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R.I.P Juliette Gréco – zum Ende dieses Sommers ging auch sie

Sie ging mit dem letzten Tag dieses heißen Sommers: Juliette Gréco, die letzte große Dame aus dem Kreis der Existentialisten in Paris starb heute im Alter von 93 Jahren.

Schriftsteller wie Sartre, Françoise Sagan, Jacques Prévert, Francois Mauriac oder Albert Camus schrieben für sie Texte. Gleichzeitig wurde sie als Schauspielerin bekannt. Sie nahm verschiedene Rollen am Theater wahr und betätigte sich in einer Poesie-Sendung im Radio. Mit der Revue April in Paris ging sie 1952 auf Tournee in die Vereinigten Staaten und nach Brasilien. Ihre Anhänger feierten sie als „Königin der Existenzialisten“ oder als „Muse von Saint-Germain-des-Prés“.

Dreimal war die wilde Wassermann-Frau verheiratet; ihre große Liebe, der Jazz-Pianist Miles Davis, war nicht unter ihren Ehemännern.

Die Farbe von Juliette Gréco war ein tiefes Schwarz, die Farbe ihres Kleides, ihres Haars, des Lidstrichs, unter dem ihre schwarzen Augen melancholisch blickten wie in eine ferne Vergangenheit oder auch schelmisch aufblitzten. Wir erinnern uns: Ihre Arme öffnen sich weit, markieren einen imaginären Horizont. Ihre Augen schließen sich träge. Stille. Aus der Dunkelheit ertönt ein kleiner Akkordeonklang. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht, kokett beißt sie auf die Unterlippe und lässt die Hände auf ihrem Körper einen erotischen Tanz aufführen, „Déshabillez-moi“…

Entdeckt wurde die zierliche Frau mit der tiefen Stimme kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von dem Philosophen Jean-Paul Sartre, der sie in einem Pariser Kellerlokal traf und einen der ersten Liedtexte für sie schrieb. Die Interpretin von bekannten Liedern wie „L’accordéon“ wurde danach international mit ihren Chansons bekannt. Ab 1959 trat sie auch als eine der ersten Französinnen nach dem Krieg in Deutschland auf. Gréco hatte schon in jungen Jahren ihr Durchhaltevermögen und ihre Unbeugsamkeit unter Beweis gestellt. Wie ihre Mutter und ihre Schwester war auch sie im Widerstand gegen die Nazi-Besatzung in Frankreich aktiv. Mit 15 Jahren wurde sie von der Gestapo festgenommen, wenig später aber wieder freigelassen.

In den 50er-Jahren entstand in der Pariser Existentialistenszene in den Cafés von Saint-Germain-des-Prés das Klischeebild des melancholischen, meist schwarz gekleideten jungen Existentialisten, der zwischen Jazzkeller, Café und Universität verkehrte. Gréco hat die Lieder der größten Chansonniers interpretiert wie „Amsterdam“ von Jacques Brel und „Les feuilles mortes“ von Georges Brassens. Und die bedeutendsten Autoren wie Françoise Sagan, Jacques Prévert, François Mauriac und Albert Camus schrieben für sie die Texte.

Ich lernte sie in meinen Teenagerjahren kennen, zusammen mit dem Existentialismus, mit Jean-Paul Sartre und Albert Camus. Der Existentialismus war ein erster Schritt auf meinem langen spirituellen Weg, und als ich ihn entdeckte, war ich hingerissen. Ich war zwar über 20 Jahre zu spät dran, aber auch ich trug jahrelang nur schwarze Kleidung, ich liebte Saint-Germain-des-Prés.

„Zwei gewöhnliche Irrtümer: Die Existenz geht der Essenz voraus oder die Essenz der Existenz. Sie gehen und erheben sich beide im gleichen Schritt“, sagt Albert Camus. Will sagen: Wenn man tot ist, ist man tot. Nichts bleibt übrig oder lebt gar weiter.

Das philosophische Fragen kulminiert für Camus in der für ihn einzig wichtigen Frage, der nach dem Selbstmord. Der Selbstmord ist hier als Lösung, Loslösung von einer sinnlosen Welt gedacht: Warum leben, wenn doch alles sinnlos ist? Allerdings lehnt Camus Selbstmord ab; sich umzubringen hieße, dem Absurden zu erliegen. „Das Leben zu verlieren ist keine große Sache; aber zuschauen, wie der Sinn des Lebens aufgelöst wird, das ist unerträglich“, sagt der algerische Franzose und spricht mir bis heute damit aus der Seele.

Auch wenn meine philosophischen und spirituellen Überzeugungen sich seither stark gewandelt haben, habe ich doch immer bedauert, nicht in der Zeit der Existentialisten gelebt zu haben. Wie gerne hätte ich in den Cafés des einstigen Künstlerviertels von Paris die Nächte durchdiskutiert und die phantastische Gréco kennengelernt, die nicht nur klug, sondern auch ungemein weiblich war und dachte.

Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Oui, mais pas tout de suite, pas trop vite
Sachez me convoiter, me désirer, me captiver
Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Mais ne soyez pas comme tous les hommes, trop pressés
Et d’abord, le regard
Tout le temps du prélude
Ne doit pas être rude, ni hagard
Dévorez-moi des yeux
Mais avec retenue
Pour que je m’habitue, peu à peu

Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Oui, mais pas tout de suite, pas trop vite
Sachez m’hypnotiser, m’envelopper, me capturer
Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Avec délicatesse, en souplesse, et doigté
Choisissez bien les mots
Dirigez bien vos gestes
Ni trop lents, ni trop lestes, sur ma peau
Voilà, ça y est, je suis
Frémissante et offerte
De votre main experte, allez-y

Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Maintenant tout de suite, allez vite
Sachez me posséder, me consommer, me consumer
Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Conduisez-vous en homme
Soyez l’homme, agissez!
Déshabillez-moi, déshabillez-moi
Et vous, déshabillez-vous!

Die toten Blätter, erst auf Haufen, dann vom Winde verweht, wird sie diesen Herbst nicht mehr erleben müssen. Ich wüsste sehr gerne, ob sie im Tod die Unsterblichkeit ihrer Seele erkannt hat.