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In der Wüste Ägyptens: Gott ist zu groß für einen Namen

Ende Oktober ist nicht mehr Sommer, auch nicht in Ägypten. Die Sonne geht früh unter, und trotz Temperaturen über 30 Grad braucht meine Haut keinen Sonnenschutz mehr. Angenehm warm ist es, als wir starten: Nur Ahmed und ich. Auf dem Quad. Durch die Wüste.

Ich soll ein Arafat-Tuch um den Kopf wickeln, wegen des Staubs. Aber aus dem Alter, freiwillig lustige politische Demonstrationen zu machen, bin ich raus. Ich habe ein weißes Tuch dabei. Von einem Wüstenbesuch in Tunesien vor Jahrzehnten. Ein Arafat-Tuch kaufe ich trotzdem: Mitbringsel für die Tochter einer Freundin. Helm auf, Startknopf drücken und los geht es.

Als wir aus der Garage fahren, sehen wir andere Reisegruppen starten: Eine mit rund 15 Teilnehmern fährt in Reih und Glied hintereinander gerade los. Der Letzte tut mir leid. Ob er außer Staub überhaupt was sieht? Eine andere große Gruppe ist mit Jeeps bereits gestartet. Nach etwa zwei Kilometern treffen wir sie wieder: Ein Fahrzeug ist in Flammen aufgegangen und brennt völlig aus. Die anderen Autos sind schon weiter gefahren. Wir werden sie später wieder sehen, wenn sie zum Fotostopp halten.

Mit dem Quad durch die Wüste – nicht den ausgetretenen Pfaden der Anderen folgen, sondern eigene Wege gehen – das war das Versprechen. Ich sehe auf den ersten Blick: Hier sind alle Pfade ausgetreten. Direkt nach dem letzten Haus von Hurghada beginnt die Wüste, und in ihr tummeln sich Touristenmassen. Aber ich habe keine Zeit, enttäuscht zu sein: Ahmed nimmt Fahrt auf, und ich habe Mühe, ihm zu folgen.

Auf den ersten Blick scheint alles glatt und eben. Aber das ist es nicht: Die Wüste besteht aus Steigungen und Böschungen, es gibt stattliche Bodenwellen, und überall liegen dicke Steine herum. Sie stammen von den spitzen, morschen Bergen, die die Ebenen umranden. Ich entdecke halbrunde Hügel mit Einfahrten: Militär hat sich hier überall eingegraben. „Ja, in Ägypten gibt es sehr viel Militär“, sagt Ahmed. „Leider“.

Wir fahren schnell Richtung Westen. Es schüttelt mich durch. Keine Zeit, an meine arme Lendenwirbelsäule zu denken: Das Licht beginnt, mich gefangen zu nehmen. Der junge Mann vor mir fährt in einer Fontäne aus Staub. Staub scheint sich auch aus dem Raum zwischen Armen und Körper zu ergießen – im Gegenlicht sieht das wundervoll aus: Als nehme das Licht Gestalt an und fließe um den Körper und das Gefährt vor mir. Ich bin verzaubert und vergesse stellenweise, schräg hinter meinem Vordermann zu bleiben, um nicht reinen Staub einatmen zu müssen.

Zuerst erscheinen sie blau, dann werden sie langsam dunkler: Die Silhouette der Berge vor uns kommt näher. Ich sehe, dass sie aus Schotterhalden über einem festen Kern bestehen. An manchen haben sich Sanddünen gefangen: Was für ein schönes Licht! Ich möchte anhalten, in Ruhe fotografieren. Aber es geht nicht. Ahmed ist schon fast außer Sichtweite. Also rase ich los und genieße das Glücksgefühl, das sich meiner bemächtigt: Ob sie sich so gefühlt haben, die begeisterten „embedded journalists“, die 2003 an Bord der US-Panzer durch die irakische Wüste rasten? Was für ein hässlicher Gedanke. Ich schüttele den Kopf, rücke Tuch und Helm zureckt und nehme mir vor, beim Rückweg auf jeden Fall an dieser Düne anzuhalten.

