Schlagwort: Bankenlizenz

ESM verstößt sowohl gegen das Gesetz als auch die EU-Verträge

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat sich mal wieder zuversichtlich gezeigt, dass das Bundesverfassungsgericht kommende Woche den Weg für den Euro-Rettungsfonds ESM und den EU-Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin freimachen wird. Er sei sicher, dass das Gericht beide Vorhaben nicht blockieren werde, sagte Schäuble am Montag bei einer Konferenz in Straßburg. Die Bundesregierung habe beide Verträge gewissenhaft geprüft und keinen Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Drucks der Politik auf das Bundesverfassungsgericht habe ich den folgenden Artikel aus der WELT online vom 4.9.2012 entnommen.

Der Autor, Gunnar Beck, lehrt EU-Recht an der University of London, arbeitet dort als Barrister und ist ehemaliger Rechtsberater im EU-Ausschuss des House of Commons.

Im Extremfall könnte der Euro-Rettungsschirm Deutschland 700 Milliarden Euro kosten. Wird das Bundesverfassungsgericht den Mut aufbringen, die Verfassung und die Bürger vor der Politik zu schützen?

Das Bundesverfassungsgericht urteilt am 12. September über die Verfassungsmäßigkeit des ESM. Auch der Europäische Gerichtshof prüft, ob der Euro-Rettungsschirm gegen EU-Recht verstößt. Das Verfassungsgericht hat bereits klargestellt, dass ein neuer Euro-Vertrag und weitere finanzielle Unterstützung für schwächere Euro-Staaten das Budgetrecht des Bundestages nicht aufheben dürfen.

Der ESM darf direkt von Euro-Zone-Staaten Staatsanleihen aufkaufen oder diesen Kredite gewähren. Dies darf die EZB laut EU-Vertrag offiziell nicht. Allerdings, so betont die Bundesregierung, sieht der ESM eine Haftungsobergrenze von 700 Milliarden Euro vor und begrenzt den deutschen Anteil daran eindeutig auf „nur“ 190 Milliarden Euro. Offenbar lasen die Politiker den Vertag nicht oder sie verstehen dessen Details nicht. Der ESM ist eindeutig rechtswidrig.

Deutschland haftet bereits jetzt stellvertretend

Entgegen der Zusicherung von Kanzlerin Merkel beschränkt Artikel 8(5) des ESM-Vertrags das Fondskapital nicht auf den Nominalwert von 700 Milliarden Euro, sondern auf den Ausgabewert. Der ESM-Gouverneursrat kann gemäß Artikel 8(2) beschließen, dass der Ausgabewert den Nennwert übersteigt. So könnte ein Großteil des ESM-Kapitals etwa zum Doppelten des Nominalwertes ausgegeben werden, die Gesamthaftung der ESM-Mitgliedsstaaten würde sich nahezu verdoppeln.

Gemäß Artikel 25 Absatz 2 haften solvente Mitgliedsstaaten für Fehlbeträge, die sich dann ergeben, wenn ein anderes ESM-Mitglied seiner Einzahlungspflicht nicht nachkommt. Deutschland haftet bereits jetzt stellvertretend, weil Griechenland und Portugal gar nichts einzahlen können.

Belastung bis zu 700 Milliarden Euro

Laut Artikel 21 kann der ESM unbeschränkt Kredite aufnehmen sowie Anleihen an den Kapitalmärkten begeben. Hierdurch werden faktisch die von Merkel selbst verurteilten „Euro-Bonds“ eingeführt, weil alle Mitgliedsstaaten gemeinsam für die vom ESM begebenen Anleihen haften, und dies ohne Kredit- und Haftungsgrenze. Nicht ausgeschlossen ist durch Artikel 21 zudem, dass der ESM sich von der EZB unbeschränkt weitere Mittel beschafft, die die EZB einfach drucken wird.

Aufgrund der Möglichkeit kreditfinanzierter Staatsfinanzierung, der Nachschusspflicht Deutschlands im Fall der Zahlungsunfähigkeit anderer Staaten und eines erhöhten Ausgabekurses kann die Belastung Deutschlands entgegen der Darstellung der Bundesregierung auf weit über 190 Milliarden Euro ansteigen – im Extremfall auf über 700 Milliarden Euro.

