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Kontrollwahn? US-Pläne für den Cyber-Ernstfall

Von Alfred Krüger, entnommen heute.de

SOPA, PIPA – und jetzt CISPA: In den USA jagt ein Netz-Gesetz das nächste. Der jüngste Entwurf verspricht Firmen Schutz vor Datenspionen und Hackern und soll die Weitergabe sensibler Informationen an Behörden erleichtern. Datenschützer protestieren.

Mitte Januar liefen Netzaktivisten zusammen mit Bürgerrechtlern und Unternehmen wie Google, Facebook oder eBay Sturm gegen SOPA und PIPA, zwei Gesetzentwürfe gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet. Die US-Ausgabe der Wikipedia schloss aus Protest gegen eine befürchtete Zensur des Internets sogar für einen Tag die Tore. Die Proteste hatten Erfolg. SOPA und PIPA sind mittlerweile vom Tisch.

Mehr Schutz vor Spionen und Hackern

Nun stößt ein anderer US-Gesetzentwurf auf nicht minder heftige Kritik – zumindest bei Bürgerrechtlern und Netzaktivisten. Es geht um den Cyber Intelligence Sharing and Protection Act (CISPA), ein Gesetz zur Bekämpfung von Kriminalität und Datenspionage im Internet. Es soll Regeln festlegen, wie staatliche Stellen und private Unternehmen im Falle einer Bedrohung der Cybersicherheit Informationen austauschen können.

Der umstrittene Gesetzentwurf stammt aus der Feder des republikanischen Kongressabgeordneten Michael Rogers. Staaten wie China würden über das Internet gezielt Industrie- und Wirtschaftsspionage betreiben, sagt Rogers. „Jahrelange Arbeit und Milliarden Dollar, die in Forschung und Entwicklung geflossen sind (…), das alles kann in Sekunden verloren sein.“ Staat und Wirtschaft müssten sich deshalb besser vor Spionage und anderen Netzgefahren schützen.

 „Datenschutz wird ausgehebelt“

Unternehmen wie Facebook oder Microsoft schlagen in dieselbe Kerbe. „Wenn ein Unternehmen einen Angriff erkennt, kann die schnelle Weitergabe von Informationen andere Unternehmen und deren Kunden davor schützen, ebenfalls zum Opfer zu werden“, so Facebook-Vize Joel Kaplan. An Rogers schrieb er deshalb einen offiziellen Dankesbrief. „Ihr Gesetz befreit uns von lästigen Regeln, die uns daran hindern, unser Cyber-Ökosystem zu schützen“, so Kaplan in dem Brief.

Solche Äußerungen sind Wasser auf die Mühlen der CISPA-Gegner. Sie warnen davor, dass das geplante Gesetz im Falle einer tatsächlichen oder nur behaupteten „Cyberbedrohung“ sämtliche Datenschutzrechte außer Kraft setzen könnte. „Es gibt fast keine Einschränkungen, welche Informationen gesammelt und wie sie benutzt werden dürfen, solange sich ein Unternehmen auf ‚Cybersicherheit‘ beruft“, heißt es in einem Aufruf der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF).

Auch Urheberrechtsverletzer im Visier

Wann die Sicherheit eines Unternehmens oder einer Behörde bedroht sei, werde im Gesetzentwurf viel zu vage definiert, kritisiert die EFF. Als Sicherheitsbedrohung gelten nämlich nicht nur Angriffe krimineller Hacker, die das Netzwerk eines Unternehmens schwächen, unterbrechen, zerstören oder Daten ausspionieren könnten. Das Gesetz soll ausdrücklich auch bei Urheberrechtsverletzungen greifen.

Kritiker des Gesetzes wie die Vereinigung Reporter ohne Grenzen warnen deshalb vor einem „drakonischen Sicherheitsgesetz“, das unter dem Deckmantel der Cybersicherheit ein weit reichendes Kontrollsystem installieren könnte. Webunternehmen wie Facebook und Google, aber auch Internetprovidern werde es erlaubt, beliebige Daten ihrer Nutzer ohne den normalerweise nötigen Gerichtsbeschluss an staatliche Stellen herauszugeben – darunter protokollierte Webseitenzugriffe, Inhalte von E-Mails und IP-Adressen, mit denen zum Beispiel Nutzer von Tauschbörsen identifiziert werden können.

US-Regierung mahnt Datenschutz an

Mittlerweile hat sich auch das Weiße Haus in die Debatte um CISPA eingeschaltet. Ein Gesetz, das Unternehmen und Behörden besser vor Netzangriffen schützen solle und zu diesem Zweck die Weitergabe von Nutzerdaten regele, müsse „robuste Vorkehrungen“ enthalten, um Privatsphäre und Bürgerrechte ausreichend zu schützen. Die Obama-Regierung werde kein Gesetz unterstützen, „das den Datenschutz der Bürger im Namen der Sicherheit opfere“. Ein Veto gegen das Gesetz, das in diesen Tagen im US-Repräsentantenhaus verhandelt wird, kündigte das Weiße Haus jetzt an.

