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Die Meere versauern, die Erde brennt, und alle haben massenhaft Zeit…

Der Weltklimarat hat die Ampel auf Rot geschaltet. Aber irgendwie hört niemand richtig zu.

Das Wetter des Jahres 2021 hat es in sich. Schon seit dem Frühjahr zeigt die Wetterkarte extreme Lagen auf: 30 Grad in Sibirien, während Europa auf die ersten warmen Frühjahrstemperaturen wartet – ein ausgesprochen kalter und nasser Sommer in Deutschland, während Südeuropa eine Hitzewelle nach der anderen verzeichnet. Jetzt gibt es Monsterfeuer in Südeuropa, in Sibirien und in den westlichen USA, während vor knapp zwei Wochen im Ahrtal nach Starkregen buchstäblich die Welt unterging.

Vor diesem Hintergrund hat jetzt der UN-Weltklimarat IPCC einen weiteren Teil seines sechsten Weltklimaberichtes vorgelegt. Und der kann wirklich Angst machen:

Die Zeit ist knapp und wird immer knapper: Wenn wir eine Klimaerwärmung von 2 Grad und mehr vermeiden wollen, müssen wir auf der Stelle mit durchschlagenden Maßnahmen beginnen. Rund um die Erde. Tun wir es nicht, wird die Natur uns zeigen, welche Kraft sie hat. Sie wird uns schwitzen lassen, mehr als für unsere Gesundheit gut ist. Sie wird uns mit Starkregen, Wirbelstürmen und Überschwemmungen schlagen, und sie wird brennen. Viele Millionen Menschen sind bereits jetzt in akuter Gefahr. Wenn wir nicht sofort damit beginnen, nachhaltig zu handeln, wird die von uns selbst herbei geführte Situation unumkehrbar sein. Das Ende unserer Zivilisation vielleicht auch.

Insgesamt 740 Fachleute aus 90 Ländern, davon knapp 40 aus Deutschland, haben tausende von Studien ausgewertet, die sich mit den verschiedensten Perspektiven des Klimawandels befassen. Daraus entstehen drei Bände und ein Synthesebericht:

  • WG I – Naturwissenschaftliche Grundlagen des Klimawandels
  • WG II – Folgen des Klimawandels, Verwundbarkeit und Anpassung
  • WG III – Minderung des Klimawandels
  • Synthesebericht – Kernbotschaften der drei WG-Bände und der aktuellen Sonderberichte (SR1.5 (1,5 °C globale Erwärmung), SROCC (Ozean und Kryosphäre), SRCCL (Klimawandel und Landsysteme))

Der sechste Berichtzyklus hat im Oktober 2018 begonnen und endet im Jahr 2022 mit der offiziellen Feststellung der Ergebnisse durch die Staaten der Weltgemeinschaft. Der jetzt veröffentlichte Bericht stellt als allerstes fest:

Der Mensch ist schuld.

Und weiter: Viele Veränderungen sind bereits jetzt auf Jahrhunderte unumkehrbar. Sogar jetzt sofort eingeleitete, scharfe Maßnahmen brauchen mindestens 20 Jahre, bis sie wirksam werden. Das bedeutet: Katastrophale Wetterlagen wie 2021 werden zur Normalität, und dann noch viel schlimmer werden.

Wörtlich heißt es: „Es ist eindeutig, dass der Einfluss des Menschen die Atmosphäre, den Ozean und die
Landflächen erwärmt hat. Es haben weitverbreitete und schnelle Veränderungen in der Atmosphäre, dem Ozean, der Kryosphäre und der Biosphäre stattgefunden.“

Der Hauptbericht liegt in englischer Sprache vor. Er erläutert anhand zahlreicher Messungen und grafisch aufbereiteter Studien, auf welcher Grundlage die Wissenschaftler dermaßen Alarm schlagen. Für politische Entscheidungsträger gibt es wie jedes Mal eine gesonderte Fassung, gekürzt und in der Landessprache. Weitere Kernaussagen daraus:

„Der vom Menschen verursachte Klimawandel wirkt sich bereits auf viele Wetter- und Klimaextreme in allen Regionen der Welt aus. Seit dem fünften Sachstandsbericht (AR5) gibt es stärkere Belege für beobachtete Veränderungen von Extremen wie Hitzewellen, Starkniederschlägen, Dürren und tropischen Wirbelstürmen sowie insbesondere für deren Zuordnung zum Einfluss des Menschen.

Die globale Oberflächentemperatur wird bei allen betrachteten Emissionsszenarien bis mindestens Mitte des Jahrhunderts weiter ansteigen. 1,1 Grad, regional deutlich mehr, haben wir bereits erreicht, bereits 2030 werden es 1,5 Grad sein. Eine globale Erwärmung von 2 °C wird im Laufe des 21. Jahrhunderts überschritten werden, es sei denn, es erfolgen in den kommenden Jahrzehnten drastische Reduktionen der CO2- und anderer Treibhausgasemissionen.

Viele Veränderungen im Klimasystem werden in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden globalen Erwärmung größer. Dazu gehören die Zunahme der Häufigkeit und Intensität von Hitzeextremen, marinen Hitzewellen und Starkniederschlägen, landwirtschaftlichen und ökologischen Dürren in einigen Regionen, der Anteil heftiger tropischer Wirbelstürme sowie Rückgänge des arktischen Meereises, von Schneebedeckung und Permafrost.

Fortschreitende globale Erwärmung wird laut Projektionen den globalen Wasserkreislauf weiter intensivieren, einschließlich seiner Variabilität, sowie der globalen Monsunniederschläge und der Heftigkeit von Niederschlags- und Trockenheitsereignissen.

Die Kohlenstoffsenken in Ozean und Landsystemen werden bei Szenarien mit steigenden CO2-Emissionen laut Projektionen die Anreicherung von CO2 in der Atmosphäre weniger wirksam verlangsamen.

Viele Veränderungen aufgrund vergangener und künftiger Treibhausgasemissionen sind über Jahrhunderte bis Jahrtausende unumkehrbar, insbesondere Veränderungen des Ozeans, von Eisschilden und des globalen Meeresspiegels.

Bei weiterer globaler Erwärmung wird es in jeder Region in zunehmendem Maße zu gleichzeitigen und vielfältigen Veränderungen von klimatischen Antriebsfaktoren mit Relevanz für Klimafolgen kommen. Veränderungen von mehreren Faktoren wären bei 2 °C im Vergleich zu 1,5 °C globaler Erwärmung weiter verbreitet und bei höheren Erwärmungsniveaus sogar noch weiter verbreitet und/oder ausgeprägter.“

Was kann, bzw. muss man nun dringend tun?