Der ESM hat eine Banklizenz für unbegrenzte Kredite

Der Eindruck der Irreleitung von Parlament und Öffentlichkeit durch die deutsche Regierung verdichtet sich bei weiterer Betrachtung, so durch die Diskussion, ob der ESM eine Banklizenz erhalten solle. Gemäß Artikel 32(9) braucht der ESM keine Lizenzierung als Kreditinstitut, auch nicht, um sich an den Finanzmärkten Geld zu leihen.

Eine Banklizenz hat er quasi schon jetzt mit „im Gepäck“. Als „bad bank“ kann sich der ESM direkt und unbegrenzt Kredit bei der Notenbank beschaffen. Artikel 19 erlaubt darüber hinaus ohne Vertragsänderung schon jetzt die Rettung insolventer Banken.

Immunität und Geheimhaltungspflicht

Das Bundesverfassungsgericht hat erklärt, dass weitere Hilfen nicht ohne parlamentarische Zustimmung erteilt werden dürfen. Laut Artikel 4(4) kann der ESM-Gouverneursrat jedoch auf Empfehlung von Kommission und EZB finanzielle Soforthilfen genehmigen. Stimmt das deutsche Ratsmitglied ohne parlamentarische Prüfung zu, genießt es gemäß Artikel 35 uneingeschränkte Immunität, während einmal gefasste ESM-Ratsbeschlüsse laut Artikel 32 nicht justiziabel sind.

ESM-Angehörige unterliegen zudem einer lebenslangen Geheimhaltungspflicht. Ähnlich wie der EZB-Präsident müssen sie sich also in Bezug auf ihre Amtsgeschäfte nicht für Rechtsbrüche verantworten, so sie nur schweigen.

EZB-Präsident Draghi und vertragswidrige Anleihekäufe

Durch den ESM-Vertrag könnte die Haftung Deutschlands für Schulden angeschlagener Euro-Staaten auf 700 Milliarden Euro ansteigen, zusammen mit bestehenden Garantien und Krediten nach Zahlen des Ifo-Instituts in München sogar auf anderthalb Billionen Euro. Das wäre nicht weniger als das Doppelte beziehungsweise Vierfache des deutschen Bundeshaushaltes. Die Budgetautonomie des Deutschen Bundestages wäre damit selbst bei Teilverlusten aufgehoben.

Die EU-Verträge verbieten Staatsfinanzierung über die Notenpresse und untersagen Regierungen die Veräußerung von Regierungsanleihen an die EZB. Dem ESM wird nun gestattet, was der EZB im Mindesten gemäß den Verträgen untersagt ist: Staatsanleihen direkt zu kaufen, Staatskredite zu gewähren und insolvente Banken zu retten.

EZB-Präsident Draghi hat bereits angekündigt, dass er Anleihekäufe durch den ESM zur Rechtfertigung nähme, dass die EZB nicht mehr durch Beschränkungen des Artikels 123 gebunden wäre. Vertragswidrig befinden sich bereits jetzt über 40 Milliarden Euro griechischer Staatsanleihen in der EZB-Bilanz, 100 bis 150 Milliarden schlummern dort als Pfand für Bankkredite. Details über die Zusammensetzung und Kreditwürdigkeit anderer Bilanzposten weigert sich Draghi zu veröffentlichen.

EZB-Politik wird die Inflation beschleunigen

Der ESM-Vertrag vergemeinschaftet die Staatsschulden durch Direkthilfen, Garantien, ESM- oder Projektbonds und mögliche über den ESM gesteuerte EZB-Kredite. Es gibt keine Obergrenze für diese gemeinschaftlichen Schulden – ein Bruch des „No bail“-Prinzips des EU-Vertrages.

Die EZB-Politik der subventionierten Staatsfinanzierung durch die Notenpresse wird über kurz oder lang durch Zunahme der Geldmenge verbunden mit einer Euro-Abwertung die Inflation beschleunigen. Der EZB-Präsident „lirafiziert“ damit den Euro.

Grundlage des National- und Rechtsstaats steht infrage

Der ESM-Vertrag begründet ein System, mit dem durch Immunität geschützte ESM-Banker über hohe Summen nationaler Steuergelder verfügen und die Kontrollrechte der nationalen Parlamente umgehen können. Damit und durch die Schuldenvergemeinschaftung verstößt der ESM gegen Grundgesetz wie EU-Verträge.

