Schlagwort: Seelengefährte

Dualseele, Zwillingsflamme, Liebe: Die große Sehnsucht, nach Hause zu kommen

Seelengefährten, Duale, Zwillingsseelen, Twin Flames – die perfekte Liebesbeziehung, das Verschmelzen mit dem Anderen zu einem vollkommenen Ganzen –  es ist eine Sehnsucht, so alt wie die Menschheit selbst. Unzählige Foren, Channelings, wunderschöne Youtube-Videos, halten diese Sehnsucht – vor allem bei Frauen – lebendig und profitieren finanziell davon. Ein Mann, der eine Frau um den Finger wickeln möchte, hat es leicht, sobald es ihm gelingt, sie zu überzeugen, dass auch er auf der Suche nach seiner Zwillingsseele ist.

Was hat es auf sich mit diesem Zwillingsflammen-Konzept? Ist es eine reine Wunschvorstellung, oder vielleicht doch mehr?

Nein, ich will hier nicht eine weitere Abhandlung zur Frage formulieren, wie, bzw. wann und unter welchen Schwierigkeiten zwei Dualseelen sich in der heutigen Zeit des Aufstiegs finden können, bzw. werden.  Oder sagen wir: nicht nur… 😉

Schauen wir zunächst auf das Prinzip hinter dem Konzept der Zwillingsseele: Es geht um die Vereinigung der männlichen mit der weiblichen Kraft. Nur wenn beide Energien zusammen kommen, entsteht ein vollständiges Ganzes. Ein perfektes Ganzes. Etwas göttliches. Etwas Gott-Gleiches.

Damit sind wir beim übergeordneten Thema: Die Heimkehr zu Gott, die Verschmelzung mit dem reinen, perfekten, universellen Einen, aus dem wir gekommen sind – das ist die Grund-Sehnsucht jeder Religion, egal nun, ob monotheistisch, in der Verehrung eines tausendköpfigen Pantheons oder in Naturreligionen aller Art. Unvollständig fühlen wir uns – fehlbar, verletzlich, schutzbedürftig, klein, allein – und sterblich. Unter dem Schutz eines allmächtigen großen Geistes wären wir das nicht mehr; vielmehr wäre unsere Zukunft hell, voller Liebe und vor allem unendlich.

Für mich ergibt sich daraus umgehend die nächste Frage: Wenn Gott hell, voller Liebe, unendlich, unsterblich, allwissend und allmächtig ist: Warum hat er sich dann milliardenfach fehlbar und sterblich inkarniert?

War ihm langweilig? Ist er ein Narzisst? Sucht er ein DU?

Auch die Kirche weiß darauf nicht wirklich eine Antwort. Recht verschraubt formuliert das Neue Theologische Wörterbuch:  „Die Selbstmitteilung Gottes an den Menschen wäre eine mögliche freie und radikal höchste Antwort Gottes auf diese Frage. In diesem Zusammenhang besagt Inkarnation, dass Gott selber Frage und Fraglichkeit zu eigen angenommen hat und daß er darin sich selber zur Antwort gibt. Dabei wird, wie das Dogma von Chalkedon sagt, der Wesensunterschied von Göttlichem u. Menschlichem nicht vermischt. ”Dasjenige“ an Gott, was der Kreatur Mensch mitteilbar ist, wird als sein Wort in der Inkarnation und als sein Geist (Heiliger Geist ) dem Menschen bleibend zu eigen mitgeteilt, ohne sich in es zu verwandeln. Vom Menschsein her gesehen könnte die Übereignung des Menschen Jesus an Gott, die den Menschen mit Gott eint, ohne dass er in Gott verwandelt würde, als Selbsttranszendenz gesehen werden.

Gott hat einen Teil von sich geteilt

Zu deutsch: Gott wollte sich selbst erfahren (vielleicht sogar weiter entwickeln?) und hat deshalb einen Teil von sich in viele kleine Teile aufgespalten, die stärker materialisiert sind, aber auch nur über eine kurze materielle Lebenszeit verfügen. Diese vielen kleinen Teile – im weitesten Sinne also nicht nur Menschen, Tiere und Pflanzen, sondern auch der Planet Erde mit allen anderen Planeten im Universum, haben eines gemeinsam: Sie bilden zwar die ganze Größe und Vollkommenheit Gottes ab, ja, stellen Gott selbst in einem einzigen großen, lebenden Organismus dar, sind aber dennoch nicht Gott. Vielmehr bildet Gott sich selbst körperlich ab, um in einem DU Antworten zu finden. Eine Ausnahme ist Jesus: Er ist die direkte Materialisierung Gottes als Mensch. In seinem Tod transzendiert er und wird wieder zu Gott selbst.

