Schlagwort: Gesetzgebung

Offshore-Leaks: Wer profitiert vom weltweiten „Zorn der Gerechten?“

86 investigative Journalisten aus 46 Ländern rund um den Globus haben diese Woche Wikileaks klein aussehen lassen: Sie haben in einer bisher beispiellosen Gemeinschaftsaktion Steuerpraktiken global agierender Unternehmen und vermögender Menschen offengelegt, die es sich leisten können, weltweit die günstigsten Konditionen zu nutzen. Möglich wurde das durch ein „Geschenk“ per Post: Ein anonymer Absender hat dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) eine Festplatte mit 260 Gigabyte Daten und 2,5 Millionen Dokumenten übermittelt, die in solcher Ausführlichkeit noch niemals öffentlich geworden sind.

Was für eine Mammutaufgabe die Auswertung dieser Daten bedeutete, beschreibt die Süddeutsche Zeitung, die in Deutschland zusammen mit dem NDR an der Gemeinschaftsaufgabe beteiligt war: Es sind Unterlagen zu mehr als 122.000 Briefkastenfirmen und Trusts auf den Britischen Jungferninseln, den Cook-Inseln, Samoa, Hongkong, Singapur, den Cayman-Inseln, Mauritius, der Insel Labuan vor Malaysia und den Seychellen. 12.000 Vermittler solcher Konstrukte erscheinen, die Daten von rund 130.000 Menschen sind gespeichert, mit Adressen aus 170 Ländern.

„Die aufgedeckten Listen mit Nutznießern des Finanzbunkersystems ermöglichen den Einblick in ein globales System der Steuervermeidung und Vermögensverschleierung“, schreibt die Süddeutsche dazu.  „Seitdem einst die Regierung Kohl in eines ihrer Steuergesetze den Satz geschrieben hat, die Vermögensteuer werde von 1997 an „nicht mehr erhoben“ – seitdem werden auch die großen Vermögen nicht mehr wirklich erfasst. Die Listen, die jetzt veröffentlicht werden, sind daher so etwas wie ein alternativer Armuts- und Reichtumsbericht. Es handelt sich um die notwendige Ergänzung zum Regierungsbericht, der von der Realität des Reichtums nichts wissen und nichts sagen will. (…) Es gibt nicht wenige Reiche, die große Stifter sind, oder sich, noch besser, zu einer Vermögensabgabe verpflichten – die also den kargen Satz des Grundgesetzes ernst nehmen: Eigentum verpflichtet! Er verpflichtet zumindest dazu, Steuern zu zahlen. Das ist das Mindeste. Die veröffentlichten Listen können, wenn es gutgeht, zu diesem Mindesten beitragen.“

Eine Aussage, der niemand widersprechen kann. Eine Aussage aber auch, die so nicht unkommentiert stehen bleiben darf. Die „Flucht“ des Geldes in die rund 70 „Steuerparadiese“ weltweit ist nur deshalb ganz legal möglich, weil es keine Gesetze gibt, die das verhindern. Um nur einmal beim Beispiel Europa zu bleiben: Wieso ist einerseits möglich, Geld zu besten Konditionen in Luxemburg oder auf britischen Inseln (die auch in der Karibik liegen) zu parken, während andererseits milliardenschwere Rettungspakete aus Steuergeldern geschnürt werden müssen, um klamme Banken zu refinanzieren?

Einseitig die Banken zu verdammen, die Kunden helfen, die steuergünstigsten Anlagemöglichkeiten zu finden, trifft nicht wirklich des Pudels Kern (hier im Link ein Beispiel, wie die Deutsche Bank für Geldanlagen an Niedrigsteuer-Finanzplätzen wirbt). Krass formuliert tun die Banken nichts anderes als ihren Job. Illegal wird das erst, wenn per Gesetzgebung die Möglichkeiten dazu nicht mehr bestehen. Niedrigsteuer-Finanzplätze gibt es übrigens auch bei den „Guten“: Man schaue sich untenstehenden ZDF-Film an und staune über geparkte Millionen in Florida und Briefkastenfirmen im US-Staat Delaware…

„Die Enthüllungen über die Offshore-Firmen sind im Einzelfall brillant. Ihre Inszenierung als Massen-Phänomen ist jedoch gefährlich: Es entsteht den Eindruck, als sei jeder Bürger im Kern ein Krimineller“, formulieren in einem sehr nachdenklichen, lesenswerten Artikel die Deutschen Mittelstandsnachrichten. Die simple Ideologie „Jagt die Reichen, dann haben wir keine Probleme mehr!“ kann eine sachkundige und faire Interpretation nicht ersetzen. (…) Die Massen-Anklage arbeitet mit einer unzulässigen Umkehr der Beweislast: Nicht mehr der Staat muss beweisen, dass ihm Geld entgangen ist. Vermögende müssen beweisen, dass sie rechtmäßig gehandelt haben (…)

Transparenz – als einseitige Verpflichtung für den Bürger?

