Schlagwort: Schmiergeld

Recep Tayyip Erdogan: „Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind“ …

Eines hat sich der Rumpelstilz-Präsident der Türkei mit seinen internationalen Aktivitäten der letzten Zeit nun gesichert: Die Welt schaut genauer hin, mit welchem  Menschen sie es da eigentlich zu tun hat. Zum Vorschein kommt so manche gar nicht schmeichelhafte Angelegenheit. Zum Vorschein kommt auch: Wer Gedichte vorträgt – und seien sie auch nur zititert – identifiziert sich zumeist mit den Inhalten. Auch Recep Tayyip Erdogan.

Mehmed Ziya Gökalp (1875 – 1924) ab 1911 unter dem Schriftstellernamen  Ziya Gökalp bekannt, war ein türkischer Denker, politischer Publizist, Essayist, Intellektueller und Mitbegründer der Soziologie  im Osmanischen Reich, wie auch in der modernen Türkei. Gökalp war in erster Linie der nationalistische Ideologe der Türken des osmanischen Reichs. Er trat für eine säkulare türkische Nation ein, in der die Elemente des Islam, die integraler Teil der türkischen Kultur geworden waren, als geistige Kraft erhalten bleiben sollten. Es war eine Zeit, in der das osmanische Reich endgültig zerfiel und die Türkei sich als Nation zu begreifen verstand, als Ziya Gökalp das Gedicht  „Göttliche Armee“ schrieb. Darin heißt es: „Die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme, die Moscheen unsere Kasernen, die Gläubigen unsere Soldaten. Diese göttliche Armee ist bereit […]
Gott ist groß, Gott ist groß.“

Kaiser Wilhelm II. wusste sich die Lage auf dem Balkan zunutze zu machen und forderte im Ersten Weltkrieg die Muslime auf, sich in den Heiligen Kampf gegen England und Frankreich zu stürzen.

Am 29. Oktober 1923 wurde unter Mustafa Kemal Atatürk die Republik Türkei ausgerufen, er selbst wurde zum Präsidenten. Atatürk verbot den Männern orientalische Kopfbedeckungen unter Strafandrohung und ersetzte diese durch den Hut. Er führte die Schulpflicht für alle ein, stärkte die Rechte der Frauen und sorgte dafür, dass sie ab 1930 an Wahlen teilnehmen konnten. Um seinem Anspruch, einen säkularen Staat zu schaffen,  gerecht werden zu können, musste mit dem Sultanat des osmanischen Reiches und dem Kalifat des Islam gebrochen werden. In den tief gläubigen Bevölkerungsteilen schuf Atatürk sich erbitterte Feinde. Volksaufstände ließ er gnadenlos niederschlagen, so dass man am Ende von einer Diktatur-ähnlichen Regierung sprach.

Zum Islam hatte Atatürk ein distanziertes Verhältnis. Dieses historisch nicht gesicherte Zitat wurde 1954 von Jacques Benoist-Méchin in einem Buch über ihn veröffentlicht: „Seit mehr als 500 Jahren haben die Regeln und Theorien eines alten Araberscheiches und die abstrusen Auslegungen von Generationen von schmutzigen und unwissenden Pfaffen in der Türkei sämtliche Zivil- und Strafgesetze festgelegt. Sie haben die Form der Verfassung, selbst die kleinsten Handlungen und Gesten eines Bürgers festgelegt, seine Nahrung, die Stunden für Wachen und Schlafen, den Schnitt der Kleider, den Lehrstoff in der Schule, Sitten und Gewohnheiten und selbst die intimsten Gedanken. Der Islam, diese absurde Gotteslehre eines unmoralischen Beduinen, ist ein verwesender Kadaver, der unser Leben vergiftet.“ 

Vor diesem Hintergrund nun wollte der gläubige Muslim Recep Tayyip Erdogan, damals Bürgermeister von Istanbul, politisch hoch hinaus. In einer Wahlveranstaltung 1997 kombinierte er das Zitat von Ziya Gölkalp mit eigenen Worten und sagte in der südostanatolischen Stadt Siirt:

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Dafür wurde der bekennende politische Islamist zu zehn Monaten Haft und einem lebenslangen Politikverbot verurteilt. Die Anklage lautete:„Anstachelung zu Hass auf der Grundlage der Religion“. Die türkische Justiz wertete das Zitat aus dem Munde Erdogans als Offenlegung seiner politischen Absicht, die Türkei zu islamisieren. Als er 1999 seine Haftstafe (von der er nur vier Monate absaß) antrat, sagte Erdogan:

