Schlagwort: Geschäftsmodell

Tatort Internet – Urheberrechtsdebatte

Eine kluge Analyse von Florian Güßgen aus „Stern“ online vom 29.3.1012:

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Es gibt eine direkte Verbindung zwischen den wütenden, fassungslosen Ausfällen von FDP-Generalsekretär Patrick Döring und dem wütenden, fassungslosen Aufschrei mancher Musiker, Künstler, Autoren. Angesichts des Erfolgs der Piratenpartei in Saarland fluchte Döring über die „Tyrannei der Masse“. Künstler, die angesichts der Kopiererei im Netz und der Kritik am Urheberrecht um ihr Einkommen und ihre Existenz bangen, zetern, wie es 51 „Tatort“-Autoren in einem offenen Brief getan haben, gegen die „Lebenslügen“ vor allem der „Netzgemeinde“. Der Musiker und Autor Sven Regener schimpfte bei einem mittlerweile legendären Wutanfall im „Bayerischen Rundfunk „Man pinkelt uns ins Gesicht“. Und: „Eine Gesellschaft, die so mit ihren Künstlern umgeht, ist nichts wert.“

Was passiert da? Was ist da los? Die direkte Verbindung zwischen Döring und den Künstlern ist das Netz, das Internet, die größte Medienrevolution seit der Erfindung des Buchdrucks. Langsam, ganz langsam, aber mit unendlicher Kraft werden die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verwerfungen dieser Revolution spürbar. „Ihr kommt mit Eurer Hinterzimmerpolitik nicht mehr durch, wenn technisch mehr Transparenz, mehr Mitsprache, mehr Kommunikation möglich ist“, lautet die Botschaft der Piraten. „Ihr kommt mit Euren elitären Vorstellungen von Kultur, von Geschäftsmodellen, von Profit nicht mehr durch, wenn wir uns Musik und Videos einfach kopieren oder sie selbst machen“, lautet die Botschaft der Nutzer im Netz.

Es sind ein paar einfache neue Möglichkeiten, die die schöne, neue Medienwelt geschaffen hat und die alles Bestehende auf den Kopf und in Frage stellen.

Erstens, jeder, Krethi und Plethi, Du, ich, wir können alle höchstpersönlich zum Medium werden. Blogs, Facebook, Twitter, all das, macht uns zu Sendern mit einem Milliardenpublikum.

Zweitens, wir können alle im Nu Künstler, Kulturschaffende werden. Internetphilosophen nennen das die „Demokratisierung der Produktionsmittel.“ Eine Idee, eine schrammelige Videokamera, ein Rechner, ein Internetanschluss, ein Schnittprogramm reichen aus, um einen Film zu produzieren und ihn hochzuladen. Hurrah. Hier bin ich, Welt. Hollywood? C’est moi. Kein Produzent muss mich entdecken, kein Verlag, nur die Nutzer. Ich brauche wenig Kapital. Die Rolle der Mittler, der Verlage, höhlt das zwangsläufig aus, verändert sie. Zudem verschwimmt die Grenze zwischen geldwerter, von Profis gemachter „Hochkultur“ und von Laien produzierter „Amateur-Kultur“. Jeder hat jetzt das Zeug zum Star.

Drittens lassen sich digitale Produkte sehr einfach kopieren, vervielfältigen, ändern, remixen. Computer sind nichts anderes als Kopiermaschinen. Es ist deshalb fast unmöglich, massenhafte Kopiererei technisch zu verhindern. Mehr noch. Das Kopieren, das Mitteilen ist im Netz ein zentrales Element der Sprache, der Selbstdarstellung der Nutzer. Die Kopiererei unterläuft nicht nur ein Geschäftsmodell, sie kollidiert auch mit einem Urheberrecht, dass „Rechteinhabern“ – Autoren, Musik- und Filmkonzernen – sehr weit gehende Schutzrechte einräumt. Fast jeder, der sich im Netz tummelt, gerät in Konflikt mit dem Urheberrecht, einerlei, ob er sich bei einem kino.to-Klon einen Film ansieht oder ein Privatvideo mit einem David-Bowie-Song hinterlegt und bei Youtube hoch lädt. Aber was folgt daraus, wenn es eine Regel gibt, an die sich niemand mehr hält, wenn sie sich in einer „Legitimationskrise“ befindet? Muss die Regel an gesellschaftliche Gepflogenheiten angepasst werden? Oder die Gepflogenheiten mit Gewalt der Regel?