Ist der ESM einmal in Kraft, ist die Grundlage des National- und Rechtsstaats infrage gestellt: das Budgetrecht des Bundestages und seine Fähigkeit, durch Steuer- und Ausgabepolitik die Lebensverhältnisse der Bevölkerung erheblich zu bestimmen. Dennoch erwartet kaum jemand, dass das Bundesverfassungsgericht oder der EuGH den ESM zu Fall bringen; allenfalls geringfügige Korrekturen gelten als denkbar.

Es wäre eine rechtsstaatliche Tragödie, wenn das Bundesverfassungsgericht bei eindeutiger Rechtslage nicht den Mut aufbringt, Verfassung und Bürger gegen die „große politische Koalition“ zu schützen. Und doch ist Recht auch immer die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Wie läuft der Kauf von Schuldpapieren ab?

Investoren können Staatsanleihen auf verschiedenen Wegen erwerben. Werden Schuldscheine neu ausgegeben, kaufen Anleger diese direkt bei den Staaten. Bei diesen Anleiheauktionen – der sogenannte Primärmarkt – bekommen jene Investoren den Zuschlag, welche die niedrigsten Zinsen verlangen und dem Staat damit praktisch das günstigste Darlehen geben.Einmal ausgegebene Anleihen können auf dem sogenannten Sekundärmarkt gehandelt werden. Die EZB darf nicht auf dem Primärmarkt aktiv werden. Dies entspräche direkter Staatsfinanzierung, die der EZB in den EU-Verträgen verboten ist. Die Notenbank kauft jedoch auf dem Sekundärmarkt Anleihen auf, also über die Börse oder direkt von Investoren.

Welches Ziel hat der Kauf von Staatsanleihen durch die EZB?

In der Euro-Schuldenkrise sind die Zinsen für neue Anleihen einzelner Staaten teils dramatisch angestiegen. Zuletzt hatten Anleihen in Spanien die Schwelle von sieben Prozent überschritten. In Zinsen drückt sich das Risiko aus, das Investoren hinter Anleihen vermuten. Es waren also Zweifel gewachsen, ob Spanien seine Schulden zurückzahlen kann. Zinsen über sieben Prozent gelten als längerfristig nicht tragbar. Mit dem Aufkauf und der dadurch entstehenden Nachfrage nach Staatsanleihen kann die EZB Druck von den Ländern nehmen.

Gefahren des Schuldtitel-Kauf durch EU-Institutionen?

Experten zufolge birgt der Aufkauf von Staatsanleihen durch Institutionen wie die EZB die Gefahr, dass mit niedrigeren Zinsen der Reformdruck auf Krisenstaaten schwindet – und damit der Druck, ihre Schulden zu reduzieren. Gleichzeitig geht das Risiko, das den Papieren anhaftet, auf die Institutionen über und damit auf deren Träger. Bei der EZB ist das die Gemeinschaft der 17 Euro-Staaten. Kommt durch den Aufkauf von Anleihen wiederum mehr Geld in Umlauf, kann dies die Inflation anheizen.

Welche Rolle kann der ESM beim Anleihe-Aufkauf spielen?

Einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge plant EZB-Chef Mario Draghi den koordinierten Aufkauf von Staatspapieren durch die Zentralbank und den geplanten Euro-Rettungsschirm ESM. Der ESM soll demnach direkt auf dem Primärmarkt Regierungen Papiere im kleineren Umfang abkaufen, um Zinsdruck zu nehmen – begleitend zu den Aufkäufen der EZB am Sekundärmarkt.

Siehe dazu auch: Bankenkontrolle: Die EU treibt die große Lösung voran

Update: EZB entscheidet mit einfacher Mehrheit über den Ankauf von Staatsanleihen – 37 000 Menschen klagen in Karlsruhe gegen den ESM

Update: Rechtsgutachten des wissenschaftlichen Dienstes: ESM verletzt Budgetrecht des deutschen Bundestages

Update: Karlsruhe gibt dem ESM grünes Licht

Update: Übersicht über die Ausschöpfung der Finanzhilfen und deutschen Garantierahmen, Stand 31.8.2014

Update: ESM: Große Macht, große Verantwortungslosigkeit (2018)

Update: Einigkeit immer nur scheibchenweise: Quo vadis, Europa?