Der europäische Rettungsschirm ESM entzieht der Euro-Zone 700 Milliarden Euro. Über ihre Verwendung entscheidet ein nicht gewähltes Direktorium, das vollständige Immunität genießt (…) ohne Transparenz“. Zum Abschluss zitieren die Mittelstandsnachrichten den Bloger Simon Black:

‚Insolvente Regierungen haben in der Geschichte immer nur auf ein sehr begrenztes Repertoire von Mitteln zurückgreifen können: Kapitalkontrollen, Kontrolle von Löhnen und Gehältern, Konfiszierung von Eigentum. Es wird bald, schon sehr bald, eine Zeit kommen, da werden die Regierungen die Vermögen zur Altersvorsorge ins Visier nehmen. Die Zentralbanken werden weiter die Kaufkraft und hart erarbeiteten Ersparnisse zerstören.

Einen Teil seines Vermögens ins Ausland zu bringen ist nicht kriminell. Es ist nicht verrückt. Wenn es rechtlich sauber gemacht wird, ist es eines der klügsten Dinge, die man machen kann, um sich gegen die wirklichen Kriminellen zu schützen.'“

„Politiker in den Industrieländern wettern gelegentlich gegen diese modernen Piratennester und geloben, diese auszuräuchern. Sie machen es aber nicht. Dabei wäre das eine Kleinigkeit: Eine konzertierte Aktion der USA und der EU würde die Steueroasen sehr schnell sehr radikal austrocknen. Wie das geht, haben die Amerikaner neulich demonstriert, als sie das bis dahin als unknackbar geltende eiserne Schweizer Bankgeheimnis bei der Verfolgung amerikanischer Steuersünder einfach so im Vorbeigehen zertrümmert haben“, formuliert Die Presse und hat gleich in mehrfacher Weise Recht damit. In diesem Zusammenhang lohnt es sich, den ZDF-Film „Flucht in die Karibik“  genau anzusehen. Es sind nämlich nicht nur Politiker und ihre Berater als Privatpersonen, die Steuern verringern wollen. Die Staaten und Länder sind nicht selten auch beteiligt an den handelnden Konzernen.

Und so eröffnet sich eine völlig andere Perspektive dieses spektakulären Leaks:

1. Wer hatte Zugang zu dieser enormen Datenflut, konnte sie bündeln und den Leakern seiner Wahl übermitteln?

2. Für Steuer-CD einzelner schweizer Banken wurden Millionenbeträge gezahlt – die jetzt vorliegenden Infos wären Milliarden wert. Wer hat ein größeres Interesse an der Verbreitung der Informationen als daran, für das Übermitteln Geld zu bekommen?

3. Die Festplatte wurde nicht einer Organisation wie etwa Wikileaks übergeben, sondern den internationalen Medien. Warum? Ganz einfach: Wegen der Glaubwürdigkeit. Die Medien, das wusste der Informant, würden werten zwischen ethisch verwerflich und moralisch anständig. Sie würden polarisieren, sie würden die Masse der Niedrigverdiener, die gnadenlos von den Finanzämtern rangenommen werden, einbinden, sie würden damit der Politik Druck machen.

4. Wer profitiert von politischem Druck, der speziell in Richtung der bekannten „Steuerparadiese“ in Europa, Asien und der Karibik ausgeübt wird? Angesichts der Dimension ist klar: Das sind nicht einmal mehr einzelne Staaten. Hier geht es um Staaten, Staatenverbünde, um Wirtschaftsblöcke. Hier geht es um das Herbeiführen von Kontrolle im ganz großen Stil. Es geht um weltweite Macht.