„Früher sind die Dichter im Gefängnis gelandet. Heute landen diejenigen dort, die ihre
Gedichte vortragen. Ich kann nur hoffen, dass künftig nicht diejenigen ins Gefängnis
gesteckt werden, die die Gedichte anhören.“

Es kostete den späteren Staatschef viel Geduld und die Hilfe treuer Parteifreunde, um in die Politik zurückkehren zu können. Bei den Parlamentswahlen 2002 durfte Erdogan wegen des verhängten Politikverbots zwar nicht antreten, seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung gewann die Wahl aber trotzdem. Zunächst wurde Erdogans Vertrauter Abdullah Gül Ministerpräsident, der heutige Staatspräsident der Türkei. Erst 2003 nach einer Verfassungsänderung konnte Erdogan dann das Amt des Ministerpräsidenten übernehmen.

„Recep Tayyip Erdogan: Reformer oder Wolf im Schafspelz?“ fragte 2004 die „Welt„. „Die Zukunft scheint Leuten wie Erdogan zu gehören, Hoffnungsträger der jungen, moderaten und proeuropäischen Fraktion, die in ihren politischen Vorstellungen eher den Christdemokraten nahe stehen als dem iranischen Gottesstaat. Zugleich ist der 50-jährige frühere Profifußballer, der aus armen Verhältnissen stammt und als Teenager Saft und Süßigkeiten in den Istanbuler Straßen verkauft hat, so etwas wie ein Held der Arbeiterklasse,“ hieß es da.
Widersprüchlichkeiten im Handeln des Staatschef waren dem Autor durchaus bewusst: „Längst nicht alle Mitglieder seiner Partei goutieren die Art und Weise, wie er sich an die EU heranwirft, einem Schüler gleich, der um bessere Zensuren bei den Brüsseler Oberlehrern buhlt. (…) Vertreter der westlich orientierten Wirtschaftselite, der Justiz und des Militärs sehen in ihm den Wolf im Schafspelz: einen gefährlichen religiösen Eiferer, der sich als moderner, gemäßigter Politiker ausgibt, um das säkulare Erbe des Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk abzuschaffen. Sie vermuten eine „hidden agenda“, einen geheimen konspirativen Plan, der erst zur Entfaltung komme, wenn die Türkei mit einem Fuß fest in der europäischen Tür steht.“
2004 wollte der Autor diesen warnenden Kräften aber nicht glauben und schrieb: „Doch solche Verschwörungstheorien lassen sich angesichts der bahnbrechenden, irreversiblen Entwicklung der letzten beiden Jahre nicht halten. Erdogan scheint verstanden zu haben, dass sein Land nicht mehr Islam, sondern mehr Freiheit braucht. Insofern schickt er sich an, Atatürks 1923 begonnenes Projekt weiterzuführen.“

Ähnliche Widersprüche entdeckte 2008 die FAZ. „Der Realo aus dem Hafenviertel“ heißt ein langer Text, der sich mit Lebenslauf und politischer Entwicklung Erdogans beschäftigt und auflistet:  „Im Jahr 1992 sagte er, man könne nicht gleichzeitig säkular und Muslim sein, noch 1996 bezeichnete er die Demokratie nicht als einen Zweck, sondern als ein Mittel. Enge Freunde wie Özals Bruder Korkut Özal und der Unternehmer Cüneyd Zapsu machten ihn indes mit westlichen Werten vertraut. Als er im August 2001 die AK Partei gründete, sagte er: „Mein persönlicher Referenzrahmen ist der Islam, mein politischer Referenzrahmen hingegen sind die Verfassung und die demokratischen Prinzipien.“

Eigentlich konnte jeder sehen, wohin Erdogans Reise geht, doch war in Europa wohl der Wunsch, dass die Türkei sich dauerhaft westlich orientiere, Vater der Gedankens, wenn immer wieder die Hinweise ignoriert oder umgedeutet wurden. So schreibt die „Welt“ schon 2004: „Den dritten Punkt, Potentatenprunk (bei den Hochzeiten seiner Kinder), wollen wir vorsichtshalber nicht als normativ betrachten. Statt dessen gilt es festzuhalten, dass Erdogan seine Popularität ganz wesentlich der Tatsache verdankt, dass  er einer der wenigen türkischen Politiker ist, die nicht korrupt sind. „

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Heute residiert der Potentat in einem 1000-Zimmer-Palast, erstellt ohne Baugenehmigung für eine halbe Milliarde Euro ausgerechnet in einem Wald, den Staatsgründer Kemal Atatürk der Stadt Ankara als Naherholungsgebiet gestiftet hat und der unter besonderem staatlichen Schutz stand. „Die Türkei ist nicht mehr die alte Türkei. Architektonisch gesehen war es notwendig, die Botschaft Ankaras als ‚seldschukische Hauptstadt‘ zu vermitteln. Wir haben in der Innenarchitektur auf osmanische Motive geachtet,“ sagte Erdogan selbst zu seinem neuen Amtssitz. Wie viel Symbolik ist noch nötig um zu sehen, wohin dieser Mann strebt?

