Schlagwort: Finanzmarkt

Die Fed, die Zinsen, der Preis des Goldes und die Illusion eines freien Marktes

Hierzulande angesichts der Europa-Fragen weitgehend nicht berichtet wird über eine Diskussion, die sich am Dienstag nach dem Auftritt des Fed-Chefs Ben Bernanke vor dem Bankenausschuss des US-Repräsentantenhauses erheblich verschärft hat: Die Geldpolitik der amerikanischen Notenbank steht zunehmend in der Kritik – vor allem durch republikanische Abgeordnete. Der Hintergrund der Kritik ist schnell erklärt: Das US-Finanzministerium schöpft die Gewinne der Federal Reserve ab, muss aber auch für deren Verluste gerade stehen. Und die summieren sich.

Seit der weltweiten Finanzkrise 2007 bis 2009 senkte die Fed nicht nur die Zinsen auf faktisch null Prozent. Sie kaufte auch für sagenhafte 2,5 Billionen (2500 Milliarden !!!) Dollar  Hypotheken und Schatzpapiere auf, um die langfristigen Zinsen niedrig zu halten. Zurzeit kauft sie monatlich für etwa 85 Milliarden Dollar Bonds auf – alles mit dem erklärten Ziel, die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs zu bringen und die Zahl der Arbeitslosen signifikant zu senken.

Auf die Frage, wie lange es wohl dauern werde, bis die US-Arbeitslosenquote von jetzt 7,9 auf wenigstens 6 Prozent sinke, nannte Ben Bernanke das Jahr 2016 – und erntete scharfe Kritik: Sollte das geldpolitische Konzept zusammenbrechen, bedrohen den Staat nicht nur ein Schuldenberg, sondern auch galoppierende Inflation und extrem steigende Schuldzinsen.  Dennoch verteidigte der Notenbankchef auch gegen anderslautende Überlegungen innerhalb seines Hauses die Niedrigzins-Politik: Jede Änderung sei wirtschaftlich kontraproduktiv – im Übrigen verfüge man über die nötigen Tools auszusteigen, wenn die Zeit dafür komme (Quelle: Financial Post).

Bloomberg News ließen nun eine Studie anfertigen, in der Stresstest-Bedingungen der Fed für die systemrelevanten  US-Banken auf die Notenbank selbst angewendet wurden. Das Unternehmen MSCI Inc. (MSCI), ein anerkannter New Yorker Finanzdienstleister, ermittelte erschreckende Zahlen: Innerhalb der nächsten drei Jahre könnte der Marktwert der Fed-Papiere um 547 Milliarden Dollar sinken. Dieser Verlust würde sich auf weniger als die Hälfte dessen, nämlich 216 Milliarden Dollar reduzieren, wenn die Rechnung Bernankes aufgehen und sich die Wirtschaftslage Schritt für Schritt erholen würde.

Da die Zentralbank ihr Portfolio nicht öffentlich macht, so Bloomberg News, sei dieser Verlust aber möglicherweise nur ein Teil dessen, was an Belastungen auf den Straat zukomme – denn die Fed könne nicht Pleite gehen und daher problemlos mit Verlusten in den Büchern weiter operieren. Bernankes Geldpolitik ist die aggressivste in der gesamten Geschichte der Notenbank. Ob dieser Weg, Wirtschaftswachstum zu fördern gerechtfertigt war, wird sich erweisen, wenn die Zentralbank aus ihrer Notfallpolitik wieder aussteigt – ein Thema, das intern bereits die Gemüter erhitzt. Ben Bernanke ist 59 Jahre alt, seine zweite vierjährige Amtszeit endet am 31. Januar 2014. Er hat bisher nicht erklärt, ob er noch einmal antreten will.

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Der Zusammenhang zwischen der Fed-Bilanz und dem Goldpreis ist traditionell sehr eng, stellt Forbes fest und bezieht sich auf eine Untersuchung des Macquarie Research Instituts.  Diese Studie hat ermittelt, dass mit jeder Steigerung der Fed-Bilanz um 300 Milliarden Dollar der Goldpreis um 100 Dollar je Feinunze steigt. Setzt die Notenbank also ihre Ankäufe in gleicher Höhe fort, weitet sich ihre Bilanz allein in den nächsten sechs Monaten um 765 Milliarden Dollar aus – der Preis des Goldes würde allein dadurch um 16 Prozent steigen. Bereits jetzt hat die Politik Ben Bernankes die höchsten Steigerungen im Preis des Edelmetalls in der Geschichte seines Instituts verursacht.