Viel zu schnell kommen wir an ein mit großen Steinblöcken umgrenztes Feld. Dahinter einige Verschläge aus Palmwedeln und Stroh, zwischen ihnen ein Spitzzelt, dem ich zutraue, auch einen Regenschauer zu überstehen. Auch die Schafe und Ziegen, die etwas weiter entfernt beisammenstehen, haben so einen Palmwedel-Stroh-Verschlag als Schutz vor der Sonne. Wir halten vor einem anderen und gehen hinein.

Uns folgt eine dunkel gekleidete Frau, von deren Gesicht nur die Augen erkennbar sind. Die aber lächeln, während sie beginnt, vorbereiteten Teig auszurollen und schnell über dem Feuer zu backen. Ich soll essen. In winzigen Blechtässchen wird starker schwarzer Tee gereicht. Nein danke, für mich trotzdem ohne Zucker. Das Brot schmeckt frisch und gut, und Ahmed beginnt, in singendem Tonfall zu erzählen: Von der arabischen Wüste links und der Sahara rechts des Nils. Davon, wie Wüstenbewohner mit Hilfe ihrer Kamele Wasser finden. Er wird unterbrochen: Die Frau weist darauf hin, dass sie etwas zu verkaufen hat.

Natürlich. Ich stehe auf und betrachte aus kleinen Perlchen gebastelte Armbänder und Halsketten, rieche an Duftöl in kleinen Plastikdosen. Na klar, ich kaufe ein. Für umgerechnet zehn Euro erstehe ich allerlei Schmuck. Mein Versuch, selbst Brot mit dem Holzstück auszurollen, scheitert kläglich. Es geht halt nicht, wenn ich mich gleichzeitig unterhalte.

Und schon müssen wir weiter.

Ich bitte Ahmed, an dieser Sanddüne anzuhalten. Die Sonne steht schon tief. Er hält nicht. Aber ich. Wie so oft auf meiner ganzen Ägypten-Reise, ärgere ich mich, dass nirgendwo genug Zeit ist, eine Stimmung zu erfühlen, in Ruhe den rechten Standpunkt für das schönste Licht zu suchen. Ich fotografiere also, und Ahmed kehrt ungeduldig um. „Jalla, die Sonne geht gleich unter!“ Jaja, ich komme schon.

Wir schaffen es nicht mehr zu dem niedrigen Hügel, von dem aus wir den Sonnenuntergang bewundern wollten und halten mitten in einer riesigen, kahlen Fläche. Und da geht er auch schon zwischen den Bergspitzen davon, der glühende Feuerball, und mit dem Licht entschwindet sofort die restliche Wärme. Mich fröstelt, ich ziehe eine Weste an. „Du hast viele Sachen dabei,“ staunt zum wiederholten Mal Ahmed. Ja, stimmt. Die Gopro umgeschnallt, die Canon EOS 6D im Rucksack, das Handy für die abendlichen Postings, Wasser, die Jacke… Er nimmt die Kamera in die Hand. „Boah, ist die schwer. Warum tust du dir das an?“ Na weil ich gute Bilder machen will, warum sonst. Und nein, ein Handy macht eben nicht genau so gute Bilder.

„Du musst jetzt wirklich hinter mir fahren“. Ahmed winkt entschlossen, und ich schere ein. Ja klar. Wir nähern uns unserem Ausgangspunkt. Am Horizont zieht in einer Staubwolke die Karawane der anderen Quadfahrer vorbei. Rechts von uns rasen die Jeeps heran. Und schon sind wir zurück. Hinter den Bergen ruht noch glutrot der Widerschein unseres wärmenden Sterns. Er wird schnell blasser. Die Nacht bricht an.

