Was für ein hässliches Jahr 2020 doch ist: Ein Virus hat dafür gesorgt, dass viele Menschen sogar Freunde und Familienangehörige als potentielle Überbringer des Todes sehen und wir mit angsterfüllten Blicken aufgefordert werden, bloß nicht zu nah zu kommen. Abstand und Maske werden wohl zu den Unwörtern des Jahres werden. Bei mir persönlich gehört ein weiteres dazu: Panikmache.
Nach Mexico wäre ich gern geflogen im Frühjahr. Keine Chance: Der Flugverkehr war weltweit praktisch eingestellt. Gut, dass ich nicht gebucht hatte: Ich würde, wie tausende Andere trotz EU-Gesetz der Erstattungspflicht innerhalb von zwei Wochen auch nach Monaten noch auf mein Geld warten – so wie ich auch noch immer darauf warte, dass die Bundesregierung wie versprochen die Kosten für die Thomas-Cook-Anzahlung für Ägypten von vor einem Jahr erstattet. Der Sommerurlaub gehört dem Hund, deshalb suche ich dann, wenn möglich, ein günstiges Ferienhaus mit Garten und Pool. So hatte ich schon im Januar für den September ein schönes Haus im Süden Kataloniens gefunden und gebucht.
Wochen vor Reisebeginn kam sie: Die erneute Reisewarnung der Bundesregierung für Spanien. Die zweite Welle habe das Land erwischt, alles sei ganz furchtbar, die Bürger sollten Rücksicht üben und zuhause bleiben. Parallel dazu kam die Mail des spanischen Vermieters: Man habe inzwischen so viele Verluste gemacht, dass man auch aus Kulanzgründen auf keinen Fall Stornierungen zustimmen werde. Da war das Haus dann schon für zwei Wochen bezahlt. Was tun?
Einige meiner Facebook-Freunde sind derart von den Maßnahmen der Bundesregierung überzeugt, dass sie einen Shitstorm über jeden loslassen, der versucht, selbst zu denken. Ich sehe das differenzierter: Man kann Abstand halten, ohne auf alles verzichten zu müssen. Außerdem: So viel Geld habe ich nun auch nicht, dass ich bereit wäre, es einem Vermieter in Spanien zu schenken. Da es sich um keine Pauschalreise handelt, habe ich kein Recht auf Erstattung bei Stornierung. Also fahre ich. Basta.
Vorher gibt es noch Kopfzerbrechen: Bis 15. September gilt zwar die Möglichkeit, sich als Reiserückkehrer kostenlos testen zu lassen. Aber es dauert bis zu zehn Tagen, bis das Ergebnis da ist, das geht gar nicht. Außerdem sind die Testzentren oft nur vormittags geöffnet, an Wochenenden nur bis Samstag mittag oder gar nicht. Sie liegen auch nicht etwa an den Autobahnen, sondern irgendwo in anliegenden Städten. Was für ein Unsinn. Welcher Rückkehrer ist denn samstags mittags schon zurück, oder sucht nach einer langen Fahrt noch umständlich irgendwo das Zentrum? Ich finde schließlich ein privates Unternehmen, das am Flughafen Frankfurt rund um die Uhr sieben Tage die Woche testet und verspricht, bei kostenlosen Tests innerhalb von 12, bei kostenpflichtigen innerhalb von 8 Stunden das Ergebnis mitzuteilen. Ok, das geht. Also los.
Nach all den Warnungen vor strengen Kontrollen erwarte ich an den Grenzen zu Frankreich und Spanien Posten, die Fieber messen oder ähnliches. Weit gefehlt: Weder auf dem Hin- noch auf dem Rückweg sind an den deutschen, französischen oder spanischen Grenzen irgendwelche Kontrolleure zu finden, das freie Schengen-Europa funktioniert wie immer. Aber die Autobahnen sind leerer. 14 Stunden für 1400 Kilometer trotz Pausen: einzigartig. Die Autoroute du Süd, auf der ich in über 40 Jahren zu jeder Tages- und Nachtzeit nie ohne Stau unterwegs war, ist auf dem nächtlichen Hinweg wie leer gefegt. Das, so denke ich mir, scheint tatsächlich eine Folge der vielen Corona-Verbote zu sein.