Die gesellschaftliche Bedeutung dieser Entwicklungen und der Fragen, die sie aufwerfen, kann gar nicht überschätzt werden. Denn tatsächlich wird nun – anhand des an sich abstrakten Urheberrechts und der neuen wirtschaftlichen Ängste der alte Stars – darüber gestritten, wie die Verfassung jener digitalen Welt aussieht, in der viele schon jetzt und mittelfristig alle leben werden. Was ist eigentlich Kultur? Wie halten wir es aus, dass der Schein der öffentlich-rechtlich abgesegneten Hochkultur ein Ende findet, zu Gunsten unübersichtlich vieler, gern auch obskurer Nischen? Gibt es so etwas wie Geistiges Eigentum? Wie muss es geschützt werden? Ist Kopieren, Teilen, Sharen, tatsächlich Meinungsfreiheit – oder doch schnöder Diebstahl? Wo fängt die Freiheit im Netz an – und wo hört sie auf? Und bedeuten die großen Erfolge von Apples iTunes Store oder den neuen Musikstreamingdiensten wie Simply oder Spotify nicht eindrucksvol, dass auch der moderne, digitale Konsument bereit ist, für Kulturgüter Geld auszugeben?

Klar ist: Die eine pauschale Lösung auf alle diese Fragen gibt es nicht. Allerdings gibt es zu Einzelfragen Lösungsansätze, Ideen, etwa zu dem Problem, wie Künstler entlohnt werden können, wenn ihre Werke – Lieder – im Netz ständig kopiert werden. Im Raum steht das Modell einer Kulturflatrate. Was man davon hält, ist eine politische Sache. Ein Marxist steht der Idee des Eigentums, auch des Geistigen, nun mal anders gegenüber als ein Liberaler. Nur: eine echte politische Diskussion wird im Moment noch gar nicht geführt. Es erscheint eher so, als knallten zwei Planeten mit Karacho aufeinander: die alte, analoge Welt auf die neue, digitale. Hier schreien Sie Diebstahl und wettern gegen die „Netzgemeinde“, die es als homogene Glaubensgemeinschaft so nicht gibt, dort spotten sie, im revolutionären Eifer, gegen die Betonköpfe des Ancien Regime, wettern gegen die bösen „Verwerter“, Musik- und Filmfirmen oder die Musikverwertungsgesellschaft Gema, singen das Hohelied des Kopierens als Kulturtechnik und gehen gegen das internationale Anti-Piraterie-Abkommen Acta auf die Straße. Es wird viel Besitzstand verteidigt, es herrscht viel Ignoranz.

Dabei sind es tatsächlich vor allem die Vertreter der alten Welt, die Regeners und die Autoren, die lernen müssen, dass ihre alten Sicherheiten im digitalen Zeitalter schwinden, die verstehen müssen, was da in dieser Gesellschaft um sie herum genau passiert und wie vor allem die U25-Generation Medien nutzt. Wenn Regener bei seinem berüchtigten Wutanfall etwa sagt: „Ich möchte kein Straßenmusiker sein“ und so seinen elitären Anspruch begründet, hat er nicht verstanden, dass der Abstand zwischen Star und Straßenmusiker wieder kleiner geworden ist. Wenn er ätzt, dass „die Leute zwischen 15 und 30 keine eigene Musik mehr“ haben, muss er verstehen, dass ihre Musik vielleicht „eigener“ ist denn je, weil sie sie mehr denn je selbst machen.

Genau so unsinnig wie die Pauschalkritik ist es, das „Netz „und alle netzpolitisch Bemühten in einen Topf zu werfen, zu unterstellen, dass sich hier niemand ernsthaft um vernünftige Lösungen für kniffelige Fragen bemüht. Der Antwortbrief von „51 Hackern des Chaos Computer Clubs“ auf die Anwürfe der Tatort-Autoren spießt diese Ignoranz wunderbar auf, wenn auch mit wenig Einigungsbereitschaft. „Es wird keinen ‘historischen Kompromiß‘ geben“, schreiben die Hacker, „denn es stehen sich nicht zwei Seiten gegenüber, jedenfalls nicht Urheber und Rezipienten, sondern allenfalls prädigitale Ignoranten mit Rechteverwertungsfetisch auf der einen Seite und Ihr und wir auf der anderen, die wir deren Verträge aufgezwungen bekommen.“ Wummms. Es wird noch eine Weile dauern, bis die einen die anderen als echte Partner akzeptieren.

Und hier kommen wieder Patrick Döring, die Politik und die Piraten ins Spiel. Denn an der Politik ist es nun, das Forum für eine echte Diskussion über das Urheberrecht und die Verfasstheit des Netzes zu schaffen, die gesellschaftliche Debatte aufzugreifen. Denn gelingt es der etablierten Politik nicht schnell, sich um diesen Kulturkampf ums Kopieren zu kümmern, werden sich die Frustrierten und Enttäuschten schlicht neue Akteure suchen. Denn das „Problem“, in Politik und Kultur, besteht darin, dass die Döringsche Masse aus mündigen Bürgern besteht. Und die leben eben immer mehr im Netz. Wer das nicht begreift und ernst nimmt, hat schon verloren, bevor die spannende Debatte überhaupt richtig begonnen hat.