5. Wer die Macht hat, kann andere für sich instrumentalisieren. Wer andere steuern und kontrollieren kann, wird viel Geld verdienen. Und so schließt sich der Kreis: Hier geht es um Macht über das Geld.

Deshalb gilt: Wer immer den weltweiten Sturm der Empörung entfacht hat, kann jetzt in Ruhe sein politisches Süppchen kochen – es sei denn, die Medien zeigen, was sie wirklich drauf haben und entlarven auch den Kern des Themas.

Wenn wir wirklich Gerechtigkeit wollen, brauchen wir nicht nur Kontrolle der Reichen. Wir brauchen auch Kontrolle der gewählten Politiker. Wir brauchen transparente Gesetze, nachvollziehbare Entscheidungen. Und nicht zuletzt brauchen wir ein Bildungssystem, das es jedem Bürger beibringt, wirklich zu verstehen, was  eigentlich gespielt wird.

Steueroasen 2013
STEUEROASEN Ausgabe 2013: Mit Sonderteil: Stiftungen und Trusts im Ausland zur Unternehmens- und Vermögenssicherung: Mit Sonderteil: Einblicke in die Offshore-Welt

Übrigens: Man kann sich auch mit Hilfe der Bücher kompetenter Fachautoren bilden. Einer davon ist beispielsweise Hans-Lothar Merten: Der Bankkaufmann und Betriebswirt  arbeitet als freier Publizist mit den Schwerpunkten Finanzen, Steuern und Unternehmensorganisation. Sein Buch „STEUEROASEN Ausgabe 2013“ ist bereits in der 16. Neuauflage erschienen.

Die Welt am Sonntag schreibt dazu: „Auf mehr als 500 Seiten beschreibt der Experte, wo noch legale Wege der Steuerminimierung gangbar sind und nimmt auf seiner Weltreise auch exotischste Destinationen unter die Lupe. Das Buch ist lesenswert und dürfte nicht nur bei steuermüden Bürgern, sondern ebenso bei Finanzämtern und Steuerfahndern auf Interesse stoßen.“

Der Kommentar der Süddeutschen Zeitung ist kurz und bündig: „Es gibt Bücher, die lassen den Wunsch nach einer Zensurbehörde aufkommen. Dieses gehört dazu.“

Update: SZ übergibt die Offshore-Daten nicht dem Staat

Update: Österreich soll Bankgeheimnis lockern

Update: EU half Euro-Banken, ihr Geld rechtzeitig aus Zypern abzuziehen

Update: Diskret und fast unsichtbar: Deutscher steuert Geldflüsse eines Oligarchen

Update: Auch deutsche Konzerne zieht es nach Delaware

Update: Luxemburg will auch die Daten von Großkonzernen offenlegen

Update: EU befürchtet Steuerflucht; deutscher Spitzensteuersatz liegt weit über EU-Durchschnitt

Update: Geheime Unterlagen aus Offshore-Steueroasen wurden Behörden zugespielt

Update: Steuer“optimierung“ am Beispiel der Kaffeehauskette Starbucks

Update: Crédit Suisse am amerikanischen Pranger

Update: Bankgeheimnis in Österreich und Luxemburg fällt

Update: Cayman-Bankdaten gleich tonnenweise in Hamburg gelandet

Update: Was bedeutet das britische Gesetz zu Steueroasen für die Schweiz? 

Alarmstufe rot bei US-Offshore-Goldanlegern: Schweiz nicht mehr sicher

Am 5. April 1933 erließ der damalige US-Präsident Franklin D. Roosevelt eine Durchführungsverordnung, die das private Horten von Gold unter Strafe stellte. Ausgenommen waren Goldmünzen und Goldzertifikate, deren Wert pro Person 100 Dollar nicht überstieg, sowie Sammlerstücke. Verstöße konnten mit bis zu 10.000 Dollar Strafe belegt werden oder mit einer Gefängnisstrafe von bis zu zehn Jahren. US-Bürger hatten ihr Gold bis zum 1. Mai 1933 zum Festpreis von 20,67 Dollar pro Unze bei der Notenbank abzugeben.

