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ESM verstößt sowohl gegen das Gesetz als auch die EU-Verträge

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich mal wieder zuversichtlich gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht kommende Woche den Weg für den Euro-Rettungsfonds ESM und den EU-Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin freimachen wird. Er sei sicher, dass das Gericht beide Vorhaben nicht blockieren werde, sagte Schäuble am Montag bei einer Konferenz in Straßburg. Die Bundesregierung habe beide Verträge gewissenhaft geprüft und keinen Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks der Politik auf das Bundesverfassungsgericht habe ich den folgenden Artikel aus der WELT online vom 4.9.2012 entnommen.

Der Autor, Gunnar Beck, lehrt EU-Recht an der University of London, arbeitet dort als Barrister und ist ehemaliger Rechtsberater im EU-Ausschuss des House of Commons.

Im Extremfall könnte der Euro-Rettungsschirm Deutschland 700 Milliarden Euro kosten. Wird das Bundesverfassungsgericht den Mut aufbringen, die Verfassung und die Bürger vor der Politik zu schützen?

Das Bundesverfassungsgericht urteilt am 12. September über die Verfassungsmäßigkeit des ESM. Auch der Europäische Gerichtshof prüft, ob der Euro-Rettungsschirm gegen EU-Recht verstößt. Das Verfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass ein neuer Euro-Vertrag und weitere finanzielle Unterstützung für schwächere Euro-Staaten das Budgetrecht des Bundestages nicht aufheben dürfen.

Der ESM darf direkt von Euro-Zone-Staaten Staatsanleihen aufkaufen oder diesen Kredite gewähren. Dies darf die EZB laut EU-Vertrag offiziell nicht. Allerdings, so betont die Bundesregierung, sieht der ESM eine Haftungsobergrenze von 700 Milliarden Euro vor und begrenzt den deutschen Anteil daran eindeutig auf „nur“ 190 Milliarden Euro. Offenbar lasen die Politiker den Vertag nicht oder sie verstehen dessen Details nicht. Der ESM ist eindeutig rechtswidrig.

Deutschland haftet bereits jetzt stellvertretend

Entgegen der Zusicherung von Kanzlerin Merkel beschränkt Artikel 8(5) des ESM-Vertrags das Fondskapital nicht auf den Nominalwert von 700 Milliarden Euro, sondern auf den Ausgabewert. Der ESM-Gouverneursrat kann gemäß Artikel 8(2) beschließen, dass der Ausgabewert den Nennwert übersteigt. So könnte ein Großteil des ESM-Kapitals etwa zum Doppelten des Nominalwertes ausgegeben werden, die Gesamthaftung der ESM-Mitgliedsstaaten würde sich nahezu verdoppeln.

Gemäß Artikel 25 Absatz 2 haften solvente Mitgliedsstaaten für Fehlbeträge, die sich dann ergeben, wenn ein anderes ESM-Mitglied seiner Einzahlungspflicht nicht nachkommt. Deutschland haftet bereits jetzt stellvertretend, weil Griechenland und Portugal gar nichts einzahlen können.

Belastung bis zu 700 Milliarden Euro

Laut Artikel 21 kann der ESM unbeschränkt Kredite aufnehmen sowie Anleihen an den Kapitalmärkten begeben. Hierdurch werden faktisch die von Merkel selbst verurteilten „Euro-Bonds“ eingeführt, weil alle Mitgliedsstaaten gemeinsam für die vom ESM begebenen Anleihen haften, und dies ohne Kredit- und Haftungsgrenze. Nicht ausgeschlossen ist durch Artikel 21 zudem, dass der ESM sich von der EZB unbeschränkt weitere Mittel beschafft, die die EZB einfach drucken wird.

Aufgrund der Möglichkeit kreditfinanzierter Staatsfinanzierung, der Nachschusspflicht Deutschlands im Fall der Zahlungsunfähigkeit anderer Staaten und eines erhöhten Ausgabekurses kann die Belastung Deutschlands entgegen der Darstellung der Bundesregierung auf weit über 190 Milliarden Euro ansteigen – im Extremfall auf über 700 Milliarden Euro.