„Aus naturwissenschaftlicher Sicht erfordert die Begrenzung der vom Menschen verursachten globalen Erwärmung eine Begrenzung der kumulativen CO2-Emissionen, wobei zumindest netto Null CO2-Emissionen erreicht werden müssen, zusammen mit starken Verringerungen anderer Treibhausgasemissionen. Eine starke, rasche und anhaltende Verringerung von CH4-Emissionen würde auch den Erwärmungseffekt begrenzen, der sich aus abnehmender Luftverschmutzung durch Aerosole ergibt, und die Luftqualität verbessern.

Szenarien mit niedrigen oder sehr niedrigen Treibhausgasemissionen führen im Vergleich zu Szenarien mit hohen und sehr hohen Treibhausgasemissionen innerhalb von Jahren zu erkennbaren Auswirkungen auf die
Treibhausgas- und Aerosolkonzentrationen und die Luftqualität. Bei einem Vergleich dieser gegensätzlichen Szenarien beginnen sich erkennbare Unterschiede zwischen den Trends der globalen Oberflächentemperatur innerhalb von etwa 20 Jahren von der natürlichen Variabilität abzuheben, bei vielen anderen klimatischen Einflussfaktoren erst über längere Zeiträume hinweg.“

Bereits 2019 hat der Weltklimarat seinen Bericht über die Ozeane und Kryptosphäre (gefrorene Komponenten des Erdsystems) vorgelegt. Ozeane bedecken 71 Prozent der Erdoberfläche und enthalten etwa 97 Prozent des Wassers der Erde. Etwa 10 Prozent der Landfläche der Erde sind von Gletschern oder Eisschilden bedeckt. Hier einige Kernaussagen:

Heute leben rund 4 Millionen Menschen dauerhaft in der Arktis, 10 Prozent von ihnen gehören indigenen Völkern an. In niedrig gelegenen Küstenzonen leben derzeit rund 680 Millionen Menschen (fast 10 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2010), schon im Jahr 2050 werden es mindestens eine Milliarde sein. 65 Millionen Menschen leben in kleinen Insel-Entwicklungsländern. Rund 670 Millionen Menschen (fast 10 Prozent der Weltbevölkerung im Jahr 2010), einschließlich indigener Völker, leben in Hochgebirgen auf allen Kontinenten außerhalb der Antarktis. Hier wird die Bevölkerung spätestens im Jahr 2050 740 bis 840 Millionen erreichen (etwa 8,4 – 8,7 Prozent der projizierten Weltbevölkerung).

Es ist praktisch sicher, dass sich der globale Ozean seit 1970 ungemindert erwärmt und mehr als 90 Prozent der zusätzlichen Wärme im Klimasystem aufgenommen hat. Seit 1993 hat sich die Geschwindigkeit der Ozeanerwärmung mehr als verdoppelt. Die Häufigkeit von marinen Hitzewellen hat sich seit 1982 verdoppelt, und ihre Intensität nimmt zu. Durch die Aufnahme von mehr CO2 ist die Ozeanoberfläche zunehmend versauert. Sauerstoffverlust fand von der Oberfläche bis in 1000 Meter Tiefe statt.

Die Kryosphäre ist weiträumig geschrumpft; dies beinhaltet Massenverluste von Eisschilden und Gletschern, Rückgänge der Schneebedeckung und der arktischen Meereisausdehnung, sowie erhöhte Permafrosttemperaturen.

Der mittlere globale Meeresspiegel steigt an; in den letzten Jahrzehnten beschleunigte sich dieser Anstieg sowohl aufgrund der zunehmenden Geschwindigkeit von Eisverlusten des grönländischen und der antarktischen Eisschilde, als auch aufgrund des anhaltenden Gletschermassenverlusts und der thermischen Ausdehnung des Ozeans.

Dies hat vom Äquator bis zu den Polen zu Verschiebungen in Artenzusammensetzung, Populationsdichte und Biomasseproduktion von Ökosystemen geführt. Veränderte Wechselwirkungen zwischen Arten haben zu kaskadenartigen Folgen für die Struktur und Funktionsweise von Ökosystemen geführt. In manchen Meeresökosystemen sind Arten sowohl von den Folgen von Fischereipraktiken als auch vom Klimawandel betroffen. Küstenökosysteme werden durch die Erwärmung des Ozeans beeinträchtigt. Folgen für die Größe von Lebensräumen und die Biodiversität sowie für Ökosystemfunktionen und -leistungen werden bereits beobachtet.

Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die schrumpfende Kryosphäre in der Arktis und in Hochgebirgsregionen zu überwiegend negativen Folgen für Ernährungssicherheit, Wasserressourcen, Wasserqualität, Lebensgrundlagen, Gesundheit und Wohlergehen, Infrastruktur, Verkehr, Tourismus und Erholung sowie für die Kultur menschlicher Gesellschaften geführt, insbesondere für indigene Völker.

Veränderungen im Ozean haben sich mit regional unterschiedlichen Resultaten auf marine Ökosysteme und deren Leistungen ausgewirkt, was deren Management und Steuerung erschwert. Die Folgen für Ökosystemleistungen haben negative Auswirkungen auf Gesundheit und Wohlergehen sowie auf von der Fischerei abhängige indigene Völker und lokale Gemeinschaften. Die Küstenbevölkerung ist einer Vielzahl klimabedingter Gefahren ausgesetzt, darunter tropische Wirbelstürme, extreme Meeresspiegel und Überschwemmungen, marine Hitzewellen, Meereisverlust und Tauen von Permafrost. All diese Entwicklungen werden bis 2050 deutlich zunehmen.

Laut Projektionen wird der Ozean im Laufe des 21. Jahrhunderts einen Übergang zu noch nie dagewesenen Bedingungen vollziehen, mit erhöhten Temperaturen, stärkerer Schichtung im oberen Ozean, weiterer Versauerung und Sauerstoffrückgang. Marine Hitzewellen, extreme El Niño- und La Niña-Ereignisse werden häufiger werden. Die Atlantische Meridionale Umwälzbewegung (AMOC) wird sich abschwächen.

Der Meeresspiegelanstieg wird sich in allen RCP-Szenarien über das Jahr 2100 hinaus
fortsetzen. Je nach Rechenmodell steigt er um einen bis mehrere Meter. Wald- und Flächenbrände werden für den Rest dieses Jahrhunderts in den meisten Tundragebieten und borealen Regionen sowie in einigen Gebirgsregionen deutlich zunehmen. Für empfindliche Ökosysteme wie Seegraswiesen und Kelpwälder werden hohe Risiken projiziert, wenn die globale Erwärmung 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau überschreitet, kombiniert mit anderen klimabedingten Gefährdungen. Für Warmwasserkorallen besteht bereits jetzt ein hohes Risiko, das sich weiter steigern wird, selbst wenn die globale Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt wird.