„Sag mal“, fragt Ahmed im Auto Richtung Rücksitz: „Glaubst du an Gott?“

Hm. Ich bin überrascht. „Ja, würde ich schon sagen“, antworte ich. „Aber ich glaube weder an den Gott der Bibel, noch an den des Koran.“ „Woran glaubst du dann?“ „Ich bezeichne mich als Buddhistin.“

„Ah. Hauptsache, du glaubst an Allah. Das ist sehr wichtig.“ Ich verzichte darauf, die Philosophie des Zen zu erklären, sage statt dessen: „Ich finde es ziemlich egal, wie wir Gott nennen. Er ist ohnehin viel zu groß, um einen Namen zu haben.“ Ahmed denkt nach. Ja, eigentlich kann er da zustimmen. Und auch wieder nicht. Ihm ist etwas anderes wichtig. Zu viele Menschen haben einen falschen Eindruck vom Islam. „Im Koran steht nicht, dass Mohammed der einzige Prophet ist,“ sagt er. „Der Koran akzeptiert viele Propheten.“

Ich berichte von den Schwierigkeiten, die wir in Deutschland mit radikalen Muslimen haben und ihrer Interpretation des Koran. „Hast du islamische Bücher?“ will Ahmet wissen. Ja, ich habe verschiedene. Darunter auch den Koran. Aber das Thema Flüchtlinge ist für mich nicht fertig. Ich erzähle von dem Stress, den wir zum Beispiel in Badeanstalten haben, weil muslimische Frauen in Burkinis baden, und dem Aufstand, den Muslime regelmäßig machen, weil Männer und Frauen in meiner Heimat so viel mehr zusammen tun, als in ihren Herkunftsländern. Ahmed denkt nach. „Weißt du,“ sagt er, „ich denke, dass diese Flüchtlinge, die jetzt alle zu euch kommen, in ihrem eigenen Land Loser waren. Sie kommen aus den ärmsten Gegenden, haben dort keine Bildung genossen und nichts erreicht. Deshalb haben sie sich auf den Weg zu euch gemacht.“ Hm. Ich finde, er hat Recht. Zu viele der Immigranten in unserem Land sind Armutsflüchtlinge. Sie suchen einfach ein besseres Leben. Ich denke an all diese Boote voller junger schwarzer Männer und frage mich, wie wir sie alle integrieren sollen, ob sie sich überhaupt integrieren wollen.

Wir reden weiter. Über die Frage, ob Gott einzig oder mehrfach ist. Über die heiligen Bücher. Und über die Macht, die Menschen mit Hilfe der heiligen Bücher über andere Menschen auszuüben versuchen.

Viel zu schnell sind wir wieder am Hotel. Der Sicherheitsdienst sieht uns zu, als wir uns verabschieden: Mit der Hand auf dem Herzen, und ehrlich dankbar, ein offenes Gespräch geführt zu haben.

Das war schön.

So müsste es öfter sein.

Dann gäbe es keine Kriege.

Ein alter Wunsch ist wieder in mir wach: Ich möchte richtig in die Wüste. Mehrere Tage lang. Vielleicht mit einer Karawane reisen, solange mein Körper es noch mitmacht. Und die Menschen kennen lernen. Authentisch.

Riffe, Delphine und die Zeugen vergangener Kulturen

Zwei Dinge gibt es, die man in Ägypten unbedingt tun sollte: Im Roten Meer schnorcheln oder tauchen – und die unglaublichen Zeugen vergangener Hochkulturen bewundern. Eine Woche ist knapp, um all das zu verwirklichen, aber man kann es ja versuchen: Zum Beispiel durch das Buchen einer Tour, die das Schwimmen mit Delphinen im Meer verspricht – sofern die Delphine Lust haben.

Um es kurz zu machen: Die Delphine hatten keine Lust. Und ich kann das bestens verstehen.

Schon am Hotelstrand war ich erstaunt über all diese Boote. Abends „parkten“ sie in langen Reihen an Stegen, morgens liefen sie in Massen aus, und den ganzen Tag über lag wohl ein halbes Dutzend von ihnen an der Riffkante, die vom Strand aus gut zu sehen war.

Das Rote Meer verfügt zwar über warmes Wasser, aber die Wassertemperaturen sind nicht zu vergleichen etwa mit jenen in der Karibik. Im Sommer mögen es 28 Grad werden, im Herbst sind es noch 24, im Winter deutlich weniger. Womöglich ist das jedoch der Grund, dass die wunderschönen Unterwassergärten überall so voll prallen Lebens sind. Die gefürchtete Bleiche ist nur an wenigen Stellen zu sehen, die sehr dicht unter der Wasseroberfläche liegen, ansonsten sind die vielfältigen Korallen weitgehend unversehrt. Um sie herum tummeln sich Unmengen von Fischen – Seeigel oder Seesterne sieht man dafür kaum.