Der ESM hat eine Banklizenz für unbegrenzte Kredite

Der Eindruck der Irreleitung von Parlament und Öffentlichkeit durch die deutsche Regierung verdichtet sich bei weiterer Betrachtung, so durch die Diskussion, ob der ESM eine Banklizenz erhalten solle. Gemäß Artikel 32(9) braucht der ESM keine Lizenzierung als Kreditinstitut, auch nicht, um sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen.

Eine Banklizenz hat er quasi schon jetzt mit „im Gepäck“. Als „bad bank“ kann sich der ESM direkt und unbegrenzt Kredit bei der Notenbank beschaffen. Artikel 19 erlaubt darüber hinaus ohne Vertragsänderung schon jetzt die Rettung insolventer Banken.

Immunität und Geheimhaltungspflicht

Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass weitere Hilfen nicht ohne parlamentarische Zustimmung erteilt werden dürfen. Laut Artikel 4(4) kann der ESM-Gouverneursrat jedoch auf Empfehlung von Kommission und EZB finanzielle Soforthilfen genehmigen. Stimmt das deutsche Ratsmitglied ohne parlamentarische Prüfung zu, genießt es gemäß Artikel 35 uneingeschränkte Immunität, während einmal gefasste ESM-Ratsbeschlüsse laut Artikel 32 nicht justiziabel sind.

ESM-Angehörige unterliegen zudem einer lebenslangen Geheimhaltungspflicht. Ähnlich wie der EZB-Präsident müssen sie sich also in Bezug auf ihre Amtsgeschäfte nicht für Rechtsbrüche verantworten, so sie nur schweigen.

EZB-Präsident Draghi und vertragswidrige Anleihekäufe

Durch den ESM-Vertrag könnte die Haftung Deutschlands für Schulden angeschlagener Euro-Staaten auf 700 Milliarden Euro ansteigen, zusammen mit bestehenden Garantien und Krediten nach Zahlen des Ifo-Instituts in München sogar auf anderthalb Billionen Euro. Das wäre nicht weniger als das Doppelte beziehungsweise Vierfache des deutschen Bundeshaushaltes. Die Budgetautonomie des Deutschen Bundestages wäre damit selbst bei Teilverlusten aufgehoben.

Die EU-Verträge verbieten Staatsfinanzierung über die Notenpresse und untersagen Regierungen die Veräußerung von Regierungsanleihen an die EZB. Dem ESM wird nun gestattet, was der EZB im Mindesten gemäß den Verträgen untersagt ist: Staatsanleihen direkt zu kaufen, Staatskredite zu gewähren und insolvente Banken zu retten.

EZB-Präsident Draghi hat bereits angekündigt, dass er Anleihekäufe durch den ESM zur Rechtfertigung nähme, dass die EZB nicht mehr durch Beschränkungen des Artikels 123 gebunden wäre. Vertragswidrig befinden sich bereits jetzt über 40 Milliarden Euro griechischer Staatsanleihen in der EZB-Bilanz, 100 bis 150 Milliarden schlummern dort als Pfand für Bankkredite. Details über die Zusammensetzung und Kreditwürdigkeit anderer Bilanzposten weigert sich Draghi zu veröffentlichen.

EZB-Politik wird die Inflation beschleunigen

Der ESM-Vertrag vergemeinschaftet die Staatsschulden durch Direkthilfen, Garantien, ESM- oder Projektbonds und mögliche über den ESM gesteuerte EZB-Kredite. Es gibt keine Obergrenze für diese gemeinschaftlichen Schulden – ein Bruch des „No bail“-Prinzips des EU-Vertrages.

Die EZB-Politik der subventionierten Staatsfinanzierung durch die Notenpresse wird über kurz oder lang durch Zunahme der Geldmenge verbunden mit einer Euro-Abwertung die Inflation beschleunigen. Der EZB-Präsident „lirafiziert“ damit den Euro.

Grundlage des National- und Rechtsstaats steht infrage

Der ESM-Vertrag begründet ein System, mit dem durch Immunität geschützte ESM-Banker über hohe Summen nationaler Steuergelder verfügen und die Kontrollrechte der nationalen Parlamente umgehen können. Damit und durch die Schuldenvergemeinschaftung verstößt der ESM gegen Grundgesetz wie EU-Verträge.

