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Gott hat viele Gesichter: Der Hinduismus zeigt sein lebendiges Mosaik

Warum gibt es im Hinduismus so viele Götter? Ist es ein Polytheismus – oder vielleicht doch nicht? Lohnt es sich für westlich denkende Menschen, dem Hinduismus mehr Aufmerksamkeit zu widmen?

Ich möchte hier den vielen klugen Erläuterungen, die sich im Netz und in Büchern finden lassen, keine weitere hinzufügen – dafür meine persönliche Erkenntnis. Und die sagt ganz klar: Ja. Es kann nur Gewinn bringen, ein wenig in diese alte, aber sehr lebendige Religion einzutauchen.

Der Hinduismus basiert auf Brahman (nicht zu verwechseln mit Brahma). Brahman ist alles – das universelle Sein, das universelle Bewusst-Sein.

Aus Brahman entsteht die Trinität Brahma – der Schöpfer, Vishnu – der Erhalter und Shiva – der Zerstörer – ab und zu auch mal in umgekehrter Aufgabe unterwegs.

Alle drei haben, entsprechend beiden Lebens-Polen, Gefährtinnen.

Hindu-Pantheon - Götter

Ab hier beginnt es unübersichtlich zu werden – aber nur, wenn man sich in Details verliert.

Jeder Gott und jede Göttin zeigen sich viele hundert Male in unterschiedlichen Erscheinungsformen (Avatare) und mit unterschiedlichen Namen. Außerdem haben sie Kinder, die wiederum Kinder haben und ebenfalls teilweise Avatare. Dazu kommen Relikte früherer oder anderer Religionen, die ohne große Umstände integriert werden – sowie Reittiere, die teilweise früher Naturgötter waren, und zahlreiche Attribute sowie Mudras, die Geisteshaltung und Wirkungsweise des jeweiligen Gottes, bzw. der Göttin darstellen.

Die hier beigefügte Tabelle nennt nur die wesentlichen, im Westen bekannten Götter und Gefährtinnen. Interessant ist hier besonders Kalki, die zehnte Inkarnation Vishnus. Er wird zum Ende des Kali-Yuga erwartet, wo er den Untergang der bestehenden Welt herbeiführen wird, damit diese sich als Ganzes neu schaffen kann.

Zurzeit befinden wir uns im Kali-Yuga, der dunklen Zeit des Streits. Wann genau dieses endet, ist Gegenstand von Uneinigkeit zwischen verschiedenen Denkrichtungen. Es handelt sich beim „Weltuntergang“ jedoch, ähnlich wie im Maya-Kalender, nicht um das Ende jeder Zeitrechnung, sondern um einen Neubeginn auf höherer Ebene.

Die zweite Tabelle zeigt Erkennungsmerkmale der Götter auf: Ihre Reittiere, einige der Attribute und Besonderheiten. Sie ist jedoch bei weitem nicht vollständig, sondern soll nur ein Hilfsmittel sein, um die Darstellungen leichter zuordnen zu können. Untenstehende Bildergalerie zeigt typische Darstellungen der Götter aus den Tabellen (führen Sie die Maus über das Bild, um den Namen des jeweiligen Gottes zu lesen oder klicken Sie das erste Bild an, um zur Diashow zu kommen), erhebt jedoch ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ich möchte vielmehr das wesentliche Prinzip aufzeigen, das den Hinduismus so attraktiv macht, wenn ein westlicher Mensch Gott zu verstehen sucht.

Hauptgötter, Reittiere, Besonderheiten

Gott ist alles – Universum, universelles Bewusstsein. Soweit finden wir es auch in westlichen Darstellungen.

Da Gott alles ist, enthält der „große Geist“ auch absolut alle denkbaren Aspekte des Seins: Alle Götter, alle Perspektiven der menschlichen, tierischen, pflanzlichen, der Erd-Natur. Er ist ein riesiges Mosaik der unendlichen Möglichkeiten.

Genau das stellt der Hinduismus in unnachahmlicher Weise dar: Den Mann als Erschaffer, Verteidiger, Liebenden, Vater, Sohn, Intriganten, Krieger, Musiker, Retter vor Dämonen – und so weiter.

Die Frau als Geliebte, Mutter, Freundin, Musikerin, Glückssymbol, Sirene, Intrigantin, Kämpferin, Rächerin, Zerstörerin – und so fort.

Das Tier als eigenständigen Gott, mit allen Attributen, die auch Menschen haben – aber ebenso als Diener, als Gefährten, als Anbetenden des jeweiligen Gottes, den es trägt.

So geht es weiter mit Pflanzen, Landschaften, Bergen – kurz allem, was die Erde ausmacht.

Dem Suchenden eröffnet sich ein wundervolles Mosaik des lebendigen Göttlichen. Indem er sich einlässt, kann er in sich selbst – dem vollständigen Abbild Brahmans – bestimmte Aspekte verstärken oder abschwächen, um das gewünschte göttliche Gleichgewicht zu erreichen.