Lässt man die jeweiligen glaubensspezifischen Details der Weltreligionen einmal weg, sind alle Suchenden auf einem vergleichbaren Weg. Es gibt einen „großen Geist“, der das Leben steuert, aus dem der Mensch gekommen ist und zu dem er wieder zurück kehren wird. In seiner derzeitigen materiellen Existenz kann er nur mit Mühe und großer Übung in Kontakt mit dem Über-Menschlichen treten; sei es etwa durch Yoga-Übungen und -Meditationen wie im Hinduismus, durch schamanische Reisen wie in den Naturreligionen, durch Whirling wie im Sufismus. Quer durch alle Religionen ziehen sich mystische Erfahrungen, die Lehren der Mystiker sind im Judentum, im Christentum und im Islam gleichermaßen ein fester Bestandteil. Auf einem ähnlichen Weg sind die heutigen Esoteriker. Auch hier glaubt man an die liebevoll steuernde, höhere Intelligenz, mit der sich Kontakt aufnehmen lässt, zum Beispiel durch Channeling. Das Vokabular ist anders, die Deutungen bunter, so manche der Mainstream-Praktiken oberflächlich, aber das Suchen ist das gleiche.

Insgesamt gesehen kommt zur offenen Frage, warum Gott sich solche Mühe macht zu inkarnieren, das Problem, dass alle Glaubens-Erlebnisse, Erleuchtungen und andere mystischen Erfahrungen rein geistig, nicht körperlich sind. So gesellt sich zu unserer Sehnsucht, von Unvollkommenheit und Tod erlöst zu werden, eine ganz konkret materiell-lebendige: Jeder Mensch sucht einen Gegenpol – und zwar zum Anfassen. Damit entspricht er einem Naturgesetz: Alles Lebende sucht die Vereinigung zwischen männlichen und weiblichen Energien – zunächst einmal, um die Art zu sichern. Darüber hinaus ergänzen sich die beiden Prinzipien natürlich weit tiefer.

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Besonders gut lässt sich die Tiefe der Dimension am taoistischen Prinzip des Yin und Yang erkennen. In der Natur zeichnet sich das weibliche Yin zum Beispiel durch den Mond, Dunkelheit, Stille und Erde und das männliche Yang durch Sonne, Licht, Bewegung und Himmel aus. Beide Elemente formen in ihrer Gegensätzlichkeit eine Einheit. Wenn in der Natur Yin und Yang zusammenkommen, wird Leben kreiert. Trennen sie sich, wird Leben zerstört. Der Mensch erlangt und bewahrt Gesundheit durch ein Leben im Gleichgewicht. Im Westen vielfach vereinfacht als harmonischer Zusammenklang männlicher und weiblicher Energie verstanden, stellt das Yin Yang ein vollständiges kosmisches Gesetz dar: Es geht um den Menschen als „Partner“ des Himmels, das berühmte „wie oben, so unten“.  Sehr genau, allerdings im Original auch sehr wortarm ausgearbeitet, ist dies im I Ging, dem Buch der Wandlungen, das trotz zahlreicher westlicher Interpretationsversuche für die hiesige Denkweise weitgehend ein „Buch mit sieben Siegeln“ geblieben ist.

Vergleichbar vielschichtig ist das Bild von Ardhanareshwara im Hinduismus, zu dem ich einen separaten Blog veröffentlicht habe. Aber hier, wo man jahrundertelang sexuell nicht prüde war, findet sich der direkte Bezug zur heutigen Suche nach der Dualseele. In Ardhanareshwahra vereinigt sich Shiva, der gestaltende männliche Gott mit seiner Shakti, der erhaltenden, weiblichen Göttin. Sie tun dies in der Mythologie auf sehr menschliche Weise körperlich. Sie zeugen Kinder, werden damit dem Naturgesetz gerecht, sie genießen ihre Lust durch ihre Körper – und sie erleben die vollkommene Verschmelzung zu einer neuen, kosmischen Einheit, die nicht nur die höchste Stufe möglicher Entwicklung, sondern auch das größte, denkbare Glück darstellt.

