PS, das einen Liter Benzin verbraucht und zum Preis eines E-Bikes zu haben ist“ (ConstanzeM). Viele von den erwünschten Qualitäten sind schon realisierbar, andere noch nicht. Wir haben uns entschieden, keine utopische Zeitung zu entwerfen, sondern eine, die man schon heute realisieren kann. Sie wird hoffentlich – gerade von den Zeitungsredakteuren – nicht als Anmaßung verstanden sondern als Anregung, als der Versuch, Hunderte Leseranregungen zu einem Vorschlag zusammenzuführen.

„Die Zeitung von morgen sollte öfter den Lesern das Mikrofon ins Gesicht halten.“

Paul Kummetz per Email

Vier Millionen Deutsche lesen eine überregionale Abo-Zeitung, 36 Millionen eine regionale Zeitung. Darum haben wir die Vorschläge in einer Lokalzeitung gebündelt, in einer Zeitung für die Stadt, denn in den mittleren und großen Städten verlieren Tageszeitungen am schnellsten ihre Leser.

Die Zeitung von morgen sollte, erstens, all das an journalistischer Qualität bieten, was im vorherigen Kapitel an Anforderungen formuliert wurde.

„Vermutlich konsumieren wir künftig Text- und Bildinhalte überwiegend über Smartphones“ (diskussionsteilnehmer111), darum entwickeln wir, zweitens, eine Zeitungs-App fürs Smartphone.

„Die User machen ihre eigenen Nachrichten.“

Sascha Blättermann per Email

Wir wollen, drittens, „den seriösen und kompetenten Journalismus ins Twitter-, Facebook-, Blogger-, Online-Zeitalter“ (haeff-m) transformieren, „dabei darf jedoch nicht einfach ein Printprodukt digitalisiert werden“ (sboldt95).

„Geht weg davon, dass ihr zuerst die Zeitung entwickelt“, ruft uns dennis.sommer zu, darum haben wir, viertens, das Ressortdenken der Zeitung (Politik, Wirtschaft, Kultur etc.) abgeschafft, das bisher dazu führte, Ressortseiten zu füllen, auch wenn eigentlich nichts zu melden war.

Man müsse User „in die Produktion der Zeitung mit einbinden, Leserbriefe reichen nicht“ (herbert.kienker), darum haben wir das, fünftens, gemacht.

Jeff Jarvis hat in seinem Debattenbeitrag den Grundgedanken einer neuen Zeitung definiert: „Ich denke, unser neuer Wert wird sich ergeben, indem wir zu Menschen als Individuen eine Beziehung aufbauen – nicht mehr als eine Masse.“

„Interaktivität, Interaktion und Individualität scheinen mir die Stichworte für die Zukunft zu sein“ (marwin42), finden wir auch und geben, sechstens, dem User die Möglichkeit, seine Zeitung nach seinen Interessen mitzugestalten.

„2020 wird es nur noch eine einzige Zeitung geben, angepasst an die immer dümmer werdende Bevölkerung, eine Art ,Leselektüre für den deutschen Bildungsstand“

espressoli auf Spiegel Online

„Kurioserweise finde ich oft in den Forenbeiträgen mehr Hintergrundinformation als in den Artikeln“ (qoderrat), darum können, siebtens, User jeden Artikel zum Chat mit dem Redakteur und anderen Usern nutzen. Und sie können Themen setzen, denen Redakteure nachgehen, wenn sich genügend Gleichgesinnte finden.

„Der User von morgen erwartet eine auf ihn zugeschnittene Tageszeitung“ (lars-breuer), deshalb sind Themen und Artikel, achtens, nach seinen Interessen ausgewählt und gewichtet.

Bloß keine personalisierte Artikelauswahl, schreiben andere User, ich will mich überraschen lassen durch das, was mich nicht interessiert, deshalb kann man, neuntens, diesen personalisierten Algorithmus auch unterdrücken.

„Auf meinem iPhone habe ich verschiedene Apps geladen, die mir eine Nachrichtenzusammenstellung brachten“, schreibt schlueter.hh, „so nach dem Motto: Stell dir selbst die Themen zusammen, die dich interessieren.“ Er habe diese Apps alle wieder gelöscht, es sei ihm zu anstrengend gewesen „aus dieser Fülle eine Synthese herzustellen, diese gedankliche Arbeit nimmt mir eine Profi-Redaktion ab, dafür brauche ich eine Zeitung.“ Genau deshalb glauben wir, zehntens, an eine Mischung aus Profi- und Leserauswahl.