In arktischen menschlichen Siedlungen ohne schnelle Landhebung und auf Atollinseln werden die Risiken selbst unter einem niedrigen Emissionsszenario als moderat bis hoch projiziert, was auch das Erreichen von Anpassungsgrenzen mit einschließt. Delta-Regionen und ressourcenreiche Küstenstädte werden unter Annahme eines Szenarios mit hohen Emissionen nach 2050 mit gegenwärtiger Anpassung ein hohes Risikoniveau aufweisen.

Folgen klimabedingter Veränderungen in Ozean und Kryosphäre stellen die gegenwärtigen politischen Steuerungsbemühungen von Anpassungsmaßnahmen vom lokalen bis zum globalen Maßstab zunehmend infrage und bringen sie in einigen Fällen an ihre Grenzen. Menschen mit der höchsten Exposition und Verwundbarkeit sind oft diejenigen mit der geringsten Anpassungskapazität.

Küstenbevölkerungen stehen vor schwierigen Entscheidungen, wenn es darum geht, kontextspezifische und integrierte Maßnahmen in Reaktion auf den Meeresspiegelanstieg zu entwickeln, die Kosten, Nutzen und Zielkonflikte der verfügbaren Optionen abwägen und die im Laufe der Zeit angepasst werden können. Alle Arten von Optionen, einschließlich Küstenschutz, Akkommodation, ökosystembasierter Anpassung, Landgewinnung und Rückzug von der Küste, wo immer möglich, können bei solchen integrierten Reaktionen eine wichtige Rolle spielen.

Die Ermöglichung von Klimaresilienz und nachhaltiger Entwicklung hängt entscheidend von dringender und ehrgeiziger Emissionsreduktion in Verbindung mit koordinierten anhaltenden und zunehmend ehrgeizigen Anpassungsmaßnahmen ab“, schließt der Bericht. „Zu den wichtigsten Voraussetzungen für die Umsetzung wirksamer Maßnahmen in Reaktion auf klimabedingte Veränderungen in Ozean und Kryosphäre gehört die Intensivierung der Zusammenarbeit unter Regierungsbehörden über räumliche Maßstäbe und Planungshorizonte hinweg. Von wesentlicher Bedeutung sind auch Bildung und Klimakompetenz, Überwachung und Vorhersage, die Nutzung aller verfügbaren Wissensquellen, das Teilen von Daten, Information und Wissen, Finanzen, die Bekämpfung sozialer Verwundbarkeit und Gerechtigkeit sowie institutionelle Unterstützung.“

Dieser Bericht ist nun zwei Jahre alt. Was ist seitdem passiert – einmal abgesehen von wortreichen Absichtserklärungen?

Die globale Erwärmung wird wie auch das Landmanagement in einem gesonderten Bericht behandelt. Darin heißt es: „Die globale Erwärmung erreicht 1,5 °C wahrscheinlich zwischen 2030 und 2052, wenn sie mit der aktuellen Geschwindigkeit weiter zunimmt. Sie wird für Jahrhunderte bis Jahrtausende bestehen bleiben und weiterhin zusätzliche langfristige Änderungen im Klimasystem bewirken, wie zum Beispiel einen
Meeresspiegelanstieg und damit verbundene Folgen. Klimamodelle projizieren belastbare Unterschiede regionaler Klimaeigenschaften zwischen heutigen Bedingungen und einer globalen Erwärmung um 1,5 °,
sowie zwischen 1,5 °C und 2 °. Zu diesen Unterschieden gehören Zunahmen der Mitteltemperatur in den meisten Land- und Ozeangebieten, Hitzeextreme in den meisten bewohnten Regionen, Starkniederschläge in mehreren Regionen und die Wahrscheinlichkeit von Dürre und Niederschlagsdefizite in manchen Regionen.

Der Meeresspiegel wird bis weit über das Jahr 2100 hinaus weiter ansteigen, wobei Ausmaß und Geschwindigkeit von zukünftigen Emissionen abhängen. In Modellen ohne oder mit geringer Überschreitung von 1,5 °C nehmen die globalen anthropogenen Netto-CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 45 Prozent gegenüber dem Niveau von 2010 ab und erreichen um das Jahr 2050 netto null. Bei einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf unter 2 °C projizieren die meisten Rechnungen eine Abnahme der CO2-Emissionen bis 2030 um etwa 25 Prozent und das Erreichen von netto null um das Jahr 2070.

Mit einem interaktiven Tool kann man selbst berechnen, in welcher Zeit in ausgewählten Küstenregionen der Meeresspiegel steigt, und wie stark er steigen wird.

Die globale Erwärmung ohne oder mit geringer Überschreitung auf 1,5 °C zu begrenzen, würde beispiellos schnelle und weitreichende CO2-Minderungen in Energie-, Land-, Stadt- und Infrastruktur- (einschließlich Verkehr und Gebäude) sowie in Industriesystemen erfordern. Die Pariser Klimaziele genügen dabei nicht: „Eine Überschreitung und Abhängigkeit von zukünftig großflächigem Einsatz von Kohlendioxidentnahme (CDR) kann nur vermieden werden, wenn die globalen CO2-Emissionen lange vor 2030 zu sinken beginnen.“

Wie schwer es ist, die Nationen rund um den Globus zu wirksamen CO2-Reduktionen zu bewegen, ist den Autoren durchaus klar: Zahlreiche Konflikte sind programmiert. Alternativen dazu sehen sie aber nicht: Je schneller die Welt handelt, desto besser sind die Aussichten auf Erfolg. Dennoch kam die erste Reaktion aus Australien, ausgerechnet dem Kontinent, der schon erheblich unter der Klimaveränderung leidet: Er sehe nicht ein, sich ‚blanco‘ zu verpflichten, verkündete der konservative Premier Morrison. Sein Land ist der weltgrößte Kohle-Exporteur.

Die Berichte der Fachleute sind trocken, und auch in ihrer Zusammenfassung nicht einfach zu lesen. Dennoch kann ich nur empfehlen, sich immer wieder damit zu beschäftigen. Alles, was getan werden muss, um das Überleben der Erde mit ihren Bewohnern zu sichern, ist öffentlich bekannt. Niemand wird sagen können, er habe es nicht gewusst. Auf dieser Seite sind die wichtigsten Downloadlinks noch einmal zusammengefasst.


