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Tibet nach 64 Jahren Besatzung: Wie China die Identität eines Volkes systematisch ausradiert

Der 10. März ist in Tibet ein Tag der Trauer und des Kampfes gegen das Vergessen. An diesem Tag im Jahr 1959 brach im Land ein Aufstand aus: Das Volk rebellierte gegen die Chinesen, die sich das dünn besiedelte Tibet bereits 1950 einverleibt hatten und seinen spirituellen Führer nicht akzeptierten. Am 17. März 1959 musste der Dalai Lama bei Nacht und Nebel flüchten. Zu Fuß und verkleidet überwand er das Hochgebirge. Seither residiert er auf der indischen Seite des Himalaya. Am 21. März 1959 wurde der Volksaufstand in Tibet brutal niedergeschlagen. Zehntausende Einheimische verloren dabei ihr Leben. Seitdem zerstören die Besatzer systematisch die gewachsene Kultur und nationale Identität des Landes.

Wenn man wissen will, wie China mit Nationen umgeht, deren Staatsgebiet es annektiert hat, sollte man sich die Geschichte Tibets anschauen – die, wie es aussieht, zurzeit in ihre letzte Dekade geht. 64 Jahre nach der Annexion ist der Dalai Lama hoch betagt. Die Besatzer maßen sich an, seinen Nachfolger zu bestimmen, haben den von tibetischen Mönchen gefundenen Jungen an einen unbekannten Ort verschwinden lassen. Dabei folgt das Finden eines neuen Dalai Lamas traditionell strengen Regeln: Das Kind muss sich als Wiedergeburt eines früheren Dalai Lamas beweisen.

Die Mönche, geistige Elite des Landes, werden systematisch schikaniert und willkürlich ins Gefängnis geworfen, wo man sie foltert, bis sie sterben. Unterrichten dürfen sie nicht mehr. Die traditionellen Nomaden werden gezwungen, sich in Siedlungen niederzulassen, gebaut von den Chinesen. Rund eine Million Kinder schickt man in weit entfernte Internate, wo sie mandarin sprechen müssen. Der Besitz eines Fotos, das den Dalai Lama zeigt, wird mit Gefängnis bestraft. Die reichen Ressourcen des Landes werden systematisch zum Wohle Chinas ausgebeutet.

Tibet ist der Mittelpunkt des tibetischen Buddhismus, der als Vajrayana bekannt ist. Der Buddhismus in Tibet hatte sich zunächst seit dem 8. Jahrhundert und später ab dem 11. Jahrhundert in vier großen Schulen (Nyingma, Kagyü, Sakya und Gelugpa) entwickelt. Der  14. Dalai Lama ist zugleich bedeutender Repräsentant einer Mahayana-Schule (Gelugpa) und wird von der tibetischen Exilregierung als Staatsoberhaupt anerkannt. Die vorbuddhistische tibetische Religion ist der Bön (genannt auch Bon-Religion); sie ist von buddhistischen Einflüssen stark durchdrungen – ebenso wie der tibetische Buddhismus wiederum vom Bön beeinflusst wurde. Eine religiöse Kunstform stellen tibetisch-buddhistische Wandmalereien dar. Ein besonderer Kulturschatz sind Statuen, Glocken und Ritualgegenstände, die aus der Legierung Dzekshim gefertigt wurden. Auch sie werden systematisch zerstört.

Die chinesische Verwaltungsgliederung des größten Teils des historischen Großraums Tibet umfasst heute das Autonome Gebiet Tibet (AGT) mit der Hauptstadt Lhasa sowie zehn Autonome Bezirke und zwei Autonome Kreise in den Provinzen Qinghai, Sichuan, Yunnan und Gansu. Teile des historischen Siedlungsgebietes des Volkes der Tibeter außerhalb Chinas liegen in Pakistan, Indien, Nepal, Bhutan und Myanmar.

Insgesamt etwa 5,2 Millionen Tibeter leben in Tibet, dazu haben sich inzwischen etwa 5,3 Millionen Chinesen angesiedelt. Auch so kann man das gewachsene Leben in einem Land schleichend verändern. Etwa eine halbe Million Menschen leben in der Hauptstadt Lhasa, davon rund 80 Prozent Tibeter. Der wasserreichste Fluss Asiens, der Brahmaputra, entspringt in Tibet und heißt dort Yarlung Tsangpo. Er ist Teil von Chinas erbittertem Krieg um Wasser. Der Bergbau soll zu einer weiteren Säule der tibetischen Wirtschaft werden. Im Land sind Lagerstätten von Bodenschätzen wie Chrom, Kupfer, Magnesit, Bor, Blei, Gold, Erdöl, Eisen, Lithium, Kaliumchlorid, Aluminium, Zink und mehr.  Außerdem meldete die chinesische Regierung die Entdeckung von großen mineralischen Lagerstätten unter dem tibetischen Hochland. Die Lagerstätten sind nicht sehr weit von der Lhasa-Bahn entfernt und könnten die in China vorkommenden Bodenschätze an Zink, Kupfer und Blei verdoppeln.

Die Internationale Kampagne für Tibet (ICT) ist eine der Organisationen, die regelmäßig über die Zustände im Land berichtet, das Handeln der Besatzer weltweit anklagt und sich für Verbesserungen einsetzt. Ausländische Journalisten dürfen kaum noch ins Land. Im Jahresrückblick 2022 der ICT heißt es unter anderem: Im osttibetischen Drango ließen die Chinesen zwei riesige Buddha-Statuen und 45 tibetische Gebetsmühlen vernichten. Die Bevölkerung wurde gezwungen, der Zerstörung eines 30 Meter hohen Buddhas beizuwohnen. Seit dem Ende der Winterferien werden alle tibetischen Kinder in allen Fächern in chinesischer Sprache unterrichtet. Auch die Lehrbücher sind jetzt in chinesisch geschrieben.

Dem Mönch und Schriftsteller Go Sherab Gyatso, der seit 2021 eine zehnjährige Haftstrafe absitzt, geht es gesundheitlich sehr schlecht. Er hat eine chronische Lungenkrankheit, die nicht angemessen versorgt wird. Die ICT prangert immer wieder die willkürlichen Verhaftungen von Tibetern an, die dann an unbekannten Orten festgehalten werden. Das Verschwindenlassen von Menschen sei Teil eines Repressionsmusters zur Unterdrückung abweichender Meinungen, erklärte Geschäftsführer Kai Müller in einer Rede vor dem UN-Menschenrechtsrat. Immer wieder protestieren Männer gegen diese Repressionen mit Selbstverbrennung. Laut Zählung der ICT sind inzwischen 159 Personen qualvoll daran gestorben. Im März wurde allen Verschleierungsversuchen der Behörden zum Trotz bekannt, dass der beliebte tibetische Sänger Tsewang Norbu den schweren Verletzungen erlegen ist, die er sich im Februar bei seiner Selbstanzündung zugefügt hat. Ebenfalls im März setzte sich der 81jährige Tibeter Taphun vor der Polizeistation am Kloster Kirti in Brand und starb später an seinen Verletzungen.

Im Mai fordern die G7-Außenminister ungehinderten Zugang zu Tibet. Im Juni legt das ICT einen Bericht vor, der insgesamt 50 Fälle tibetischer Umweltaktivisten beschreibt, die von China verfolgt wurden. Dr. Gyal Lo, ein tibetischer Erziehungswissenschaftler, der 2021 aus China ausreisen konnte, berichtet unter anderem im deutschen Bundestag, dass bereits vierjährige Kinder in Internate gebracht werden, in denen ausschließlich mandarin gesprochen wird. Kommen sie im Alter von sieben in die Grundschule, beherrschen bereits die meisten Kinder kaum noch ihre tibetische Muttersprache. Bis zum Alter von 18 Jahren müssen sie in den Schulen leben.