„Mutig wäre die Tageszeitung, die den überregionalen Anteil eindampft und den Lokalteil hochfährt“ (G.Weiter). „Ich sehe das wie die Jahresringe eines Baumes: mich interessiert zuerst meine Straße, mein Stadtbezirk…“ Einerseits. Andererseits finden User ihre Zeitung zu provinziell, wenn sie vor allem mit dem Naheliegenden ins Haus fällt. Wir haben, elftens, versucht, die richtige Balance zu finden.

„Den Markt für Lokalnachrichten wird es natürlich auch weiterhin geben“, schreibt Dubbel, „doch ich stelle mir ein, zwei Lokalblogger pro Stadtteil vor, die diesen bedienen.“ Die werden, zwölftens, nicht nur bezahlt, der Leser hat auch die Möglichkeit, in sein Meinungsressort überregionale Blogger zu packen – die werden nach Klicks bezahlt.

„Ich wünsche mir von Journalisten schon länger, dass sie Begleiter von Themen sind“ (Norbert Rost), „die kurzen, hysterischen Medien-Hypes, die ständig durch alle Medien gehen und danach nie wieder auftauchen, sind das Gegenteil.“ Darum kann der Leser, dreizehntens, entscheiden, ob ihm ein Thema so wichtig ist, dass er über den Fortgang kontinuierlich informiert werden möchte.

Die Tageszeitung müsse all die lokalen Serviceinformationen, die im Netz herumgeistern und „die ich vor Ort in ganz bestimmten Situationen brauche“, verfügbar machen, schreibt Ulrike Langer in ihrem Blog. Finden wir, vierzehntens, auch, haben wir gemacht.

„Es wäre schön, wenn die Artikel wahlweise zum Lesen oder zum Anhören bereitgestellt würden“ (cristoph.lenzen), gute Idee, fünfzehntens, wird gemacht.

Eine digitale Tageszeitung habe, sechzehntens, den Vorteil, schreibt johannesmapro, dass „der Nachrichten- und Meldungsteil mehrmals täglich angepasst wird.“

Stimmt.

Wenn man all diese Leser ernst nimmt, dann ergibt sich daraus das

Konzept für eine Tageszeitung.

Hier ist es.

1000 Vorschläge, ein Konzept

Eine App auf dem Smartphone. Eine digitale Abendzeitung für die Stadt. Die den Menschen, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommen, Orientierung gibt über die Nachrichten des Tages. Die eine Navigationshilfe für den Abend ist und ein Ausblick auf den nächsten Tag. Die wieder das werden soll, was die Lokalzeitung früher war: der Marktplatz einer Stadt

App: Der Abend

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Die Zeitung hat sechs Rubriken: Nachrichten, Stories, Meinung, Unterhaltung, Leser, Service

„Nachrichten“ unterteilt sich in „Top News“, “Lokal“, „Deutschland“, „Welt“, „Sport“. Zusätzlich wählbar „Politik“, „Wirtschaft“, „Kultur“ etc. Die Übersicht bietet drei Schlagzeilen für „Top News“, per Swipe können andere Nachrichten erreichet werden. Außerdem verlinkt ist eine Zusammenfassung des Tages im Video.

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„Stories“ bietet dem Leser Reports, Portraits und Reportagen. Der Müllskandal, das Portrait des Bundestagskandidaten oder hier: Reportage über Roma, die nach Berlin kommen.

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„Stories“ bietet dem Leser Reports, Portraits und Reportagen. Der Müllskandal, das Portrait des Bundestagskandidaten oder hier: Reportage über Roma, die nach Berlin kommen. Die Übersicht für „Stories“ zeigt drei Headlines, durch Swipen erreicht man zehn weitere Stories.

„Nachrichten“ und „Leser“ aktualisieren sich kontinuierlich, „Stories“ und „Meinung“ zweimal am Tag: abends um 17:00 Uhr, morgens um 7:00 Uhr. „Service“ und „Unterhaltung“ einmal am Tag 17:00 Uhr.