Das ist lange her, aber den amerikanischen Gold-Besitzern als Erinnerung gut präsent. Sie lagern deshalb größere Goldbestände in Übersee – vorzugsweise in den sicheren schweizer Bergen. Dies gilt nicht nur für private Investoren, sondern auch für große Unternehmen, wie etwa Gold Money oder Bullion Vault. DAS schweizer Unternehmen, das ihnen bei der Lagerung behilflich ist, heißt ViaMat. Dass ViaMat so groß mit den USA im Geschäft ist, hat aber auch eine Schattenseite: Der Konzern ist direkt mit den Regulationsvorschriften der amerikanischen Regierung konfrontiert. Und das will etwas heißen: Allein die Vorschriften für die Regulierung ausländischer KOnten von US-Bürgern aus dem Jahr 2010 umfassen rund 500 Seiten (Quelle: Business Insider).

„Zurzeit erleben wir schnelle und substantielle Veränderungen in der Regulierung dieses Business,“ teilte ViaMat nun seinem amerikanischen Kunden mit. “ Die Veränderungen betreffen vor allem Steuerstrukturen und die Besteuerungssysteme verschiedener Staaten. Deshalb hat sich ViaMat Inernational entschlossen, seinen Service für private Kunden, die potentiell dem US-Steuersystem unterliegen, einzustellen.“

Die Goldlagerung für Amerikaner wird Mitte dieses Jahres eingestellt. Bis Ende April müssen die US-Kunden von ViaMat dem Unternehmen mitteilen, wohin dann ihr Gold geliefert werden soll. (Quelle: Deutsche Mittelstandsnachrichten). Seit 1945 bietet das weltweit anerkannte Logistik-Unternehmen seinen Kunden die sichere Lagerung von Edelmetallen. Es verfügt nicht nur in der Schweiz über Tresore, sondern auch etwa in Hong Kong oder Dubai.

Mitte Februar haben die USA und die Schweiz ein strenges Steuerabkommen unterzeichnet. Mit dem Vertrag verpflichtet sich die Schweiz zur Einhaltung der Vorschriften des US-Steuergesetzes „Foreign Account Tax Compliance Act“ (Fatca). Das heißt: Schweizer Banken müssen Konten von US-Staatsbürgern den amerikanischen Behörden melden und ihnen alle gewünschten Auskünfte dazu erteilen (Quelle: Süddeutsche).

Weil andernfalls der Ausschluss vom US-Kapitalmarkt – dem größten der Welt – droht, haben sich Schweizer Banken zähneknirschend mit der Übernahme der Fatca-Bestimmungen einverstanden erklärt. „Begeistert ist niemand, aber eine Ablehnung würde der Schweiz mehr schaden als nützen“, kommentierte die Neue Zürcher Zeitung. Schweizer Banken sind nun gezwungen, das Fatca-Gesetz mit dessen Inkrafttreten in den USA ab 2014 anzuwenden. Unabhängig vom Fatca-Abkommen verhandeln die USA und die Schweiz weiter über eine Regelung zur rückwirkenden Besteuerung von Vermögen, die US-Bürger bei Schweizer Banken gebunkert haben.

Die US-Justiz macht seit Jahren verstärkt Jagd auf Steuersünder und hat sich dabei vor allem auf Schweizer Banken eingeschossen. Die UBS musste 2009 in einem Vergleich 780 Millionen Dollar berappen und sollte Tausende Kundendaten preisgeben, berichtet die Süddeutsche.  Diese Woche fiel ein erstes Urteil wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung gegen das älteste Bankhaus der Schweiz,  die Privatbank Wegelin & Co, die in der Folge ihre Pforten schließen wird.

Bei den amerikanischen Goldanlegern herrscht derweil Alarmstufe rot. Man befürchtet, dass die Regierung angesichts der immensen Staatsschulden möglicherweise wieder das Gold ihrer Bürger konfiszieren wird. Goldberater erinnern an das seit 1981 bestehende Gesetz IEEPA, nach dem der US-Präsident auch ohne einen Kriegszustand eine  wirtschaftliche Notlage ausrufen kann. Geschieht das, kann das Finanzministerium nach Bedarf Vermögen einziehen oder einfrieren. Dies wäre insbesondere dann eine logische Maßnahme, wenn eine neue, gold gesicherte Währung angestrebt würde.

Update: US-Geheimdienste sollen Zugriff auf Finanzdaten ausländischer Bürger bekommen

 

Gutachten zur Abgeordnetenbestechung soll geheim bleiben – WARUM?