Ebenfalls im Juni werden die Schwestern Youdon und Zumkar inhaftiert. Auf ihrem privaten Hausaltar befand sich, was von den Besatzern streng verboten ist, ein Bild des Dalai Lama. Im Juli feiert der Dalai Lama seinen 87. Geburtstag in seiner Residenz im indischen Daramsala. Der internationale ITC-Vorsitzende Richard Gere gratuliert. Im August macht der UN-Sonderberichterstatter auf sogenannte „Arbeitsprogramme“ in Tibet aufmerksam und spricht ausdrücklich von vergleichbaren Formen der Zwangsarbeit in Xinjiang und Tibet. Im September belegt ein Bericht von Human Rights Watch die massenhafte und systematische Sammlung genetischer Daten in der tibetischen Bevölkerung.

Im Oktober verleiht die ICT erstmals den Menschenrechtspreis „Schneelöwe“ an den Anthropologen und China-Forscher Dr. Adrian Zenz und das Tibet Film Festival. Im Dezember protestiert die Tibeterin Gontey Tashi vor dem Gebäude des mittleren Volksgerichtes in Lhasa gegen die Inhaftierung ihres Bruders Dorjee Tashi. Sie kann ihr Plakat rund 15 Minuten hoch halten, bevor sie abgeführt wird. Dorjee Tashi ist Geschäftsmann und Philantrop, der seit 2008 aus politischen Gründen eine lebenslange Freiheitsstrafe verbüßt.

China reagiert harsch, wenn andere Nationen die Besatzung von Tibet und die Schikanen der Einwohner kritisieren. Es fordert von allen Staaten, mit denen es Wirtschaftsbeziehungen pflegt, die Anerkennung der „Ein China-Politik“. Dazu gehört auch, Taiwan als Teil Chinas zu akzeptieren. Seit der Regierung Schröder ist auch die Bundesregierung darauf eingeschwenkt und hat sich zu dieser Politik bekannt. Der Dalai Lama wird nur noch in seiner Funktion als spiritueller Führer empfangen – ein Akt, der dennoch jedes Mal für Verstimmung der chinesischen Führung sorgt. Seit der Machtergreifung Chi Jin Pings hat sich das aggressive Verhalten Chinas deutlich gesteigert: Jede Form der Kritik an seinem Umgang mit anderen Ethnien oder Bereichen, auf die die Volksrepublik Anspruch erhebt, wird zurück gewiesen und als Heuchelei westlicher Mächte mit dem Ziel der Spaltung Chinas diffamiert.

Gold im Jahr 2022: Rege Bewegung auf dem Markt spiegelte die Weltlage

Jedes Jahr gibt es an verschiedenen Stellen unserer Welt Kriege. Aber keiner hat große Teile der Weltwirtschaft derart durcheinander geworfen, wie 2022 der Ukraine-Krieg. In seiner Folge gab es Hungersnot, Inflation und Rezessionsängste. Es gab neue Blockbildungen: NATO gegen Russland, USA gegen China. Harte Covid-Lockdown-Maßnahmen in China sorgten überdies für nachhaltige Störungen der Lieferketten. All dies sorgte auch für massive Entwicklungen auf dem Goldmarkt.

Enorme Zukäufe der Zentralbanken, unterstützt durch große Nachfrage des Einzelhandels und langsamere ETF-Abflüsse hoben die Gold-Nachfrage des Jahres 2022 auf ein Elfjahreshoch. Das berichtet der World Gold Council (WGC) in seinem jüngsten Jahresrückblick.

Die Nachfrage nach Gold stieg 2022 um 18 Prozent auf 4 741 Tonnen, fast wie 2011, einem Jahr mit außergewöhnlich hoher Investment-Nachfrage. Besonders im letzten Quartal wurde eine Rekord-Nachfrage von 1 337 Tonnen verzeichnet.

Dabei schrumpfte der Schmuck-Konsum um drei Prozent auf 2 086 Tonnen, vor allem auch, weil der Goldpreis im vierten Quartal stark anstieg. Die Investment-Nachfrage ohne außerbörslichen Handel stieg 2022 um 10 Prozent auf 1 107 Tonnen, die Nachfrage nach Goldbarren und -münzen um 2 Prozent auf 1 217Tonnen, während die ETF langsamer fielen als im Vorjahr (-110 vs. -189 Tonnen). 

Im zweiten Jahr in Folge gab es eine enorme Gold-Nachfrage der Zentralbanken, die den Jahreseinkauf in diesem Bereich auf ein 55 Jahre-Hoch von 1 136 Tonnen brachte. Die Nachfrage im Technologie-Sektor brach dagegen im vierten Quartal scharf ein, was hier zu einem Gesamt-Minus von 7 Prozent führte. Grund war, so der WGC, dass die globale wirtschaftliche Unsicherheit die Nachfrage der Verbraucher nach elektronischen Geräten dämpfte. Auch der im Jahresverlauf immer stärkere Dollar erwies sich als tückisch bei der Umrechnung des Goldpreises in nationale Währungen.

Die weltweite Goldversorgung stieg in 2022 um 2 Prozent auf 4 755 Tonnen. Die Minen-Förderung erreichte ein 4 Jahres-Hoch von 3 612 Tonnen.

Im Durchschnitt lag der LBMA-Goldpreis bei 1 800 $ pro Unze; in den einzelnen Ländern variierte der Preis in den lokalen Währungen jedoch deutlich. Das Jahr endete mit einem marginalen Gewinn von 0,4 Prozent, trotz deutlichen Gegenwindes durch den starken Dollar und international steigende Zinsen. Die Rege Verbrauchernachfrage hob die Preise für Münzen und Barren auf ein 9 Jahres-Hoch, obwohl der starke Dollar für zusätzliche Verteuerungen sorgte.

Die starke Nachfrage in Europa, der Türkei und dem Nahen Osten stand einer deutlichen Verringerung in China gegenüber, die mit den Covid-Begleiterscheinungen zusammen hing. Die Nachfrage in Indien blieb im Vergleich zum langjährigen Durchschnitt stabil, obwohl lokale Preissteigerungen in den letzten Wochen des Dezember die Verkäufe sinken ließ.  

Die globale Minenproduktion stieg um 1 Prozent, verfehlte aber ihren Höhepunkt aus 2018. Recycling-Gold erreichte nur einen marginalen Zuwachs.

Im laufenden Jahr rechnet der WGC mit einem Ansteigen der Gold-Investments. Die außerbörsliche Nachfrage und die nach ETF scheint ähnlich zu bleiben wie 2022. Die Nachfrage im Einzelhandel werde geringer, aber dennoch gesund ausfallen, wenn die Inflationsängste sinken. In Asien dagegen erwartet man eine stabile und höhere Nachfrage. Rezession und geopolitische Risiken werden den Bedarf an Gold stabil halten und im Jahresverlauf zunehmendes Potential haben, schätzen die Analysten.

Dass die Einkäufe durch die Zentralbanken wieder das Niveau von 2022 erreichen, sei nicht klar, da geringere Geldreserven die Möglichkeiten der Banken einschränken könnten. Aufgrund verzögerter Bankenreports unterliege diese Einschätzung aber Unsicherheiten, wahrscheinlich zum Positiven hin.

Beim Goldschmuck erwartet der World Gold Council eine Stabilisierung auf hohem Niveau, wobei jedoch positive Entwicklungen in China durch ernste Wirtschaftsprobleme in anderen Ländern unterminiert werden könnten. Ein träger Start in 2023 könnte sich verlängern, wenn die lokalen Preise weiterhin so hoch bleiben. Bei der Gold-Versorgung erwartet man einen bescheidenen Anstieg aufgrund der Ausweitung bereits begonnener Projekte. Im Recyclingbereich wird eine weitere Verlangsamung erwartet, wobei eine Verbesserung durch eine geringere Rezession in den westlichen Märkten nicht ausgeschlossen wird.

Eine Statistik darüber, wer genau wie viel Gold gekauft hat, beziehungsweise jetzt besitzt, gibt es dieses Jahr nicht. Der Ukraine-Krieg und seine Folgen haben dafür gesorgt, dass An- und Verkäufe teilweise nicht wie sonst gemeldet wurden. So hat beispielsweise Russland seine letzte Meldung im Januar 2022 gemacht: Da waren seine Goldreserven um 3 Tonnen gesunken. Vermutet wird ein Bestand von 2 299 Tonnen.