Jeff Bezos: Reichster Mann der Welt durch ein Menschen verachtendes System

„Amazon ist ein riesiges Unternehmen, das in den vergangenen Jahren rasant gewachsen ist und Gewinne macht. Das freut uns Mitarbeiter – aber wir wollen auch daran beteiligt werden,“ sagte anonym ein Mitarbeiter des Onlinehändlers im Juni 2020 dem „Spiegel„. „Ich wurde vor einiger Zeit am Knie operiert, daraufhin bin ich sechs Wochen ausgefallen. Als ich zurück im Betrieb war, wurde von mir erwartet, dass ich direkt wieder funktioniere wie zuvor. An manchen Tagen muss ich bis zu 30 Kilometer durch die Hallen laufen und Waren transportieren…“

Seit 27 Jahren gibt es den Onlinehändler Amazon. Jedes Jahr wird er größer, internationaler und weltumspannender. Jeff Bezos, Gründer und CEO des US-Unternehmens, wurde 2019 geschieden. Seine Ehefrau bekam ein Viertel der Aktien. Trotzdem hält Bezos weiterhin den Titel des reichsten Mannes der Welt: Er besitzt 177 Milliarden Dollar. Das sind 47 Milliarden mehr als im Vorjahr. 47 und 9 Nullen… Auf welche Weise all dieses Geld erwirtschaftet wird, hinterlässt jedoch mehr als ein Geschmäckle: Amazon ist ein Menschen verachtendes System voller Unterdrückung, das so wenig wie möglich an die Gesellschaft zurück gibt.

Letztes Jahr ließ Jeff Bezos sich für eine großzügige Spende feiern: Er kündigte an, zehn Milliarden US-Dollar für den Kampf gegen den Klimawandel zu spenden und eine neue Initiative mit dem Namen „Bezos Earth Fund“ zu starten. Im Jahr 2019 kündigte er an, sagenhafte 98,5 Millionen Euro an Obdachlose zu spenden… Angesichts der Tatsache, dass Bezos als großer Profiteur der Corona-Krise in einem einzigen Jahr um fast 50 Milliarden Euro reicher geworden ist, wirken seine Spenden wie lächerliche Feigenblätter. Fühlbar sind sie für ihn nicht.

Gleichzeitig ist sein global agierender Konzern Weltmeister beim Steuersparen: 2017 und 2018 zahlte er in den USA keinen Cent. 2019 waren es 1,2 Prozent. Das, obwohl der Konzern einer der wertvollsten der Welt ist. In Europa verhält sich Amazon ebenso. Obwohl im Jahr 2020 der Umsatz des Online-Händlers um mehr als ein Drittel gestiegen ist, legt die Amazon EU S.à r.l., die aus dem EU-Steuerparadies Luxemburg operiert, einen Verlust von 1,2 Milliarden Euro vor. Der Amazon Watchblog beobachtet das Geschäftsgebaren des Konzerns genau und hat einen Fachmann befragt: „Amazon könnte genauso gut einen hohen Überschuss für das Handelsgeschäft in Europa ausweisen – einmal abgesehen davon, dass es sich bei den Amazon-Sparten um kaum trennbare Verbundgeschäfte handelt. Insgesamt könnten durch Vorabschöpfungen wohl rund sieben Mrd. Euro auf das Handels- und Marktplatzgeschäft in Europa gegengerechnet werden, wodurch sich das Handelsgeschäft ohne Marktplatz anteilig gerechnet mindestens um 2,5 Mrd. Euro besser darstellen würde,“ rechnet Amazon-Experte Professor Gerrit Heinemann vor.

Die EU, wo Amazon aus Luxemburg und Irland operiert, das ebenfalls viele Steuervorteile bietet, steht der Rechnerei relativ hilflos gegenüber: 2017 verlangte die für Wettbewerbspolitik zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager von Luxemburg eine Steuernachzahlung in Höhe von rund 250 Millionen Euro zuzüglich Zinsen wegen der Gewährung unzulässiger Steuervorteile für Amazon. Dadurch habe das Unternehmen seit 2003 drei Viertel seiner Gewinne nicht versteuern müssen. Eine lächerliche Strafe angesichts der enormen Summen, die der Konzern durch die Politik Luxemburgs sparen konnte.

Seit 2015 verbucht Amazon seine in Deutschland gemachten Gewinne auch in Deutschland. Das hat nicht viel geholfen, denn der Konzern vermischt immer wieder Zahlen verschiedener Sparten, um echte Gewinne zu verschleiern. 2019 wurden Gesamteinnahmen aus allen Aktivitäten in Deutschland in Höhe von 19,9 Milliarden Euro (22,323 Milliarden US-Dollar) erwirtschaftet. Amazon beschäftigt hierzulande rund 20 000 Mitarbeiter. Das niedrigste Gehalt liegt bei 1998 Euro für einen einfachen Versandmitarbeiter. Die direkt anfallenden Steuern, Abgaben und Sozialversicherungsbeiträge beliefen sich laut Amazon auf insgesamt 261 Millionen Euro. Wie viel davon Sozialversicherungsbeiträge waren, gibt das Unternehmen aber nicht bekannt. Gewinne werden möglichst umgehend reinvestiert. Steuern hat Amazon in Deutschland bezahlt. Wie hoch diese waren, ist unbekannt.

In einem Blog-Beitrag des Unternehmens heißt es, Amazon leiste einen „steuerlichen Gesamtbeitrag von 1,6 Milliarden Euro“ in Deutschland. Allerdings berücksichtigt das Unternehmen außer den Sozialabgaben in dieser Rechnung auch die von den Kunden gezahlten Umsatzsteuern und von den Mitarbeitern gezahlte Lohnsteuern.(!) Unterm Strich, so berechnete Steuerexperte Christoph Trautvetter für „Plusminus“, dürften die Steuern auf Erträge in Deutschland noch unter 100 Millionen Euro liegen.

Bisher hat es der Onlinehändler geschafft, Gewerkschaften fern zu halten. Nun könnte sich das ändern. In Bessemer, Alabama, gab es erstmals eine Abstimmung. Zurzeit wird noch ausgezählt. Im Vorfeld wurde ein weiteres unrühmliches Detail der Arbeitsbedingungen bekannt: Seit Jahren kursieren Berichte über Amazon-Lieferfahrer, die aus Zeitdruck nicht zur Toilette gehen können und deshalb in Flaschen urinieren. Der Konzern schoss in zurück: „Sie glauben nicht wirklich die Sache mit dem in die Flasche pinkeln? Wenn das wahr wäre, würde niemand für uns arbeiten.“ Das US-Portal „Buzzfeed“ veröffentlichte wenig später Dienstanweisungen einer für Amazon tätigen Lieferfirma, in denen Fahrer dazu aufgerufen wurden, „Urinflaschen“ nach Schichtende aus ihren Vans zu entsorgen. Das Investigativportal „The Intercept“ postete Dokumente einer Amazonlogistics-Managerin: In Lieferzentren würden keine Tüten mit „menschlichen Fäkalien“ geduldet. In den sozialen Medien wurde eine Flut von Beweisfotos gepostet.