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Die Funktionen, auf jeder Seite aufrufbar:

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  • Kommentieren
  • Thema verfolgen (Updates abonnieren)
  • Vorlesen lassen

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„Meinung“ versammelt Kommentare, Essays, Interviews, externe Blogs. Hier mischen sich Meinungsbeiträge aus der Redaktion mit der Möglichkeit, lokale und andere Blogs zu lesen, der Leser stellt sich sein individuelles Meinungsspektrum zusammen. Je nach Klickzahlen werden die Blogger an Erlösen beteiligt.

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„Meinung“ versammelt Kommentare, Essays, Interviews, externe Blogs. Hier mischen sich Meinungsbeiträge aus der Redaktion mit der Möglichkeit, lokale und andere Blogs zu lesen, der Leser stellt sich sein individuelles Meinungsspektrum zusammen. Je nach Klickzahlen werden die Blogger an Erlösen beteiligt.

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„Unterhaltung“ bietet dem Leser einen Überblick über alles, was für ihn am Abend wichtig ist: TV (mit Empfehlungen), Kino ( mit Trailern), Theater ( mit Rezensionen und Bilderstrecke), Konzert (mit Hörprobe und Verlinkung zum Ticketkauf), Bücher (mit Kurzkritik), Comics, Sudoku, Kreuzworträtsel , Spiele

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„Unterhaltung“ bietet dem Leser einen Überblick über alles, was für ihn am Abend wichtig ist: TV (mit Empfehlungen), Kino ( mit Trailern), Theater ( mit Rezensionen und Bilderstrecke), Konzert (mit Hörprobe und Verlinkung zum Ticketkauf), Bücher (mit Kurzkritik), Comics, Sudoku, Kreuzworträtsel , Spiele

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Die Servicefunktionen in diesem Teil:

  • Datum + Location
  • Ticket kaufen
  • Zum Kalender hinzufügen
  • Tonprobe anhören
  • Zusatzfunktionen (Teilen etc.)

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Die Servicefunktionen in diesem Teil:

  • Datum + Location
  • Ticket kaufen
  • Zum Kalender hinzufügen
  • Tonprobe anhören
  • Zusatzfunktionen (Teilen etc.)

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„Leser“: Hier soll sich der Dialog entwickeln zwischen der Redaktion und den Lesern, hier fließen Beiträge von Lesern ein. Leser schlagen Themen vor, benennen Missstände, die von Redakteuren weiter verfolgt werden.

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„Leser“: Hier soll sich der Dialog entwickeln zwischen der Redaktion und den Lesern, hier fließen Beiträge von Lesern ein, hier chatten, twittern, posten, bloggen sie im Dialog mit Redakteure. Leser schlagen Themen vor, benennen Missstände, die von Redakteuren weiter verfolgt werden. Zwei feste Rubriken: Familiengeschichten – Geburt, Hochzeit, Reisen,Tod, erzählt von Lesern, aufgeschrieben von Redakteuren. Mein Verein – kommentierte Bilderstrecken.

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Der Nutzer kann auswählen, welche seiner Kontakte er hier verfolgen möchte (ihr Einverständnis vorausgesetzt). Dabei kann auf das Adressbuch des Nutzers als auch auf Social Networks zugegriffen werden.

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Der Nutzer kann auswählen, welche seiner Kontakte er hier verfolgen möchte (ihr Einverständnis vorausgesetzt). Dabei kann auf das Adressbuch des Nutzers als auch auf Social Networks zugegriffen werden.

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„Service“ bedient den Leser mit allen Informationen, die das Leben in der Stadt erleichtern (Restaurants mit Bewertungen, Läden mit Preisvergleich, Verbraucherschutz, Handwerker mit Bewertungen, lokaler Wohnungsmarkt, alles für den Autofahrer (Tankstellen, Schlaglöcher, Blitzer)).

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„Service“ bedient den Leser mit allen Informationen, die das Leben in der Stadt erleichtern ( Restaurants mit Bewertungen, Läden mit Preisvergleich, Verbraucherschutz, Handwerker mit Bewertungen, lokaler Wohnungsmarkt, Hotels mit Bewertungen, Apotheken, Behörden, Krankenhäuser, alles für den Autofahrer (Tankstellen, Schlaglöcher, Blitzer), Mitfahrgelegenheiten, Fahrpläne, Babysitter-Service, Kontaktbörse

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Unter „Verkehr“ befindet sich ein kleines Tool, dass verschiedene Reisemöglichkeiten berechnet. Je nach Uhrzeit ist ein Ziel vorausgewählt. Der Nutzer kann anpassen oder aus dem Adressbuch übernehmen, wohin er möchte. Die aktuelle Uhrzeit ist vorausgewählt / kann angepasst werden. Anschließend kann der User per Tap die Optionen vergleichen.