Steigerung des Goldpreises in Proz unter den letzten 4 Fed-Chefs

Nun ist die amerikanische Notenbank aber nicht allein mi ihrer Strategie. Die EZB hat sich inzwischen in ihre Spur begeben. Nachdem bekannt wurde, dass nicht nur Spanien in der Krise steckt, sondern auch die Wirtschaft im EU-Schwergewicht Frankreich stagniert, hat sich durch die Italien-Wahl die Gefahr der nächsten Euro-Krise erheblich verschärft. Die Sparpolitik Mario Montis wurde von den Wählern nicht honoriert – dazu kommt, dass die politische Patt-Situation jede Bewegung im Keim ersticken könnte.

Bisher vertrauen die Märkte auf das Wort Mario Draghis, wonach die EZB alles nötige unternehmen werde, den Euro zu retten. Die Verunsicherung der Investoren werde wohl nicht den Grad erreichen, den es im letzten Jahr gegeben habe. Das Staatsanleihen-Kaufprogramm der EZB dürfte eine solche Eskalation verhindern, zitiert denn auch am Mittwoch das Handelsblatt den Chefvolkswirt der DZ Bank, Stefan Bielmeier.  Der Mannheimer Wirtschaftsprofessor Hans-Peter Grüner hält es sogar für möglich, dass der Markt irgendwann die Reichweite der Versprechen der EZB testen werde.

Der Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts, Kai Carstensen, mahnt an: Eine  stabile Regierung, die den Reformkurs entschlossen fortsetze, sei nicht nur für Italien wichtig, sondern auch für den Zusammenhalt des Euroraums.

Im Rahmen einer Rede in München, erklärte am Mittwoch auch EZB-Chef Mario Draghi, der Geldpolitik der Zentralbank seien klare Grenzen gesetzt. Die Regierungen des Euroraumes seien daher dringend gefordert, nationale Strukturreformen umzusetzen und eine stabile politische und wirtschaftliche europäische Union zu bilden (Quelle: Financial Times). 

Auch in Japan ist mittlerweile die Notenbank auf dem Weg, der hoch verschuldeten Regierung das Leben zu erleichtern. Unter anderem geht es um eine massive Ausweitung der Geldmenge – ein Problem, das auch die USA und der Euroraum haben. Die Wirkung solcher Maßnahmen ist rund um den Globus die gleiche: Kurzfristige Entspannung auf den Finanzmärkten scheint diese Politik zunächst zu rechtfertigen. Auch der Goldpreis, der nach der Italien-Wahl von 1585 auf fast 1620 Dollar pro Feinunze hoch geschnellt war, pendelte sich bereits zwei Tage später wieder bei rund 1610 Dollar ein. Positive Wirtschaftsdaten aus den USA verstärkten am Mittwoch den Trend.

Geldpolitik ist Vertrauenssache. Das gilt besonders kurzfristig.

Langfristig lohnt es sich allerdings auch zu rechnen.

Siehe auch:

Warum der Goldpreis fällt

Italien und Frankreich: Der lange Abstieg in die Depression

Noch keine Entwarnung in der Eurokrise

Update: US-Haushalts-Streit: Ausgabekürzungen treten in Kraft

Update: US-Banken lösen Goldpreis-Bremse

Update: El Erian warnt die Fed davor, einen Währungskrieg anzufachen

Update: Japanische Notenbank beschließt Geldschwemme

 

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„Die nationale Geldschöpfung zersetzt den Euroraum“

Wenn jeder macht was er will – oder was die Wähler wollen, um ihn wieder zu wählen – kann kein gemeinsames Stück entstehen. Eine Währungsunion erfordert vergleichbare wirtschaftliche Ausgangslagen und Disziplin in der Einhaltung der gemeinsam festgelegten Prinzipien, wenn sie funktionieren soll. So kann man in einfachen Worten zusammenfassen, was  die beiden renommierten Wirtschafts-Experten Dr. Stefan Kooths und Björn van Roye auf sieben Seiten ausführen.

Sie haben in einer Analyse  dargelegt, warum die derzeitige „Stabilitätspolitik“ der EZB und die geplante des ESM ohne begleitende wirtschaftspolitische Maßnahmen dazu führen wird, dass der Euro zerbricht. Ihr Ergebnis: Wenn kein vereinigtes Europa die Mitgliedsländer zu einem vergleichbaren Status zwingt, kann die gemeinsame Währung nicht gehalten werden.. Hier Auszüge aus der Studie:

„Die geldpolitische Ausnahmesituation, in die das Eurosystem geraten ist, kann nicht beliebig lang strapaziert werden. Die notwendigen ordnungspolitischen Reformmaßnahmen sollten daher nicht irgendwann, sondern müssen schnellstmöglich umgesetzt werden. Je länger die Geldpolitik im Krisenmodus verharrt, desto stärker werden die zentrifugalen Kräfte innerhalb der Währungsunion (Spannungen zwischen Überschuss- und Defizitländern) und desto größer wird die Gefahr, dass die Glaubwürdigkeit der monetären Instanzen in Frage gestellt wird.