Am heutigen 17. Oktober findet eine Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum Thema “Bekämpfung Abgeordnetenbestechung” statt. Dazu existiert bereits seit dem Jahr 2008 ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, das dringend Reformen anmahnt. Dieses Gutachten wurde jedoch offiziell nie öffentlich gemacht – mit Hinweis auf das Urheberrecht.

netzpolitik.org hat das Gutachten vor zwei Wochen exklusiv online gestellt (weiter unten der komplette Bericht in Kopie) und ausführlich kommentiert.

Heute erreichte den Gründer und Chefredakteur von netzpolitik.org, Markus Beckedahl,  ein Einschreiben des Bundestages, wonach das Gutachten umgehend aus dem Netz zu entfernen sei.

Angesichts der Diskussionen der letzten Wochen über Nebeneinkommen von Abgeordneten, aber auch angesichts der offensichtlichen Bestrebungen der Regierung, immer mehr  Gremien einzurichten, die nichtöffentlich tagen und zur Geheimhaltung verpflichtet sind (siehe Berichterstattung in diesem Blog zum ESM und dem Vorstoß Wolfgang Schäubles zur  Neuordnung der europäischen Union) halte ich es für notwendig, netzpolitik.org zu unterstützen. Transparenz ist eine wesentliche Grundlage der Demokratie. Bezahlte Lobbyarbeit – in welcher Form auch immer – darf für Abgeordnete kein Thema sein.

Hier nun zunächst der Kommentar von Markus Beckedahl zum heutigen Einschreiben, anschließend die Berichterstattung zum Gutachten – wörtlich übernommen aus dem Blog von netzpolitik.org.

Nein. Das Gutachten zur Abgeordnetenkorruption bleibt öffentlich und auch hier verfügbar.

‚Dem deutschen Volke‘ steht vorne auf dem Bundestagsgebäude, das Volk bezahlt die Erstellung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienste, es gibt keinen Geheimhaltungsgrund für das Gutachten – sonst dürfte es auch nicht nach IFG herausgegeben werden – und der Verweis auf das Urheberrecht ist für ein im Auftrag durch Beamte oder Angestellte des Bundestages in ihrer Arbeitszeit erstellten Gutachtens indiskutabel.

Die Diskussion der vergangenen Wochen hat noch einmal nachdrücklich gezeigt, welche Wichtigkeit das Thema der (Un-)Bestechlichkeit für die Öffentlichkeit hat. Das zeigte nicht nur die Diskussion um Peer Steinbrück und seine Nebenredeneinkünfte. Was soll man von einem Parlament halten, dessen wissenschaftlicher Dienst zwar dazu forscht, aber diese Ergebnisse dann unter Verschluss und damit vom Bürger fernhalten will?“

Deutsche Gesetzgebung eher symbolisch

Von  | Veröffentlicht am: 01.10.2012 bei netzpolitik.org

Die deutschen Gesetze zur Abgeordnetenbestechung sind “praktisch bedeutungslose symbolische Gesetzgebung” und müssen dringend verschärft werden. Diesem Urteil des Bundesgerichtshof schließt sich auch der wissenschaftliche Dienst des Bundestages in einem vor vier Jahren erstellten Gutachten an. Das Dokument wird bisher geheim gehalten, netzpolitik.org veröffentlicht jetzt das komplette Gutachten.

Die Wikipedia sagt auf der Seite Abgeordnetenbestechung: In den meisten anderen Ländern ist dieser Straftatbestand schärfer als in Deutschland.
Der entsprechende Paragraf im Strafgesetzbuch stellt ausschließlich den direkten Kauf von Stimmen vor einer Abstimmung unter Strafe. Und auch das wurde erst 1994 eingeführt.

Im Jahr 2005 ist die UN-Konvention gegen Korruption in Kraft getreten. Dieser völkerrechtlich bindende Vertrag enthält Präventionsmaßnahmen gegen Korruption sowie die die Pflicht der Staaten, verschiedene Sachverhalte rund um Korruption unter Strafe zu stellen. Bisher haben 161 Staaten das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland nicht, zusammen mit Myanmar, Sudan, Saudi-Arabien, Nordkorea und Syrien. Deutschland ist hier Bananenrepublik – weit weg vom internationalen Standard.

Bereits im September 2008 hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages ein Gutachten “Rechtsfragen im Kontext der Abgeordnetenkorruption” erstellt, der diesen Zustand kritisiert und dringenden Reformbedarf anmeldet.