Delphine gibt es auch (noch) viele. Dass es sie dort noch gibt, kann den unbedarften Urlauber nur verwundern. Denn auf sie wird in einer Art und Weise Jagd gemacht, die jedem Tierfreund die Haare zu Berge stehen lässt. Wo auch immer unsere Yacht auftauchte: Mindestens ein halbes Dutzend anderer Boote waren schon da. Einige hatten Schlauchboote voller Schnorchler zu Wasser gelassen; bereit, sich bei Ansicht eines Delphins in die Fluten zu stürzen. Bei anderen saßen die Schnorchler in voller Ausrüstung auf der Rampe. Ich sah sie im Dutzend von der fahrenden Yacht springen, als endlich Delphinköpfe auftauchten, um Luft zu holen. Was taten wohl unsere klugen Brüder der Meere? Sie tauchten wieder unter und wurden nicht mehr gesehen. Wahrscheinlich haben sie sich untereinander darüber lustig gemacht, dass diese trampeligen Erdbwohner tatsächlich dachten, sie könnten ihnen das Wasser reichen….

Aber im Ernst: Was dort passiert, ist Tierquälerei und wird die Delphine auf Dauer ausrotten. Unter Wasser herrscht ein unglaubliches Getöse der ganzen Motoren. Und diese Gruppenjagd auf die armen Tümmler… Ab 2020 erhöht die ägyptische Regierung die Preise für Tourenanbieter drastisch. Vielleicht dämmt das die Aggression ein wenig ein.

Vor lauter Suche nach den Delphinen hätten wir fast das Schnorcheln vergessen. In über 12 Stunden auf dem Wasser hielten wir an zwei Spots, die allerdings tatsächlich ergreifend schön waren: Langgestreckte, steil abfallende Riffe im insgesamt nicht sehr tiefen Meer voller blühenden Lebens. Leider ist es nicht ungefährlich, dort zu schnorcheln: An den Rändern der Riffe gibt es starke Strömungen, der Seegang kann nachmittags recht stark werden, ungeübte Schwimmer ermüden schnell und müssen per Schlauchboot eingesammelt werden. Deshalb mussten wir alle dem Guide folgen – und ich war mal wieder ernüchtert: Keine Chance, am richtigen Punkt einfach zu verweilen und zu genießen, so gut wie keine Möglichkeit, das Licht richtig einzufangen.

Aber: Unser Anbieter hatte einen Fotografen an Bord. Der übernahm, was Schnorchlern generell schwer fällt: Gesichert durch Schwimmer und Leine tauchte er am Riff herab und nahm die bunte Meeresfauna im Detail auf. Die Bilder konnten wir anschließend käuflich erwerben. Sie sind in mein Video eingeflossen. Dieser Fotograf hielt auch unsere Begegnung mit einem Walhai im Bild fest. Sie fand statt, als die meisten von uns die nasse Badekleidung bereits abgelegt hatten – wie schade. Der Riese war völlig entspannt.

Sollte ich wieder ans Rote Meer kommen, werde ich die Delphine in Frieden lassen. Aber ich werde schnorcheln, was das Zeug hält: Schönere Riffe habe ich bisher nur auf den Malediven gesehen.

Von Hurghada nach Kairo – hm. Es gibt Angebote, die Tour per Kleinbus zu machen, aber der Weg ist dafür schlicht zu weit. Bereits nach Luxor ist es eine Höllentour: Man ist rund 16 Stunden unterwegs, wobei mehr als die Hälfte der Fahrt geschuldet sind. In Luxor dann gibt es die Qual der Wahl: Jede Menge Tempel und Gräber. Nicht in einem, auch nicht in zwei oder drei Tagen befriedigend zu erforschen. Aber man kann es ja versuchen.