Das führte dazu, dass Amazon am Karfreitag kleinlaut zurückrudern musste. Der Handelskonzern kündigte an, das Urinflaschen-Problem lösen zu wollen.

Auch in Deutschland hat Amazon seit Jahren Ärger wegen der Arbeitsbedingungen. Hier gibt es zwar Betriebsräte, aber die Gewerkschaft Verdi fordert einen Tarifvertrag für die Beschäftigten. Seit 2013 wird deswegen immer wieder gestreikt, und immer mit überschaubaren Auswirkungen.

Im Oktober 2020 berichtete das Magazin Panorama im Ersten über die permanente Überwachung der Amazon-Mitarbeiter: Dokumente, die dem NDR vorliegen, belegten erstmalig: Genutzt wird dafür eine Software des Warenwirtschaftssystems. Am Ende entscheide auch die durch die Software gemessene Schnelligkeit, wer beschäftigt wird oder nicht, so der Vorarbeiter. Die Schnellen bleiben, die eher Langsamen müssen gehen. Die Folge: eine kontinuierlich steigende Durchschnitts-Rate, an der sich die Beschäftigten zu orientieren haben. Wer heute noch schnell genug ist, um weiter beschäftigt zu werden, kann schon morgen zu langsam sein – und damit vor dem Aus stehen.

An sogenannten Freisetzungstagen wird den Mitarbeitern mitgeteilt, ob ihr befristeter Vertrag ausläuft oder verlängert wird. Der Vorarbeiter berichtet: „Man hat die Unterlagen vor sich, die Security steht bereit, falls es Probleme gibt. Denn wenn mehrere Leute gleichzeitig gehen mit schlechter Laune, kann es natürlich auch mal zu verbalen Auseinandersetzungen oder auch zu Handgreiflichkeiten kommen.“

Gegen dieses Messungs-Verfahren geht die zuständige niedersächsische Landesbeauftragte für den Datenschutz vor und hat Amazon in einem Teilbescheid vom 28. Oktober 2020 die Nutzung untersagt, der Bescheid ist allerdings noch nicht bestandskräftig. Amazon Winsen dürfe demnach nicht „ununterbrochen jeweils aktuelle und minutengenaue Quantitäts- und Qualitätsleistungsdaten ihrer Beschäftigten erheben und diese nutzen.“ „Anders als die Behörde sind wir der Meinung, dass auch die Art und Weise der Datenerhebung rechtmäßig ist“, äußerte sich ein Amazon-Sprecher. Man wolle die Entscheidung gerichtlich überprüfen lassen.

Das gesamte Prüfverfahren gegen Amazon – unter anderem zu Fragen im Hinblick auf die Datenübermittlung an Drittländer und zum Verzeichnis der Verarbeitungstätigkeiten – sei noch nicht abgeschlossen, sagte der Sprecher der Datenschutz-Behörde. „Bislang wurde noch kein Bußgeld verhängt, die LfD Niedersachsen geht aber davon aus, dass sie voraussichtlich ein Ordnungswidrigkeitenverfahren einleiten wird.“

Netzpolitik.org detailliert die Maßnahmen, denen Amazon-Mitarbeiter ausgesetzt sind:

  • Mitarbeiter in den Logistikzentren dürfen keine persönlichen Gegenstände mit in das Gebäude nehmen und müssen ihre Sachen inklusive Handy abgeben. Geld dürfen sie in einem klaren Plastikbeutel aufbewahren.
  • Die vielerorts installierten Kameras sollen nicht nur unter anderem Diebstähle verhindern, sondern auch jede Form der Absprache und Organisation der Beschäftigten (etwa in Gewerkschaften). Große Bildschirme in Lagerhallen sollen außerdem Aufnahmen von Beschäftigten zeigen, die beim Klauen erwischt worden sind.
  • Scanner messen die Leistung der Logistik-Mitarbeiter, etwa wie viele Sekunden eine Beschäftigte für das Füllen eines Regals braucht. Verstößt ein Mitarbeiter zu oft gegen die straffen Vorgaben, erhält er Warnungen und wird gekündigt. Dieses Verfahren wurde bereits mehrfach beschrieben und kritisiert – auch in österreichischen Amazon-Lagern. In Großbritannien sollen Amazon-Arbeiter 2018 aus Zeitdruck sogar den Gang zur Toilette vermieden und stattdessen in Flaschen uriniert haben.
  • Amazon analysiere mit einer speziellen Software verschiedene Kriterien, um herauszufinden, in welchen Filialen seiner Lebensmittelkette Whole Foods sich womöglich Mitarbeiter gewerkschaftlich organisieren könnten. Ausgewertet wird unter anderem die Loyalität und ethnische Vielfalt der Mitarbeiter, die örtliche Nähe zu einem Gewerkschaftsbüro, die von der Arbeitsschutzbehörde registrierten Verstöße und die Arbeitslosenquote vor Ort. Auch über dieses System, das mit Heatmaps dargestellt wird, wurde schon im April berichtet.

Nicht nur nach innen, sondern auch nach außen übt der Onlinehändler Druck aus: „Amazon lockt Kunden mit günstigen Preisen. Händler stehen auf der Handelsplattform im gnadenlosen Wettbewerb und immer wieder stellen Händler fest, dass das Einkaufswagenfeld für ihre Produkte plötzlich fehlt und die so kaum zu finden sind. In der ARD-Sendung Plusminus am 7. April 2021 berichten ein Verkäufer handgemachter Taschen aus Leder und eine Frau, die ein nachhaltiges Kartenspiel erfunden hat und es weitgehend über Amazon vertreibt: Sie kann ihren UVP von 16,99€, der bei Kartenspielen dieser Art nicht hoch ist, bei Amazon nicht eingeben, weil dann ihr Einkaufskorb verschwindet und es aussieht, als sei das Produkt nicht kaufbar. Dem Taschenhändler geht es ähnlich: Er will den Verkaufspreis erhöhen, weil die Rohware teurer wurde – der Warenkorb verschwindet.