Im Dezember 2008 berichtete der Spiegel aus dem Dokument: „Tatsächlich gilt ein deutscher Abgeordneter nur dann als korrupt, wenn nachgewiesen werden kann, dass er sich vor einer Wahl oder Abstimmung in einem Parlament kaufen ließ. Nimmt er dagegen den Lohn für sein Votum erst nach einer Abstimmung an, als eine Art “Dankeschön”, geht er straffrei aus – so entlarvt das bestehende Gesetz weniger die Bestechlichkeit eines Abgeordneten als seine Dummheit, sich die Gefälligkeit zum falschen Zeitpunkt erweisen zu lassen.“

Doch die Öffentlichkeit hat dieses Gutachten nie zu sehen bekommen. Zwar kann man mittlerweile auf FragDenStaat.de nach Informationsfreiheitsgesetz eine Anfrage stellen. Eine Veröffentlichung wird jedoch verboten, wegen des Urheberrechts: „Ich weise deshalb darauf hin, dass das Ihnen übersandte Gutachten für Sie persönlich bestimmt ist. Die Übersendung beinhaltet nicht die Befugnis der Verbreitung oder Veröffentlichung. Die unerlaubte Veröffentlichung oder Verbreitung von Arbeiten des Wissenschaftlichen Dienstes stellt einen Verstoß gegen das Urheberrecht dar und hat sowohl zivilrechtliche als auch strafrechtliche Folgen“.

Das sehen wir nicht ein. Die Wissenschaftlichen Dienste werden von unseren Steuern bezahlt. Die Gutachten werden im Auftrag von gewählten Abgeordneten erstellt. Wir sind der Meinung, in dieser Art zustande gekommene Studien müssen auch der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen.

Bestärkt fühlen wir uns von einem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin. Das hat vor zwei Wochen entschieden: Das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) erfasst auch Dokumente der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.

Daher veröffentlichen wir an dieser Stelle das komplette Gutachten als PDF.

Aus der Zusammenfassung:

  • Die Abgeordnetenbestechung, für die keine einheitliche Definition existiert und deren repressive Bekämpfung in Deutschland seit Jahren sehr kontrovers diskutiert wird, ist im Straftatbestand des § 108e StGB pönalisiert, dessen enger Anwendungsbereich sich jedoch lediglich auf den Teilbereich des Stimmenkaufs bzw. –verkaufs bei Wahlen oder Abstimmungen in Volksvertretungen beschränkt:
  • Die derzeitige bewusst restriktive Fassung der Norm begegnet in der Rechtswissenschaft und in der öffentlichen Diskussion wegen der Privilegierung von Mandatsträgern erheblicher Kritik, da § 108e StGB als praktisch bedeutungslose „symbolische Gesetzgebung“ viele Fälle strafwürdiger politischer Korruption nicht wirksam erfasse, zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten biete und die gesellschaftspolitische Realität der stetig zunehmenden Einflussnahme auf Parlamentarier nicht adäquat widerspiegele. Angesichts dieser tatbestandlichen Defizite und des vom BGH angemahnten legislatorischen Handlungsbedarfs sowie im Hinblick auf die teilweise noch nicht implementierten Vorgaben internationaler und europäischer Antikorruptionsübereinkommen und ferner auch in rechtsvergleichender Perspektive ist im Ergebnis zu konstatieren, dass die Abgeordnetenbestechung in Deutschland durch den Tatbestand des § 108e StGB hinsichtlich des mit der Norm intendierten Schutzes der Integrität und Unabhängigkeit der Mandatsausübung keine ausreichende strafrechtliche Regelung erfahren hat und diesbezüglich Reformbedarf besteht. Die Notwendigkeit einer Erweiterung und Verschärfung des § 108e StGB ist insbesondere auch mit Blick auf die Ratifikation des von Deutschland bereits am 27. Januar 1999 gezeichneten Strafrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption sowie der am 9. Dezember 2003 gezeichneten UN-Konvention gegen Korruption, die einen globalen Mindeststandard der Kriminalisierung der Abgeordnetenbestechung etabliert, angezeigt.

Auch Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, kritisiert die Zurückhaltung von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vor der Öffentlichkeit. Bereits in seinem 3. Tätigkeitsbericht zur Informationsfreiheit bestätigte er:

  • Der Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen nach dem IFG gilt auch für Ausarbeitungen des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages.