Das geschieht durch geistige Übung wie Meditation, das Lesen der zahlreichen heiligen Bücher – das Rezitieren von Mantras. Es geschieht durch körperliche Übung, wie sie im Westen beispielsweise als Yoga bekannt ist, im Zweifelsfall geschieht es durch radikale Lebensveränderungen wie Aufgabe aller Güter, Leben in Askese, Leben in ungewöhnlichen Gemeinschaften und vieles mehr.

Wie auch immer man es betrachtet: Der Hinduismus hat anderen Religionen voraus, dass er Strömungen des Zeitgeistes mühelos als Teil Brahmans in seinen Pantheon integriert. Nichts wird bekämpft, alles darf sein. So ist die reine Lehre ein Meisterstück, was die Definition Gottes angeht.

Sollten Sie sich also mit dem Hinduismus beschäftigen wollen, lohnt es, in den scheinbaren Wirrwarr wenigstens der Haupt-Götter einzutauchen. Es gibt dazu unzählige „biblische“ Geschichten, in denen die Götter sich sehr menschlich aufführen. Sie sind eifersüchtig, neidisch, machtgierig, liebestoll … aber auch heldenhaft, Beschützer, Ratgeber,  Helfer in allen denkbaren Notlagen. Bunt wie der indische Kontinent sind die Formen der Anbetung.

Aber klar und keineswegs missverständlich sind die ethischen Aufgaben, die hinter den manchmal fast kindlich anmutenden Göttergestalten stehen.

Auf den geistigen Yogaweg zu gehen, ist auch für den westlichen Menschen von heute eine lohnenswerte Aufgabe. Sie führt zu tiefem Verständnis von allem, was ist und kann sogar befrieden mit Inhalten, die in Ihrer Geburts-Religion alles andere als zufriedenstellen.

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Siehe auch:

Fotoalben der Hindu-Götter,

Naga, Sesha, Kundalini: Die Schlange als machtvolles Symbol

Wie „Svaha“ bei rituellen Anrufung Pflicht wurde  

Ardhanareshwara: Das tantrische Prinzip von Shiva und Shakti

Kundalini ist frei von Ich-Ansprüchen

Tantra ist mehr als guter Sex

Die uralte Geschichte, wie „Svaha“ bei rituellen Anrufungen Pflicht wurde

Das Wort „Svaha“ ist vor allem praktizierenden Buddhisten ein Begriff – enden doch eine Vielzahl von Mantras damit – auch das wichtigste, die Herz-Sutra. Hier wird die Essenz des Buddhismus formuliert. Tatsächlich ist Svaha aber viel älter als der Buddhismus, der eine von vielen Reformen des Hinduismus darstellt. Der Hinduismus entstand etwa zwischen 2000 und 1000 vor Christus, der Buddhismus etwa 550 vor Christus.

Yogi Ananda Saraswathi hat es sich zur Aufgabe gemacht, Begriffe, Rituale, Götter, Mythen und Traditionen des Hinduismus in englischer Sprache niederzulegen. Den folgenden Text habe ich ins Deutsche übersetzt.

Svaha bedeutet übersetzt: So soll es sein. Es kann auch aufgeteilt werden in die Silben „su“ (gut) und „ah“ (gerufen). Die Rig-vedische Bedeutung ist Hingabe. Wann immer rituelle Handlungen im Namen Gottes durchgeführt werden, nutzt man das Wort „Svaha“ während des Opfers. Die Shatapatha Brahmana schreiben dem Wort „Svaha“ magische Bedeutung zu.

Die Göttin Svaha regiert im Hinduismus über alle Feueropfer. Man betrachtet sie, die Frau von Agni, als untergeordnete Göttin, die eigentlich eine Nymphe war. Durch ihre Ehe mit Agnis wurde sie unsterblich. Manchmal wird Svaha gleichgesetzt mit Uma und Parvathi. Ihre Söhne heißen Pavak, Pavaman und Suchi. Laut Vayu Purana steht Pavak für das elektrische Feuer, Pavaman für Feuer, das aus Reibung entsteht und Suchi für das Sonnenfeuer.

Svaha Devi wird während aller Homan, Yagas und Yainas (zeremonielle Anrufungsrituale) gerufen. Man glaubt, dass wenn das Wort „Svaha“ bei Feueropfern und Bittritualen nicht zitiert wird, die angerufenen Götter alle Opfergaben ablehnen. Zusammen mit Agni wird Svaha in einem Feuerritual von Ehegatten angerufen, um zwischen beiden Frieden und außerordentliche Nähe herzustellen.

Man sagt, dass der Körper der Göttin die vier Veden und ihre sechs Zweige verbindet. Man hält Svaha für eine der heiligen Mütter Skandas.  In ihrer extremen Erscheinungsform steht sie für die Frau Rudras. Verschiedenste Götter des hinduistischen Pantheons werden mit Svaha in Verbindung gebracht, darunter Shiva, Skanda, Krishna, Shri und Saraswathi.