„Die Mumie kehrt zurück“ – war das nicht Amun Re, um den es im Buch/Film geht? Der Karnak-Tempel ist dem Sonnengott gewidmet und eine eindrucksvoll große Kultstätte. Nach kurzer Einführung durch den Guide haben wir gerade mal 30 Minuten Zeit, durch einen Teil des größten Tempels Ägyptens mit einer Fläche von rund 30 Hektar zu laufen: der reine Stress. Und dennoch: Die zahlreichen Säulen, die unglaublich gut erhaltenen Inschriften, die dunkle „Kapelle“ in der Mitte mit ihrem fast schwarzen „Altar“: Eindrucksvoll und in jeder Hinsicht groß. So oft habe ich in Paris den Place de la Concorde umrundet. Dass der Obelisk in seiner Mitte aus diesem ägyptischen Tempel stammt, wusste ich bis vor kurzem nicht.

Im Schnellverfahren lernen wir etwas über Grundsymbole der ägyptischen Bilderschrift, über Säulen, Obelisken, Dynastien – und schon geht es weiter. Auf einem Ausflugsschiff setzen wir über den Nil – und staunen: In Luxor gibt es so manchen Luxus. Auch Privatwohnungen mit Terrassen zum Nil und dem eigenen Boot davor. Massenabfertigung beim Mittagessen auf der anderen Seite. Ich beschränke mich auf das wirklich gute Brot – traue der Küche nicht.

Und weiter zum nahegelegenen Tal der Könige: Ein Kessel zwischen steilen Kalksteinfelsen. Wenn die Touristenmassen es durch den Basar mit unendlich aufdringlichen Händlern geschafft haben, erwartet sie eine informative Eingangshalle. Von dort aus geht es mit kleinen Bähnchen hinauf zu den Gräbern. Sie liegen dicht beieinander, und man hat die Qual der Wahl. Es gab elf Pharaonen namens Ramses – welchen wählt man? Oder soll man 10 Euro extra zahlen, um das Grab des Tutanchamun zu sehen? Der Guide rät ab: Da der Pharao sehr jung gestorben ist, es es ein sehr kleines Grab. Wenig ansehnlich bis auf die Mumie des Pharaos, die dort immer noch ausgestellt ist. Er reicht ein Foto rund. Ok. Ich habe genug gesehen.

Der Guide sucht aus: Dreimal Ramses. Die Wahl ist gut. Das Durchlaufen weniger: Grade mal zehn Minuten werden uns pro Grab zugestanden. Ich beginne, mich wirklich zu ärgern. 15 Euro kostet eine Lizenz, wenn man nicht mit dem Handy, sondern einer richtigen Kamera fotografieren will. Man muss das Papier am Eingang jedes Grabes vorzeigen, und wird im Innern ständig von Aufsehern belästigt, die erst die Lizenz sehen und dann gegen ein Trinkgeld durch die Räume führen wollen. Unmöglich, sich all den Eindrücken zu ergeben, die auf den Besucher einstürmen: Herrliche Wand- und Deckenmalereien. Ganze Bildergeschichten vom Leben der hier Beerdigten; erklärende Tafeln, mystische Beleuchtung.

Ich bewundere, wie sorgfältig hier restauriert wurde, wie die Farben nach Jahrtausenden noch leuchten – sehe die Steinmetze arbeiten, Prozessionen einziehen, die den toten Pharao bringen, möchte bleiben, die inneren mit den äußeren Bildern verbinden, und muss schon wieder raus. Beim dritten Grab bin ich richtig sauer und bleibe einfach länger – nur um anschließend die Anderen im improvisierten Café sitzen zu sehen. Aha. Dafür war also Zeit.

Wir müssen weiter, und zwar schnell. Der Tempel der Hatschepsut schließt um 16 Uhr. Es ist nicht weit, nur einmal um den Berg herum. Auf der anderen Seite der gleiche Steilhang, unter dem flach in drei Terrassen der Tempel liegt. Wieder eine blitzschnelle theoretische Einführung: Ich lerne, dass die Kuh ein Zeichen für Mütterlichkeit, Gebärfähigkeit und Wohlstand ist, dass Hatschepsut, der einzige weibliche Pharaoh, zwar Männerkleider trug, aber durch geheime Zeichen ihre Weiblichkeit doch darstellen ließ. Ihr Stiefsohn Tutmosis III und weitere Nachfolger ließen fast alle Abbildungen von ihr vernichten. Aber wer genau hinschaut, kann sie noch erkennen.