Gegen Kritik jedenfalls reagierte der türkische Staatsmann schon immer sehr empfindlich. Das mag aus dem Wunsch geboren sein, einst als heldenhafte Vaterfigur verehrt zu werden, kann aber durchaus auch andere Gründe haben: Hat die Familie Edogan möglicherweise einiges zu verstecken? Einige Beispiele:

Gegen Sohn Bilal Erdogan ermittelt zurzeit die italienische Justiz. Er soll große Geldsummen nach Italien geschmuggelt haben. Russland behauptet, Familie Erdogan sei persönlich in Ölkäufe der Türkei von der IS verwickelt.  Immer wieder tauchen Telefonmitschnitte von Gesprächen auf, in denen Erdogan Amtsträger auffordert, in seinem Sinn zu handeln, etwa Medienvertreter zu verurteilen. Der Präsident gab diese sogar zu.

Ein großer Korruptionsskandal wurde 2013 bekannt: Die türkische Polizei verhaftete am 17. Dezember 2013 unter anderem die Söhne des Innenministers Muammer Güler, des Wirtschaftsministers Zafer Caglayan und des Umweltministers Erdoğan Bayraktar im Zuge der Ermittlungen zu einem Korruptionsskandal. Den Betroffenen wurde vorgeworfen, groß angelegte Umgehungsgeschäfte mit dem Iran abzuwickeln, bei denen die Türkei iranisches Erdöl mit Gold bezahlt, um Sanktionen gegen den Iran im elektronischen Geldverkehr zu vermeiden. Für die politische Unterstützung des Geschäfts bezogen Mittelsmänner in der Türkei, im Iran und in den Vereinigten Arabischen Emiraten Provisionen von rund 15 %, die als Schmiergelder an Politiker und Sicherheitskräfte gingen.

In diesem Zusammenhang wurde Erdogan abgehört. Brisante Gespräche wurden öffentlich: „Ein Zusammenschnitt von fünf Telefonaten, die der Ministerpräsident frühmorgens am 17. Dezember mit seinem Sohn Bilal führte, gegen den wegen Bestechung in Millionenhöhe und unsauberer Immobiliengeschäfte ermittelt wird: „Bring alles weg, was in Deinem Haus ist“, sagt die ältere der beiden Stimmen in dem Mitschnitt. „Dein Geld ist im Tresor“, antwortet die jüngere Stimme. Angeblich kurz vor Mitternacht sagt der jüngere Mann in einem weiteren Telefonat, 30 Millionen Euro hätten noch nicht „aufgelöst“ werden können. Er fragt dann: „Soll etwas Geld bei Dir verbleiben?“ In einem fünften und letzten Anruf warnt der Ältere: „Sohn, Du wirst abgehört.

Erdogan, so berichtet die Frankfurter Rundschau weiter, ließ nach der Veröffentlichung der Mitschnitte Tausende leitende Polizeibeamte und über 150 Staatsanwälte strafversetzen, außerdem drei umstrittene Notstandsgesetze zur Kontrolle des Internets und der Justiz sowie zur Erweiterung der Geheimdienstbefugnisse im Parlament verabschieden.

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Diese Dinge und einige mehr haben auch die NPR-News zusammengefasst, garniert mit Erdogan-Karrikaturen. Die hier veröffentlichten Karrikaturen habe ich dort entnommen.

Mit den Jahren seiner Regentschaft hat Recep Tayyip Erdogan seine verbindliche Maske inzwischen völlig abgelegt. Entschlossen, Geschichte zu schreiben so wie er es sich vorstellt, klagt er gegen alles und jeden, das sich ihm auch nur scheinbar entgegenstellt und wird dabei immer despotischer: „Allahu akbar“, „Allah ist groß“, schallte es durch den Gerichtssaal, als der Richter das Urteil verkündete: Zzwei Jahre Haft für die Journalisten Ceyda Karan und Hikmet Cetinkaya von der Tageszeitung „Cumhuriyet“, weil sie auf ihren Kolumnenplätzen eine Karikatur aus der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ übernommen hatten. Erdogan hatte wegen der Karrikaturen getobt.  Rund 2000 Klagen, teils sogar gegen Jugendliche, laufen in der Türkei wegen Majestätsbeleidigung des Präsidenten.