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Unter „Verkehr“ befindet sich ein kleines Tool, dass verschiedene Reisemöglichkeiten berechnet. Je nach Uhrzeit ist ein Ziel vorausgewählt. Der Nutzer kann anpassen oder aus dem Adressbuch übernehmen, wohin er möchte. Die aktuelle Uhrzeit ist vorausgewählt / kann angepasst werden. Anschließend kann der User per Tap die Optionen vergleichen.

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Jeder Abonnent wird Mitglied im „Abend-Club“. In Kooperation mit einer Sparkasse / Bank verwandelt sich die App beim Bezahlen in eine Kreditkarte und bietet Preisnachlass sowie besonderen Service in Restaurants, Sportstudios, Läden etc. Die Partnerfirmen erhalten Preisnachlass bei Werbung im „Abend“. Bezahlt wird ganz einfach per Tap.

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Jeder Abonnent wird Mitglied im „Abend-Club“. In Kooperation mit einer Sparkasse / Bank verwandelt sich die App beim Bezahlen in eine Kreditkarte und bietet Preisnachlass sowie besonderen Service in Restaurants, Sportstudios, Läden etc. Die Partnerfirmen erhalten Preisnachlass bei Werbung im „Abend“, eine örtliche Werbeagentur unterstützt die Firmen bei der Entwicklung digitaler Werbeformen.

Beispiel Zoobesuch: Sobald der Nutzer in der Nähe eines Counters ist, erscheint automatisch ein Popup mit dem Club-Rabatt. Bezahlt wird ganz einfach per Tap.

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Die App ist personalisierbar.

Relevante Einstellungen, die bereits im Gerät hinterlegt sind, können von der App genutzt werden. Die Initialisierung läuft automatisch ab und geht direkt über in den Startscreen der App.

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Die App ist personalisierbar.

Relevante Einstellungen, die bereits im Gerät hinterlegt sind, können von der App genutzt werden. Die Initialisierung läuft automatisch ab und geht direkt über in den Startscreen der App.

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Re-Branding für die Münchener Abendzeitung. Es verändern sich Logo, Standort, (Lokalnachrichten) und Farben.

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Re-Branding für die Münchener Abendzeitung. Es verändern sich Logo, Standort, (Lokalnachrichten) und Farben.

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Re-Branding für das Hamburger Abendblatt. Es verändern sich Logo, Standort, (Lokalnachrichten) und Farben.

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Re-Branding für das Hamburger Abendblatt. Es verändern sich Logo, Standort, (Lokalnachrichten) und Farben.

Was Chefredakteure, Blogger und Medienexperten über den „Abend“ denken

Res Strehle, Chefredakteur des Schweizer „Tages-Anzeiger“

Es gibt keine Krise der Zeitungen – es gibt nur das Festhalten an der gewohnten Einwegkommunikation, den Tunnelröhrenblick aufs Papier, Ideenlosigkeit und allenfalls zu kleine Märkte. Diesen vier Gefahren widersteht „Der Abend“ fulminant: Der neue Marktplatz für die Stadt lebt von der Auseinandersetzung, findet dort statt, wo sich die Leute nach der Arbeit bewegen, verwebt harte Nachricht mit weichen Autorengeschichten, Kluges (Meinung) mit Witzigem und Verspieltem (Unterhaltung). Wenn dazu noch die nützliche Information über das Nachtleben kommt, was will der abendliche Stadtgänger mehr? Dieses Modell lässt sich auf jeden grösseren urbanen Raum multiplizieren. Von solch innovativen Ideen lebt unsere Branche seit ihrer Gründung, damals gebunden an die hauseigene Druckerei und ans Anzeigegeschäft – heute ans mobile Taschengerät und eine Leserschaft. Womöglich wird sie für diesen Komfort und das Ernstnehmen Ihrer Wünsche sogar bezahlen.

Ich wünsche „Dem Abend“ viel Erfolg und lobe den Tag, an dem er erscheint.