Ganz oben ist ein „Allerheiligstes“, das erst seit gut einem Jahr der Öffentlichkeit zur Verfügung steht. Die Guides werden am Eingang gebeten, hier bitte keine lauten Erklärungen zu geben. Ich gehe achtsam hinein, bestaune den gewölbeähnlichen Sternenhimmel und will mich einfühlen – da tritt ein lauthals telefonierender polnischer Wichtigtuer im Maßanzug auf und lässt sich von seiner demütigen Entourage in Siegerpose fotografieren. Die Polen sind an dieser Ausgrabungsstätte federführend. Ich versuche, ihn mit Blicken zu töten – es dauert Minuten, bis er begreift und sein Handy mal schweigend zum Fotografieren nutzt. Und schon ist die Zeit wieder um.

Der ärgerliche Guide wartet unten: Er möchte pünktlich Feierabend machen und fürchtet den abendlichen Stau in der Stadt. Wir fahren los. Es wird 21 Uhr sein, wenn wir zurück sind. Die Rückfahrt wird zur Qual: Müde Beine, keine Möglichkeit, diese auszustrecken und beim erzwungenen Stopp an einer Gaststätte unterwegs werden wir von einem halben Dutzend voll verschleierter junger Frauen körperlich massiv bedrängt: Sie wollen Geld. Als sie nicht genug bekommen, schlagen sie ihren Eseln mit Stöcken ins Gesicht und zwingen sie, ihren eigenen Kot zu fressen. Ich würde am liebsten zuschlagen, bin ziemlich bedient und schließlich froh, zurück im schützenden Hotel zu sein.

Ob es wohl Sinn macht, die Anlagen in Eigenregie zu besichtigen? Oder kann man sich der ganzen Geldforderungen dann gar nicht mehr erwehren? Wenn man dann noch nach Kairo möchte, um die Pyramiden zu sehen und im Roten Meer schnorcheln will, braucht man vier Wochen, um sich wohl zu fühlen. Kann ich mit dem aggressiven Bakschisch-Fordern so lange umgehen? Ich weiß es (noch) nicht.

Je suis Charlie: Für (Meinungs-)Freiheit und friedliches Miteinander!

Man mag die Satire schätzen oder nicht: Sie ist ein notwendiger Bestandteil der Gesellschaft, und das besonders stark im debattierfreudigen Frankreich. Sie überzeichnet, oft bitterböse, und macht damit auf Fehlentwicklungen aufmerksam. Und sie ist Bestandteil des Wichtigsten, was Menschen haben können: der Freiheit.

Der Charlie Hebdo ist ein Magazin, das Satire nicht einseitig verbreitet. Nicht nur der Islam – genauso das Christentum – die nationale und internationale Politik; alles nimmt er mit spitzer Feder auf’s Korn. Dies völlig werbefrei, denn Inserenten üben regelmäßig erheblichen Druck auf die Medien aus, damit ihre Botschaft im „richtigen“ Umfeld erscheint. Nicht käuflich zu sein bezahlen Medienschaffende weltweit sehr schnell mit persönlichen Konsequenzen: Sie sind ständig in Gefahr, ihre Arbeit zu verlieren und in vielen Ländern auch ihr Leben. In dem Teil der Welt, der sich „freier Westen“ nennt, ist letzteres eher selten der Fall. Das heißt aber nicht unbedingt, dass wir deshalb von Medien informiert werden, die von völliger Meinungsfreiheit profitieren:

Da ist die Angst der Herausgeber vor finanziellem Ruin durch Ausbleiben der Werbeeinnahmen. Da ist die Eitelkeit der Chefredakteure und Ressortchefs, die sich gern vorzüglicher Kontakte zu politischen Entscheidungsträgern rühmen. Und da ist die Angst der einfachen Journalisten, Gehalt und Altersversorgung zu verlieren: Angesichts einer hohen Zahl bestens ausgebildeter Medienmacher und ständig abnehmender „sicherer“ Arbeitsplätze ist sich jeder Journalist darüber im Klaren, dass er nicht einmal mehr über den berühmten Kaninchenzüchterverein schreiben wird, wenn er nicht spurt – und zwar nicht nur im „eigenen“, sondern auch in allen anderen Medien.