Nachtrag von Newswatch4u: Bericht über die entsprechende Debatte im US-Kongress.

Zweiter Nachtrag: CISPA wurde klammheimlich und im Eiltempo durchgewunken.

Tatort Internet – Urheberrechtsdebatte

Eine kluge Analyse von Florian Güßgen aus „Stern“ online vom 29.3.1012:

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Es gibt eine direkte Verbindung zwischen den wütenden, fassungslosen Ausfällen von FDP-Generalsekretär Patrick Döring und dem wütenden, fassungslosen Aufschrei mancher Musiker, Künstler, Autoren. Angesichts des Erfolgs der Piratenpartei in Saarland fluchte Döring über die „Tyrannei der Masse“. Künstler, die angesichts der Kopiererei im Netz und der Kritik am Urheberrecht um ihr Einkommen und ihre Existenz bangen, zetern, wie es 51 „Tatort“-Autoren in einem offenen Brief getan haben, gegen die „Lebenslügen“ vor allem der „Netzgemeinde“. Der Musiker und Autor Sven Regener schimpfte bei einem mittlerweile legendären Wutanfall im „Bayerischen Rundfunk „Man pinkelt uns ins Gesicht“. Und: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“

Was passiert da? Was ist da los? Die direkte Verbindung zwischen Döring und den Künstlern ist das Netz, das Internet, die größte Medienrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks. Langsam, ganz langsam, aber mit unendlicher Kraft werden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen dieser Revolution spürbar. „Ihr kommt mit Eurer Hinterzimmerpolitik nicht mehr durch, wenn technisch mehr Transparenz, mehr Mitsprache, mehr Kommunikation möglich ist“, lautet die Botschaft der Piraten. „Ihr kommt mit Euren elitären Vorstellungen von Kultur, von Geschäftsmodellen, von Profit nicht mehr durch, wenn wir uns Musik und Videos einfach kopieren oder sie selbst machen“, lautet die Botschaft der Nutzer im Netz.

Es sind ein paar einfache neue Möglichkeiten, die die schöne, neue Medienwelt geschaffen hat und die alles Bestehende auf den Kopf und in Frage stellen.

Erstens, jeder, Krethi und Plethi, Du, ich, wir können alle höchstpersönlich zum Medium werden. Blogs, Facebook, Twitter, all das, macht uns zu Sendern mit einem Milliardenpublikum.

Zweitens, wir können alle im Nu Künstler, Kulturschaffende werden. Internetphilosophen nennen das die „Demokratisierung der Produktionsmittel.“ Eine Idee, eine schrammelige Videokamera, ein Rechner, ein Internetanschluss, ein Schnittprogramm reichen aus, um einen Film zu produzieren und ihn hochzuladen. Hurrah. Hier bin ich, Welt. Hollywood? C’est moi. Kein Produzent muss mich entdecken, kein Verlag, nur die Nutzer. Ich brauche wenig Kapital. Die Rolle der Mittler, der Verlage, höhlt das zwangsläufig aus, verändert sie. Zudem verschwimmt die Grenze zwischen geldwerter, von Profis gemachter „Hochkultur“ und von Laien produzierter „Amateur-Kultur“. Jeder hat jetzt das Zeug zum Star.

Drittens lassen sich digitale Produkte sehr einfach kopieren, vervielfältigen, ändern, remixen. Computer sind nichts anderes als Kopiermaschinen. Es ist deshalb fast unmöglich, massenhafte Kopiererei technisch zu verhindern. Mehr noch. Das Kopieren, das Mitteilen ist im Netz ein zentrales Element der Sprache, der Selbstdarstellung der Nutzer. Die Kopiererei unterläuft nicht nur ein Geschäftsmodell, sie kollidiert auch mit einem Urheberrecht, dass „Rechteinhabern“ – Autoren, Musik- und Filmkonzernen – sehr weit gehende Schutzrechte einräumt. Fast jeder, der sich im Netz tummelt, gerät in Konflikt mit dem Urheberrecht, einerlei, ob er sich bei einem kino.to-Klon einen Film ansieht oder ein Privatvideo mit einem David-Bowie-Song hinterlegt und bei Youtube hoch lädt. Aber was folgt daraus, wenn es eine Regel gibt, an die sich niemand mehr hält, wenn sie sich in einer „Legitimationskrise“ befindet? Muss die Regel an gesellschaftliche Gepflogenheiten angepasst werden? Oder die Gepflogenheiten mit Gewalt der Regel?

Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Entwicklungen und der Fragen, die sie aufwerfen, kann gar nicht überschätzt werden. Denn tatsächlich wird nun – anhand des an sich abstrakten Urheberrechts und der neuen wirtschaftlichen Ängste der alte Stars – darüber gestritten, wie die Verfassung jener digitalen Welt aussieht, in der viele schon jetzt und mittelfristig alle leben werden. Was ist eigentlich Kultur? Wie halten wir es aus, dass der Schein der öffentlich-rechtlich abgesegneten Hochkultur ein Ende findet, zu Gunsten unübersichtlich vieler, gern auch obskurer Nischen? Gibt es so etwas wie Geistiges Eigentum? Wie muss es geschützt werden? Ist Kopieren, Teilen, Sharen, tatsächlich Meinungsfreiheit – oder doch schnöder Diebstahl? Wo fängt die Freiheit im Netz an – und wo hört sie auf? Und bedeuten die großen Erfolge von Apples iTunes Store oder den neuen Musikstreamingdiensten wie Simply oder Spotify nicht eindrucksvol, dass auch der moderne, digitale Konsument bereit ist, für Kulturgüter Geld auszugeben?

Klar ist: Die eine pauschale Lösung auf alle diese Fragen gibt es nicht. Allerdings gibt es zu Einzelfragen Lösungsansätze, Ideen, etwa zu dem Problem, wie Künstler entlohnt werden können, wenn ihre Werke – Lieder – im Netz ständig kopiert werden. Im Raum steht das Modell einer Kulturflatrate. Was man davon hält, ist eine politische Sache. Ein Marxist steht der Idee des Eigentums, auch des Geistigen, nun mal anders gegenüber als ein Liberaler. Nur: eine echte politische Diskussion wird im Moment noch gar nicht geführt. Es erscheint eher so, als knallten zwei Planeten mit Karacho aufeinander: die alte, analoge Welt auf die neue, digitale. Hier schreien Sie Diebstahl und wettern gegen die „Netzgemeinde“, die es als homogene Glaubensgemeinschaft so nicht gibt, dort spotten sie, im revolutionären Eifer, gegen die Betonköpfe des Ancien Regime, wettern gegen die bösen „Verwerter“, Musik- und Filmfirmen oder die Musikverwertungsgesellschaft Gema, singen das Hohelied des Kopierens als Kulturtechnik und gehen gegen das internationale Anti-Piraterie-Abkommen Acta auf die Straße. Es wird viel Besitzstand verteidigt, es herrscht viel Ignoranz.

Dabei sind es tatsächlich vor allem die Vertreter der alten Welt, die Regeners und die Autoren, die lernen müssen, dass ihre alten Sicherheiten im digitalen Zeitalter schwinden, die verstehen müssen, was da in dieser Gesellschaft um sie herum genau passiert und wie vor allem die U25-Generation Medien nutzt. Wenn Regener bei seinem berüchtigten Wutanfall etwa sagt: „Ich möchte kein Straßenmusiker sein“ und so seinen elitären Anspruch begründet, hat er nicht verstanden, dass der Abstand zwischen Star und Straßenmusiker wieder kleiner geworden ist. Wenn er ätzt, dass „die Leute zwischen 15 und 30 keine eigene Musik mehr“ haben, muss er verstehen, dass ihre Musik vielleicht „eigener“ ist denn je, weil sie sie mehr denn je selbst machen.

Genau so unsinnig wie die Pauschalkritik ist es, das „Netz „und alle netzpolitisch Bemühten in einen Topf zu werfen, zu unterstellen, dass sich hier niemand ernsthaft um vernünftige Lösungen für kniffelige Fragen bemüht. Der Antwortbrief von „51 Hackern des Chaos Computer Clubs“ auf die Anwürfe der Tatort-Autoren spießt diese Ignoranz wunderbar auf, wenn auch mit wenig Einigungsbereitschaft. „Es wird keinen ‘historischen Kompromiß‘ geben“, schreiben die Hacker, „denn es stehen sich nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten, sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren Verträge aufgezwungen bekommen.“ Wummms. Es wird noch eine Weile dauern, bis die einen die anderen als echte Partner akzeptieren.

Und hier kommen wieder Patrick Döring, die Politik und die Piraten ins Spiel. Denn an der Politik ist es nun, das Forum für eine echte Diskussion über das Urheberrecht und die Verfasstheit des Netzes zu schaffen, die gesellschaftliche Debatte aufzugreifen. Denn gelingt es der etablierten Politik nicht schnell, sich um diesen Kulturkampf ums Kopieren zu kümmern, werden sich die Frustrierten und Enttäuschten schlicht neue Akteure suchen. Denn das „Problem“, in Politik und Kultur, besteht darin, dass die Döringsche Masse aus mündigen Bürgern besteht. Und die leben eben immer mehr im Netz. Wer das nicht begreift und ernst nimmt, hat schon verloren, bevor die spannende Debatte überhaupt richtig begonnen hat.