Gegen Jahresende meldete China die erste Steigerung seiner Goldreserven seit September 2019: Die Bank des Volkes (PBoC) teilte mit, 62 Tonnen des Edelmetalls gekauft zu haben, womit die offiziellen Goldreserven des Landes auf über 2000 Tonnen gestiegen sind. Es wird jedoch seit langem vermutet, dass die Goldbestände des Landes wesentlich höher sind. Es gibt statt dessen interaktiv nutzbare Schnappschüsse aus Q4 2022. Die Rangfolge der Länder mit den meisten Goldreserven bleibt dabei im wesentlichen gleich.

Folgende Veränderungen in den verschiedenen Ländern sind dem World Gold Council bekannt:

Türkei: +148 Tonnen auf jetzt 542

USA: +113 Tonnen auf 8 134

China: +62 Tonnen auf jetzt 2 011

Ägypten: +47 Tonnen auf jetzt 126

Katar: +35 Tonnen auf jetzt 92

Irak: +34 Tonnen auf jetzt 130

Usbekistan: +34 Tonnen auf jetzt 396

Indien: +33 Tonnen auf jetzt 787

Vereinigte Emirate: +25 Tonnen auf jetzt 80

Kirgisien: +6 Tonnen auf jetzt 16

Tajikistan: +4 Tonnen auf jetzt 6

Ecuador: +3 Tonnen auf jetzt 34

Oman: +2 Tonnen auf jetzt 2

Tschechien: +1 Tonne auf jetzt 12

Serbien: +1 Tonne auf jetzt 38

Kasachstan: -51 Tonnen auf jetzt 352

Deutschland: -4 Tonnen für das Münzprogramm auf jetzt 3 355

Sri Lanka: -3 Tonnen auf jetzt 0,5

Polen: -2 Tonnen auf jetzt 229

Philippinen: -2 Tonnen auf jetzt 157

Mongolei: -2 Tonnen auf jetzt 8

Bosnien-Herzegowina: -1 Tonne auf jetzt 1,49

Kambodscha: -1 Tonne auf jetzt 52

Myanmar: -1 Tonne auf jetzt 7

 

Weltweite Hinrichtungen per Drohne, gesteuert über Ramstein

„Egal, wie lange es dauert und wo ihr seid: Wir kriegen euch“ tönte letzte Woche marzialisch US-Präsident Joe Biden vor den Kameras. Da hatte gerade eine Drohne den Al-Kaida-Chef Aiman al-Sawahiri, der in einem Safe-Haus in Afghanistan auf den Balkon getreten war, gezielt getötet. Al-Sawahiri galt als Nachfolger von Osama bin Laden, der 2011 bei einem Einsatz von US-Spezialkräften in Pakistan getötet wurde. Beides geschah, ganz wie in den zahlreichen US-Heldenfilmen, ohne Gerichtsurteil, ohne Information der jeweiligen Regierungen – und damit in einem Bruch des Völkerrechts, wie auch der Menschenrechte.

Weltweit töten US-Drohnen ohne Gerichtsurteile und in völliger Eigenregie vermeintliche „Terroristen“, im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“. Immer wieder treffen sie aber auch Unschuldige. Panorama hat für die ARD minutiös nachgezeichnet, wie wegen eines Irrtums sieben afghanische Kinder und drei unschuldige Erwachsene von der Rakete einer Drohne getötet wurden (siehe Video unten). Beteiligt ist in den meisten Fällen die US-Basis im deutschen Ramstein. Die Grünen haben diese Praxis jahrelang als Bruch des Völkerrechts kritisiert, die Regierung in Anträgen zum Handeln aufgefordert. Doch nun, selbst an der Macht, scheuen sie die einst so klaren Worte.

Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, die überall wie eine Lichtgestalt für Völkerrecht und Menschenrechte eintritt, bezieht sich dabei grundsätzlich auf Staaten, die nicht mit dem Westen verbündet sind. Neben China und den von den USA als Schurkenstaaten benannten Ländern, geht es dabei selbstverständlich zurzeit gegen die Kriegsverbrechen Russlands im Ukraine-Krieg. Die hehren und berechtigten Anliegen werden von Menschenrechtsorganisationen bei jeder Gelegenheit eingefordert. Aber sie haben einen riesigen blinden Fleck: Auch der Westen begeht Menschenrechts- und Völkerrechtsverletzungen. Nicht nur die USA: Deutschland ist mitschuldig, weil es den Betrieb der Drohnensteuerungsanlage Ramstein nicht nur zulässt, sondern auch ganz bewusst nicht kommentiert. Panorama hat versucht, dazu einen Kommentar Baerbocks zu bekommen. Obwohl zwei Monate Zeit waren, weigerte sich die Außenministerin „aus Termingründen“.

„Wie auch immer der Zustand seiner Demokratie sein mag: Deutschland ermöglicht Amerikas heimliche Kriegsführung in Afrika“, schreibt Netzpolitik.org in einem detaillierten Aufsatz über die Aktionen in Ramstein. Und weiter: „In vielerlei Hinsicht ist dieser militarisierte Streifen Deutschlands ein Pulverfass. Die gemeinsame NATO-Kommandobehörde „Allied Air Command“, die für alle Luftoperationen und in Weltraumfragen der NATO verantwortlich ist, hat ihren Sitz seit 2013 in Ramstein. Die Kommandobehörde beinhaltet ein Raketenabwehrzentrum, den Kern des neuesten US-Raketenschilds, welches der Kreml als Bedrohung ansieht, da es einen Erstschlag gegen Russland wahrscheinlicher machen würde.“

Die Militärs der USA sind von den Möglichkeiten der Drohneneinsätze begeistert. „Unsere RPA-Unternehmung“ (RPA, ferngesteuerte Flugzeuge) fliegt jetzt „Kampfeinsätze auf dem gesamten Globus“, sagte der für das Air Combat Command zuständige General Herbert Carlisle gegenüber einem Senatskomitee im März 2016. „Sie bestücken unsere Entscheidungsträger mit Informationen, unsere Krieger mit Zielen und unsere Feinde mit Angst, Furcht und ultimativ ihrem zeitlichen Ende.“ Heute sind knapp 8000 Mitarbeiter der Luftwaffe allein dem Predator- und Reaper-Drohnenprogramm gewidmet. „Von den 15 Basen mit RPA-Einheiten“, sagte Carlisle, „haben 13 Kampfeinheiten. Diese Mission ist von solcher Wichtigkeit, dass wir auf ein konsistentes Wachstum an Fluggeräten, Personal und Resultaten setzen.“ 

Inzwischen hat die NATO unter Führung der USA auf dem Militärflugplatz Sigonella/Sizilien die Main Operating Base für ihr Aufklärungssystem Alliance Ground Surveillance errichtet. Es basiert auf der Drohne Global Hawk. Im Gegensatz zu Deutschland ging das praktisch lautlos und ohne jede öffentliche Debatte. In der Bundesrepublik gibt es immer wieder Proteste gegen Hinrichtungen mittels Drohnen, die über Ramstein gesteuert werden, weshalb manche Experten darüber spekulieren, dass diese Aktivitäten komplett nach Italien verlegt werden könnten. Europa ist für die USA im Drohnenkrieg unverzichtbar: Aufgrund der Krümmung der Erde können die Geräte nicht direkt aus den USA gesteuert werden. Die US-Drohnenangriffe, die 2001 unter George W. Bush begonnen wurden, haben dramatisch zugenommen – von insgesamt etwa 50 während der Bush-Jahre auf 12.832 bestätigte Angriffe allein in Afghanistan während der Präsidentschaft Donald Trumps. Auch bei eklatanten Irrtümern und vielen zivilen Opfern bleiben die handelnden Soldaten in der Regel straffrei.