Bankenkontrolle: Die EU treibt die „große Lösung“ voran

Im September soll eigentlich Karlsruhe über den ESM entscheiden. Nun wird sich das wegen der neuen anhängigen Klagen wahrscheinlich verschieben. Aber dessen ungeachtet treibt die EU-Kommission die Entmachtung der Bundesregierung weiter voran: Für September ist ein Gesetzentwurf vorbereitet, der der Europäischen Zentralbank die Aufsicht über alle Banken Europas übertragen will – auch über die nicht systemrelevanten wie die Genossenschaftsbanken. Die Bundesregierung will die Bankenaufsicht bisher auf die 25 wichtigsten Geldhäuser der Eurozone beschränken.

Damit würden Fakten geschaffen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Das Ziel dabei ist klar: Deutschland soll sich nicht mehr über die erstmal notwendige Zustimmung auf nationaler Ebene davor drücken können, für die Schulden der anderen Eurostaaten mit zu bürgen.

Auch andere Länder, wie etwa Kanada, drängen darauf, dass Deutschland eine Führungsrolle in der Eurokrise übernimmt. Das sagte Ministerpräsident Stephan Harper gestern bei einem Treffen mit der Kanzlerin in Ottawa. Angela Merkel spricht sich auch selbst für ein größeres Eingriffsrecht in die nationalen Haushalte aus, favorisiert aber eine andere Reihenfolge: Erst muss die politische Integration der Nationalstaaten innerhalb Europas stattfinden, verbunden mit einer Konsolidierung der nationalen Haushalte. Danach kann vergemeinschaftete Finanzpolitik gemacht werden.

Da nun die Zeit aber drängt, die nationalen Finanz-Spielräume in Italien und Spanien täglich kleiner werden, favorisieren diese Länder schnelle Lösungen. Alles wartet auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, die bisher die Umsetzung des ESM verhindert. Sollte Karlsruhe dem zustimmen, wird damit gerechnet, dass sowohl Spanien, als auch Italien hunderte von Milliarden an Hilfen beantragen werden, die dann keine strengen Kontrollmaßnahmen wie etwa bei Griechenland zur Folge haben. „Vorsicht Angriff“ titelt denn auch dazu heute die Wirtschaftswoche. Womit die Märkte rechnen, konnte man diese Woche am Beispiel des Crash-Propheten Marc Faber sehen: Der kaufte in großem Stil Euro-Aktien. …

Finland hat derweil heute die EU aufgefordert, sich auf den Zerfall des Euro vorzubereiten. Dies könne für die EU insgesamt sogar ein Vorteil sein, sagte Außenminister Erkki Tuomioja. Zufall oder nicht: Heute morgen in twitter wechselten sich obige Nachrichten ständig mit einer „kleinen“ Entscheidung ab, die das Bundesverfassungegricht gefällt hat: Die Bundeswehr darf jetzt auch im Inland eingesetzt werden. Aber nur bei großen Katastrophen, nicht etwa bei Demonstrationen…

KenFM hat die Gelegenheit genutzt, in einem Audio-Beitrag noch einmal aufzuzeigen, warum Währungssysteme immer wieder zusammenbrechen müssen: Weil die Banken mit ihrem Zins und Zinseszins Geld schöpfen, das nicht durch Wirtschaftsleistung gedeckt ist. Früher oder später entsteht daraus ein Schuldenberg, der nicht mehr abtragbar ist – unvermeidliche Folge ist der Crash.

Update 31-8-2012: Was die Bankenkontrolle bringen soll – Argumente der Befürworter

Vergleichen Sie zu diesem Thema weitere Beiträge in diesem Blog: ESM und seine Folgen sowie Kein Weg zurück zum Länderparlament

 Die EU wappnet sich gegen den Euro-Crash

Wie das Gift der Finanzwirtschaft ins System läuft

Kommentar: Völker sind nicht bereit für Vereinigtes Europa

Merkels Dilemma: Eurozone oder deutsche Regierung?