Ist es „normalen“ Menschen möglich, diesen Grad der Verschmelzung zu erreichen – und wollen sie das überhaupt?

Plumps – willkommen zurück in den Niederungen des Alltags. 😦

Der Alltag mit all seinen Problemen und Widersprüchen… Im Alltag braucht jedes Individuum ein gesundes „Ich“, das vor jedem „Wir“ erst einmal das Überleben sichert. Das einfachste Beispiel dazu: Ein Säugling will vor allem anderen erst einmal Milch, Wärme und Schutz. Ob es seiner Mutter gut geht, interessiert ihn in diesem Stadium nicht. Soziale Kompetenz, Hinwendung zum Du, im Extremfall Altruismus, werden erlernt. Das Zusammenleben in einer immer bevölkerungsstärkeren Gesellschaft verlangt Regeln. Dazu gehören Teilen und Fürsorge, aber auch Ellenbogen und Intrigen: Das Berufsleben ist ein Haifischbecken, sogar Nachbarschaft und Familie können dazu mutieren.

Der persönliche Freiraum ist also eng, die meiste Gestaltungsfreiheit liegt, für die Öffentlichkeit kaum sichtbar, im Privatleben, in den Beziehungen. Hier kommt nun alles zusammen: Der Mensch, getrimmt auf Kampf, auf das Betonen seiner Individualität, der Mensch aber auch in seinen Ängsten, in seinem Schutzbedürfnis, in seinem Wunsch, unverstellt als das angenommen, ja, geliebt zu werden, was den Kern seiner selbst ausmacht. Der Mensch aber auch, der von schmerzlichen Erfahrungen geprägt wurde, die er nicht wieder erleben möchte; kurz: Wir stecken in einem Spannungsfeld aus Anziehung und Abstoßung, aus dem Wunsch nach totaler Verschmelzung und der Angst vor dem Verlust der eigenen Identität. Das geht so weit, dass ein zu starker Wunsch nach Verschmelzung gesellschaftlich als krank angesehen wird; man findet ihn beispielsweise beim Borderliner, der ein schwaches, manchmal kaum vorhandenes „Ich“ durch eine Verschmelzung mit dem „Du“ kompensieren möchte und, da das so nicht möglich ist, an seiner Sehnsucht schier verzweifelt.

Dennoch braucht der Mensch ein „Du“, um sich vollständig zu fühlen. Auch die Sehnsucht nach Verschmelzung ist natürlich. Hier offenbart sich nun der gesamte Konflikt, der in Partnerschaften programmiert ist: Sobald die Sehnsucht nach Nähe gestillt wurde, muss unausweichlich eine zumindest teilweise Abstoßung erfolgen, damit die Partner sich ihrer Individualität wieder bewusst werden können.

Ok, das gilt für „normale Partnerschaften.“ Aber wenn man seine Dualseele findet, gilt das doch nicht. Oder?

Dualseele – was ist das genau?

Hier erst einmal die Mainstream-Definition von Seelengefährten und Dualseelen:

Als Gott beschloss, sich selbst zu erfahren, teilte er seine Weltenseele in viele kleine Seelen-Mosaiksteinchen. Jedes dieser Steinchen wiederum bestand aus einem männlichen und einem weiblichen Teil, die getrennt voneinander inkarnierten. Die Seelen inkarnierten nicht alle gleichzeitig, sondern in Gruppen nacheinander. Alle aus der jeweils gleichen Gruppe können sich theoretisch im Menschenleben wieder treffen: Das sind die Seelengefährten. Sie unterstützen sich gegenseitig, begegnen sich oft in verschiedenen Leben in jeweils unterschiedlichen Rollen immer wieder: Mal als Mutter und Tochter, mal als Bruder und Schwester, und so weiter.

Nur ein einziger Mensch jedoch kann die Dualseele sein, der zweite Teil, der das einzelne Mosaiksteinchen vollkommen macht. Man trifft ihn während zahlreicher Inkarnationen überhaupt nicht, weil beide Teile unabhängig voneinander eine Entwicklung absolvieren müssen, bis sie bereit zum Wiederaufstieg sind. Erst in der letzten Inkarnation, so immer noch der Mainstream, finden beide Teile in Menschengestalt wieder zusammen – im idealen Fall als Mann und Frau. Dies, so kann man in unzähligen Foren lesen, ist zurzeit besonders häufig der Fall, da die Menschheit sich in großem Tempo auf einen Break Even zubewegt: Einen Zeitpunkt,  der sozusagen die Guten von den Bösen trennt. Die Guten steigen wieder auf zu Gott, die Bösen gehen unter, um auf der Erde einen neuen Zyklus von Inkarnationen möglich zu machen.