Im Zweiten Weltkrieg hatten die Amerikaner das Gelände bei Ramstein-Miesenbach erobert und ab 1951 erweitert. Aus dem Militärflughafen „Landstuhl Air Base“ und dem Verwaltungstrakt „Ramstein Air Force Installation“ wurde dann 1957 die „Ramstein-Landstuhl Air Base“. Seit 1971 ist die Transporteinheit der US Air Force auf der Air Base stationiert. 1974 bezog außerdem die NATO mit ihrer Kommandobehörde für Luftstreitkräfte einen Gebäudekomplex auf dem US-Areal. Die „Ramstein Air Base“, wie sie heute offiziell heißt, liegt etwa einen Kilometer von Ramstein-Miesenbach entfernt und rund 13 Kilometer westlich von Kaiserslautern. Das Gelände ist etwa 1.400 Hektar groß. Der Lärm der Air Base ist groß, die Flugbewegungen sind jedoch mit keiner App nachvollziehbar.

Die Bedeutung der Air Base Ramstein für das US-Militär ist enorm. Der Flugplatz hat sich zum wichtigsten Drehkreuz für Fracht- und Truppentransporte der US Air Force weltweit entwickelt. Auch für Evakuierungsflüge wird der Flughafen regelmäßig genutzt. Verletzte Soldatinnen und Soldaten können im nahen Landstuhl Regional Medical Center behandelt werden, dem größten US-Krankenhaus außerhalb der USA. Auf der Air Base ist neben der US Air Force auch das Hauptquartier des Allied Air Command stationiert, einer Kommandobehörde der Luftstreitkräfte der NATO. Von Ramstein aus überwacht die NATO die Raketenabwehr des Bündnisses sowie die Weltraumaktivitäten der Mitgliedsstaaten. Für das Hauptquartier arbeiten mehr als 600 Menschen aus fast 30 verschiedenen Nationen.

Das Auto, in dem in Kabul zehn Unschuldige Menschen starben.

Drei Jemeniten, deren nahe Angehörige durch über Ramstein gesteuerte Drohnen ums Leben gekommen sind, versuchen seit Jahren, die Bundesregierung wegen einer Mitverantwortung zu verklagen. Das Oberverwaltungsgericht Münster urteilte. „Es bestehen gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen durchführen, die zumindest teilweise gegen Völkerrecht verstoßen“, schreiben die Münsteraner Richter.

Das Gericht äußerte Zweifel, ob die Einsatzpraxis der US-Regierung dem humanitären Völkerrecht genügt. Nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs müssen „unverhältnismäßig hohe zivile Opfer“ vermieden werden. Ob die US-Armee im Krieg im Jemen vor jedem Drohneneinsatz eine derartige Prüfung vornehme, sei zweifelhaft.

Die Bundesregierung hatte versucht, die Rolle Ramsteins klein zu reden. Ulf Häußler aus dem Verteidigungsministerium erklärte sogar, die Relaisstation in Ramstein helfe, die Zahl ziviler Opfer zu reduzieren. Das Oberverwaltungsgericht ließ diese Argumentation nicht gelten. „Die bisherige Annahme der Bundesregierung, es bestünden keine Anhaltspunkte für Verstöße der USA bei ihren Aktivitäten in Deutschland gegen deutsches Recht oder Völkerrecht, beruht auf einer unzureichenden Tatsachenermittlung und ist rechtlich letztlich nicht tragfähig“, so die Richter. Deutschland sei verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen den bestehenden Zweifeln nachzugehen.

Die Bundesregierung wurde im April 2010 und im November 2011 von der US-Seite darüber informiert, dass die Relaisstation in Ramstein von „herausragender Bedeutung“ für den Einsatz bewaffneter Drohnen in Übersee sei. Das geht auch aus offiziellen amerikanischen Dokumenten hervor. 2016 teilten US-Vertreter der Bundesregierung zudem mit, dass Ramstein „eine Reihe weiterer Aufgaben unterstütze, darunter die Planung, Überwachung und Auswertung von zugewiesenen Luftoperationen“, wie es im Urteil des OVG heißt. Die Bundesregierung hat daraufhin im September 2016 hochrangige Gespräche in Washington geführt. Sie erklärte, sie habe keinen Anlass, an der Zusicherung der USA zu zweifeln, dass auf US-Militärliegenschaften in Deutschland geltendes Recht gewahrt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht hob im November 2020 die Entscheidung aus Münster jedoch auf. Die Bundesregierung muss neben diplomatischen Gesprächen nicht kontrollieren, ob die Amerikaner bei ihren Einsätzen über die Air Base Ramstein im Einklang mit dem Völkerrecht agieren, entschied das Gericht. Grundrechtliche Schutzpflichten bestehen zwar auch gegenüber im Ausland lebenden Ausländern und im Fall von Grundrechtsbeeinträchtigungen anderer Staaten. Dafür müssen aber laut Gericht zwei Voraussetzung erfüllt seien: eine konkrete Gefahr und ein qualifizierter Bezug zum deutschen Staatsgebiet. Die Bundesregierung würde ihre Schutzpflicht demnach nur dann verletzen, wenn sie gänzlich untätig bliebe und ihre Maßnahmen offensichtlich völlig ungeeignet wären. Es gebe aber regelmäßige Konsultationen, die den diplomatischen Gepflogenheiten entsprechen, und die Bundesregierung habe sich von den USA zusichern lassen, dass ihre militärischen Tätigkeiten in Deutschland im Einklang mit geltendem Recht erfolgen.

Nun kommt das Anliegen vor das Bundesverfassungsgericht.

Ob dieses den Mut haben wird, Völkerrechtsverletzungen auch als solche zu benennen?

Die USA haben dafür gesorgt, dass zu ihren Aktivitäten in Afghanistan, denen im Irak oder in anderen Ländern, bei denen Tausende unschuldiger Einheimischer zu Tode kamen, kaum Bild- und Beweismaterial im Netz zu finden ist. Ähnlich verhält es sich zu den Auslösern der Krim-Annektierung und des Ukraine-Kriegs durch Russland. Von diesem Krieg sind jedoch täglich neue Schauerbilder zu sehen. Es wird grundsätzlich von „Putins Krieg“ und einer unglaublichen Aggression Russlands gesprochen, der gegenüber sich der Westen als Hüter von Freiheit, Menschenrechten und Völkerrecht darzustellen versucht. Ganz so einfach ist das aber nicht.

Angehöriger, der beim Drohnenangriff in Kabul zehn Familienmitglieder verloren hat

Als US-Präsident Biden aufgrund des durch die Sanktionen gegen Russland selbst verursachten Gas- und Ölmangels im Westen in Saudi-Arabien mit der Bitte vorstellig wurde, doch die Produktion zu erweitern, da man auf Energie aus Russland aus Völker- und Menschenrechtsgründen verzichten müsse, erinnerte man ihn als erstes an den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA in den Irak. Ähnlich verhielt es sich beim Thema Menschenrechte: Joe Bilden hatte den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, auch MBS genannt, zuvor öffentlich wegen des Mordes an dem Journalisten Jamal Kashoggi verurteilt. Lächelnd konnte dieser jedoch auf unzählige vergleichbare Hinrichtungen der USA verweisen.

Auch in China, Indien und anderen asiatischen Staaten beißen die USA in ihrer Rolle als selbsternannte Retter der Menschenrechte auf Granit. Zu sehr haben sie sich in den letzten Jahrzehnten selbst ins Unrecht gesetzt. Und wir, die Verbündeten, sind an all dem mit schuldig. Weil wir der Schutzmacht USA wortlos alles durchgehen lassen, was wir ihren Feinden vorwerfen.