Politbarometer: 19 Prozent der Deutschen glauben, dass es den Euro bald nicht mehr gibt (24.8.2012)

Update: Deutschland verlangt entscheidende Änderungen in geplanter Bankenaufsicht und mehr Einfluss (17.9.2012)

Update (18.9.2012): EU-Außenminister wollen mehr Macht für Europa und den ESM als Währungsfonds

Update 27.9.2012: Gutachten weckt Zweifel an Rechtmäßigkeit der geplanten Bankenaufsicht

Update 18.10.2012: EU-Bankenaufsicht nicht durch geltendes Recht gedeckt

Update 18.10.2012: Merkel hält dem Druck von Frankreich, Italien und Spanien stand: Bankenaufsicht kommt „irgendwann“ in 2013

Update: EZB übernimmt ab 2014 Bankenaufsicht über 150 Institute

Update: Bundestag gibt EZB-Bankenaufsicht grünes Licht

Update: In heiterer Sitzung die Souveränität verabschiedet

Update: Quo vadis, Eurozone?

Wenn der ESM in Kraft tritt, gibt es keinen Weg zurück zum Länderparlament

Ein Interview von Astrich Schuch, entnommen „Format trend“, dem „Portal für Wirtschaft und Geld“ :

Der ESM-Vertrag hat 58 Seiten. Eigentlich, könnte man meinen, nicht viel, für einen völkerrechtlichen Vertrag. Ihn zu lesen, wäre also durchaus zumutbar. Besonders Artikel 32 (9) hat zuletzt in der Öffentlichkeit immer mehr für Aufregung gesorgt – hier der genaue Wortlaut:

Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht, die nach dem Recht eines ESM-Mitglieds für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen oder sonstige der Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht sowie der Regulierung unterliegende Unternehmen gilt, befreit. 

Angesichts der jüngsten Diskussionen um eine Banklizenz für den ESM und vor dem Hintergrund des bröckelnden Widerstands gegenüber Bondkäufe durch die EZB sogar in Deutschland, sprach das Format mit den beiden Juristen Jörg Zehetner und Bettina Brück. Ihr Urteil ist vernichtend.

Format: Politiker und Medien führen eine Diskussion darüber, ob der ESM eine Banklizenz bekommen soll. Nach Artikel 32 des ESM-Vertrags hat er die doch schon längst oder? 

Bettina Brück: Ja und Nein. Diesbezüglich gibt es in den Medien viele Missverständnisse. Man muss zwischen zwei Punkten unterscheiden. Eine Bank braucht eine nationale Lizenz zum Geschäftsbetrieb. Der ESM hat zwar keine Banklizenz, er braucht sie aber nach Artikel 32 (9) auch nicht. Insofern stimmt es, die Diskussion darüber ist hinfällig. Der andere Punkt in der Diskussion ist die Frage, ob der EZB-Rat den ESM als Geschäftspartner akzeptiert. In einem Beschluss hat sich der Rat erst kürzlich dagegen entschieden.

Da geht es doch um die Frage, ob die EZB die Staatsanleihen, die der ESM kauft, als Sicherstellung akzeptiert – also dem ESM unlimitierte Kredite bereitstellt. Zwischen der Banklizenz generell und dem, was die EZB sagt, wurde in den Medien immer unterschieden. Auch die Politiker haben von einer Banklizenz für den ESM gesprochen, unabgängig von der EZB. Und dabei braucht er sie gar nicht. 

Jörg Zehetner: Auch muss man dazu sagen, dass die Art und Weise der Entscheidung eine andere ist. Die Beschlüsse, die der Gouverneursrat des ESM fällt, der aus den Finanzministern der Eurozone besteht, werden entweder einstimmig gefasst oder sie bedürfen einer qualifizierten Mehrheit von 80 Prozent oder einer einfachen Mehrheit. Indes entscheidet der EZB-Rat immer mit einer einfachen Mehrheit – das ist also kein Bollwerk dagegen, dass die EZB den ESM als Geschäftspartner akzeptiert. Im EZB-Rat sitzen 23 Leute, davon sechs im Direktorium – davon ist offenbar bloß Jens Weidmann gegen diese sogenannte Banklizenz für den ESM. OenB-Gouverneur Ewald Nowotny hat ja bereits durchklingen lassen, dass er dafür ist.