Die BRAHMAVANTARA PURANA: Hier stellt Svaha Pakriti dar, die (weibliche) Shakti-Kraft, ohne die Agnis nicht brennen kann. Die drei Kinder sind die drei Feuer des Haushalts: Dakshina, Garhaptya und Ahavaniya. Die Opfer sind wirkungslos, wenn das Wort Svaha nicht benutzt wird.  In der Mahabaratha warden die drei Söhne beschrieben als Karma Agnis, die Verkörperung der Schönheit, Amogha Agni, das unsichtbare Feuer und Ukta, die Erlösung. Uktha zeugte Panchajanya, einen weiteren Gott des Feuers.

MAHABARATHA: Die Kritikas sind glücklich mit den sieben Sternen (Saptha Rishis) verheiratete Frauen. Sie heißen Kashyapa, Atri, Bharadhvaja, Vishvamitra, Gauthama, Jamadagni und Vashishta. Ihre Beziehung zueinander wird gestört, als Agnis die Schönheit der Kritikas entdeckt und jeder der sieben Frauen Offerten macht. Alle lehnen ab und verletzen ihn damit. Agni versteckt sich im Wald, um seine nächsten Schritte zu planen. Dort entdeckt ihn die Tochter von Brihaspati, Svaha, die in der Lage ist, die Form eines Sterns anzunehmen. Svaha ist auch als Manyauti, bzw. Manyanti bekannt und als solche präsent in allen Dingen. Sie verliebt sich in Agni, aber der weist sie zurück, so wie ihre Mutter ihn zurückgewiesen hat. Svaha ist nicht bereit aufzugeben, verkleidet sich als eine der Kritika und verführt Agni.  

Erfreut über ihren Erfolg nimmt sie nacheinander die Form der sechs anderen Kritika an. Als sie zur siebten und letzten wird, erkennt Agni die Täuschung, weil Svaha außer Acht gelassen hat, dass die siebte Kritika ihrem Ehemann äußerst ergeben ist. „Dank dir habe ich meinen Durst gestillt, ohne die heiligen Gesetze der Ehe zu brechen und ohne den Zorn der Sapta Risis hervorzurufen“, sagt er zu Svaha. Agni akzeptiert Svaha als seine Gefährtin und erklärt, er werde fortan keine Anrufung mehr entgegennehmen, ohne dass ihr Name beim Opfer genannt wird. Während der Yagna Zeremonie sagt deshalb der Priester jedes Mal, wenn er Milch oder Butter ins Feuer tropft „Svaha“.

Die Mythen berichten auch, dass die Göttin eine außergewöhnliche Methode der Geburtenkontrolle nutzte: Sie sammelte den Samen Agnis während der sechs intimen Begegnungen, verwandelte ihn in Vögel, die Suparni und hielt diese in einer Höhle gefangen. So wurde sie nicht schwanger. Die Höhle aber gebar einen Sohn, der Skanda genannt wurde. Das Kind, das aus der Liebe Agnis mit Svaha entstand, hieß Agneya. Er war ein heiliger Krieger mit der Kraft von sieben Männern.

Gerüchte besagen, dass die sechs Kritikas Skandas Mutter waren. Sie wurden deshalb von ihren Männern geschieden und zu einem anderen Teil des Nachthimmels gesandt. Es muss auch festgehalten werden, dass Skanda als Sohn Shivas gilt und dass Agni den feurigen Samen von Shiva zu Gangha trug. Die deponierte ihn in den Wäldern, wo Skanda als sechs Babies geboren wurde, die alle der Kritika Nakshatra ähnelten. Die Göttin Parvati führte die sechs Babies später zusammen.

BHAGAVATA PURANA: Ein vergleichbarer Moment ergab sich, als sich nach der Schöpfung aller weltlichen und himmlischen Wesen eine bestürzende Frage stellte: Zwar konnten die menschlichen Wesen essen und trinken, was die Erde ihnen bot – aber es gab nichts Vergleichbares für die Götter. Deshalb entschied Brahma, der Schöpfer, dass alle Opfergaben, die auf der Erde ins heilige Feuer gegeben wurden, den Göttern als Nahrung dienen sollten. So kam es, dass auch die Götter die große Göttin Svaha verehrten, die vor ihnen Gestalt angenommen hatte.

Die versammelten Götter sprachen also: „Oh Göttin, werde zur brennenden Macht des Feuers, das nichts verbrennen kann ohne dich. Am Ende eines jeden Mantras wird, wer immer dabei deinen Namen im Munde führt und Opfergaben ins Feuer wirft dafür sorgen, dass diese direkt zu den Göttern wandern. Mutter, werde zur Heimat allen Wohlstands und regiere ihn als Herrin im Haus des Feuers.“

Daraufhin näherte sich sogar Agni sich der Göttin des Feuers nur furchtsam und betete sie an als Mutter der Welt. Dann aber wurden beide beim Singen heiliger Mantras in den Knoten der  Ehe gezogen. Seitdem glaubt man, dass wer immer Trank-Opfer in die heilige Flamme gibt und das Wort „Svaha“ dazu spricht, all seine Wünsche sofort erfüllt bekommt.

Zu lesen in der Devi Bhagavata Purana: 9.43