Siehe auch: Weltweiter Rechtsbruch über Ramstein und die dortigen Links

Gesundheits-App und Sozialkredit: China ist ein Überwachungsstaat

Was hatten wir Proteste während der letzten beiden Jahre wegen der Corona-Maßnahmen der Regierung! Zugegeben: Zum Teil wirkten sie auch befremdlich: Wenn beispielsweise die bayerische Polizei Strafzettel verteilte, weil sich im Park jemand auf den Bänken niederließ – wo das doch zuzeiten verboten war. Es ist auch richtig, dass einige Branchen übermäßig unter den Lockdowns gelitten und dass viele Betriebe sie nicht überstanden haben. Ebenfalls richtig ist, dass wir im Herbst 2022 ein ähnliches Durcheinander erwarten können wie in den vorherigen Jahren, denn noch immer verfügt in Deutschland niemand über belastbare Zahlen, geschweige denn Studien, auf deren Basis sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden könnten. Dieser Mangel an Überblick ist für ein Land wie Deutschland wirklich peinlich.

Nicht vertretbar ist dennoch das Verhalten einer großen Zahl von Bundesbürgern, die die Corona-Maßnahmen mit den Ausgrenzungen der jüdischen Bürger des Dritten Reiches vergleichen. Ich selbst habe darüber eine langjährige Freundin verloren. Sie hält sich in einer Blase von Menschen auf, die keinerlei TV-Nachrichten verfolgen oder Zeitung lesen und sich statt dessen auf „alternativen Wegen“ über die „wahre Natur“ der Corona-Maßnahmen „informieren“. Sie, die immer mit beiden Füßen im Leben stand, ist jetzt davon überzeugt, dass mit den Impfungen und der Corona-App eine Art Deep State Macht über alle Menschen erreichen möchte, um sie nach Belieben zu formen und zu unterjochen. Bill Gates und Andere gehören jetzt zu ihren Feinden. Sie, die finanziell gut genug gestellt ist, fantasierte sogar vom Auswandern in „bessere“ Länder – auch wenn sie keins nennen konnte, das besser als Deutschland wäre. Ist auch schwierig, wenn man nichts über andere Länder und Systeme wissen möchte.

Zu später Stunde in der Nacht zum Sonntag lief in der ARD ein Beitrag, der eigentlich zur Primetime gesendet werden müsste. Wie die meisten wissen, fährt China, das Land, in dem Corona erstmals auftrat, eine konsequente Null Covid-Strategie. Tritt irgendwo eine einzige Infektion auf, werden großflächig Viertel und im Zweifelsfall ganze Städte des Landes vollständig gesperrt. Die Einwohner werden in ihren Wohnungen eingesperrt oder müssen in spezielle Hotels umsiedeln – egal, ob sie genug Nahrung und Wasser zuhause haben, oder nicht. Die Eingänge werden von Sicherheitsdiensten bewacht. Wer versucht, trotzdem durchzukommen, riskiert, zusammengeschlagen und abgeführt zu werden. Dadurch sinkt die Wirtschaftsleistung des Landes immer weiter und Transportketten rund um den Globus werden unterbrochen, aber das ist für die Regierung zweitrangig.

Der ARD-Beitrag nun zeigte auf, wie ein echter Überwachungsstaat seine für alle verpflichtende Corona-App benutzt. Die chinesische Version verfügt über ein Ampel-System: Steht sie auf grün, kann sich das Individuum frei bewegen; bei gelb ist das noch eingeschränkt, bei rot überhaupt nicht mehr möglich. Wo immer die Menschen sind, müssen sie ständig QR-Codes scannen, um Zugang zu erlangen. Das gilt nicht nur in den Einkaufsstraßen, sondern auch in ihren Wohnblocks. Haben sie es an den Sicherheitskräften vorbei geschafft, geht es im Haus selbst weiter: Ohne den Code zu scannen, ist es nicht möglich, auch nur den Aufzug zu nutzen.

Die Polizei des Landes verfügt über uneingeschränkten Zugang zu den Daten auf der App. Uneingeschränkt will sagen: Sie kann die Daten nicht nur lesen, sondern sie kann auch den Ampelstatus willkürlich verändern. Unliebsame Personen können so von jeder Aktivität abgehalten werden ohne eine einzige sichtbar aggressive Aktion: Es genügt beispielsweise, die Ampel in der App einer Anwältin auf Gelb zu stellen, um zu verhindern, dass diese den Gerichtssaal erreicht, indem sie ihre, der Regierung nicht genehmen, Klienten verteidigen will. Menschen, die sich nicht stromlinienförmig ins geforderte Verhaltensmuster einpassen, werden so mit einem Klick zu Aussätzigen.

Man kann die Gesundheits-App als machtvolles Tool in Ergänzung zum chinesischen System des „Sozialkredits“ sehen, das nach einer sechsjährigen Testphase seit 2020 breit eingeführt wird. Es besteht aus einer Vielzahl roter (= guter) und schwarzer Listen, die alle Bereiche des Lebens betreffen. Für jede Art von Verhalten gibt es Plus- oder Minuspunkte. Wer etwa seine Eltern pflegt, bekommt Pluspunkte. Wer bei Rot die Fahrbahn überquert, bekommt nicht nur Minuspunkte, sondern wird auch an den Pranger gestellt: Sein Bild als Verkehrssünder wird an der Ampel ausgestellt. Überwacht wird unter anderem mit Hilfe unzähliger Kameras und Gesichtserkennung.

Wer von 1000 möglichen Punkten bei weniger als 600 ankommt, befindet sich im negativen Bereich und muss mit Einschränkungen klar kommen: Kredite zu höheren Zinsen oder gar nicht, keine Flugreisen, keine Fahrten mit Schnellzügen, keine guten Schulen für die Kinder, einschränkten Zugang zum Internet – die Varianten sind grenzenlos. Sehr schwierig ist es offenbar, Negativpunkte wieder zu löschen, auch wenn das eigentliche Vergehen gesühnt ist. Negativ kann sich alles mögliche auswirken: Mit einem Menschen befreundet zu sein, der schonmal die Regierung kritisiert hat, Computerspiele zu kaufen (weil sie eine unproduktive Beschäftigung darstellen), Hundekot nicht weg zu räumen, Streit mit den Nachbarn zu haben, und so weiter.

„Ehrlichkeit, Aufrichtigkeit und Vertrauenswürdigkeit“ will die Regierung offiziell auf diese Weise fördern. Das gilt auch für jede Art von geschäftlicher Tätigkeit. Die Unternehmen werden nicht über die Kriterien informiert, nach denen sie beurteilt werden und müssen sich Informationen darüber selbst beschaffen. Kontrolliert wird nicht nur das Sozialverhalten, sondern auch die Kreditwürdigkeit, die Loyalität zur Partei, das Verhalten in den sozialen Medien, das Einkaufsverhalten und natürlich der Gesundheitsbereich. Mit der Gesundheits-App verfügen die regionalen und nationalen Machthaber jetzt über ein Mittel, blitzschnell und nachhaltig jeden auszubremsen, der verdächtig erscheint, ob nun begründet oder nicht.

Die Chinesen selbst protestieren nicht etwa gegen diese Überwachung, sondern sind mehrheitlich dafür. Sie hoffen, dass so die Korruption abnimmt, dass weniger verfälschte, verwässerte oder gar vergiftete Produkte auf den Markt kommen, dass Umwelt-, Qualitäts- und Gesundheitsstandards wirklich eingehalten werden und sich insgesamt die „Moral“ im Land bessert. Bedenken wegen Datenschutz bestehen in China weit weniger als in Europa, dafür ist das Interesse an neuen Technikprodukten sehr hoch. So konnten sich Smartphones, mobile Zahlsysteme oder die Sharing Economy dort schneller durchsetzen als etwa in Deutschland.

Wie würden sich die hiesigen Coronaleugner und -Protestanten wohl verhalten, wenn sie dem Druck solcher Maßnahmen ausgesetzt wären? Im Zweifelsfall könnten sie nicht einmal mehr das Land verlassen, denn sie bekämen weder Visa, noch Plätze in Flugzeugen oder Zügen. Sie würden wohl auch recht schnell Demonstrationen, Corona-Spaziergänge und das Verbreiten von Fake-Informationen unterlassen, denn bevor sie sich umgeschaut haben, würden sie hinter Gittern landen. Wer wissen möchte, wie ein echter Überwachungsstaat aussieht, der werfe einen Blick nach China. Und die Regierung ist mit dem Umbau noch nicht fertig: Wenn das System erstmal richtig ausgereift ist, gibt es kein Entkommen mehr.