Die Menschen also, die vor dem Wiederaufstieg stehen, so die Theorie, haben in zahllosen Leben eine große innere Reife erlangt und stehen jetzt vor ihrer letzten Herausforderung: Der Aufgabe des eigenen Ich zugunsten der Verschmelzung – erst mit dem Du, dann, als wieder vollständige Identität, mit Gott, bzw. der Weltenseele selbst.

Treffen die Twin Flames, die Zwillingsflammen, aufeinander, durchleben sie in großer Geschwindigkeit und sehr heftig noch einmal alle Anziehungs- und Abstoßungskonflikte ihrer vergangenen Inkarnationen, dies jedoch auf Basis ihrer bis dahin erreichten seelischen Reife. Das bedeutet: Sie erkennen, wo und wie sie sich spiegeln, sie haben eine sehr starke innere Verbindung, die bis hin zu telepathischem Kontakt geht und sie erinnern sich teilweise an vergangene Leben. Haben sie noch nicht alle Aufgaben ihrer materiellen Existenz gelöst, verlieren sie sich so lange immer wieder, bis sie ihre letzte Inkarnation erreichen. Dann sind sie bereit, wieder eins zu werden und gemeinsam im großen Geist aufzugehen.

Soweit der Mainstream.

Äthiopien

Hier fehlt allerdings ein entscheidender, leider nicht umsatzfördernder Aspekt: Wenn es richtig ist, dass alle Seelen, die zurzeit Gestalt angenommen haben, Teil einer einzigen, großen Seele sind, ist auch jeder von uns zu jeder Zeit ein Teil Gottes. Alle göttlichen Prinzipien sind in jedem Menschen vollständig angelegt: das passive wie das gestaltende, das männliche wie das weibliche, die Anziehung und die Abstoßung; ja, der gesamte Kosmos. Die Aufgabe ist nicht, eine Trennung zu überwinden, sondern zu erkennen, dass wir nie getrennt waren.

Erlösung finden kann folglich nur, wer zuerst einmal die eigene Existenz ohne wenn und aber akzeptiert. Das geht von der krummen Nase oder zuviel Hüftgold, der  angeborenen Rechenschwäche oder dem eigenen Wunsch, sich immer wieder wie ein Pfau vor anderen zu präsentieren, bis hin zum Annehmen der eigenen Angst vor (zeitweiliger) Verschmelzung, die den Tod des Ichs bedeutet. Es ist ein langer, schmerzhafter Weg des Abschieds von einem perfekt schönen Ideal – zunächst in sich selbst, in der Folge in den Anderen. Es ist ein Loslassen, das jeden Tag neu beginnt, ein Abwerfen von Ballast, ein Aushalten der Widerstände gegen diesen Prozess, ein Suchen der Quelle.

Erst wenn dies geschafft ist, der Mensch in Ruhe bei sich selbst verweilen kann und zu erkennen vermag, dass alles, was er braucht, in ihm selbst in genügender Menge vorhanden ist – erst dann ist er fähig, in gleicher Weise auch seinen Partner anzusehen. Dann ist er bereit für das wahre Wunder der Liebe: Er lässt sich selbst los, ohne den Anderen statt dessen absorbieren zu wollen. Zwei Gleichstarke können sich verbinden, ihr Ich weit genug aufgeben, um gemeinsam eine neue Identität zu bilden. Der Lohn ist weit mehr als körperliche Lust – es ist eine spirituelle Ekstase, wie sie jedem Schöpfungsprozess innewohnt, ein Erfahren des Göttlichen am eigenen Leib, im eigenen Geist, in der eigenen Seele.

Es hilft also nichts: Weder fällt  uns die Zwillingsseele kampflos in den Schoß, noch können wir unsere Sehnsucht stillen, indem wir versuchen, das geliebte Gegenüber entsprechend zu erziehen. Nur die Arbeit am eigenen Ich bringt uns wirklich weiter.