Ulrich Machold, Leiter Strategische Produktentwicklung der Axel Springer AG

„Der Abend“ ist eine schöne Fingerübung – vor allem, weil er gleichzeitig zeigt, was handwerklich besser gemacht werden kann, und was konzeptionell weiter ungelöst ist.

Erst einmal ist er inhaltlich gelungen. Alles sieht gut aus. Das Layout ist klug, die Trennung zwischen Nachrichten und „Long Form“ ist konsequent, die Inhalte sinnvoll spezifisch fürs Mobile konzipiert (es wäre sicher nicht einfach, die diversen Content-Plätze mit relevanten Regio-Inhalten zu füllen, aber das kann eine gute Redaktion vielleicht leisten).

Problematischer ist der Rahmen: die Entscheidung fürs Regionale und die Monetarisierung über das Service-Angebot. Die alte Regionalzeitung, das stimmt, war ein Bündel von Journalismus, Immobilienanzeigen, Jobs und vielem Anderen. Aber das Bündel hat sich aufgelöst. Eigentlich alle Rubriken leben heute auf eigenen Seiten, und eigentlich passen sie da auch besser hin. Dass man in Zeiten von Immoscout, Yelp und Monster solche Dinge zurück zu den News führen, dass man gleichsam den alten „One-Stop-Shop“ wieder herstellen kann, ist eine optimistische Annahme.

Vielleicht muss man News und Journalismus radikal zu Ende denken, um dann ein Angebot zu bauen, das nur das will – und das sein Geld wert ist. Oder eben den Service-Gedanken wählen und ebenso radikal überlegen, was sich dort besser machen lässt. Vielleicht hat „Der Abend“ den richtigen Ansatz, aber das falsche Ziel.

Constantin Seibt, Journalist und Blogger („Deadline“)

Ich finde die Skizze für die Abend-App eine bestechend schlanke Lösung für ein paar hartnäckige Probleme: das Papier und die enormen Vertriebskosten, den leisen, aber penetrante Geruch nach Altbackenheit fast aller Lokalzeitungen und den schwerfälligen Zwang zur Vollständigkeit. Chapeau, das Konzept hat Klasse. Wie auch das Anreissen der 2020-Debatte Klasse hatte – obwohl massenweise geschimpft wurde. Es zeigt Haltung, dass ein grosses Problem gross angegangen wurde. Das einzige, was in der Debatte fehlte, war die zweite Runde, also dass die einzelnen Leute nach dem Eröffnungszug miteinander reden – und ihre Thesen verteidigen müssen.

Ich glaube, die App wäre brauchbar: für den Abendausgang, die schnelle Information und zeitweise, um etwas Ärger in der Stadt zu machen. Was mir auch gefällt, dass das Unternehmen relativ klein begonnen werden kann und dann ausbaubar ist.

Natürlich fehlen noch ein paar Dinge: der Business-Plan etwa oder das publizistische Konzept.

Ausserdem, wie nach meinem Debatten-Beitrag auf Spiegel-Online nicht überraschend, würde ich dafür plädieren, redaktionsintern die Stadt nicht geographisch zu gliedern (ausser im Ausgeh-Teil), sondern nach Szenen: Und Korrespondenten in den verschieden Szenen aufzubauen: den Bankern, Werbern, Journalisten, Nachtclubs, Künstlern, etc. So dass es für alle Ehrgeizigen ein Karrierehindernis bedeuten würde, die App nicht zu halten.

Und noch etwas hielte ich für unverzichtbar: Satire. Die ist unter jüngeren Leuten eine der glaubwürdigsten Nachrichtenquellen. Und macht jedes Medium sexy: Sogar die „Welt“ ist das, so lang Zippert zappt. Klar, das Genre ist schwer zu machen, aber es gehört in jedes Nachrichtenprodukt.

Jedenfalls Dank und Respekt für den Mut, konstruktiv zu denken und sich gleichzeitig von Print- und Online-Aposteln (also so ziemlich allen) anpflaumen zu lassen.