Im Kern läuft der Missbrauch des Notenbankmonopols immer darauf hinaus, die Zentralbankgeldschöpfung über die Bereitstellung eines universellen Zahlungsmittels hinaus zur Finanzierung von güterwirtschaftlichen Transaktionen heranzuziehen und damit in die Kapitalmarktströme einzugreifen..(…)

Ein solcher Fall ist derzeit in der Europäischen Währungsunion (EWU) zu beobachten. Zentralbankgeld wird in den verschiedenen Mitgliedsländern zu unterschiedlichen Konditionen unbegrenzt bereitgestellt. Damit gehen fortdauernde Zahlungsbilanzungleichgewichte innerhalb des Währungsraums einher. (…) Um es auf den Punkt zu bringen: Ein Euro, der in einem Land nicht geschöpft wird, kann von dort auch nicht abfließen. Kritikwürdig ist daher das zugrundeliegende monetäre Regime, nicht das Verrechnungssystem, das nur als Ausführungsorgan wirkt. (…)

In dem Maße, wie es über die nationale Geldschöpfung in der EWU zu einer Zahlungsbilanzfi nanzierung über das Eurosystem kommt, werden die intertemporale Budgetrestriktion und somit die Allokationsfunktion des Kapitalmarktes außer Kraft gesetzt; es kommt zu Leistungstransaktionen, für die es am Markt keine Finanzierungsbereitschaft gibt und ein Teil des Kapitalmarktrisikos wird sozialisiert. Dies ist ein gravierendes Problem für das Funktionieren einer Marktwirtschaft. Ohne eine bindende Ressourcenrestriktion laufen Preissignale ins Leere und ein harmonisches wirtschaftliches Verhalten dezentral agierender Marktteilnehmer wird unmöglich. (…)

Im Zuge der Zahlungsbilanzfinanzierung werden Forderungen des Privatsektors, die dieser nicht (mehr) als vertrauenswürdig einstuft, nach und nach auf das Eurosystem abgewälzt. Dies führt dazu, dass die europäischen Steuerzahler über das Notenbanksystem in eine Haftung hineingezogen werden, der sie sich nicht entziehen können. Im Gegenzug werden Anleger aus dem Risiko entlassen. (…)

Eine Wirtschafts- und Währungsordnung, deren Grundpfeiler im Ernstfall außer Kraft gesetzt werden, ist keine. Dass die Geldpolitik über einen mehrjährigen Zeitraum im Krisenmodus operiert, ist ein klares Indiz für Probleme, die von einem unzureichenden Ordnungsrahmen herrühren. Die Regeln für das Geld- und Kreditwesen müssen sich gerade in schwierigen Zeiten bewähren und insbesondere einen Missbrauch des Notenbankmonopols unterbinden. Finanzmarktstabilität ist eine zentrale Voraussetzung für das Funktionieren einer Geldwirtschaft, sie lässt sich aber auf Dauer nicht durch eine immer großzügigere Bereitstellung von Zentralbankgeld gewährleisten. (…)“

Der komplette Text als pdf steht hier.  Die Quelle: Wirtschaftsdienst

Update: Und bist du nicht willig…

 

 

Über die Kommunikation und die Grenzen von Worten

Ich lebe in der „Gnade der späten Geburt“. Als Nachkriegskind und auf dem Land geboren war ich nie wirklich der Gefahr ausgesetzt zu hungern, das Dach über dem Kopf zu verlieren oder vom Feind erschossen zu werden. Auch die Gefahr, einem wie auch immer getakteten „Führer“ zu erliegen, bestand – zumindest politisch gesehen – für mich nie.

Na sicher hatte ich es in der Jugend auch schwer. Meine Eltern hatten wenig Geld, die meiner wenigen Freundinnen viel mehr – und so war ich oft allein, weil ich nicht mithalten konnte.  Entscheidendes hat mir dennoch nicht gefehlt, im Gegenteil: Mit 12 Jahren – ich konnte nur ein paar Brocken französisch und die nur im Präsens – verbrachte ich das erste Mal zwei Wochen in einer französischen Familie – ein Jahr später kam der Austausch mit einer britischen dazu. Diese Zeit hat mich entscheidend geprägt: Ich fühlte mich seither als Europäer und bin der Ansicht, dass alle Probleme gelöst werden können, solange Menschen nur ausdauernd genug miteinander sprechen.