Schaar sprach sich auch dagegen aus, …

  • … dass der Bundestag die Herausgabe von Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes unter Hinweis auf Urheberrechte ablehnt. Schließlich seien diese Gutachten aus Steuermitteln finanziert und dienten der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben.

Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland, kommentiert den Inhalt des Gutachtens:

  • Die Regierungsfraktionen sollten sich endlich zu Herzen nehmen, was der Wissenschaftliche Dienst bereits vor vier Jahren feststellte, nämlich dass Reformbedarf beim Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung besteht.

Am heutigen 17. Oktober findet eine Anhörung im Rechtsausschuss zum Thema “Bekämpfung Abgeordnetenbestechung” statt. Bis dahin können sich interessierte Bürger informieren, das Gutachten lesen und sich dann an die Bundestagsabgeordneten wenden – damit diese Abgeordnetenbestechung endlich wirksam unter Strafe stellen.

Wer uns unterstützen will: Das Gutachten kann gerne an anderen Stellen des Netzes gespiegelt werden. Je öfter es verteilt wird, umso weniger kann der Inhalt wieder der Öffentlichkeit entzogen werden.

Update: Auf change.org gibt es auch eine Petition zum Thema:

  • Sehr geehrte Mitglieder des Bundestages,
  • ich fordere Sie auf, die UN-Konvention gegen Korruption (UNCAC) zu ratifizieren.
  • Abgeordnetenbestechung muss auch in Deutschland endlich strafbar sein!
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Siehe auch:
Gesetzentwürfe und Stellungnahmen zur Anhörung des Rechtsausschusses und:
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Update: Soeben hat der Pressedienst des Deutschen Bundestages das Ergebnis der heutigen Anhörung im Rechtsausschuss veröffentlicht:
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„Handlungsbedarf bei der Abgeordnetenbestechung“

Vorsitzender Siegfried Kauder (CDU/CSU)

Siegfried Kauder, Vorsitzender des Rechtsausschusses, eröffnete die Anhörung. © DBT/Melde

Experten sehen mehrheitlich Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von Abgeordnetenbestechung und fordern eine entsprechende Gesetzgebung. Das ist das Ergebnis einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses unter Vorsitz von Siegfried Kauder (CDU/CSU) mit sieben Fachleuten am Mittwoch, 17. Oktober 2012. Anlass waren Gesetzesinitiativen der drei Oppositionsfraktionen. Nach Meinung der SPD-Fraktion ist die Vorschrift der Abgeordnetenbestechung nicht ausreichend, weshalb die Fraktion einen Gesetzentwurf (17/8613) eingebracht hat. Nach geltendem Recht seien Bestechlichkeit und Bestechung von Parlamentariern nur als Stimmenverkauf und -kauf bei Wahlen strafwürdig. Bis heute gebe es keine strafrechtliche Regelung, die sämtliche strafwürdige Verhaltensweisen von Mandatsträgern im Bereich der Vorteilsannahme und –zuwendung erfasst.

Vorschläge der Linken und Grünen

Die Fraktion Die Linke fordert in ihrem Gesetzentwurf (17/1412), Abgeordnetenbestechlichkeit in das Strafgesetzbuch aufzunehmen. Die Regelung solle für den Bundestag, die 16 Landtage und die Räte von Gemeinden gelten. So solle beispielsweise ein Mitglied des Bundestages mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren belegt werden, wenn er „für eine Handlung oder Unterlassung, die im Zusammenhang mit der Ausübung seines Mandats steht, einen Vorteil für sich oder einen Dritten fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, wenn dies seiner aus dem Mandat folgenden rechtlichen Stellung widerspricht“.

Wie die Grünen in ihrem Gesetzentwurf (17/5933) erläutern, fordert das Übereinkommen der Vereinten Nationen und des Europarates gegen Korruption die Unterzeichnerstaaten auf, die Bestechung und die Bestechlichkeit von Mandatsträgern und Abgeordneten konsequent unter Strafe zu stellen. Die geltende Regelung der Abgeordnetenbestechung im Strafgesetzbuch werde diesen Anforderungen nicht gerecht. Dadurch werde die Bekämpfung der Korruption geschwächt und das Ansehen Deutschlands in der Welt beschädigt.