Christiane Brandes-Visbeck, Beraterin für digitale Kommunikation

Die Logik der Anwendung ist bestechend, die Kurztexte prägnant – alles so, wie ich es von einem, der Menschen mit Texten begeistert, erwarte habe. Die Newspaper-App basiert auf sechzehn Thesen, die Schnibben aus den unzähligen Leser-Kommentaren herausgezogen hat: „Über 1000 Leser antworteten. Schimpften, lobten, argumentierten, pöbelten, schwärmten“, schreibt der Zeitungsretter in seinem Intro zu seinem modernen Zeitungsdings. Ach ja, auch ich geriet ins Schwärmen. Das Konzept wirkt schlüssig, der Kreator ist begeistert von seinem ungeborenen Baby und ich bin geblendet von der anwenderfreundlichen Lösung, die der Zeitschriftenmann den Zeitungsjungs präsentieren wird.

Sie heißt „Berliner/Hamburger/ Kölner/hmhmhm Abendzeitung“. Sie erscheint folglich am Abend, sozusagen als Roundup für den Tag, als Infoqulle für den interessierten Smartphone-User. Dieser erwartet, das sagen alle Leser, journalistische Qualität. Diese setzt natürlich auch der Spiegel- Redakteur voraus. Den zeitgemäßen Gedanken folgend, gliedert er die Nachrichten nicht nach Ressorts, sondern nach Relevanz. Wer will, kann seine eigenen Themenkanäle personalisieren, man muss das aber nicht. Leser gelten in der Welt der Zeitung von morgen als Sparringspartner. Sie mutieren vom lästigen Leserbriefeschreiber zu gern gesehene Informanden, die eigenen Content liefern, aber auch journalistische Beiträge mittels ihrer Expertise, ihres Weltwissens und exklusiver Hintergrundinformationen mitgestalten. Das Inhaltespektrum balanciert zwischen überregional und lokal, zwischen nachrichtlich und gebloggt. Und das, was die User richtig spannend finden, das wird von den Machern als journalistische Kampagne weiterverfolgt. Wow.

Überhaupt wird hier Service groß geschrieben. Nutzwert ist für Journalisten morgen kein Schimpfwort mehr. Mehrwert ist relevant, gehört dazu. Ebenso die Inhalte als Podcast zum Abhören bereit zu stellen.

Joachim Dreykluft, Online-Chefredakteur beim Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag

Die Debatte 2020, die hier auf Spon losgetreten wurde, ist gut und richtig. Die ganze Branche hat ein Thema. Alle reden darüber und haben eine Meinung. Interessant ist für mich die emotionale Volatilität, die die Diskussion aufzeigt. Vor nicht einmal einem Jahr herrschte vielerorts noch demonstrative Gelassenheit. “Lassen Sie mich zunächst festhalten: Wir werden noch viele Jahre mit gedruckten Produkten viel Geld verdienen”, hörte ich einen hochrangigen Verlagsmanager sagen auf die Frage, wie denn die digitale Strategie des Hauses aussehe. Inzwischen haben viele Schnappatmung.

Gut ist auch, dass Spiegel und Spon die Debatte nicht im Ungefähren enden lassen, sondern mit einem konkreten Vorschlag in Form einer Regionalzeitungs-App. Auf die durfte ich vor einigen Tagen einen Blick werfen. Wohlgemerkt einen Blick, deshalb folgt jetzt auch keine Detailanalyse, sondern eine grundsätzliche Einschätzung.

Der Vorschlag erfindet den Journalismus nicht neu, ist aber gut und hat Substanz. Ich würde so ein Produkt auch für Geld zumindest ausprobieren.

Richtig ist, dass die App den Spagat wagt zwischen Aktualität bei Nachrichten und Gelassenheit bei Geschichten und Analysen. Gut ist, dass sie versucht, die zeitliche Abgeschlossenheit einer Zeitung aufzugreifen, indem sie einen Erscheinungszeitpunkt hat. Zwar mag man einwenden, dass es in der digitalen Welt unlogisch ist, einen Artikel zurückzuhalten, obwohl er fertig geschrieben ist. Aber: jedes gute journalistische Produkt braucht eine Dramaturgie. Ein Produkt, das einen Verkaufserlös erzielen will, ist mehr als eine Ansammlung von Artikeln.

Einige Teile der App werden in der Praxis äußerst schwierig umzusetzen sein. Damit meine ich ausdrücklich nicht die Tatsache, dass die Redakteure gezwungen sein werden, mit ihren Lesern in einen ehrlichen Dialog zu treten. Ich habe beobachtet, wie Kollegen, die ich vor einigen Jahren als unheilbar Print bezeichnet hätte, heute ganz wild auf Leserkontakte sind, sich die Finger wundtwittern und Blogs betreiben mit lebendigen Rückkanälen. Kommunikation mit den eigenen Lesern kann süchtig machen.