Dass so viele Unternehmen, und ganz speziell die deutschen Autobauer, immer noch ihr Heil in China suchen, ist auch aus dieser Sicht schwer nachvollziehbar. Diese Regierung, die ihre eigenen Tech-Unternehmen entmachtet hat, wird schon gar nicht ausländische Firmen ungebremst wachsen lassen. Aber die Gier nach Geld bei den Investoren war wohl schon immer höher als ihr Bedürfnis nach Sicherheit.

Siehe auch: China, seine Nachbarn und die Welt: Ein leises Netz wird immer dichter

Menschenleben zählen im Krieg nicht – weder in Russland, noch den USA, in China oder Arabien

Nach wochenlangen Angriffen auf die Ukraine stellt sich heraus: Russland kommt nicht wie geplant voran. Die russische Truppe hat eine niedrige Kampfmoral, der Nachschub klappt nicht so recht, und die Ukraine, die vom Westen mit Waffen inzwischen regelrecht überschüttet wird, wehrt sich in Teilen erfolgreich. Obwohl inzwischen mehr als vier Millionen Einwohner – vorrangig Frauen und Kinder – nach Westen geflohen sind, ist der Wille zum Widerstand im Land ungebrochen. Dazu trägt Präsident Selensky höchst erfolgreich bei. Der Mann, der inzwischen mehr als ein Dutzend Mordversuche überlebt hat, führt einen bisher einmaligen Kommunikationskrieg über die sozialen Medien. Täglich richtet er sich an die Soldaten und alle Einwohner des Landes mit aufmunternden Worten. Er und seine Botschafter heizen dem Westen auf eine Weise ein, die nichts mehr mit Diplomatie zu tun hat. „Wir kämpfen für den gesamten Westen“ ist das Motto, und jedes Land wird einzeln aggressiv verbal angegriffen, damit es sich bewegt und mehr gegen diesen Krieg unternimmt.

Tausende Tote hat der inzwischen gefordert, und die Wut Wladminir Putins wächst stetig. Die Regionen entlang der nordöstlichen, östlichen und südlichen Grenze der Ukraine sind unter Dauerfeuer, und längst nehmen die Soldaten dort keine Rücksicht mehr auf die Zivilbevölkerung. Gezielt werden Wohnsiedlungen, Krankenhäuser, Schulen und andere Einrichtungen der Infrastruktur ebenso wie einfache Leute angegriffen. Das ukrainische Internet funktioniert nicht mehr. Milliardär Elon Musk sorgt für Abhilfe: Er stellt sein Satelliten-Netz Starlink zur Verfügung und schaffte innerhalb kürzester Zeit Container voller Receiver ins Land. Beim russischen Überfall kamen sowohl international geächtete Streubomben, als auch Thermobomben und die nicht abwehrbaren russischen Hyperschallraketen zum Einsatz. Seit Wochen ist die Küstenstadt Mariupol eingeschlossen und total zerbombt. Evakuierungskorridore werden, wenn überhaupt, nur Richtung Russland geöffnet. Ohne Heizung, Wasser, Strom und Nahrung harren in der zerstörten Stadt noch immer über 100 000 Einwohner aus.

Seit dem ersten Aprilwochenende hat sich die russische Armee aus dem Großraum Kiev zurückgezogen. Die zerstörten umliegenden Orte offenbaren ein Bild des Grauens: Hunderte gefolterter und getöteter Zivilisten liegen auf den Straßen herum. Im Ort Butscha ist es besonders schlimm. Während der Westen in höchster Aufregung weitere strengste Sanktionen fordert, behauptet die russische Regierung, die Toten seien gestellt, so wie viele andere Szenarien der letzten Wochen Teil der ukrainischen Propaganda. Russland eröffnet seinerseits ein Strafverfahren gegen das ukrainische Militär, nachdem Hubschrauber ein Öllager bei der grenznahen russischen Stadt Belgorod in Brand gesetzt haben…

In Panik haben in der vierten Kriegswoche die russischen Soldaten die Region rund um das Katastrophen-Kraftwerk Tschernobyl verlassen. Als sie sich befehlsgemäß rund um den havarierten Atommeiler in den verseuchten Boden eingruben, erlitten sie Strahlenschäden. Ein halbes Dutzend russischer Generäle sind inzwischen gefallen. Der Frust in der Truppe ist hoch: Ein Verband hat den eigenen Kommandeur mit dem Panzer überfahren, nachdem die Brigade hohe Verluste erlitten hatte. Die Soldaten plündern Lebensmittelgeschäfte und vergewaltigen systematisch Frauen.

Der Handel der Ukraine ist durch die Blockade der Häfen durch Russland massiv eingeschränkt. Die Angreifer haben außerdem das Asowsche Meer vermint. Mehrere treibende Seeminen sind vor der Küste der Türkei aufgetaucht. Korridore für die Handelsschiffe werden nicht freigegeben. Da die Frühjahrsaussaat in weiten Teilen des Landes nicht ausgebracht werden kann, drohen nun Hungersnöte vor allem in ärmeren Staaten Afrikas, die von günstigen Weizen-Einfuhren abhängig sind.

Die EU und die USA haben massive Finanzsanktionen gegen Russland ausgesprochen. Das Auslandsvermögen in Höhe von etwa der Hälfte der Staatsreserven ist eingefroren, das Land ist so weit von Zahlungssystem SWIFT ausgeschlossen, dass es gerade noch möglich ist, Öl- und Gasimporte zu bezahlen, die noch den ganzen März über unverändert fließen. Putin versucht, mit Gegenmaßnahmen den wirtschaftlichen Kollaps zu verhindern. Dann verlangt Putin die Zahlung der Energieimporte in Rubel, was die EU geschlossen ablehnt. Die Energieimporte werden rückwirkend bezahlt, so dass zu befürchten war, dass Öl und Gas nicht weiter fließen. Der deutsche Wirtschaftsminister Habeck rief also die erste von mehreren Warnstufen für den Gas-Notfallplan aus, und die deutsche Wirtschaft reagierte höchst alarmiert. Ein plötzlicher Stopp der Gas-Lieferungen, so eine DIW-Studie, würde Deutschland in eine zehnjährige Rezession treiben. Schon jetzt haben Hamsterkäufe dafür gesorgt, dass in den Supermärkten seit Wochen weder Sonnenblumenöl, noch Mehl zu finden ist.

Die Inflation in Deutschland hat im März die 7 Prozent-Grenze überschritten. Die Lebensmittelpreise steigen, der Handel erwartet Erhöhungen um bis zu 50 Prozent. Die Chemieunternehmen weisen darauf hin, dass, falls sie im Notfall kein Gas bekommen, sich dies an zahlreichen Produkten des Alltags zeigen werde, wie beispielsweise Shampoo. Die Bauern schlagen Alarm, weil auch russische Düngemittel von den Sanktionen betroffen sind. Das Problem ist so groß, dass die USA, die weltweit allen anderen Ländern mit Konsequenzen drohen, falls sie die Sanktionen umgehen, ihrerseits klammheimlich den russischen Dünger von der Liste nehmen. Um die Bevölkerung von völlig ungewohnt steigenden Preisen an den Tankstellen zu entlasten, entscheidet Präsident Biden außerdem, in der nächsten Zeit täglich eine Milliarde Barrel Öl aus der strategischen Reserve freizugeben.

Öl erreicht am Welt markt Preise von zeitweise 130 Dollar pro Barrel, die Dieselpreise an deutschen Tankstellen steigen bis auf 2,40€ pro Liter; haben sich damit gegenüber den Jahresbeginn verdoppelt. Die europäischen Regierungen reagieren schnell, die deutsche wie immer sehr langsam und viel zu schwach: Während die Gaspreise sich inzwischen verdreifacht haben, will die deutsche Regierung ein Energiegeld von 300 Euro pro Person und 100 Euro pro Kind auszahlen, das zu versteuern ist. Rentner bekommen nichts. Dazu soll es – aber nicht sofort – drei Monate lang ein ÖPNV-Ticket für 9 €/Monat geben – das auf dem Land so gut wie gar nichts nützt. Benzin und Diesel sollen drei Monate lang subventioniert werden, Benzin etwa doppelt so hoch wie Diesel.