Die EZB hat doch aber ohnehin schon ein Bondkaufprogramm aufgelegt – ob da jetzt der ESM zwischengeschaltet ist oder nicht macht doch keinen Unterschied. 

Bettina Brück: Die EZB hat zwar bereits Staatsanleihen der Peripherie gekauft – allerdings mit der Rechtfertigung, dass man versuche so die Wirksamkeit der Geldpolitik sicherzustellen. Nach Artikel 123 des EU-Vertrages unterliegt die EZB ja dem Verbot der Staatsfinanzierung. Die EZB hat die Anleihen nur sehr widerstrebend gekauft, und immer betont: ‚Eigentlich ist es ja verboten.‘

Jörg Zehetner: Das ist die professionelle Auffassung der EZB. Die EZB ist die Hüterin der Währung – und soll für Preisstabilität sorgen. Das ist ihr oberstes Mandat, wenn sie aber Staatsanleihen kauft, dann käme sie dem Job nicht nach. Die Frage ist, wie lange sie dem Druck standhält.

Da drängt sich die Frage auf, wie es sein kann, dass das Verbot der Staatsfinanzierung des EU-Vertrages so leicht ausgehebelt werden kann? Wenn die EZB den ESM als Geschäftspartner akzeptiert und somit dem ESM Finanzierung gegen Hinterlegung der Staatsanleihen, die der ESM kauft, als Sicherheiten zur Verfügung stellt, dann ist das nichts anderes als Staatsfinanzierung… 

Bettina Brück: Ich denke, dass der Vertrag von der Politik so formuliert wurde, um von der EZB unabhängiger zu werden.

Im EZB-Rat sitzen nur zwei deutsche Vertreter, warum wurde der ESM von der EZB nicht schon längst als „Bank“ akzeptiert – die einfache Mehrheit dafür müsste doch locker zu erreichen sein? 

Jörg Zehetner: Ich denke, dass die EZB auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Deutschland wartet. Die EZB will nicht riskieren, dass der Widerstand in Deutschland zu groß wird, und das BVG deswegen sagt, wenn das so ist, dann sagen wir von vornherein Nein zum ESM.

Bettina Brück Außerdem müsste der ESM zunächst einen Antrag auf Zulassung als Geschäftspartner stellen.

Wer würde einen solchen Antrag stellen? 

Bettina Brück Den Antrag würde vermutlich der geschäftsführende Direktor stellen. Das ESM-Direktorium führt die täglichen Geschäfte und ist an die Weisungen des Gouverneursrates, also der Finanzminister, gebunden. Wir gehen davon aus, dass der Gouverneursrat über einen Antrag zuvor eine Entscheidung treffen würde. Welche Mehrheit hierfür im Gouverneursrat erforderlich ist, ist im Vertrag nicht klar geregelt – entweder 80 Prozent der Stimmen oder eine einfache Mehrheit.

Sie haben die Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts (BVG) über den ESM angesprochen. Am 12. September soll sie fallen. Worum geht es da genau? 

Bettina Brück: Da sind verschiedene Verfahren anhängig. Es wurden von namhaften Leuten Klagen eingebracht. Am 12. September entscheidet das BVG über die Eilanträge und dann gibt es noch ein Hauptverfahren. Allerdings wird die Entscheidung im Hauptverfahren sicher mit jener am 12. September übereinstimmen. Deswegen lässt sich das BVG hier auch relativ lange Zeit, um über die Eilanträge zu entscheiden.

Was passiert wenn das BVG gegen den ESM entscheidet? Kann Deutschland den ESM kippen? 

Bettina Brück: Der ESM-Vertrag tritt in Kraft, wenn 90 Prozent des gezeichneten Kapitals zustimmen. Deutschland hat einen Anteil von 27 Prozent. Das heißt, wenn der BVG am 12. September entscheidet, dass der ESM verfassungswidrig ist, dann tritt er nicht in Kraft.

Jörg Zehetner: Ein entsprechendes Verfahren ist in Österreich nicht vorgesehen. Bei uns kann der Verfassungsgerichtshof erst im Nachhinein entscheiden, ob ein zuvor vom Parlament beschlossenes Gesetz verfassungswidrig ist.

Hoffen Sie, dass das BVG in Deutschland „Nein“ zum ESM sagt? 