Nun, da Europa in der Migrantenkrise sein Land als Pufferzone nutzen will, sieht sich der „Sultan“ endgültig im Oberwasser: Der Fall Jan Böhmermann ist nur einer unter vielen, in denen Erdogan das Bild Europas zu seiner Person und zu seinem Land manipulieren möchte.

Auf dem Platz vor dem Genfer UN-Komplex könnten sich traditionell Minderheiten durch Demonstrationen artikulieren. Zurzeit ist dort auf dem Bild des Fotografen Demir Sönmez, der kurdisch-armenische Wurzeln hat und seit 1980 in der Schweiz lebt, ein Transparent zu sehen, das Präsident Recep Tayyip Erdogan für den Tod eines Jugendlichen bei einer Protestaktion in Istanbul verantwortlich macht. Neben dem Porträtfoto steht in französischer Sprache: „Ich heiße Berkin Elvan, die Polizei hat mich auf Anordnung des türkischen Ministerpräsidenten getötet“. Elvan war im Sommer 2013 am Rande der Gezi-Proteste in Istanbul von einer Tränengaskartusche am Kopf verletzt worden. Er starb nach monatelangem Koma im Alter von 15 Jahren. Das türkische Konsulat forderte die Entfernung des Bildes. Der Genfer Stadtrat lehnte ab.

Erfolgreicher waren die Türken da bei der EU-Kommission: Die Dresdner Sinfoniker setzen sich in einem armenisch-türkische Konzertprojekt „Aghet“ , mit 200 000 Euro von der  EU gefördert, mit dem Genozid der Türkei an den Armeniern auseinander. Nach Erscheinen der Ankündigung soll die Türkei nahezu täglich bei der EU-Kommission interveniert und immer mehr Druck aufgebaut haben. Ziel war, die finanzielle Förderung für das Projekt zu revidieren und das Wort Genozid zu streichen. Intendant Markus Rindt: „Es wurde wohl gedroht, die Zahlungen an den EU-Kulturfonds einzustellen. Letztlich sei sogar die Rede davon gewesen, die Beitrittsverhandlungen auf Eis zu legen.“ Immerhin, sagte Rindt mit einem Anflug von Sarkasmus in der Süddeutschen, hätte der türkische EU-Botschafter nicht verlangt, „Aghet“ ganz abzublasen. „Es würde ihm wohl genügen, wenn die EU uns nicht mehr unterstützt und nicht mehr über das Projekt informiert.“

Während die Politiker noch eher ratlos mit dem ausgerasteten Diktator umgehen, formiert sich in den Medien langsam Protest. Beim NDR, wo Jan Böhmermann sein „Gedicht“ verlesen hatte, gab es diesmal einen Merkel-Song.

Unter Hausarrest steht zurzeit die türkischstämmige Niederländerin Ebro Umar, nachdem sie kritisch über den türkischen Ministerpräsidenten berichtet hatte. Ihre holländische Zeitung schlug mit einer Karrikatur zurück: Gorilla Erdogan zerquetscht die weibliche Pressefreiheit (siehe oben). Die niederländische Regierung hat bei der Türkei offiziell gegen Einflussnahme auf die Meinungsfreiheit protestiert. Anlass war ein Aufruf des türkischen Konsulats an Türken in den Niederlanden, Beleidigungen des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan zu melden.

Nicht Jan Böhmermann selbst, aber seine Kollegen widmen sich im deutschen Fernsehen immer wieder ausführlich der Reizfigur – achten dabei allerdings ein wenig besser auf die bestehende Gesetzeslage. Nach Washington Post und New York Times setzte sich jetzt auch die US-Satire-Show „Last Week tonight“ mit großer Freude  mit den „Taten“ des Staatschefs auseinander. In den USA gibt es kein Gesetz, das Satire oder Schmähkritik verbietet. Beim „Correspondent’s Dinner“ diese Woche blieb man allerdings bei den Politikern im eigenen Land.

In Deutschland scheint es dagegen sogar unmöglich, Erdogan zu verklagen: 2011 haben vier deutsche Menschenrechtsanwälte den türkischen Präsidenten wegen Hinrichtungen, Tötung von Gefangenen, Folter und Chemiewaffeneinsatz verklagt. Es ging um Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und den Einsatz verbotener Mittel der Kriegsführung. Die Hamburger Anwälte Britta Eder und Heinz Jürgen Schneider vertraten in der Anzeige Angehörige von Opfern. Auf insgesamt 109 Seiten listeten sie zehn exemplarische Fälle von Kriegsverbrechen gegen kurdische Rebellen auf. Erdogan genieße als Premierminister uneingeschränkte politische Immunität, deshalb sei die Strafanzeige nicht weiter geprüft worden, antwortete sechs Wochen später die Generalbundesstaatsanwaltschaft Karlsruhe als höchste deutsche politische Instanz.