Robert Habeck ist krisendiplomatisch in Arabien unterwegs, um neue Lieferanten für Öl und Gas zu finden, denn der Druck auf Europa, Energieimporte aus Russland zu kappen, steigt. Immer wieder wird jetzt wieder ein „vorübergehendes“ Tempolimit gefordert. Die Grünen betonen, dass der dauerhafte Ausweg ohnehin nur die erneuerbaren Energien seien. Die EU diskutiert, gemeinsam neue Einkaufsmöglichkeiten für Öl und Gas zu finden. Deutschland und wenige andere Staaten blockieren einen gemeinsamen Einkaufsstopp von Öl und Gas in Russland – mit Mühe einigt man sich auf den Importstopp von Kohle.

Mit Spannung wird erwartet, ob die EZB nun endlich ihre Geldpolitik ändert. Aber es besteht nur eine geringe Aussicht auf Änderung; zu sehr brauchen einige Staaten billiges Geld, das sie in der Vergangenheit freigiebig unter’s Volks gebracht haben: Italien beispielsweise hat damit der Bevölkerung völlig kostenfreie energetische Sanierungen ihrer Häuser spendiert.

Das Vorgehen der russischen Armee bei der Zivilbevölkerung der Ukraine und die wahllose Erschießung unbewaffneter Menschen werden mit dem Völkermord vom Srebrenica verglichen. Rufe nach einem internationalen Haftbefehl gegen Putin als Kriegsverbrecher werden laut. Für diesen ist es inzwischen kaum mehr möglich, seinen Angriff auf die Ukraine ohne Gesichtsverlust zu beenden – sofern er das überhaupt vor hat. Es kursieren Gerüchte, wonach der Präsident von seinen Beratern über den wahren Verlauf des Überfalls nicht informiert worden war, zu groß sei die Furcht vor seinen Wutausbrüchen. Seit Wochen werden Gespräche zu einem Waffenstillstand und/oder Bedingungen für ein Ende des Krieges gestellt – bisher ohne jedes Ergebnis. Der russische Präsident verlangt nicht nur dauerhafte Neutralität der Ukraine, zu der das Land inzwischen gegen Sicherheitsgarantien bereit wäre. Er fordert auch die Anerkennung des Donbas als eigenständig, was für die Ukraine nicht zur Debatte steht. Und eigentlich denkt er noch viel globaler, wie jetzt in aller Grausamkeit deutlich wird: Seit zehn Jahren propagiert Putin eine Freihandelszone von Portugal bis Wladiwostock. Ob es nur eine Freihandelszone sein soll, darf inzwischen bezweifelt werden.

Das kleine Moldawien, Polen, die baltischen Länder, Finnland und Schweden fürchten, dass Putins Aggression sich in Kürze auf sie richten könnte. Erstmals denken Finnland und Schweden an einen Beitritt zur Nato, obwohl Russland für diesen Fall mit ernsthaften wirtschaftlichen und militärischen Konsequenzen droht. Die Nato reagiert mit großflächiger Verlagerung von Truppen und Gerät an ihre Ostgrenze. Alle Verbindungen zwischen dem Westen und Russland scheinen dauerhaft gekappt. Wladimir Putin bleibt jedoch nicht untätig: Bei Besuchen in China und Indien werden Verträge über die Lieferung von Öl und preisgünstigem Gas abgeschlossen, zahlbar in den Landeswährungen, also unabhängig von den US-Sanktionen. Indien, das von Russland auch Waffen bezieht, hat sich, wie China, bei der UN-Vollversammlung geweigert, den russischen Überfall auf die Ukraine zu insgesamt verurteilen, hat allerdings nach den grauenhaften Bildern aus Butcha die Tötung von Zivilisten angeprangert. Beide Staaten, die zusammen immerhin für rund drei Milliarden Menschen stehen, rechnen sich Vorteile durch die Zusammenarbeit mit Russland aus.

So ist innerhalb weniger Wochen nicht nur ein neuer kalter Krieg entflammt, der jederzeit ein heißer werden könnte. Vielmehr ändert sich die bisherige Weltordnung in Riesenschritten. Die wirtschaftlich starken und aufstrebenden Länder Asiens verbünden sich mit Russland gegen Europa und die USA, vor allem aber auch gegen den Dollar. Wenn dieser als Welt-Leitwährung endgültig entmachtet wird, werden Sanktionsmaßnahmen zunehmend ihre Wirkung verlieren. China weitet seinen Einfluss unter anderem in Afrika kontinuierlich aus. Auch mit wenig Fantasie lässt sich leicht ausmalen, wohin diese Entwicklung führt: Der Westen muss darauf achten, nicht unter die Räder zu geraten. Allein die ständige Demonstration moralischer Überlegenheit wird ihn davor nicht retten.

Wohin die Reise führen könnte, zeigte sich diese Woche im Weltsicherheitsrat. Dort wurde, um der russischen Propaganda etwas entgegen zu setzen, Präsident Selensky per Video zugeschaltet. Dieser stellte den gesamten Sicherheitsrat in Frage: Wenn er nicht in der Lage sei, Sicherheit herzustellen, müsse er sich entweder dringend reformieren – oder sich selbst auflösen. Damit trifft der ukrainische Präsident einen Nerv: Da sowohl die USA, als auch Russland, bei Beschlüssen des Weltsicherheitsrates Vetorecht haben, können sie jeweils eine Verurteilung ihres eigenen Handelns verhindern. Jetzt versuchen die USA, Russland aus dem Weltsicherheitsrat zu werfen. Das wäre für die Vereinigten Staaten der beste Weg: Sie würden ihr Vetorecht behalten, und Russland könnte verurteilt werden. Sinnvoller wäre aber, im Rat Mehrheitsbeschlüsse möglich zu machen, die von keinem Veto verhindert werden können. Dann könnte sich der Rat auch anderen Kriegsverbrechen widmen – und die USA kämen nicht gut dabei weg.

Ganz besonders geht es hier um den völkerrechtswidrigen Einmarsch der USA in den Irak vor fast 20 Jahren. Im Unterschied zum Ukrainekrieg bekam die Öffentlichkeit dazu so gut wie keine Bilder zu sehen und erfuhr auch kaum Einzelheiten, wie etwa zum Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung – dafür sorgten die US-Präsidenten höchstpersönlich. Umso ärgerlicher war es für das Land, das sich so gern als Vertreter der Menschenrechte inszeniert und den moralischen Zeigefinger zeigt, dass Wikileaks im Oktober 2010 fast 400 000 Geheimdokumente der Amerikaner zum Irak-Krieg veröffentlichte. Wenige Monate zuvor hatte die Enthüllungsplattform bereits 77 000 geheime US-Dokumente zur Lage in Afghanistan veröffentlicht und sich damit den Zorn der US-Regierung zugezogen. Nun wurden blutige Details des Irak-Krieges offenbar: Einer internen Aufstellung der Armee zufolge wurden zwischen der Invasion 2003 und Ende 2009 insgesamt etwa 109 000 Iraker getötet, 63 Prozent von ihnen Zivilisten.