Bettina Brück: Ja, denn der ESM ist verfassungswidrig. Nach diesem Vertrag ist die Haftung unbegrenzt. Der ESM ist nichts anderes als eine Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung.

Jörg Zehetner: Es gibt beispielsweise eine Ausfallshaftung, wie im GesmbH-Gesetz bei einer nicht voll einbezahlten Stammeinlage.

Bettina Brück: Das Stammkapital des ESM beträgt 700 Milliarden Euro. Wenn, theoretisch, alle Staaten ausfallen würden, müsste ein Land, also etwa Deutschland, nach dem Wortlaut des Vertrags, bis zu 700 Milliarden Euro einzahlen.

Jörg Zehetner: Wenn der ESM in Kraft tritt, dann hat Deutschland das Heft aus der Hand gegeben. Ich fürchte, es wird sich zu einem Selbstbedienungsladen entwickeln.

Bettina Brück: Man hat das schon bei den EFSF-Hilfen für die spanischen Banken gesehen. Deutschland sagt, wir machen das nicht, und jetzt machen sie’s und zwar zu Minimalauflagen. Und die EZB hat ja Anleihen gekauft, ohne jede Auflage. Je mehr Schulden durch die leichte Geldvergabe entstehen, umso größer ist das Bedürfnis, die Schulden zu vergemeinschaften.

Jörg Zehetner: Wenn der ESM in Kraft tritt, haben außerdem die nationalen Parlamente nichts mehr zu sagen.

Bettina Brück: Ausgenommen bei einer Kapitalerhöhung – im Nachhinein. Und im Falle von Deutschland müssen bestimmte Dinge doch im Parlament entschieden werden, allerdings nur nach nationalem Gesetz.

Was bedeutet das? 

Bettina Brück: Wenn Finanzminister Schäuble im ESM-Gouverneursrat etwas beschließt, dann ist das rechtlich bindend. Egal, was das nationale Gesetz sagt. Da unterscheidet man zwischen Innen- und Außenverhältnis. Das ist als würde die Familie gemeinsam einen Urlaub in Griechenland planen und der Vater dann entgegen dem, was die Familie beschlossen hat, beim Reisebüro einen Urlaub in der Türkei buchen. Dieser Vertrag ist gültig, auch wenn er sich zu Hause dann vielleicht den Rüffel anhören muss.

Österreich hat ja dem ESM schon zugestimmt. Glauben Sie, dass die Parlamentsabgeordneten den Vertrag gelesen und ihn verstanden haben? 

Bettina Brück: Ich bin sicher, dass viele Abgeordnete nicht verstehen, was sie da im Detail beschlossen haben.

Warum benötigen supranationale Organisationen wie der ESM eigentlich volle Immunität gegen gerichtliche Kontrollen und Eingriffe jeder Art, so wie es ebenfalls im Artikel 32 festgeschrieben ist? 

Bettina Brück: Das Argument ist die Handlungsfähigkeit. Man soll nicht aus Angst vor Haftung notwendige Schritte unterlassen. Es erhöht aber natürlich auch das Risiko für Korruption.

Zur Person

Jörg Zehetner ist Partner bei der KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH und war zuvor Assistent am Institut für Unternehmens- und Wirtschaftsrecht der Universität Wien. Er hielt zahlreiche Vorträge unter anderem als Lektor an der Juridischen Fakultät der Universität Wien (seit 1995), am Post-Graduate-Universitätslehrgang für Wirtschaftsjuristen der Universität Salzburg (seit 2000) und am FH-Studiengang des Bundesministeriums für Finanzen (seit 2012). Außerdem ist er Autor zahlreicher Bücher.

Nach dem internationalen Abitur am „United World College of the Atlantic“ in Wales studierte Bettina Brück Rechtswissenschaften in Göttingen und Lausanne/Schweiz mit Nebenfach Romanistik. Während einer Referendarstation war sie in einer wirtschaftsrechtlichen Kanzlei in Madrid tätig. Seit 1999 ist sie auch als deutsche Rechtsanwältin zugelassen und bei Luther Rechtsanwaltsgesellschaft bzw. den Vorgesellschaften beschäftigt.