Bei meinem Arbeitgeber, dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag sh:z, betreiben wir zehn journalistische Angebote auf Facebook, die pro Woche rund 100.000 Kontakte erzielen. Es funktioniert so gut, weil es sowohl in der Zentrale in Flensburg als auch in fast jeder Lokalredaktion Journalisten gibt, die Bock darauf haben.

Zwei Dinge machen mir bei der vorgeschlagenen App Sorgen. Ein technisches und ein redaktionelles. Zunächst zum technischen. Es schreibt sich leicht in ein Konzept und ist auch vollkommen logisch, dass die App einer regionalen Tageszeitung den üblichen Service bietet, vom Fernsehprogramm über das Kino, den Apotheken-Notplan bis zur Verkehrslage. Diese Informationen entstehen nicht in der Redaktion selbst, sondern müssen von externen Partnern zugeliefert werden. Und das ist ein Problem.

Denn Deutschland ist nicht maschinenlesbar. Öffentlich notwendige Informationen, gerade auch wenn sie aus öffentlichen Quellen stammen, sind in aller Regel nicht so verfügbar, dass man sie hinten an die App klemmt und sie vorne ausgespielt werden. Verschiedene Datenformate, Konvertierungsprobleme, mangelnde Verfügbarkeit und auch der Drang mancher, Banales wie Buspläne nicht herausrücken zu wollen, weil man sie ja „exklusiv“ selbst verbreiten wolle, machen den Serviceteil der App äußerst anspruchsvoll.

Die pragmatischste Lösung lautet meist: optomanuelle Schnittstelle, vulgo Abtippen, Daran wird sich aber finanziell und organisatorisch selbst eine größere Regionalzeitung auf Dauer die Zähne ausbeißen. Problematisch wird nach meiner Erfahrung auch, dass die App eine Abendzeitung sein soll – ein völlig richtiger Ansatz. Eine Abendzeitung aber ist ein Produkt, das Printjournalisten, die Morgenzeitung gewohnt sind, vor Schwierigkeiten stellt. Denn sie bedeutet einen frühen Redaktionsschluss. Ich habe Zeitungsjournalisten um wenige Dinge so leidenschaftlich kämpfen sehen wie um einen späten Redaktionsschluss. Die Macher eines unaktuellen Mediums kämpfen um Aktualität. Absurd. Das Ergebnis des Champions-League-Spiels, das am nächsten Morgen ohnehin jeder kennt, muss unbedingt in die Zeitung.

Ich ernte regelmäßig ungläubiges Staunen bei Kollegen im sh:z, dass ausgerechnet ich, der Onliner, dafür wirbt, das Rattenrennen um Aktualität nicht mitzumachen und stattdessen entspannt und lieber hintergründig zu berichten.

Bei meinem früheren Arbeitgeber, der FTD, hatten wir auf der Website FTD.de die größten Erfolge mit ausgeruhten und langen Stücken, die die Welt erklärten, während sich nebenan die Printkollegen beeilten, weil sie wenigstens die aktuelle Zahl noch abends in die Zeitung bringen wollten, wenn schon eine Analyse wegen des nahenden Redaktionsschlusses nicht mehr möglich war. Ein Redaktionsschluss gegen 17 Uhr, wie diese App ihn wohl erfordert, wird nur sehr schwer in die Köpfe von Tageszeitungsredakteuren zu bringen sein.

Eines fehlt mir am Vorschlag: ein Vertriebs- und Vermarktungskonzept. Es erscheint mir ganz wesentlich, dass wir uns nicht nur Gedanken darüber machen, wie unsere Produkte der Zukunft aussehen, sondern auch, wie wir sie verkaufen wollen.

Mit der iPad-App des sh:z sind wir Deutschlands erfolgreichster Regionalverlag mit digitalen Bezahlinhalten. Die besteht im wesentlichen aus einem leicht zu bedienende ePaper – und einem Vertriebskonzept mit einer Preisstruktur, die jeder auf Anhieb verseht (mehr dazu; http://www.shz.de/abo-service/digital/flensburger-tageblatt).