Beide probieren aus, wie sie den Warenkorb wieder bekommen und kommen zu selben Ergebnis: Sie müssen ihren Preis deutlich senken. Und ein weiteres „Problem“ wird bekannt: Manchmal komme es vor, dass Amazon Ware im Lager ‚verliere‘, berichtet der Taschenverkäufer. Dann zahle das Unternehmen eine Entschädigung in einer von ihm selbst festgelegten (niedrigeren) Höhe. Tauche die Ware dann wieder auf, verkaufe Amazon sie selbst – zu einem auch selbst festgelegten Verkaufspreis. Damit tritt der Großhändler gegen den Kleinen in direkte Konkurrenz und kann Preise bis hinein in die Ladenstraßen diktieren: „Die lokalen Abnehmer unserer Karten sehen ja auch, dass sie bei Amazon billiger sind. Das heißt, wir können auf Dauer unseren UVP nicht mehr halten.“

Bisher ist es der EU nicht gelungen, eine Digitalsteuer einzuführen, was auch am Widerstand der USA scheiterte. Jetzt gibt es vielleicht einen Weg, der allen Ländern einen Vorteil bringt: US-Präsident Joe Biden und seine Finanzministerin Janet Yellen schlagen eine globale Unternehmenssteuer vor. Die könnte Steuerschlupflöcher stopfen. Kommentar Jeff Bezos: „Wir unterstützen eine Anhebung des Unternehmenssteuersatzes“…

Siehe auch:

Forbes-Liste 2021: Covid 19 hat die Reichsten noch reicher gemacht

Amazon ist angetreten, die Handelswelt das Fürchten zu lehren

Shitstorm über Amazon: ARD berichtet zur Situation der Leiharbeiter

Shitstorm über Amazon: ARD berichtet zur Situation der Leiharbeiter

Ganz böse Reportage am Montag in der ARD zu den Arbeitsbedingungen für Leiharbeiter beim Versandhaus Amazon: Im Schwerpunkt in Bad Hersfeld waren die beiden Reporter Diana Löbl und Peter Onneken wochenlang unterwegs und fanden Zustände vor, die man in Deutschland so nie erwartet hätte. Schließlich wurden sogar sie selbst bedroht.

In Spitzenzeiten wie dem Weihnachtsgeschäft, beschäftigt Amazon Leiharbeiter, die über Zeitarbeitsfirmen engagiert werden. Darunter ist die arbeitslose spanische Kunstlehrerin Silvina, die sich als einzige detailliert äußert. In Spanien sei das Angebot von Amazon gefeiert worden,berichtet sie; sogar das Fernsehen habe darüber berichtet. In Deutschland angekommen, sei die Enttäuschung jedoch groß gewesen: Als erstes wurde der angekündigte Stundenlohn deutlich gekürzt.

Was dann kommt, erinnert an Sklavenhaltung: Die Zeitarbeitsfirma bringt die Mitarbeiter in Bungalows einer leerstehenden Ferienanlage unter, zahlt zwei kalte Mahlzeiten am Tag und behält die Kosten für beides vom Lohn ein. Die Mitarbeiter werden streng bewacht von einem Sicherheitsdienst, der problemfrei gewalttätig wird, sobald ihm etwas nicht passt. Das müssen die Reporter auch am eigenen Leib erfahren, als ihre Tarnung auffliegt, der Sicherheitsdienst in ihre Zimmer eindringt und die Herausgabe des Filmmaterials verlangt. Nur mit Hilfe der Polizei können sie unbeschadet das Gelände verlassen.

Der Gipfel des Ganzen: Einige Männer des Sicherheitspersonals tragen Kaputzenpullis der Marke Thor Steinar, die klar auf die rechtsradikale Szene verweisen. Die Reporter forschen auf Homepages und bei den Facebook-Freunden des Chefs des Sicherheitsunternehmens nach und finden auch hier klare Hinweise.

Die Reaktion im Netz kam prompt: Ein Shitstorm brach nach der Sendung über Amazon herein. Heute morgen sprangen eine große Zahl von Medien auf die Reportage an und fragten bei Amazon um eine Stellungnahme nach. Bild.de erhielt diese Antwort:

„Über 7700 festangestellte Mitarbeiter arbeiten in den deutschen Amazon-Logistikzentren, in der Weihnachtssaison stellen wir zusätzliche Amazon-Mitarbeiter saisonal befristet ein. Diese Mitarbeiter unterstützen uns, um die erhöhte Anzahl an Kundenbestellungen in Spitzenzeiten zu bewältigen. Gleichzeitig haben wir dadurch die Möglichkeit, potenzielle neue langfristige Mitarbeiter kennenzulernen und gemäß unserem zukünftigen Wachstum einzustellen. In absoluten Spitzenzeiten arbeiten wir darüber hinaus mit Zeitarbeitsfirmen zusammen.

Alle Mitarbeiter, die länger als ein Jahr in den Amazon-Logistikzentren in Deutschland arbeiten, verdienen über 10 € brutto pro Stunde; im ersten Jahr über 9,30 € brutto. Die in dem Beitrag erwähnten Mitarbeiter aus Spanien, die über eine Zeitarbeitsfirma im Logistikzentrum Bad Hersfeld beschäftigt wurden, verdienten bei einer 37,5 Stundenwoche 1.400 € brutto im Monat, in der Nachtschicht bei 32,5 Wochenstunden 1.500 Euro im Monat. Diese Beträge wurden per Vertrag auch dann bezahlt, wenn nicht die volle vertragliche Stundenzahl angefordert wurde.

Sicherheit hat oberste Priorität in unseren Logistikzentren. Wir nehmen die Sicherheit und das Wohlergehen unserer Mitarbeiter sehr ernst und überprüfen externe Dienstleister, die die Unterbringung von Saisonkräften aus anderen Regionen verantworten, regelmäßig. Wichtig ist uns hier auch die Rückmeldung unserer Mitarbeiter: Wann immer Mitarbeiter Verbesserungen im Rahmen der Arbeitsbedingungen oder der Unterbringung vorschlagen, prüfen wir dies umgehend.

Amazon duldet keinerlei Diskriminierung oder Einschüchterung. Auch wenn das Sicherheitsunternehmen nicht von Amazon beauftragt wurde, prüfen wir derzeit selbstverständlich den von den Redakteuren gemachten Vorwurf bezüglich des Verhaltens des Sicherheitspersonals und werden umgehend geeignete Maßnahmen einleiten.

Unser Ziel ist es, Bestellungen unserer Kunden jederzeit schnell und zuverlässig auszuliefern. Wir wissen: Das geht nur mit zufriedenen Mitarbeitern – unabhängig davon, ob sie langfristig beschäftigt, saisonal angestellt oder uns über eine Zeitarbeitsfirma unterstützen. Sie können sicher sein, dass wir jedem Vorfall in unseren Logistikzentren und im Umfeld, der uns von Mitarbeitern zur Kenntnis gebracht wird, nachgehen und bei Bedarf umgehend Verbesserungen einleiten.“

Neben viel Empörung gab es im Netz allerdings auch realistische Kommentare. Hier drei Beispiele aus twitter:

Mitch Unterberger ‏@frolueb
Ich bin SO WÜTEND auf amazon! Ich werde meine Gutscheine deswegen erst in 2 Wochen einlösen, wenn es keinen mehr juckt.
stef stuff ‏@stefstuffde
Regt Ihr Euch mal ruhig alle über #amazon auf, aber wenn ich den lokalen Einzelhandel bejubele, kommt immer so’n“ Woanders billjger“
Duesenberg ‏@Duesenberg_
Wie Amazon hat Dreck am Stecken? Geiz ist doch geil dacht ich. Nicht Amazon ist schuld, Amazon ist nur das Symptom, der Spiegel von uns.
arbeitslos...
Ja – so ist es – leider. Bei aller gerechtfertigten Empörung über die aufgezeigten Zustände muss man sich doch einige weiterführende Fragen stellen:

Warum ist Amazon so erfolgreich? Warum sind Discounter so erfolgreich? Warum ist Geiz geil?