Nachtrag: Warum sind bisher alle europäischen Versuche einer gemeinsamen Währung gescheitert? Weil die Politiker ihre Belohnung immer im Heimatland bekamen – oder anders ausgedrückt: Weil es kein europäisches Denken gab. Ein kluger Artikel mit Rückblick auf die Geschichte in der Wirtschaftswoche dazu.

Update FAZ Wirtschaft vom 11.8.2012: „Es ist an der Zeit, Europa vor den Euro-Rettern zu retten

Update Handelsblatt 13.8.2012: Eine neue Klage vor dem Verfassungsgericht und eine vor dem europäischen Gerichtshof: Der 12. September ist vermutlich nicht zu halten. 

Update: Karlsruhe gibt dem ESM grünes Licht

Update: Einlagensicherung und Eurozonen-Budget kommen

Der Kampf um die neue Weltwährung ist in vollem Gang

Vor der heutigen Sitzung der EZB drängt Manfred Gburek in der Wirtschaftswoche auf eine „radikale Lösung“. Tenor: Eine internationale Staatsentschuldung sei illusorisch. Deshalb mache es Sinn, die Schulden über den ESM bei der EZB auszulagern, die sie dann „vernichte“. Auch Kanzlerin Merkel sei das klar. Angesichts des anstehenden Bundestagswahlkampfes lasse sie aber lieber andere vorpreschen.

Wie die ganz radikale Lösung nun aussieht, wagt wohl auch der Autor nicht auszusprechen: Letztlich läuft die Schuldenlage, die in den USA noch schlimmer ist als in Europa, nämlich auf eine neue Weltwährung hinaus, deren Banknoten nicht mehr beliebig mit Hilfe der Notenpresse vermehrbar sind. Eine Währung, die durch Gold gesichert wird.

Staaten in unserem Osten, wie etwa China, arbeiten daran bereits gezielt. Wie alle anderen Notenbanken der Welt, vermehrt auch China seinen Gold-Schatz kontinuierlich. Hier allerdings fiel in den letzten Tagen eine im Westen kaum beachtete Schlüssel-Aussage: China will mehr Gold anhäufen, als es die USA bereits besitzen.

Zu deutsch: China will Herr der nächsten Weltwährung werden. Wer das meiste Gold besitzt, wird, wenn nicht nur der Euro, sondern auch der Dollar crashen, bei einer neuen, goldgesicherten Weltwährung das meiste Geld haben – und damit die Macht. Bereits jetzt hält China hinter den USA, Deutschland, Frankreich und Italien die meisten Goldreserven der Welt.  Es kann außerdem weltweit auf die größte Gold-Fördermenge verweisen. Dazu kommt, dass China über riesige Bargeldreserven und mindestens ebenso riesige Schuldverschreibungen der USA verfügt, die in Dollar ausgestellt sind. In einer Währung also, die täglich an Wert verliert – je mehr Papiergeld die Fed auf den Markt wirft.

Weitgehend unbemerkt vom Westen, dessen Bürger um ihren Wohlstand bangen und dessen Politiker in Rangeleien und nationale Wahlkämpfe verstrickt sind, ist der Kampf um die neue Weltwährung bereits in vollem Gang.  Asien bereitet sich ohne viel öffentliche Selbstdarstellung konsequent darauf vor, den USA die Weltherrschaft endgültig abzunehmen.

Und unsere Politiker im Westen tragen ihre Scheuklapppen weiter. Wenn sie nicht bald erkennen, wo das Spiel wirklich gespielt wird, wird die „alte Welt“ das werden, was sie de facto schon lange ist: Abgeschlagen. Milliarden gut ausgebildeter, hungriger junger Menschen warten weltweit auf ihre Chance, am Wohlstand teilzuhaben. Sie werden sie bekommen.

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Nachtrag:

Die EZB hat die Entscheidung verschoben, denkt aber weiterhin darüber nach, Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen. Hessens Justizminister will gegen die EZB klagen.

DAF: „Super-Mario hat Unruhe programmiert

ARD-Kommentar: Hat Mario Draghi doch Recht? 

Hat jemand was nicht verstanden? Welt Online erklärt nochmal die Begriffe und die Gründe für die ganze Hektik in Europa.

Update: Petro-Yuan Is The Newest Weapon For The China-Russia-Iran Anti-USD Alliance

Update: Russland will sich vom Petro-Dollar abkoppeln