So werden unsere „seriösen“ Medien instrumentalisiert – oft ganz subtil, wenn nötig aber auch knallhart. Wir können es zurzeit bestens am Ost-West-Medienkrieg beobachten. Wer genau hinschaut, sieht es aber auch bis hinunter zur Ortsebene: Bei missliebiger Berichterstattung lernt jeder Journalist Wirtschaft und Politik von ganz neuen Seiten kennen und kann in den seltensten Fällen auf Rückendeckung aus dem eigenen Hause hoffen. Vor diesem Hintergrund bekommt der Satz des  Charlie-Chefredakteurs und Zeichners Stéphane Charbonnier eine noch tiefere Bedeutung, als er ohnehin schon hat: „Ich sterbe lieber aufrecht, als auf Knien zu leben“.

Nur mit Idealismus und Konsequenz kann es ein solches Blatt schaffen, rein über den Verkauf auf dem Markt erfolgreich zu sein. Leser auf der ganzen Welt wissen Wahrheit zu schätzen. Satire ist eine Möglichkeit, diese mit einem gewissen Maß an Narrenfreiheit auch auszusprechen.

Wenn wir diesen Gedanken konsequent weiter verfolgen, liegt ein Verdacht sehr nahe: Die Menschen in Europa wollen mehrheitlich keinen Krieg. Sie wollen in Frieden leben, ihren Wohlstand sichern und sind bereit, Andersdenkende zu tolerieren. Die Mehrheit der politisch und religiös anders Denkenden sehen das genauso: Sie verbreiten ihre Meinung, aber sie tun es friedlich.  Das gilt auch für die Mehrheit der Muslime: Sie wissen, dass sie im Grundsatz den selben Gott haben, den auch die Christen anbeten – und dass auch der Koran verlangt, den Nächsten zu lieben.

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Religion ist eine der stärksten Kräfte, die Menschen steuern können. Was liegt also näher, als sie zu nutzen, wenn man Menschen in gewünschte Richtungen bewegen will? Wir kennen das nicht nur im Islam. Wir kennen es ebenso im Christentum. Wir sehen rund um den Globus, wie Menschen aus wirtschafts- oder einfach machtpolitischen Gründen manipuliert werden. Edward Snowdens Dokumente, deren Inhalt man getrost auch auf andere Nationen übertragen kann, haben das nicht erst zutage gefördert, sondern nur erstmals in diesem Ausmaß belegt wie sehr politisch Führende die Menschen überwachen und manipulieren.

Wenn man nun die Trägheit Europas in Bezug auf bewaffnete Konflikte, seine Zentriertheit auf die Sicherheit des Euro und den abnehmenden Wohlstand der Einzelnen betrachtet, dazu die eher gemäßigte Wortwahl der Medien und die zaudernden Regierenden, liegt es nahe zu vermuten, dass der Anschlag in Paris ein ganz konkretes Ziel hatte: Es sollen Fronten geschärft und Feindbilder intensiviert werden. Wie macht man das am besten? Man greift die Medien selbst an, denn dann werden alle ganz laut schreien. Genau so ist es am Tag des Attentats auch gekommen: Die Medien blasen zur Verteidigung der Meinungs- und Pressefreiheit, drehen den Spieß Richtung Politik: Alle sollen jetzt ihre Werte bekennen, von der Kanzlerin bis zur Putzfrau.

Der Anschlag in Paris war eine Splitterbombe, deren Wirkung auf das Miteinander verschiedener Kulturen in der Heimat von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sowie all seiner Verbündeten noch gar nicht absehbar ist.

Lassen wir uns nicht zersplittern – dann wären die Menschen in Paris umsonst gestorben.

Nie, niemals dürfen wir uns auf das Niveau von Extremisten herab ziehen lassen.

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