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Isegrims Familienleben: Zu Gast beim Wolfsrudel Kempfeld

Was macht Wölfe so faszinierend?

Es ist die Intensität. Sie liegt in ihrem Blick und bestimmt ihr gesamtes Verhalten. Es ist die Wachsamkeit. Sie ist unglaublich – intensiv. Es ist ihr Rudelverhalten. Es ist achtsam, autoritär und gleichzeitig sehr liebevoll. Kein Mitglied im Rudel bleibt allein – auch nicht das Omega-Tier. Es wird erst kräftig dominiert – und dann beschmust. Intensiv. Und trotz der Bindung ans Rudel ist es die Freiheit. Sie lebt in ihrem Wesen. Wölfe sind selbstbestimmt. Sie ordnen sich in ihr Rudel ein – aber nicht dem Menschen unter.

Hawk heißt der Anführer des inzwischen sechsjährigen Rudels europäischer Wölfe im Hochwildschutzpark Kempfeld. Hawk wie Habicht – ein Name, der wunderbar zu dem Rüden mit den scharfen, ausdrucksstarken Augen passt. Drei Stunden lang hatten wir am Sonntag Zeit, ihn und sein Rudel ganz in Ruhe zu beobachten und zu fotografieren. Timber, Odin und Lady vervollständigen die Wolfsfamilie, die in großer Harmonie zusammen lebt.

Nur der obere Teil ihres Reviers ist einsehbar. Wenn die Tiere ruhen wollen, können sie sich völlig ungestört weiter unten im Unterholz der hohen Bäume niederlassen. Es gibt eine Höhle, verschieden hohe Hügel, eine Wasserstelle mit Frischwasser und eine Art Badewanne. Damit wir bei gutem Licht fotografieren können, wird die Fütterung vorgezogen. Sie ruft die Tiere in Sekundenschnelle nach oben, und dann gibt es was zum Staunen. Zuerst werden deutlich Zähne gefletscht, dann verzehrt der Leitwolf in aller Ruhe einen Vogel, der vor allem aus Federn besteht. Er hat ihn unter einem Steinhaufen hervorgeholt. „Von gestern aufbewahrt,“ kommentiert grinsend ein Pfleger. Federn, Füße – egal: Alles wird runtergewürgt.

Nach dem Essen ist eine Runde ausführliches Schmusen angesagt – jede(r) mit jedem. Nur einer findet nicht die richtige Ruhe: Hawk ist abwechselnd damit beschäftigt, den anderen zu zeigen, dass er der Chef ist, und auf alles aufzupassen, was das Rudel bedrohen könnte. Am entspanntesten ist Lady, die einzige Fähe der Gruppe. Sie ist vergleichsweise zierlich, elegant und vor allem entspannt. Ganz klar, sie gehört zu Hawk. Aber das hindert sie nicht daran, das Omega-Tier mit ihrer Zärtlichkeit glücklich zu machen, und auch nicht daran, die Zaungäste genau unter die Lupe zu nehmen. Sie spaziert vor ihnen auf und ab, scheint zu lächeln, zum Spiel einzuladen.

Angesagt ist so ein Spielversuch jedoch nicht. Auch wenn die Jungwölfe einst von Hand aufgezogen wurden, sind sie heute so wild, wie es ein geschlossenes Gatter möglich macht. So wird dringend davon abgeraten, etwa die Hand durch den Zaun zu stecken.

Nachdem die vier in allen möglichen Konstellationen geruht, geschmust haben und patrouilliert sind, ziehen sie sich zurück: Der volle Magen fordert seinen Tribut. Zeit für unsere siebenköpfige Gruppe, ein wenig über Kameras und Objektive zu fachsimpeln. Lange dauert die Ruhe nicht: Immer wieder ziehen Zaungäste die Aufmerksamkeit der Wölfe auf sich. Schon um 16 Uhr beginnt das sanfte Licht des letzten Oktobertages zu schwinden. Nach der Sommerzeit, die soeben geendet hat, wäre es ja auch schon 17 Uhr. Wie schnell die Stunden vergangen sind!