Deutschland und seine Nachbarn bestehen übrigens auch nicht ausschließlich aus Karrikatur- und Satire-freundlichen Menschen: Die letzte heute-show am Freitag beispielsweise brachte in gezielter Parallele zu Jan Böhmermann ein Schmähgedicht gegen die FPÖ, die in Österreich zuletzt enorme Wahlerfolge erzielte:  „Palatschinken, Apfelstrudel –  Birne hohl und weich die Nudel. Du machst dir selbst dein Bundesheer, durch Inzest beim Geschlechtsverkehr. Egal ob Hühner oder Gemsen, mit beiden tust du gerne wemsen. Und ist die Gemse einmal schneller, dann geht’s zur Schwester in den Keller,“ reimte Gernot Hassknecht  und hieb damit in die Kerbe, die der heute-show der Vorwoche bereits zwei Anzeigen eingebracht hat: Da hatte die Redaktion auf ihrer Facebook-Seite  als Reaktion auf das gute Abstimmungsergebnis des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in Richtung Österreich gefragt: „Was ist verkehrt mit euch, liebe Nachbarn?“. Bebildert war die Frage mit einem Foto von einem Schnitzel in Hakenkreuzform. Weiter texteten die Mainzer dazu: „Österreicher wählen eben so, wie sie es vom Schnitzel kennen, möglichst flach und schön braun“.

Wegen weit weniger ging in der letzten heute-show FDP-Mann Klaus Kinkel in die Luft: Er wollte sich nicht filmen lassen und drohte dem Team damit, dass er „ganz schön pampig“ werden könne, wenn es sich nicht an das Verbot halte. „Er hat uns aber nicht verboten, das Verbot zu senden,“ kommentierte Oliver Welke – und der Beitrag wurde gebracht.

Richtig sauer auf Erdogan ist die Satire-Partei „Die Partei“ im Europaparlament. Deren Vorsitzender Martin Sonneborn hat in einer sehr spitz formulierten Rede im Europaparlament den türkischen Präsidenten scharf kritisiert und damit der Rolle der Satire in der Politik eine ganz neue Bedeutung gegeben. Sonneborn ist nicht irgendwer: Der Europa-Abgeordnete war lange ZDF-Reporter, Ressortleiter beim Spiegel und wurde nach einigen Jahren als Redakteur im Jahr 2000 Chefredakteuer beim Satiremagazin Titanic, bei dem er auch heute noch als ständiger Mitarbeiter firmiert. Titeltext derzeit dort: „Merkel muss sterben“…

All diese Dinge tragen nicht dazu bei, Recep Tayyip Erdogan versöhnlicher zu stimmen – und sind auch nicht dazu gedacht. Im Alltag kann die Diskussion darüber dem ganz normalen deutschen Türkei-Urlauber aber ziemlichen Ärger einbringen: „Es wird dringend davon abgeraten, in der Öffentlichkeit politische Äußerungen gegen den türkischen Staat zu machen bzw. Sympathie mit terroristischen Organisationen zu bekunden,“ warnt das deutsche Auswärtige Amt Türkei-Urlauber. In Holland geht man noch einen Schritt weiter: Auch der niederländische Außenminister Bert Koenders hat seine Landsleute zur Vorsicht gemahnt. Es gebe „keine Garantien“ für Niederländer, die sich etwa in sozialen Netzwerken kritisch zur türkischen Führung geäußert hätten und dann in die Türkei reisen, sagte Koenders laut AFP bei einer Parlamentsdebatte am Dienstag.

Ab Juni sollen die Visabschränkungen für Türken nach Europa fallen. Können wir vor dem Hintergrund des Kurdenkrieges und der Persönlichkeit eines Recep Tayyip Erdogan dafür sein, mit diesem Land so freie Beziehungen zu pflegen? Hier zur Erinnerung noch einmal das Zitat des Präsidenten aus seiner Wahlkampfrede 1997:

„Die Demokratie ist nur der Zug, auf den wir aufsteigen, bis wir am Ziel sind. Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“

Siehe auch: Jan Böhmermann: Große Klappe, schlechter Text, politische Prinzipfrage und die dortigen Links 

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