Setzen wir uns also hin, bleiben wir bei uns, schauen wir nach innen, bevor wir das Außen gestalten und lassen wir die Bilder los, von denen wir glauben, dass sie unsere Zwänge oder Ideale darstellen. Reinigen wir uns von Ballast, üben wir Toleranz und Geduld, erkennen wir, das wir bereits vollkommen sind – und geben wir unserem Dual die Chance, das gleiche zu tun, bis es bereit ist, sich mit uns zu verbinden. Dann bleibt nichts, aber auch gar nichts unmöglich.

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Siehe auch:

Wolfsnatur und Pantherherz: Eine schamanische Reise zur Dualseele

Halb zu leben bin ich nicht gemacht

Tantra: Das Geheimnis der Vereinigung von Shiva und Shakti

Tantra ist mehr als guter Sex: Es stellt das universelle Prinzip der Schöpfung dar

Kundalini: Die universelle göttliche Kraft ist frei von allen Ich-Ansprüchen

Ardhanareshwara, das universelle Prinzip von Shiva und Shakti

Update: Ersatzreligion Liebe

Update: Niemand überlebt die Liebe unbeschadet

Wolfsnatur und Pantherherz – eine schamanische Reise zur Dualseele

Unter schamanischen Reisen versteht man eine Trance, hervorgerufen durch einen monotonen Rhythmus, wie etwa den einer Trommel, oder auch durch Tanz. Diese Art der Seelenschau wird rund um den Globus von Naturvölkern praktiziert. Es gibt darunter, etwa in Mittel- und Südamerika, auch Völker, die „natürliche Drogen“ nutzen, um in einen bewusstseinserweiterten Trancezustand zu gelangen.  Solche Drogen sind jedoch keineswegs notwendig, um eine Bilderreise in die Welt der eigenen Seele zu machen, deren Wünsche und Ziele zu erkennen und gegebenenfalls Lösungsmöglichkeiten zu finden.

Die erlebten Bilder sind nur in Einzelfällen auch eine Zukunftsschau. Zumeist handelt es sich um Seelenthemen, die sich mit Hilfe von Symbolen einen Zugang ins Wachbewusstsein bahnen und dem „Reisenden“ damit ein Stück Klarheit über sich selbst verschaffen.

 *

Als der  Gebieter über sein Reich blickt, ist sein Herz voller Stolz.  Hohe Berge und kristallklare Seen in stillen Wäldern gehören dazu; tropische Vegetation beherrscht die  tieferen Lagen, wo auch sein Palast steht. Er schaut aus dessen Fenster auf sein Volk, das fruchtbares Land bearbeitet und sieht in der Ferne das weite Meer.

Fröhlich sind die Gesichter seiner Untertanen, seit der Kaiser beschlossen hat, seine Macht und sein Wissen mit ihnen zu teilen. Nun gibt es genügend frisches, reines Wasser, die Bauern nutzen einfache, aber durchdachte Anbaumethoden, und sogar frischer Fisch erreicht täglich den Palast. Wohlstand für alle hat der Herrscher bewirkt, und sein Volk dankt es ihm mit Ehrerbietung.

Der Gebieter ist noch immer ein schöner Mann. Machtvoll schauen dunkle Augen unter den dichten Brauen hervor – seine grau melierten Schläfen unterstreichen die Aura der Weisheit, die ihn umgibt – seit diesem Kampf. Er war ein furchtloser Krieger in jüngeren Jahren – zog zu Felde gegen alle Feinde seines Reiches und blieb siegreich – auch wenn an jenem Tag sein Leben nur noch an einem seidenen Faden gehangen hatte. Ein Krieger Gottes hatte ihn mit dem Schwerte geschlagen und todbringende Wunden am ganzen Körper beigebracht. In jener Nacht hatte der Kaiser Gott gesehen und dessen Auftrag gehört, der ihn zurück sandte auf Zeit, um gerechtes Teilen zu üben.  Obwohl er nie darüber sprach, geht seitdem ein Raunen durch sein Volk, wann immer er sich zeigt, und die Menschen lächeln ihn dankbar an.