Zusätzlich wurden Berichte über Folter und Erniedrigung veröffentlicht. Wikileaks zitierte Augenzeugen mit den Worten: „Die einzigen Grenzen, die es gab, waren die Grenzen der Vorstellungskraft.“ In der Mehrzahl der Fälle gehe es um Taten von Irakern gegen Iraker. Ausgebildet worden waren diese irakischen Foltertrupps von US-Amerikanern. Eine führende Rolle dabei soll der Texaner Jim Steele inne gehabt haben, involviert war auch General Petreus, der später wegen einer Liebesaffaire stürzte. Ein Skandal für sich wurden die Berichte über Folterungen und Demütigungen im US-Geheimgefängnis Abu Graib: Dort hatten US-Soldaten in mindestens 400 Fällen Männer und Frauen vergewaltigt, sexuell extrem misshandelt, mit Hunden bedroht, kopfüber aufgehängt und vieles mehr. Präsident Obama verbot die Veröffentlichung der Bilder aus dem Gefängnis, weil sie „den Anti-Amerikanismus stärken und Soldaten in Afghanistan gefährenden“ könnten. So wurde möglich, was im Ukraine-Krieg niemals gelingen wird: Während die Flut der Bilder geschundener Menschen und zerstörter Zivilgebäude aus der Ukraine sich auf Dauer ins kollektive Gedächtnis einprägen werden, geraten die Hässlichkeiten des Irak-Krieges so langsam in Vergessenheit. Jedenfalls im Westen – nicht jedoch im Nahen Osten und in Asien. Dort vergleicht man Putins Krieg sehr wohl mit denen der USA.

Wikileaks konnte so viel über den Irak-Krieg veröffentlichen, weil ein als Bradley Manning bekannt gewordener Soldat während der Stationierung im Irak Hunderttausende Armeedokumente sowie Depeschen der USA von Militärrechnern heruntergeladen hatte. Darunter waren auch zwei Schock-Videos: Kampfhubschrauber der Army hatten am 7. Juli 2007 Ziele in Nord-Baghdad angegriffen.

Beim ersten Angriff beschossen die beiden Apaches mit ihren 30mm-Bordkanonen eine Gruppe von neun bis elf Männern, die sich im Weg von herannahenden amerikanischen Bodenkräften befanden. Einige der Männer waren bewaffnet mit AK-47 und einer Panzerfaust; andere waren unbewaffnet. Zwei für die Nachrichtenagentur Reuters arbeitende irakische Kriegsberichterstatter Saeed Chmagh und Namir Noor-Eldeen, begleiteten die Gruppe. Noor-Eldeens Kamera wurde dabei ebenfalls für eine Waffe gehalten. Acht Männer, Noor-Eldeen eingeschlossen, wurden während dieses Angriffes getötet. Der zweite Angriff, bei dem auch die 30mm-Kanone zum Einsatz kam, galt dem verletzten Saeed Chmagh und zwei unbewaffneten Männern, die Chmagh helfen wollten: Kurz bevor die Bodentruppen eintrafen, versuchten sie ihn in ihren Van zu ziehen. Dabei wurden die drei Männer getötet und zwei im Wagen sitzende Kinder verletzt.

Bradley Manning, der Informant, der heute Chelsea Manning heißt, wurde in den USA wegen Geheimnisverrat 2013 zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt, legte aber Berufung ein und kam wesentlich früher frei. Als Staatsfeind Nr. 1 betrachten die Vereinigten Staaten hingegen noch immer Julian Assange, einen der Gründer von Wilikeaks. Assange hatte für die Veröffentlichung gesorgt. Der 1971 in Australien geborene investigative Journalist wird seit dem Jahr 2010 gejagt. Zunächst stellte Schweden einen internationalen Haftbefehl wegen des Vorwurfs sexueller Nötigung aus, der inzwischen längst zurückgezogen ist. Großbritannien verhaftete Assange und bereitete sich auf die Überstellung in die USA vor. Der auf Kaution Freigelassene flüchtete sich in die Botschaft von Ecuador, wo er sieben Jahre lang ausharrte. Er erhielt sogar die ecuadorische Staatsbürgerschaft, konnte die Botschaft aber nicht verlassen, weil er sofort verhaftet worden wäre.

Nach einem Regierungswechsel in Ecuador wurde Assange 2019 die Staatsangehörigkeit wieder entzogen. Er wurde in der Botschaft verhaftet und sitzt seitdem in einem Londoner Hochsicherheitsgefängnis in Einzelhaft, bis über den Antrag der USA auf Auslieferung entschieden ist, der sich im Berufungsverfahren befindet. In den USA droht Assange lebenslange Haft unter extremen Bedingungen. Nachdem er inzwischen seit 12 Jahren eingesperrt ist, hat der Journalist seelisch erheblich Schaden genommen. Wäre seine Anwältin nicht, die er kürzlich geheiratet und mit der er zwei Kinder hat, würde er womöglich nicht mehr leben.

Diese Gegenüberstellung zweier Kriege dient nicht der Rechtfertigung einer oder der anderen Seite. Es geht darum, nicht mit zweierlei Maß zu messen. Unzählige Kriegsverbrechen sind nicht gesühnt – und das darf nicht sein. Von den Sünden Chinas in dieser Beziehung habe ich andernorts bereits berichtet. Seit 63 Jahren ist Tibet nun aus chinesischer Sicht „befreit“. Noch immer werden Klöster zerstört, Mönche inhaftiert und grausam gefoltert, bevor sie zum Sterben heimkehren. Der Besitz eines Fotos des Dalai Lama ist dem tiefgläubigen Volk unter Strafe verboten. Unterricht in tibetischer Sprache darf nicht mehr stattfinden. Sogar die Gebetsfahnen, mit denen Tibeter die heiligen Berge geschmückt haben, müssen „aus Gründen des Umweltschutzes“ entfernt werden. Von der Behandlung der muslimischen Uiguren war in letzter Zeit häufiger die Rede. Sie werden zu Zigtausenden in Umerziehungslager gesteckt. In China soll nichts existieren, das anders denkt, als es die Partei vorgibt. Der Weltsicherheitsrat weiß von all diesen Dingen, handelt aber nicht. Es darf auch nicht sein, dass die größten Kriegsführer dieser Welt nicht bereit sind, sich Kriegsverbrecher-Verfahren in Den Haag zu stellen, weil sie den Gerichtshof schon gar nicht anerkennen.

Saudi-Arabien führt zusammen mit einer Allianz arabischer Staaten, zu denen auch Katar, Kuweit und die Vereinigten Emirate gehören, seit sieben Jahren einen vernichtenden Stellvertreterkrieg gegen den Iran im Jemen. Er wird von den USA unterstützt. Jemen war schon vorher ein bettelarmes Land. Dort gibt es inzwischen eine der schwersten humanitären Katastrophen weltweit. Trotzdem wird dieser Krieg bei uns kaum beachtet. Warum? Weil wir kaum Bilder davon sehen. Inzwischen wurden mehr als 24 000 Luftangriffe auf Ziele im Jemen geflogen. Wer sich die Karte anschaut sieht, dass es so viele militärisch wichtigen Ziele dort gar nicht geben kann. Es geht also auch hier gegen Zivilisten. Seit 2014 sind mehr als 200 000 Menschen gestorben, rund die Hälfte davon an Hunger oder Krankheiten. Hilfstransporte erreichen die leidende Bevölkerung nur schwer.

Und was tun wir? Wir tauschen Energielieferungen vom Kriegsverbrecher Putin gegen Lieferungen aus Arabien, deren Regierungen sich keinen Deut weniger schuldig gemacht haben. Mal ganz abgesehen davon, dass weder in Katar, noch in Saudi-Arabien die Menschenrechte so geachtet werden, wie wir das immer einfordern. Erst kürzlich hat Saudi-Arabien an einem einzigen Tag 81 Menschen hingerichtet, einige davon allein wegen Teilnahme an Sitzstreiks und Protesten.

Auf dieser Welt sollte es überhaupt keine Kriege geben. Nahrung und Wasser müssten gerecht verteilt und das Zusammenleben geprägt sein von dem Bewusstsein, dass wir alle Brüder und Schwestern sind – egal wo wir leben und welche Hautfarbe wir haben. Leider wird das wohl niemals der Fall sein und die Menschheit sich irgendwann wohl selbst vernichten. Dann profitiert wenigstens der Planet, an dessen Zerstörung wir so erfolgreich arbeiten.

Siehe auch: Angriff auf die Ukraine: Putins aufgestauter Zorn entlädt sich