In Spanien angekommen stelle ich fest, dass die Regeln hier strenger sind als bei uns: Auch auf der Straße hat man Maske zu tragen, egal wie heiß es ist. Das gilt sogar auf dem Weg zum Strand. Erst ab Handtuch ist es erlaubt, das Teil endlich abzulegen. Das Ferienhaus in L’Amletlla de Mar liegt in einer dieser Villengegenden, die in Katalonien überall die alten Fischerorte umgeben. Dort wohnen nur ganz wenige Einheimische, fast alle Häuser werden an Touristen vermietet. Das Viertel ist so gut wie leer, es herrscht eine merkwürdige, dumpfe Stimmung. Beim Einkauf im Supermarkt und beim Spaziergang durch die Stadt wird klar: Ich bin ausschließlich unter Spaniern. Nur zweimal sehe ich eine deutsche Familie in diesem Urlaub. Trotz zahlreicher Ausflüge kann ich die deutschen Autos zählen: Es sind genau fünf in zwei Wochen.
In den kleinen Städtchen, wo die Einwohner unter sich sind, herrscht reger Betrieb. Aber es ist anders als in Deutschland. Obwohl 98 Prozent der Spanier die Masken- und Abstandsregeln strikt einhalten, wird nicht ständig darüber diskutiert. Man trifft sich auf der Straße, auf dem Markt, im Restaurant, hält den gebotenen Abstand, verzichtet aber nicht auf fröhliche Gespräche und Lachen. Das wirkt sehr erleichternd auf mich: Endlich mal raus aus der verbissenen, panischen Stimmung zuhause.

Die Hundestrände sind hier, wie überall, wo es sie in Spanien überhaupt gibt, eine Zumutung. Klein, felsig oder voller Kies, trotz des schönen klaren Wassers kein Vergnügen. Gott sei Dank gibt es das Ebro-Delta! Hier herrscht eine zauberhafte Stimmung. Man fährt lange über schmale Sträßchen durch die weite Ebene, in der die Reisfelder grüngolden leuchten. Dazwischen viele Bewässerungskanäle, vereinzelt Eukalyptusbäume und Palmen. Dazwischen gewürfelt und weit verstreut Pumphäuschen und Wohnhäuser. Das letzte Stück ist eine Sandpiste. Nur ein kleines Schild weist auf das Ziel hin: Platja Marquesa. Hier erreicht einer der vielen Arme des Ebros das Meer. Und hier ist endlich, was ich gesucht habe: Ein ewig langer Strand aus feinem Fluss-Sand mit einem rauschenden Meer. Es sind kaum Menschen hier: An Wochentagen liegt der Mindest-Abstand bei 500 Metern und mehr. Das sorgt dafür, dass auch der Hund toleriert wird: Herrlich. Lucy holt stundenlang Stöckchen aus den Fluten, ich sammele Muscheln und Schneckenhäuser.
Wie im Flug vergehen die beiden Wochen, der lange Rückweg steht an. Es ist ein heißes Wochenende mit etwas mehr Verkehr auf der Autoroute du Sud; Franzosen nutzen die Gelegenheit für ein Wochenende am Meer. Auch diesmal nirgendwo eine Kontrolle: Nach 14 Stunden ist es überstanden. Kaum empfängt das Autoradio wieder deutsche Nachrichten, höre ich neue Panikmeldungen über Corona in Frankreich und Spanien. Weiß unsere Regierung eigentlich, was sie diesen Ländern mit ihren Reisewarnungen antut? Mal ganz zu schweigen von den vielen Bundesbürgern, die dieses Jahr nicht fahren konnten…
Sonntag: Test am Flughafen FFM: Rechts werden die zahlenden Kunden von Firmenpersonal betreut, links die Gratis-Reiserückkehrer von der Bundeswehr. Von Stau keine Spur. „Hinsetzen. Mund auf. Gleich fertig.“ So unangenehm es ist, sich von einem Fremden im Mund herumstochern zu lassen, muss ich fast lachen: Soldaten…

Ok, das mit den 12 Stunden war nichts, es hat 24 gedauert. Ich bin natürlich negativ. Wo hätte ich mich auch anstecken sollen…. ?