Und doch … als er die weiten Ebenen betrachtet, die unter der goldenen Sonne von innen heraus zu leuchten scheinen, zieht sich die Stirn des Gebieters schmerzvoll zusammen. An manchen Tagen fehlt sie ihm sehr, die Gefährtin an seiner Seite. Die Frau, die ihm bedingungslos folgt, die Seele, die seine Seele und sein Werk versteht, ein  Verstand, der seinen erfasst, aber nicht bekämpft; eine Liebe, die ihn annimmt, wie er ist und das Misstrauen seiner Wolfsnatur, die gegen jede Form von Verrat – und sei sie auch noch so gering – mit tödlicher Härte vorgeht, mit ihrer Liebe heilt.

Unruhig durchmisst der Gebieter den großen Hauptraum des Palastes. Es muss etwas geschehen. Er wird eine Pilgerreise unternehmen zu dem weisen Mönch, der hoch oben in den Felsen lebt. Gleich morgen wird er gehen.

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Es ist ein knapper Tagesmarsch, erst langsam, dann steil bergan zu den Granitfelsen auf dem höchsten Berg seines Landes. Der Gebieter  ist gut zu Fuß, er hat seinen Körper als Gefäß  des großen Geistes stets in Ehren und in Form gehalten. Federnden Schrittes durchquert er den tropischen Wald auf schmalen Pfaden und freut sich dabei an der Vielfalt von Vegetation wie Tierwelt.

Dort wo die Luft langsam kühler und der Wald stiller wird, zweigt ein Pfad in rechtem Winkel von seinem Weg ab. An der Kreuzung bemerkt der Herrscher eine kupferne Statue der grünen Tara unter einem hölzernen Dächlein, davor liegen zahlreiche kleine Opfergaben und Dankesbotschaften.

Hier muss er sein, der Weg zu der weisen Frau, von dem ihm die jungen Geliebten, die er zeitweise zu seiner Zerstreuung in den Palast holt, immer wieder berichten. Sie sei Zuflucht der Rat suchenden Frauen, vernahm er – und verfüge über geheimnisvolle Kräfte und viele Gesichter. In einem plötzlichen Impuls  biegt der Gebieter ab und folgt dem bemoosten Pfad. Es wird still im Fichtenwald, der ihn nun umgibt, und er zieht seinen Umhang etwas dichter um die Schultern.

Nach wenigen Gehminuten erreicht er die kleine Hütte, die sich unter eine alte Fichte duckt.  „Komm herein“, sagt freundlich eine Stimme aus dem Innern – „aber lass dein Schuhwerk vor der Tür“.

Schmunzelnd gehorcht der Gebieter und tritt in den niedrigen Raum ein, für den er fast zu hoch gewachsen scheint. Drinnen bleibt er staunend stehen. Die kleine Frau, die da im Lotussitz auf einem Kissen vor dem Feuer sitzt, ist ganz in weiches, rötliches Leder gekleidet. Neben ihr liegen eine flache Schamanentrommel und ein Federwedel – im Halbdunkel hinter ihr scheint ein Waldkauz auf einer Stange zu schlafen.

„Suche dir einen Sitz aus“. Warme braune Augen schauen den Herrscher wissend an, ein Lächeln begrüßt ihn  freundlich, und er schaut etwas unschlüssig auf die drei zur Verfügung stehenden Sitzmöglichkeiten. Da sind ein Meditationskissen, ein halbhoher Schemel ohne Lehne und ein bequem gepolsterter Lehnstuhl.  Den würde er normalerweise nehmen – aber da er sich noch nicht zu erkennen geben, sich andererseits nicht auf gleiche Ebene mit der Unbekannten begeben will, nimmt er den Schemel.

„Von wo kommst du“ fragt deren freundliche Stimme nach einer angemessenen Wartezeit. „Aus einem Land der Einsamkeit“, antwortet der Gebieter, und in seiner Stimme schwingt unausgesprochener Schmerz. „Wohin gehst du?“  Der große, schlanke  Mann auf dem Schemel ist verwundert ob der Ansprache, antwortet aber wahrheitsgemäß: „Auf einen ungewissen Pfad“.

„Was suchst du?“  Er schaut die Frau vor sich nachdenklich an. Um ihre Gestalt scheinen sanfte Farben in verschiedenen Pastelltönen lebendig hin und her zu wabern. Unter seinem Blick verändert sich der ihre. Täuscht er sich – oder sind ihre Augen auf einmal smaragdgrün? Er meint, ein dunkles Grollen zu hören. Aber nein, nur der Kauz im Halbdunkel ist erwacht und hat einen scharfen Blick aus dem geöffneten rechten Auge auf die beiden geworfen.