„Wirtschaft befürwortet eine Gesetzgebung“

Privatdozent Dr. Sebastian Wolf von Transparency International aus Berlin, Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Dozent an der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Münster sowie Prof. Dr. Bernd Heinrich, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Humboldt-Universität Berlin begrüßten die drei Gesetzesinitiativen. Sie seien sehr „konstruktiv“, sagte Wolf. Da allerdings jeder Entwurf Schwächen habe, forderte er indirekt eine Synthese.

Wolf wies zudem darauf hin, dass mittlerweile in der deutschen Wirtschaft eine „breite Mehrheit“ eine derartige Gesetzgebung befürworte. Dagegen kam Wolfgang Jäckle zu dem Ergebnis, dass der Vorschlag der Grünen-Fraktion am geeignetsten wäre. Bernd Heinrich sah die Vorteile überwiegend bei dem Entwurf der SPD-Fraktion.

Völker- und verfassungsrechtliche Bedenken

Dr. Gerald Kretschmer, Ministerialrat a.D. aus Bonn, und Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, der an der Universität Würzburg öffentliches Recht lehrt, wiesen alle drei Gesetzesinitiativen zur Bekämpfung der Abgeordnetenbestechung zurück und äußersten völkerrechtliche beziehungsweise verfassungsrechtliche Bedenken.

Schwarz erklärte, dass es sich im internationalen Vergleich in Deutschland um ein „Luxusproblem“ handele. Er äußerte Verständnis dafür, diese Problematik auch in Deutschland zu thematisieren. Allerdings seien derartige Vorkommnisse hierzulande kaum vorhanden. (ver/17.10.2012)

Liste der geladenen Sachverständigen

  • Dr. Ulrich Franke, Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe
  • Prof. Dr. Bernd Heinrich, Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht
  • Prof. Dr. Wolfgang Jäckle, Dozent, Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, Münster
  • Eberhard Kempf, Rechtsanwalt, Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins (DAV),Frankfurt am Main
  • Dr. Gerald Kretschmer, Ministerialrat a. D., Bonn
  • Dr. Regina Michalke, Rechtsanwältin, Frankfurt am Main
  • Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, Julius-Maximilians-Universität Würzburg, Lehrprofessur für Öffentliches Recht
  • Privatdozent Dr. Sebastian Wolf, LL.M.Eur., Transparency International Deutschland e. V., Berlin
  • N. N.

NACHTRAG:

So kann Lobbyarbeit praktisch aussehen: Das Berliner CDU-Fraktionsmitglied im Abgeordnetenhaus Michael Freiberg ist einen typischen Berufsweg gegangen: Verwaltungsschule – Verwaltung – aktive Politik.

Ab 1995 war er Stadtrat im Bezirk Neukölln, danach bis Oktober 2006 stellvertretender Bezirksbürgermeister. Im Frühjahr 2007 machte Freiberg sich mit als Politikberater selbstständig. Seine Arbeit: Türöffner für Interessenvertreter und Lobby-Gruppen. Sein Lebenslauf verweist auf eine beeindruckende Liste von Aktivitäten innerhalb verschiedenster Gremien in Berlin-

Im Oktober 2011 gelang Michael Freiberg der Einzug ins Landesparlament als Direktkandidat, wo er zurzeit als Abgeordneter Gehalt und Rentenanspruch erarbeitet. Trotzdem besteht seine Homepage mit dem Beratungsangebot der Freiberg Consulting fort.

Jetzt die Frage: Genügt es, wenn so ein Mann die Höhe seiner Nebeneinkünfte pauschal angibt? Oder macht es vielleicht Sinn zu erfahren, wem der Abgeordnete für wieviel Geld wo eine Tür öffnet?

Entscheiden Sie selbst.

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Update 9.11.2012: Rent a Volksvertreter 
Update 29.2.2013: Deutschland blamiert sich im Vergleich – Zehn-Stufen-Modell erlaubt weiter Verschleierung
                                       Antwortboykott: Wenn Politiker plötzlich verstummen
Update 5.3.2013: Transparency begrüßt interfraktionellen Gesetzentwurf zur Verschärfung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung
Update: FDP blockiert Gesetz – Petition unterzeichnen
                  Hier können Sie recherchieren 
Update: Rechtsausschuss des Bundestages hat der Unterzeichnung der UN-Konvention zugestimmt