Auf dem Rückweg zum Auto hören wir sie: Von vier verschiedenen Standorten aus heulen sie ihre Liebe und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl aus vollem Herzen in den aufziehenden Nebel. Schließlich sehen wir ihn. Auch mit dem Teleobjektiv nur ganz klein einzufangen, wacht Hawk auf einem der Hügel über seine Familie. Er hat uns alle scharf im Blick. Der mystische Gesang der verschworenen Gemeinschaft begleitet uns noch lange und verankert sich tief im Herzen. Was für ein schöner Tag…

Siehe auch: Faszinierende Wölfe: Lady und ihre Brüder

Faszinierende Wölfe: Lady und ihre Brüder werben

Still liegt das weitläufige Gehege des Wildfreigeheges Wildenburg im kalten Dezemberregen. Man kann das abschüssige Gelände unter den hohen Bäumen nur teilweise einsehen. Es gibt einen großen, steinigen Hügel, einige Mulden, eine Höhle und ein Holzhäuschen für die Gerätschaften der Pfleger. Einige Dutzend Menschen warten in der Dämmerung am Zaun, fröstelnd im unangenehmen Wind. Soeben hat der junge Mann mit den lodernden Augen in Camouflage-Kleidung Fleischbrocken im Gelände verteilt.

Hhhhschschsch… es ist wie ein schneller, kurzer Windhauch; mehr ist nicht zu hören, als die vier aus dem Nichts herbeistürmen. In Windeseile und lautlos verzehren sie die Brocken – nach nicht mal zwei Minuten ist alles vorbei. Danach beginnt das Nachsuchen – und die kleine Chance, bei schwindendem Licht ein paar halbwegs scharfe Fotos zu machen. Die Wölfe selber übersehen die Zuschauer. Sie interessiert nur das Fleisch.

Immer mehr der grauen Jäger wandern nach Deutschland ein, versuchen, sich zu etablieren und geraten unweigerlich in Konflikt mit den „Platzhirschen“. Menschliche Jäger und Landwirte kämpfen erbittert gegen die Vierbeiner, auch wenn diese durchaus auch Mäuse und anderes Kleingetier fressen, nicht nur Schafe, Reh- und Rotwild. Bis man sich miteinander arrangiert haben wird, und beispielsweise Schafzüchter bereit sein werden, mit entsprechend trainierten Hunden sowie Zäunen für ihre Herden zu sorgen, wird es noch ein weiter Weg.

Das Wildfreigehege Wildenburg bei Kempfeld im Naturpark Saar-Hunsrück arbeitet seit einigen Jahren an konsequenter Aufklärung. Dort lebt ein kleines Rudel europäischer Wölfe. Die drei Rüden und ihre Gefährtin „Lady“ wurden von Hand aufgezogen, leben aber jetzt mehr als halb wild in einem großen Freigehege. Lady ist sterilisiert, aber nicht kastriert, damit ihr Verhalten dem einer Wölfin zwar entspricht, sie sich aber nicht fortpflanzen kann.

Immer wieder veranstaltet das Freigehege (in dem es auch ein Wildkatzen-Zentrum gibt), Aufklärungsveranstaltungen. Bei Vollmond etwa wird regelmäßig zum Wolfsgeheul eingeladen. Das Rudel heult sich allabendlich „zusammen“, bevor die vier sich zur Ruhe legen. Bei solchen Veranstaltungen ist ein kundiger Experte anwesend, der für Fragen zur Verfügung steht und mit Vorurteilen aufräumt.

Auch die allabendlichen Fütterungen in der Dämmerung können beobachtet werden (wegen Corona ausgesetzt). Um möglichst viele Menschen anzusprechen, werden die Wölfe im Rahmen anderer Veranstaltungen mit beworben, so wie beispielsweise beim Weihnachtsmarkt. Und eines ist sicher: Die Tiere sind ein faszinierender Anblick.

Als alle Besucher gegangen sind, streicht nur noch Lady am Zaun entlang. Lucy, die BGS-Hündin auf der anderen Seite, wird unruhig, jault und grollt, möchte spielen. Für einen kurzen Moment reagiert die Wölfin: Die gelben Augen mustern ihre domestizierte Schwester, Lady macht einen lustigen Bocksprung, als habe auch sie Lust auf ein Spiel.

Dann ist es vorbei. Die Wölfin dreht ab und verschwindet im Dunkel. Lucy muss der Leine nach Hause folgen.

Siehe auch: Isegrims Familienleben – Besuch beim Wolfsrudel Kempfeld