Ist der ESM einmal in Kraft, ist die Grundlage des National- und Rechtsstaats infrage gestellt: das Budgetrecht des Bundestages und seine Fähigkeit, durch Steuer- und Ausgabepolitik die Lebensverhältnisse der Bevölkerung erheblich zu bestimmen. Dennoch erwartet kaum jemand, dass das Bundesverfassungsgericht oder der EuGH den ESM zu Fall bringen; allenfalls geringfügige Korrekturen gelten als denkbar.

Es wäre eine rechtsstaatliche Tragödie, wenn das Bundesverfassungsgericht bei eindeutiger Rechtslage nicht den Mut aufbringt, Verfassung und Bürger gegen die „große politische Koalition“ zu schützen. Und doch ist Recht auch immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Wie läuft der Kauf von Schuldpapieren ab?

Investoren können Staatsanleihen auf verschiedenen Wegen erwerben. Werden Schuldscheine neu ausgegeben, kaufen Anleger diese direkt bei den Staaten. Bei diesen Anleiheauktionen – der sogenannte Primärmarkt – bekommen jene Investoren den Zuschlag, welche die niedrigsten Zinsen verlangen und dem Staat damit praktisch das günstigste Darlehen geben.Einmal ausgegebene Anleihen können auf dem sogenannten Sekundärmarkt gehandelt werden. Die EZB darf nicht auf dem Primärmarkt aktiv werden. Dies entspräche direkter Staatsfinanzierung, die der EZB in den EU-Verträgen verboten ist. Die Notenbank kauft jedoch auf dem Sekundärmarkt Anleihen auf, also über die Börse oder direkt von Investoren.

Welches Ziel hat der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB?

In der Euro-Schuldenkrise sind die Zinsen für neue Anleihen einzelner Staaten teils dramatisch angestiegen. Zuletzt hatten Anleihen in Spanien die Schwelle von sieben Prozent überschritten. In Zinsen drückt sich das Risiko aus, das Investoren hinter Anleihen vermuten. Es waren also Zweifel gewachsen, ob Spanien seine Schulden zurückzahlen kann. Zinsen über sieben Prozent gelten als längerfristig nicht tragbar. Mit dem Aufkauf und der dadurch entstehenden Nachfrage nach Staatsanleihen kann die EZB Druck von den Ländern nehmen.

Gefahren des Schuldtitel-Kauf durch EU-Institutionen?

Experten zufolge birgt der Aufkauf von Staatsanleihen durch Institutionen wie die EZB die Gefahr, dass mit niedrigeren Zinsen der Reformdruck auf Krisenstaaten schwindet – und damit der Druck, ihre Schulden zu reduzieren. Gleichzeitig geht das Risiko, das den Papieren anhaftet, auf die Institutionen über und damit auf deren Träger. Bei der EZB ist das die Gemeinschaft der 17 Euro-Staaten. Kommt durch den Aufkauf von Anleihen wiederum mehr Geld in Umlauf, kann dies die Inflation anheizen.

Welche Rolle kann der ESM beim Anleihe-Aufkauf spielen?

Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge plant EZB-Chef Mario Draghi den koordinierten Aufkauf von Staatspapieren durch die Zentralbank und den geplanten Euro-Rettungsschirm ESM. Der ESM soll demnach direkt auf dem Primärmarkt Regierungen Papiere im kleineren Umfang abkaufen, um Zinsdruck zu nehmen – begleitend zu den Aufkäufen der EZB am Sekundärmarkt.

Siehe dazu auch: Bankenkontrolle: Die EU treibt die große Lösung voran

Update: EZB entscheidet mit einfacher Mehrheit über den Ankauf von Staatsanleihen – 37 000 Menschen klagen in Karlsruhe gegen den ESM

Update: Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes: ESM verletzt Budgetrecht des deutschen Bundestages

Update: Karlsruhe gibt dem ESM grünes Licht

Update: Übersicht über die Ausschöpfung der Finanzhilfen und deutschen Garantierahmen, Stand 31.8.2014

Update: ESM: Große Macht, große Verantwortungslosigkeit (2018)

Update: Einigkeit immer nur scheibchenweise: Quo vadis, Europa?