Digitale Produkte müssen mit klarer Botschaft in den Markt gebracht werden. Je simpler und selbstbewusster, desto besser. Das hat die Zeitungsbranche allerdings fast überall verlernt. Stattdessen versucht sie, auch ohne Konkurrenz aus dem Internet, Schnäppchen zu suggerieren, und verwässert damit die Wertigkeit ihrer Produkte. Es ist in Deutschland kaum möglich, eine Zeitung zu abonnieren, ohne ein “Geschenk” zu bekommen. Ich musste mich jüngst zwischen einem Stift und einer Uhr entscheiden, obwohl ich doch nur eine Zeitung wollte. Als ich nichts ankreuzte, kam trotzdem ein Stift.

Diesen Quatsch sollten wir bei digitalen Bezahlprodukten von vornherein lassen. Wenn wir der Meinung sind, dass sie etwas wert sind, sollten wir auch den Mut haben, sie erhobenen Hauptes zu verkaufen. Welcher Stifthersteller würde eine Zeitung als Geschenk oben drauf geben?

Thomas Koch, Mediaexperte, Unternehmensberater, Kolumnist für die „Wirtschaftswoche“ und „Werben und Verkaufen“

Ich habe die Zeitung der Zukunft gesehen. Sie heißt „Der Abend“.

Ich lese sehr gern Zeitung. Weil sie mich jeden Tag aufs Neue inspiriert und überrascht. Mit immer neuen Themen und Anregungen, mit denen ich nicht rechnete. Nach denen ich nicht einmal gesucht hätte. Damit bereichert mich meine Freundin, die Zeitung, mehr als jedes andere Medium. „Der Abend“ gefällt mir, weil er voller Überraschungen steckt.

Ich lese gern Zeitung. Weil ich mich gern an Meinungen reibe. Ich habe mir eben nicht zu allem und täglich jedem neuen Thema schon eine feste Meinung gebildet. Ich bin stets offen für Diskussionen. Deshalb liebe ich die Kommentare. Meine Freundin, die Zeitung, hilft mir, mich zu orientieren. „Der Abend“ geht ein Stück weiter und bietet mir auch die Interaktion, die mir so wichtig geworden ist.

Ich lese Zeitung. Weil mich meine Umgebung interessiert. Ich will wissen, was zur 825-Jahresfeier unseres stolzen Ortes alles passiert. Ob es Neues über den Brand in der Druckerei gibt. Ob der örtliche Baudezernent wieder die Hand aufgehalten hat. Ich will am Geschehen hier teilnehmen. Wenn meine Freundin, die Zeitung, das schafft, ist sie ein Teil von mir – ein unverzichtbarer Teil meines lokalen Bewusstseins. Ob „Der Abend“ das besser kann, werden wir sehen. Schwer ist es nicht.

An dem Tag, an dem meine Zeitung das alles nicht mehr liefert, werde ich mein Abonnement kündigen. Problem ist: Sie liefert das schon lange nicht mehr. Weil sie alles aufkündigt, was mir wichtig ist. Sie überrascht mich viel zu selten. Sie enthält zu viele alte Nachrichten und zu wenig Meinung. Und sie bietet mir immer weniger Lokales. Das alles und noch viel mehr will mir „Der Abend“ liefern. Ich werde ihm eine Chance geben.

Was wir derzeit erleben, ist der Übergang von der Papier- zur Digital-Zeitung. Da knirscht es an allen Ecken und Enden. Ich weiß warum:

Print ist wie Ehe: Liebe, Bindung, Zuverlässigkeit. Internet ist wie ein Seitensprung: Impulsiv, leidenschaftlich, aber ohne Nachhaltigkeit. Am Ende jedoch zerstört der Seitensprung die Ehe …

Was denken Sie über die Zeitungsdebatte und das Zeitungsprojekt „DER ABEND“?

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Impressum

Entwicklung: Jens Kuppi, Jens Radü, Cordt Schnibben, Friederike Schröter
Grafik: Kristian Heuer, Cornelia Pfauter, Michael Walter
Animation: Roman Höfner, Lorenz Kiefer
Illustration: Michael Meißner, Carsten Raffel (USOTA)
Videoschnitt: Bernhard Riedmann
Programmierung: Stefan Wallraven, Hannes Lau (X1 Cross One)
App-Entwicklung: Swipe GmbH
 
 

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