Weil wir alle darauf getrimmt sind? Nein, das ist nur die halbe Antwort. Weil die Mehrheit der Menschen immer weniger Geld hat, für das sie sich aber immer mehr verausgaben muss – das trifft es schon eher.

Und warum haben alle immer weniger Geld?

Weil die Kosten immer weiter steigen.

Warum steigen die Kosten immer weiter?

Hier liegt der Hase im Pfeffer. Hier liegt auch ein Grund, aus dem ich diesen Blog unterhalte: Es gibt eine grundlegende Ungerechtigkeit, die global angelegt ist. Letztendlich lässt sie sich zurückführen auf das Geld- und Bankensystem. So lange es Banken gibt, die mit Krediten immer mehr „Wachstum“ schaffen – ein Wachstum, das auf Pump finanziert ist, wird sich die Lage nicht ändern. Die Zinsen schöpfen Geld aus dem Nichts – die Banken wachsen. Und die Menschen, die dieses Wachstum mit ihrer Arbeit bezahlen müssen, wachsen auch – in eine moderne Sklaverei hinein.

Im Kleinen kann man das messen an der zunehmenden Zahl überschuldeter Haushalte – im Großen an den überschuldeten Staatshaushalten.

Da ist es ein geringer Trost, dass auch Banken bankrott gehen können – dann nämlich, wenn wache Investoren Entwicklungen schneller voraussehen als sie selber und die Gewinne abschöpfen. Was geändert werden muss, um wirklich allen Menschen ein besseres Leben zu verschaffen, ist das weltweite Finanz-System.

Was kann nun der Einzelne tun, um daran etwas zu ändern?

Information ist das erste Gebot: Wie hängen die Dinge zusammen? Wer zieht wo welche Strippen? Was wird wo einfach zu groß und damit übermächtig?

Handeln ist die Folge: Setzen wir uns ein für kleinteilige Energieversorgung, für das Wasser als Menschenrecht, für das bedingungslose Grundeinkommen – für alles, was Menschen möglichst viel Selbstbestimmung erhält. Dass das auch mehr Selbst-Verantwortung bedeutet, ist allerdings der Preis dafür.

Siehe auch: Amazon ist angetreten, die Handelswelt das Fürchten zu lehren

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Update: Arbeitsministerium verlangt Aufklärung

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Sind die Internet-User noch vor der totalen Überwachung zu retten?

Haarsträubend ist der Hintergrund eines Gesetzes, das die Internet-Kommunikation in Russland total verändern wird. Mit dem vor wenigen Tagen beschlossenen Gesetz wurde jetzt die Einführung einer schwarzen Liste für Internetseiten beschlossen. Die Seiten können ohne weitere rechtliche Grundlage behördlich gesperrt werden.

Umgesetzt wird es offenbar, so der Spiegel,  mit Hilfe der landesweiten Einführung von Deep Packet Inspection (DPI, siehe Definition unten in diesem Blog). Damit lässt sich jedes Datenpaket, das durchs Netz transportiert wird, öffnen und überprüfen. DPI wird zwar im Gesetz nicht erwähnt. Doch das russische Kommunikationsministerium kam, gemeinsam mit den größten Internetunternehmen, die in Russland aktiv sind, bereits im August zu dem Schluss, dass das Gesetz nur mithilfe von DPI umgesetzt werden kann.

„DPI erlaubt es dem Staat, den Traffic jedes Nutzers zu überwachen, Websites und E-Mails mitzulesen, zu kopieren oder sogar zu verändern“, sagt Eric King, Forschungschef bei der Bürgerrechtsorganisation Privacy International. Man wisse, dass solche Techniken etwa in Tunesien vor dem arabischen Frühling eingesetzt worden seien. „Die Technik kann auch benutzt werden, um Werkzeuge auszuhebeln, mit denen Bürger in autoritären Regimen wie in China oder Iran Internetkontrollen umgehen können“, ergänzt King.

„Die Technik hat zwei Funktionen“, sagt der fürs Osteuropageschäft zuständige IBM-Manager Boris Poddubny, „Filterung und Sorm.“ Letzteres ist eine Abkürzung, grob übersetzbar als „System für operative Untersuchungstätigkeiten“. Der Begriff steht für das russische Überwachungsgesetz, das dem Geheimdienst FSB schon seit der Jahrtausendwende erlaubt, den Internetverkehr bestimmter Personen zu überwachen. Das aber lässt sich nun verfeinern. Poddubny sagt: „Es gibt möglicherweise Geräte, die Traffic kopieren, den DPI dann analysieren helfen kann, und es wird eine detaillierte Aufzeichnung geben: Wer lädt was herunter, wer hat sich im Internet was angesehen?“

Alexander Schkalikow vom Unternehmen Telecom Solutions, das in Russland seit 2007 DPI-Lösungen vertreibt, erklärte, DPI sei „sehr praktisch, weil das erlaubt, nicht den ganzen Traffic zu kopieren, sondern nur ein bestimmtes Protokoll oder die Inhalte eines bestimmten Kunden.“ Man könnte auch den gesamten Traffic einer Zielperson über DPI auf ein externes System kopieren. „Und das zeigt dann alle Sites an, die die Zielperson besucht hat.“       .Vollständiger Spiegel-Artikel hier:

Auch in Deutschland ist DPI im Einsatz, wie bei einer Veranstaltung der Bundestagsfraktion Die Linken und der Rosa-Luxemburg-Stiftung zu erfahren war:

Thomas Grob, Senior Expert Regulatory Strategy bei der Deutschen Telekom AG, berichtete vom DPI-Einsatz bei seinem Unternehmen. DPI werde nicht in öffentlichen Netzen eingesetzt, sondern lediglich zum Schutz von Geschäftskunden in Unternehmensnetzen. DPI könne aber live bei DDOs-Attacken und ähnlichen Bedrohungen zugeschaltet werden. In Mobilnetzen habe man Service Control Engines im Einsatz, um Services wie VoIP zu blocken. Die bräuchte man aber auch, um aus dem Verkehr Schlüsse für den Ausbau ziehen zu können außerdem wünsche sich die Bundesnetzagentur detaillierte Zahlen. Er wolle differenziert diskutieren, wie ein verantwortungsvoller Umgang mit dieser Technologie mit vielen Möglichkeiten gemacht werden könne.  Quelle: netzpolitik.org