Der Gebieter beschließt, von seiner Suche zu berichten. Aber zuvor wird er die Frau warnen. Niemand verrät den Herrscher dieses Landes, auch nicht eine weise Schamanin. Zollt sie ihm nicht den Respekt, der ihm gebührt, wird sie sterben.

„Ich bin der Gebieter dieses Landes“, beginnt er und wirft einen forschenden Blick in ihr Gesicht. Sie ist nicht mehr jung, aber sein geübtes Auge sieht: Noch ist ihre Schönheit nicht vergangen. „Jeden, der mich verrät, schlägt mein scharfes Schwert bis zum Tode.“

Ruhig wartet sie ab, scheint ungerührt.

„Ich habe alles, was ein Mann sich wünschen kann: Das schönste Land der Erde gehört mir – meine Untertanen sind satt, ehrerbietig und zufrieden. Meine Feinde sind vernichtet. Ich bin in den besten Jahren, es geht mir gut. Aber – ich bin allein. Ich brauche eine Gefährtin, ergeben, klug und feinfühlig. Sie soll mich lieben, verstehen und bedingungslos akzeptieren; kurz: Ich suche meine Zwillingsseele.“

So, jetzt ist es heraus. Feine Schweißperlen stehen auf seiner Stirn, er fühlt sich fast lächerlich auf diesem unbequemen Schemel, von dem er auf dieses skurrile, unbekannte Weib herabschaut. Was ist nun das? Ihr Unterleib auf dem Kissen beginnt zu leuchten, wird heller, rötlich-orange, fast transparent. Er nimmt eine zusammengerollte Schlange darin wahr, deren Kopf sich langsam hebt. Höher und höher steigt die Schlange entlang der Wirbelsäule auf. Unvermittelt entfährt dem Gebieter ein Laut der Überraschung. Die Frau zu seinen Füßen schaut auf – misst ihn mit einem nun stechenden, wieder smaragdgrünen Blick….

Das Schweigen zwischen ihnen wird schwer, kaum noch erträglich, bis sie es endlich bricht. „Partnerschaft ist das Thema deines Lebens“ Gebieter, lächelt sie schließlich – nun wieder so warm und freundlich wie zu Beginn. Ihr Körper sitzt wie zuvor im Lotussitz auf dem Kissen, umschmeichelt von dem weichen, rötlichen Leder. Ihre nun wieder leuchtenden braunen Augen schauen im voll ins Gesicht.

„Geh zurück zu deinem Pfad. Du wirst deine Partnerin finden.“

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Die Sonne geht unter, als der Gebieter die in den Fels gehauene Wohnhöhle des Mönchs erreicht. Die Luft ist geschwängert vom Rauch der Kräuter. Der alte Mann ist beim Rezitieren vor dem Vajrasattva eingenickt, das glückliche Lächeln noch im Gesicht. Als er des Herrschers gewahr wird, bietet er ihm seine Matte an und reicht ihm kniend sein eigenes Mahl. „Nimm, mein Gebieter. Ich habe auf dich gewartet. Morgen werden wir reden.“

Sie verlieren keine weiteren Worte mehr. Der Kaiser nimmt Platz auf der Matte und betrachtet den Erleuchteten, auf dessen Statue sich der wechselnde Schein des Feuers spiegelt. Dann sinkt er in einen tiefen, traumlosen Schlaf.

In der Hütte im Fichtenwald starrt eine Frau mit wilden Augen in die Glut ihres Feuers. „Das ist er also. Nun wird das Schicksal seinen Lauf nehmen. Werde ich den Krieger lieben können? Wird er sich öffnen können?“

Der Kauz hinter ihr öffnet vor Schreck beide Augen gleichzeitig, als aus ihrer Kehle ein wildes Grollen dringt. Nicht nur ihre Augen sind es nun, die smaragdgrün  glimmen – nein, als sie sich fauchend vom Kissen auf den Boden rollt, wandelt sich der ganze Leib: Es ist eine  schwarze, herrlich glänzende, geschmeidige  Pantherdame, die mit aufgerichtetem Schwanz die Hütte auf leisen Sohlen verlässt und sich auf den Weg zur Höhle des Mönchs macht.