Das Scheitern einer zehnjährigen Lebensgemeinschaft mit einem französischen Großstädter belehrte mich keines Besseren. Ich schob es auf rein menschliche Eigenheiten – obwohl ich in diesen zehn Jahren gelernt hatte, mich auch wieder als Deutsche zu fühlen. Ich hatte mich immer wieder für Nazideutschland rechtfertigen müssen, obwohl ich es doch selbst gar nicht erlebt hatte.

Das Scheitern von Mann-Frau-Kooperationen im Beruf konnte meinen Optimismus auch nur zeitweise begrenzen. Ich hatte zwar gelernt, dass Männer viel konsequenter in Seilschaften leben als Frauen, dass sie ihre Wertigkeiten innerhalb eines Unternehmens immer prioritär der Karriere zuordnen und dass zu viel  weibliches (Mit-)Gefühl als gefährliche Emotionalität eingeordnet werden kann. Aber ich schob es auf eine Entwicklung, die eben noch voranschreiten müsste, in jedem Fall aber kommen würde.

 

 

 

 

 

 

Das Scheitern meiner Kommunikation vor allem mit ausgeprägt machtbewussten Männern im Privatleben brachte mich durchaus  sehr zum Nachdenken. Wie kann es sein, dass Männer, die eine stattliche Anzahl von Untergebenen, ein gut gefülltes Bankkonto und jedes denkbare Statussymbol vorzeigen können, Gespräche abbrechen, wenn sie einfache Versprechen einhalten sollen, die sie selbst und freiwillig gegeben haben? Zugegeben – ich brauchte einige Jahre, um zu verstehen, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen der Fülle von Macht und der Tiefe von Angst gibt.

Ähnlich optmistisch-naiv war meine politische Sicht des Lebens. Als Kind in der von den USA kontrollierten Zone Deutschlands geboren, hatte ich die Soldaten als freundliche Panzerfahrer kennengelernt; gut versorgt mit Kaugummi und Marmelade in Tuben. Wegen der Nachkriegs-Luftbrücke nach Berlin glaubte ich noch Jahrzehnte später, die Amerikaner seien die Guten, die Russen die Schlechten, die  Israelis das einzige Volk Gottes und so fort.

Auch als ich mit 27 Jahren das erste Mal in die Staaten reiste, bekam dieses Bild höchstens kleinere Risse. Ich sah zwar, dass es in den Städten Viertel getrennt nach Hautfarbe und Sprache gibt, ich hörte, dass Juden nur untereinander heiraten und dass schwarze Amerikaner häufiger kriminell werden als weiße. Aber ich traf auch eine Amerikanerin, die mich sofort mit in ihre Familie nahm. Die selbe Familie beherbergte Jahre später auch meine Eltern – und ich fand mich wieder einmal bestätigt, dass Menschen nur miteinander sprechen müssen, um alle Missverständnisse auszuräumen.

Später reiste ich auf die Malediven – von wo aus man nicht nach Indien einreisen darf – aber ich dachte nicht darüber nach. In Marokko sah ich Männer ihre Frauen auf der Straße schlagen und wurde bespuckt, weil ich auf Steinstufen vor einer Holztür ausruhte. Hinter der Holztür war der Eingang zu einer Moschee – was ich nicht gewusst hatte. Ich staunte – konnte aber nicht kommunizieren, weil ich nicht arabisch spreche. Ich habe versucht, arabisch zu lernen – aber ohne Menschen, mit denen ich es hätte sprechen können, scheiterte das Unternehmen in Deutschland kläglich.

In China lernte ich, dass Tibet nicht besetzt, sondern „befreit“ wurde, und dass jede Diskussion darüber zwecklos sein kann. Aber auch hier wurde mein Optimismus genährt: Als die Reisegruppe, die ich führte,  gegen das Ansinnen meuterte, ständig irgendwelche Firmen zu besichtigen, die gar nicht im Programm standen, um dort doch bitte möglichst viel einzukaufen, hatten wir mit unseren jungen chinesischen Reiseführern ein sehr offenes Gespräch bei einer Tasse Tee. Wir lernten, dass unsere Reiseführer uns in diese Firmen führen mussten, um ihren Job zu behalten – und unsere ganze Gruppe akzeptierte das schließlich.