Im bundesdeutschen Wirtschaftsleben geht es wenig zimperlich zu, wenn es darum geht, das Online-Verhalten der Mitarbeiter zu kontrollieren, wie letzte Woche in der Welt  Ullrich Hottelet zusammenfasste:

So bieten Firmen Dienste zum „Discussion-Mining“ an, die systematisch das Verhalten der Mitarbeiter in sämtlichen Kanälen analysieren. Sie listen auf, wer sich in welcher Form auf Facebook, Twitter, Xing oder in Online-Foren zu Themen geäußert hat, die das Unternehmen betreffen. Das läuft dann unter „Reputation-Management“.

Letztlich kann eine Schnüffelsoftware wie „CyberPatrol“ erfassen, was sich der Mitarbeiter im Internet alles angesehen hat. Solche Programme erstellen alle paar Sekunden Screenshots, also Kopien des Bildschirminhalts, und schicken sie bei entsprechender Systemeinstellung direkt an den Rechner des Chefs.

Kritisch beurteilen Experten einhellig die weitverbreitete SAP-Software, auch wenn der Konzern die Big-Brother-Funktionen nicht aktiv bewirbt. „Die SAP-Software ist nicht ansatzweise datenschutzrechtlich in Ordnung“, sagt Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD).

Verrufen bei Experten sind Unternehmen aus den USA, in denen Persönlichkeitsrechte der Mitarbeiter eine geringere Rolle als in Deutschland spielen. „Amerikanische Konzerne setzen solche Software ein, weil sie weltweit agieren. Sie sagen zwar, sie würden sie in Deutschland nicht nutzen, aber die Programme sind vorinstalliert“, sagt Weichert.

Besonders kritisch ist forensische Software, wie sie sonst nur IT-Experten der Polizei einsetzen, um Verdächtige zu überführen. Solche Programme überwachen alle Aktionen von Nutzern im Computernetz, selbst die flüchtigen Inhalte des Arbeitsspeichers lassen sich damit auslesen – und somit alle am Rechner eingegebenen Daten. Schmitz nennt als gängige Produkte „Encase„, das auch viele Polizeistellen verwenden, und die „Incident Response Software“ von Mandiant. Klicken Sie auf das Foto, um ein Demo-Video zu Encase zu sehen.

Nach Einschätzung von Ver.di-Experten wird ein Drittel aller Beschäftigten wegen seiner leistungsbezogenen Bezahlung anhand digital erfasster Daten beurteilt, ein Drittel würde zudem schlichtweg, oft unrechtmäßig, überwacht.

Wie groß nicht nur bei Unternehmen, sondern auch bei normalen Staatsbürgern das Interesse an Überwachungsprogrammen ist, kann ermessen, wer eine einfache google-Suche mit den entsprechenden Stichworten beginnt.

Und die Moral von der Geschicht‘? Das Web ist nicht frei – Vorsicht ist in jeder Hinsicht angebracht. Dazu gehören Verschlüsselungstechniken für die eigenen Daten ebenso wie die Pflicht, sich über technische Neuerungen und deren jeweilige Gegenspieler genauestens zu informieren. Noch geht das in ganz normaler Websuche.

Schließlich gilt es, all jene politisch zu unterstützen, die sich dafür einsetzen, dass im Internet nicht im rechtsfreien Raum wahlweise vom Staat, von Arbeitsgebern oder irgendwelchen profitorientierten Unternehmen herumspioniert werden kann. Wir brauchen verlässliche gesetzliche Grundlagen. Dazu gehört auch, sich im Internet in Frieden miteinander austauschen zu können.

Definitionen und ein wenig mehr

Deep Packet Inspection (DPI) (auch complete packet inspection oder Information eXtraction (IX)) steht für ein Verfahren in der NetzwerktechnikDatenpakete zu überwachen und zu filtern. Dabei werden gleichzeitig der Datenteil und der Headerteil des Datenpaketes auf bestimmte Merkmale wie ProtokollverletzungenComputervirenSpam und weitere unerwünschte Inhalte untersucht. Der Unterschied zur klassischen Stateful Packet Inspection besteht darin, dass diese nur den Headerteil des Paketes, nicht aber den erheblich aufwendigeren Datenteil überprüft.Deep Packet Inspection ermöglicht auch eine Regulierung von Datenströmen.
DPI wird derzeit meist in Enterprise-Anwendungen bei Providern, oft im Auftrag von Regierungen, in den unterschiedlichsten Anwendungsbereichen eingesetzt. Es ermöglicht eine erhebliche Absicherung des Informationsflusses, wird aber auch zur Vorratsdatenspeicherung, zum Abhören und Sammeln von Informationen und zur Zensur im Internet eingesetzt. Kritiker befürchten auch, dass die DPI-Technik in Zukunft dahingehend genutzt werden könnte, die Netzneutralität des Internets einzuschränken. Quelle: Wikipedia
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In der EU macht man sich derweil noch intensive Gedanken über die rechtlichen Grundlagen von Online-Überwachung. In dem Programm zur Stärkung der Inneren Sicherheit der deutschen Bundesregierung wird die Online-Durchsuchung als Maßnahme umschrieben, „entfernte PCs auf verfahrensrelevante Inhalte hin zu durchsuchen, ohne tatsächlich am Standort des Gerätes anwesend zu sein“. Ob sie als eine Durchsuchung im Rechtssinne anzusehen und inwieweit sie einer Wohnungs- oder Hausdurchsuchung gleichzusetzen ist (womit sie den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eingriffsgesetze in das Wohnungsgrundrecht, z. B. nach der deutschen Strafprozessordnung genügen müsste), ist unter Juristen umstritten, obwohl die Bundesregierung die Auffassung vertritt, dass für spezielle Datentypen die Online-Durchsuchung bereits von geltendem Recht gedeckt sei. Eine Ermächtigungsgrundlage verfüge z. B. bereits der Zollfahndungsdienst als die die Maßnahme veranlassende Behörde. Dafür wird ein Programm für eine Quellen-Telekommunikationsüberwachung (auch Quellen-TKÜ, die Überwachung der Telekommunikation am Rechner vor ihrer Verschlüsselung) installiert und eingesetzt, wenn bei der klassischen Telekommunikationsüberwachung die Inhalte verschlüsselt werden. Quelle: Wikipedia 
 
 
 

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