Das Feuer in der Höhle ist fast niedergebrannt. Noch immer schwingt der Duft der geräucherten Kräuter  im  Raum, in dem die beiden Männer schlafen: Der Gebieter auf der Matte des Mönchs vor dem Erleuchteten, der alte Mann auf einem Strohlager in der Ecke.

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Lautlos betritt der schwarze Schatten den Raum. Glühend grüne Augen mit riesigen, runden Pupillen mustern die beiden Schlafenden, der lange, schwarze Schwanz zuckt in großer Erregung. Der Panther tritt an das Lager des schlafenden Gebieters. „Wolf, komm heraus. Wir wollen es jetzt klären, einmal und für immer.“

Lautlos löst sich ein Schatten aus dem Körper des Kaisers. Gelb funkelnd die Augen, silbergrau das dichte Fell, hoch aufgerichtet die Rute, löst sich der Wolf vom Körper des Menschen und folgt dem Panther in die mondhelle Nacht.

Auf dem Felsplateau über dem Abgrund sitzen sie sich lange schweigend gegenüber. Lodernde Augen schätzen sich ab, gespannte Aufmerksamkeit in muskulösen Körpern. Vor ihrem inneren Auge ziehen zahllose Leben vorbei, in denen sie sich trafen. Mal herrschte der Eine, mal war es die Andere. Mal diente die Eine, mal war es der Andere. Immer war es die gleiche Kraft, die in verteilten Rollen zwischen ihnen schwang: Der Kampf des Geistes und der Körper um die rechte göttliche Ordnung.

Ein Kampf, der jetzt in die finale Runde gehen wird, das wissen sie beide.

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Gelbgrüne Augen starren sich an, Pupillen sinken ineinander und erkennen das Begehren: Sie wollen sich lieben, rasend, wild – sanft und tief. Sie wollen sich töten – um endlich frei zu sein. Frei voneinander oder frei miteinander?

„Diene mir, sonst töte ich dich!“ Wütend knurrend hat sich das Alphatier aufgerichtet.

Wie in all ihren Frauenleben zuvor schmilzt sie auch diesmal in Bewunderung, und rollt sich schnurrend vor ihm auf dem Fels. Er starrt sie an und liebt ihre Geschmeidigkeit, ihren weichen, glatten Bauch, ihr heißes Locken….

Nein! Sie wird ihn verraten, er weiß es genau.  Ohne einen Laut setzt der große Wolf zu einem riesigen Sprung an. Die Pantherfrau erkennt die Absicht, dreht sich – aber zu spät. Er liegt auf ihr und schlägt seine Zähne tief in ihren Nacken..

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Der Stoß durchfährt ihren Körper in einem roten, brennenden Strahl. Sie kann die Schlange nicht mehr halten, die in Sekundenbruchteilen auffährt  – entlang der Wirbelsäule direkt ins Gehirn. Ungezähmte Wildheit entlädt sich in einem langen, hellen Schrei – mit einem wilden Fauchen windet sie sich unter ihm heraus und greift an. Ihre Krallen schlagen tiefe Wunden in seinen Bauch, ihre Reißzähne graben sich in seinen Hals – dann rollen sie über die Felsen, blutend, knurrend, bellend, fauchend entlädt sich die aufgestaute Kraft tausender Leben. Ein Knäul aus schwarzem und silbernem Fell mit blutendem, rohem Fleisch untrennbar ineinander verbissen wälzt sich zur Kante des Plateaus.

Schweigend stürzen sie in die Tiefe.

Nur der Mond und der Kauz werden Zeuge von dem, was dann passiert.

Aus den sterbenden Körpern lösen sich die Lichtgestalten eines Mannes und einer Frau. Sie schwingen über der Tiefe und lächeln sich an. „Endlich“ – sagt sie, als sie nach seiner Hand greift. „Ja Geliebte.“ Er zieht sie zu sich heran. Als er sie küsst, erstrahlen ihre Lichtkörper in rosa-grün-goldenen Farben.

„Nun bin ich dein.“ Sie sieht strahlend zu ihm auf. Ich bin ein Teil von dir.“  Er sinkt herab zu ihr, ihre Augen werden eins. „Ich bin ein Teil von dir und will dich lieben und ehren bis zum Ende der Zeit.“

Der Buddha lächelt, als sie  verschmelzen – und die Tore des Himmels öffnen sich weit.

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