Etliche Jahre und zwei Berufsleben später  trat ich diversen sozialen und Business-Netzwerken bei. Zum ersten Mal in meinem Leben wurde ich mit ungefilterten Nachrichten aus anderen Ländern konfrontiert: Sah verstümmelte Tote aus Grenzkonflikten zwischen Israel und Palästina, sah blutige Demonstrationen in arabischen Ländern, hörte die ungefilterte Sicht von Menschen Lateinamerikas über die USA. Ich lernte, was der Finanzmarkt wirklich ist – woran vor allem er nicht Schuld trägt. Ich setzte mich mit Bilderbergern, Rothschilds, goldgedeckten und nicht goldgedeckten Währungen, den Gründen von Kriegen und vielem mehr plötzlich aus den verschiedensten andersartigen Perspektiven auseinander.

Wieder war – und bin – ich optimistisch. Wir müssen reden, damit wir uns besser verstehen – das werde ich denken bis zu meinem letzten Atemzug.  Das Netz gibt mir die Möglichkeit dazu. Ich rede mit Menschen aus dem nahen und fernen Osten, aus Lateinamerika, aus den USA und natürlich aus Europa.  Das ist nicht einfach, denn das Netz wird kontrolliert. Es gibt Seiten, die ich in facebook vergeblich suche – es sei denn, man leitet mich direkt per Link dorthin. Es gibt Menschen in gooogle+, denen ich keine Nachrichten schicken kann – diskutieren geht nur öffentlich. Youtube unterliegt vielen Sperren – nicht nur durch die deutsche Gema: Auch wenn ich meinen Gesprächspartnern Links schicke, können diese oft nichts sehen. Noch kann ich ihnen legale Links zum Umgehen der Sperren schicken – noch.

Aber – und das ist die härteste Lehre, die ich zurzeit mache: Die größten Sperren, die Kommunikation haben kann, wohnen im Kopf der Menschen und wurden dort von außen eingepflanzt.

Es gibt Sperren, die durch die Religion errichtet werden – leider glaubt immer noch jede – die meines Landes eingeschlossen, den einzig richtigen Weg zu kennen. Dann gibt es die Sperren, die durch politische und wirtschaftliche Unterschiede entstanden sind: Wer von uns in Europa weiß schon, wie es wirklich ist, existentiell arm zu sein? Klar wissen wir das mit dem Verstand. Aber weiß es auch unser Bauch – können wir es fühlen?

Wer von uns in Europa weiß wie es ist, von einem anderen Land bedroht zu werden? Wer – außer den wenigen, die den zweiten Weltkrieg noch erlebt haben – weiß, wie es ist, wenn Granaten einschlagen und es echte Tote gibt? Tote, die man sehen kann und riechen muss?  Wer von uns weiß wie es ist, wegen seines Glaubens in Gefahr zu sein? In echter Gefahr für Leib und Leben?

Unsere „westliche“ Welt ist eine kleiner werdende Insel der Seligen. Wir wissen, wer gut ist und wer böse – wir wissen, wo die Schurken leben und wen wir beschützen sollen. Wir führen erbitterte Diskussionen über die Frage, ob Coca Cola giftig ist, ob genveränderter Mais angebaut werden darf,  welcher Zuckerersatzstoff weniger dick macht und welche Umweltbilanz unser PC aufweist.

Wir lassen uns mit selektierten Nachrichten füttern und halten uns für frei. Damit das so bleibt, gibt es immer mehr Bestrebungen, auch das Internet zu filtern, Kontakte zu selektieren und Gespräche von Mensch zu Mensch zu verhindern. Dort prallen sie nämlich aufeinander, die ungefilterten persönlichen Wahrheiten. Da sehe ich, wie weit man uns schon voneinander entfernt hat, ohne dass wir es bemerkt haben. Und ich fürchte, auch das jetzige Niveau wird uns nicht mehr lange erhalten bleiben: Sonst könnten die Völker ja glatt verhindern, dass es Kriege wie den anstehenden im Iran gibt – dass China weiter Nepal besetzt, dass große Nationen weiter festlegen, wer gut und wer böse ist, dass die Bodenschätze dieser Welt genau wie die Macht weiter zwischen wenigen verteilt werden.

Vor allem anderen aber wird so verhindert, dass Menschen über alle Weltkirchen hinweg erkennen: Wir sind alle Teil des selben großen Geistes und teilen uns den selben wundervollen Planeten.

Es ist Zeit, dass wir uns den wirklich wichtigen Zielen widmen.

Jetzt, bevor es zu spät ist.